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Erster Workshop zur "Landshut" in Friedrichshafen | Demokratieraum. Die Landshut in Friedrichshafen | bpb.de

Demokratieraum. Die Landshut in Friedrichshafen Die „Landshut“ am künftigen Ausstellungsort Ein Flugzeug mit Symbolcharakter Die Entführung der „Landshut“ und die Globalisierung Phänomen Flugzeugentführungen Die mediale Darstellung der „Landshut“-Entführung Redaktion

Erster Workshop zur "Landshut" in Friedrichshafen Schüler/-innen und Zeitzeug/-innen sprechen über Geschichte

Elisa Held

/ 5 Minuten zu lesen

Was ist Geschichte? Wie werden Ereignisse zu Geschichte? Wie setzen wir uns mit Geschichte auseinander? Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigten sich Schülerinnen und Schüler des Karl-Maybach-Gymnasiums Friedrichshafen in einem halbtägigen Workshop am Mittwoch, den 19.10.2022, am Bodensee-Airport Friedrichshafen.

(© bpb)

Der Workshop, der von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) organisiert und durchgeführt wurde, stand dabei ganz im Zeichen der 1977 entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“. Das Flugzeug wurde 1977 von palästinensischen Terrorist/-innen zur Freipressung der im Gefängnis Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder entführt.

Seit dem Erwerb durch die Bundesrepublik Deutschland befindet sich das Wrack in einem Hangar in Friedrichshafen und soll als Symbol eines wichtigen innenpolitischen Ereignisses der Bundesrepublik zukünftig Teil eines „Lernorts Landshut“ werden. Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 9-12 hatten nun die Gelegenheit, die Landshut vor allen anderen fast genau 45 Jahre nach der Befreiung der Geiseln und damit der Beendigung der Entführung in Mogadischu zu besichtigen und sich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen. Begleitet wurden sie dabei von drei Zeitzeug/-innen: Jürgen Vietor, ehemaliger Co-Pilot der „Landshut“, Diana Müll, ehemalige Passagierin und der ehemalige GSG9-Polizist Aribert Martin, der an der Befreiungsaktion beteiligt war, nahmen selbst am Workshop Teil und standen den Schüler/-innen Rede und Antwort.

Die erste Workshopeinheit beinhaltete direkt eines der Highlights des Tages: die Besichtigung des Wracks der Landshut. Nachdem alle Schüler/-innen, die Zeitzeug/-innen und anwesende Pressevertreter/-innen die Sicherheitskontrolle am Friedrichshafener Flughafen passiert hatten und mit Warnwesten ausgestattet worden waren, erfolgte der Transfer zum Hangar mit Flughafenbussen. Nach der Ankunft im Hangar folgte die offizielle Begrüßung durch Thomas Krüger, Präsident der BpB, und Anja Meitner von der LpB Baden-Württemberg.

Im Anschluss wurden die Schüler/-innen zunächst in die Ereignisse und Hintergründe des sogenannten „Deutschen Herbst“ rund um die Entführung der „Landshut“ eingeführt. Durch einen interaktiven Zeitstrahl, den sie selbst mitgestalteten und mit Bildern, Jahreszahlen und dazu passenden Ereignissen bestückten, konnten die Schüler/-innen die Ereignisse bis zur Entführung und auch die darauffolgenden Geschehnisse nachvollziehen. So setzten sie sich unter anderem mit der RAF (Rote Armee Fraktion) und deren Zielen und Vorgehensweisen auseinander sowie mit dem Anschlag bei den Olympischen Spielen in München 1972 und der daraufhin erfolgten Gründung der GSG 9. Die Entführung der Lufthansa-Maschine wurde mithilfe einer Weltkarte, auf der die erfolgten Landungen und Landungsversuche des Flugzeugs chronologisch eingezeichnet wurden, visualisiert.

Im Anschluss an die Kontextualisierung der Ereignisse um die Flugzeug-Entführung hatten die Schüler/-innen gemeinsam mit den Zeitzeug/-innen die Möglichkeit, das Wrack des Flugzeugs zu betreten. Nach einem kurzen Rundgang durch den Flugzeugkörper, der bis auf das Cockpit fast vollständig leer ist, wurden die Zeitzeug/-innen von Christian Gieseke (bpb) gebeten, den Schüler/-innen ihre jeweilige Position im Moment der Befreiung der Maschine zu zeigen und zu erläutern. So zeigte beispielweise Aribert Martin die Tür, über die er das Flugzeug im Moment der Stürmung betrat. Die Schüler/-innen hörten gespannt den Berichten des ehemaligen GSG-9-Beamten über die Vorbereitung und den Ablauf der Befreiung zu. Auch Diana Müll beschrieb, wo sie sich im Moment der Befreiung befand und schilderte ihre Ängste und Hoffnungen. Die Berichte der Zeitzeug/-innen im Inneren des Flugzeugwracks boten den Schüler/-innen einmalige Erlebnisse. Das große Interesse an der Berichterstattung der Zeitzeug/-innen wurde auch daran deutlich, dass die Schüler/-innen jede freie Minute zwischen den einzelnen Tagesordnungspunkten nutzten, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Nach dem Rücktransfer ins Flughafen- und Workshopgebäude begannen die Teilnehmenden, sich – unter Rückbezug auf die am Flugzeug erhaltenen Eindrücke – mit den eingangs gestellten Fragestellungen auseinanderzusetzen. In einem ersten Schritt suchten sie nach Assoziationen zum Geschichtsbegriff und überlegten, was für sie Geschichte bedeutet. Unter den genannten Begriffen, die in einer Wortwolke gesammelt wurden, waren unter anderem Vergangenheit, Erfahrungen, Veränderungen, Lernmöglichkeit, kollektives Gedächtnis. Die Schüler/-innen setzten sich zudem in Kleingruppen mit den Fragen auseinander, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Ereignis zu Geschichte wird oder aber welche Akteur/-innen bei der Geschichtswerdung eines Ereignisses eine Rolle spielen. Muss man selbst Teil eines Ereignisses sein, damit es zu Geschichte wird? Schnell wurde deutlich, dass das einfach erscheinende Konzept Geschichte schwerer zu greifen ist als angenommen.

"Landshut"-Passagierin Diana Müll (Mitte) spricht mit Schülerinnen und Schülern. (© bpb)

Diese theoretischen Vorbesprechungen dienten als Grundlage für die anstehenden Gespräche mit den Zeitzeug/-innen. In Kleingruppen überlegten die Schüler/-innen mögliche Fragestellungen, die sie mit den Zeitzeug/-innen im Anschluss in kleineren Gesprächsrunden diskutierten. Schwerpunkte waren dabei einerseits die Erlebnisse während der Landshut-Entführung selbst, von denen die Zeitzeug/-innen eindrücklich berichteten. Andererseits wurde auch die mediale Vermittlung der Ereignisse nach der Befreiung thematisiert. Wie empfanden die Zeitzeug/-innen die Berichterstattung nach der Entführung? Gab und gibt es Elemente, die sie verärgert, gestört, berührt oder aufgeregt haben? Gab es Unterschiede zwischen dem subjektiv Erlebten und der Geschichtsschreibung? Wie sind diese Dinge heute zu bewerten? Die Schüler/-innen wiesen dabei vor allem auf die heutige Bedeutung der Sozialen Medien hin, durch welche sich Informationen zwar schneller verbreiten könnten, die aber auch ein guter Nährboden für Fake News darstellten. So wurden die Erzählungen der Zeitzeug/-innen von den Schüler/-innen immer wieder mit Gegenwartsbezügen verknüpft.

Nachdem sich die Schüler/-innen wieder in ihren Kleingruppen über ihre jeweilige Diskussion mit den Zeitzeug/-innen ausgetauscht hatten, waren sie selbst gefragt. Im letzten Workshopteil erarbeiteten sie selbst in ihren Gruppen Ereignisse der meist jüngeren Vergangenheit, die für sie „Geschichts-Charakter“ haben. Dabei bestand die erste Schwierigkeit bereits darin, sich in der Gruppe auf ein Ereignis zu einigen. Hier wurde den Schüler/-innen schnell ein Aspekt von Geschichtsschreibung deutlich: Welche Geschehnisse als geschichtsträchtig empfunden werden, wird von Person zu Person unterschiedlich beantwortet. Die erarbeiteten Ergebnisse wurden nach der Mittagspause allen Anwesenden in kurzen Präsentationen vorgestellt. Ereignisse, die für die Schüler/-innen von geschichtsträchtiger Bedeutung sind und die sie teilweise auch selbst miterlebt haben, waren unter anderem die Corona-Pandemie, der Tod von Queen Elizabeth oder aber die nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 beginnenden Proteste im Iran. Die sich während der Präsentation entwickelnden Fragen, ob nur Ereignisse zu Geschichte werden, die über individuelle Erlebnisse hinausgehen und von einer ganzen Gesellschaft als prägend wahrgenommen werden, oder aber ob bereits der einfache Gang zum Bäcker, bei dem man sich das Bein bricht, Teil der eigenen Geschichtsschreibung ist, wurden lebhaft diskutiert. Spannend waren die unterschiedlichen Anmerkungen und Sichtweisen von Schüler/-innen und Zeitzeug/-innen gerade auch die mediale Vermittlung betreffend. Einig waren sich aber alle Beteiligten, dass die Corona-Pandemie sicherlich in die Geschichte eingehen wird.

Nach einer Abschluss- und Feedback- Runde endete ein intensiver Tag sowohl für die Schüler/-innen als auch für die Zeitzeug/-innen, der geprägt war vom gemeinsamen Austausch, vom Erinnern und Erzählen und vom Fragen und Hinterfragen von (Zeit-)Geschichte.

Workshop in Friedrichshafen

Am 19.10 erarbeiteten Schülerinnen und Schüler aus Friedrichshafen gemeinsam mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, wie Ereignisse zu Geschichte werden.

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Fussnoten

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Freie Mitarbeiterin bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg