„Terrorismus“ ist auch ein Medienphänomen. Medial verbreitete Spekulationen tragen in den 1970er Jahren zu einem gesteigerten Krisenempfinden und einem Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung bei. Die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ stellt, auch durch die mediale Begleitung, die höchste Eskalationsstufe in der Zuspitzung des Jahres 1977 dar.
Am Wochenende nach dem Bekanntwerden der Entführung der Lufthansamaschine LH181 versammelten sich tausende Menschen vor dem abgesperrten Bonner Kanzleramt, um „dabei“ zu sein, wenn etwas geschehen sollte, auch wenn es vor dem abgeschirmten Regierungsgebäude eigentlich kaum etwas zu sehen gab. Mehr „live“ geht nicht. Die ZEIT berichtete:
„Seit der Entführung der Lufthansa-Maschine riß der Menschenstrom zur Regierungszentrale nicht mehr ab. Am vergangenen Wochenende schwoll er so sehr an, daß die umliegenden Straßen für alle Privatautos gesperrt werden mußten. Die Nummernschilder zeigten Wagen von Wilhelmshaven bis Starnberg an. Auf Drei- bis Viertausend schätzt die Polizei die Zahl derer, die im Laufe des Samstags und Sonntags vom frühen Morgen bis tief in die Nacht kamen. Sie kamen schweigend, blieben schweigend, gingen schweigend. Die Menge stand stumm und regungslos: eine lebende Kulisse, Fortsetzung der äußerlichen Stille, die auch den dunklen Koloß des Kanzleramts umgab.“
In diesen Tagen der Zuspitzung dessen, was bald als „Deutscher Herbst“ in die Geschichte der Bundesrepublik einging, traf die mediale Öffentlichkeit auf eine mobilisierte Öffentlichkeit, die nun vor Ort am dramatischen Geschehen, mehr oder weniger in Echtzeit, teilnehmen will. Dies jedoch ist nur der Höhepunkt einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem als ‚Terrorismus‘ wahrgenommenen Angriff der Roten Armee Fraktion auf die Bundesrepublik, die bereits 1970 begann. In diesem Zusammenhang sollte, und hier sind sich Historiker*innen und Medienwissenschaftler*innen heute weitestgehend einig, ‚Terrorismus‘ als Medienphänomen verstanden werden – ebenso wie seine Bekämpfung zu einem großen Teil auch.
Terrorismus-Debatte in einer verunsicherten Republik
Damals, vor mehr als 40 Jahren, war die Auseinandersetzung mit der RAF ein Vorzeichen für die zunehmende politische Polarisierung der Auseinandersetzungen innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft. Schließlich war die Terrorismus-Debatte vor allem eine Auseinandersetzung über den Zustand einer „verunsicherten Republik“, waren die diskursiven, politischen und moralischen Grenzen heftig umkämpft. Dabei bildeten die Massenmedien die entscheidende Struktur politischer Kommunikation, unter ihnen waren vor allem Tageszeitungen, Wochenzeitschriften und die Nachrichtensendungen in den ersten beiden westdeutschen Fernsehprogrammen von prägender Bedeutung.
Die Ereignisse, die politischen Entscheidungen und die Medienberichterstattung haben die deutsche Gesellschaft nachhaltig geprägt und wirken in Vielem noch bis heute fort, was sich beispielsweise in dokumentarischer als auch fiktiver Art in einer ganzen Reihe von Filmen und Büchern niederschlägt. Zu Zeiten der RAF thematisierten die Massenmedien eine sich verändernde Gesellschaft, die plötzlich in unvorhergesehener Weise von innen bedroht war – und nicht mehr nur durch den als äußeren Feind wahrgenommenen „Ostblock“. Darüber hinaus waren Massenmedien jedoch Teil und Triebkraft einer Frontenbildung in der Auseinandersetzung über den Terrorismus. Ebenso wie die RAF in ihrem Konzept einer „Propaganda der Tat“ auf eine mediale Präsenz angewiesen war, agierten auch die Vertreterinnen und Vertreter der politischen Institutionen auf der medialen Bühne.
An der medialen Oberfläche handelte es sich in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus zum größten Teil um eine Sensations-Berichterstattung, die immer wieder das Bedürfnis nach Fortsetzung der Terrorismus-Story, unter den emotionalen Vorzeichen von Bedrohung, Empörung und Suspense bediente und damit hohe Verkaufszahlen erreichte. Immer wieder, und dies ist insbesondere für die Berichterstattung zur Entführung der ‚Landshut‘ der Fall, bedienten und förderten die medialen Berichte sich ausweitende subjektive Bedrohungsgefühle in der bundesdeutschen Bevölkerung. Auf lange Sicht konnte sich aus diesen Medienberichten ein regelrechter Kanon entwickeln, welcher sich immer wieder um die gleichen Geschichten und Deutungsmuster drehte und sich bis heute vielfach in Literatur und Film, von Stefan Austs „Baader-Meinhof-Komplex“ bis zum Sonntagabend-„Tatort“, niederschlug. Allerdings wurde die damalige Auseinandersetzung mit dem Terrorismus in mehreren Akten inszeniert, die sich des Einflusses der sogenannten intellektuellen ‚Sympathisanten‘, der Rolle der Frauen in der RAF und einem Bezug auf die jüngste Nazi-Vergangenheit widmeten.
Mit der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und der Geiselnahme von 91 Zivilist*innen aus der Mitte der Gesellschaft schienen sich solche, wie oben genannte, Bedrohungsgefühle schließlich bestätigt zu haben. Doch schon in den Jahren zuvor spielten Medienberichte eine zentrale Rolle für die Verbreitung der Einschätzung, dass nicht nur – in der Logik der RAF – ‚Repräsentanten’ des ‚Systems‘ einschließlich Polizisten, sondern ein Jeder und eine Jede potenzielles Opfer der RAF werden könne. Medial verbreitete Spekulationen, vor allem in BILD, über mögliche RAF-Anschläge auf vollbesetzte Fußballstadien, die Vergiftung des Trinkwassers einer deutschen Großstadt oder den terroristischen Gebrauch von Giftgas, die sämtlich jeglicher Grundlage entbehrten, trugen ein Übriges zur Ausbreitung einer Moral Panic bei. Das Konzept der Moral Panic entstammt den britischen Kulturwissenschaften und ist auch in der Soziologie gebräuchlich. Im Sinne dieses Konzeptes beinhaltet mediale Berichterstattung bereits grundsätzlich die Struktur für die Elemente einer Moral Panic. Diese umfassen im Einzelnen, und dies gilt insbesondere für die Medienberichte zur Entführung der „Landshut“: die rhetorische Strategie von Personalisierungen und klar benennbaren Gruppen; die Dramaturgie eines zeitlichen Verlaufs, welche einen Bezug zur Vergangenheit und eine Vorhersage auf die zukünftige Entwicklung beinhaltet; die Vermittlung von Themen als von „allgemeinem Interesse“ mittels einer Koppelung an die Lebenswelten der Leser*innenschaft; das Herausstellen politischer und gesellschaftlicher Ereignisse als Vorzeichen eines allgemeinen gesellschaftlichen Zustandes und nicht zuletzt die moralische und emotionale Bindung der Leser*innen an gesellschaftliche und politische Prozesse. Statt von der Moral Panic zu sprechen, sollten also die Medienberichte und -kommentare als permanente Verhandlung einer Bedrohung innerhalb moralischer Krisen verstanden werden. Wichtig ist hierbei die Betonung von klar definierten Schwellen, welche zu überschreiten die Moral Panic ausmacht. Solche Schwellen markieren auf symbolische Art die Grenzen gesellschaftlicher Toleranz und somit die Frage nach Ein- und Ausschluss – wesentliche Schwellen sind hierbei Devianz und Gewaltanwendung, wie sie auch für die Wahrnehmung von Terrorismus ausschlaggebend sind.
Trotz allem ist die Betonung einer – induzierten, konstruierten oder genuinen – „Panik“ in der Bevölkerung in den meisten Fällen zu hoch gegriffen. Selbst im Fall der entführten „Landshut“ und der Menschenansammlungen in Bonn sind hysterische, plötzliche, irrationale Reaktionen nur am Rande auszumachen. Vor allem BILD jedoch bediente mit seiner emotionalen Beschwörung einer möglichen Entgrenzung eine „Politik der Angst“. In Zeiten einer gesellschaftlichen Krise und eines verbreiteten allgemeinen Unsicherheitsgefühls entwickelt sich eine innere Bedrohung in etwas, das der Mitte der Gesellschaft, und ihrer Werte, diametral gegenübersteht. Die Moral Panic betrifft also nicht die unmittelbare, panische Reaktion der Beteiligten, sondern ein sich steigerndes Krisenempfinden, das sich in den öffentlichen Auseinandersetzungen artikuliert.
In einer solchen diskursiven Erzeugung von Unsicherheit ergänzen sich Medien und staatliche Apparate. Im Laufe der Fahndung nach der RAF versorgten Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft die Medien mit einer immer größeren Anzahl an gezielten Spekulationen über das Bedrohungspotenzial durch die RAF. Daher lässt sich an dieser Stelle sagen, dass Abgrenzungsbemühungen für die Selbstvergewisserungstendenz der gesamten Terrorismus-Debatte prägend waren. Hier ging es um Grenzziehungen und damit auch um gesellschaftliche Ausschlüsse. Doch gleichzeitig wurde in der medialen Berichterstattung die potenzielle terroristische Bedrohung mehr und mehr diskursiv ausgeweitet. Demnach mussten sich nicht mehr nur Entscheidungsträger*innen aus Politik, Wirtschaft, Militär und deren Personenschützer bedroht fühlen, sondern alle. Gab es in den Anfangsjahren der RAF noch mitunter Sympathien unter jüngeren Deutschen für den „bewaffneten Kampf“, so hat sich durch die Eskalation im Herbst 1977 das Stimmungsbild der bundesrepublikanischen Gesellschaft gewendet: Nun stimmten 53 Prozent der von Infratest Befragten dem Statement zu: „Solche Anschläge können jeden von uns treffen; davor habe ich persönlich Angst.“
Die Entführung des „Geisel-Jets“ (BILD) durch ein palästinensisches Kommando hatte in der medialen Darstellung die Bedrohung für Jede und Jeden erfahrbar gemacht, sie stellte die höchste Eskalationsstufe in der Zuspitzung des Jahres 1977 dar. Denn die Ereignisse des Jahres 1977 wiesen eine besondere Dramaturgie auf: Die RAF verkündete eine „Offensive 77“ und übernahm in bisher ungekanntem Ausmaß die Initiative, was sich auch darin äußerte, dass sie die mediale Agenda mitbestimmte. Zehn Jahre nach dem Postulat der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (APO) von der ‚begrenzten Regelverletzung’ setzte die RAF nun auf eine strategische Eskalation, welche den Druck auf die Bundesregierung erhöhen sollte, die Gefangenen der ersten RAF-Generation freizulassen, darüber hinaus jedoch auch für Präsenz in den Medien sorgte, – unter der Prämisse, die Dramaturgie der Aktionsabfolge zu beschleunigen, um ein gleich bleibendes Maß an Medienaufmerksamkeit zu erreichen.
Die Dramaturgie der "Landshut"-Entführung
Zurück zu den Ansammlungen vor dem Bundeskanzleramt am zweiten Tag der Flugzeugentführung: Bald stießen Angehörige der Geiseln zu der Menge, die Tagesschau berichtete über „Schaulustige und Touristen“, die Titelseite der BILD-Zeitung zeigte Bilder der Angehörigen, die den Bundeskanzler sprechen wollen, unter ihnen ein Kind mit umgehängtem Schild: „Herr Bundeskanzler! Ich will meine Mutti wiederhaben!“
Die Medien waren live dabei, in dem Moment, wo sich in Bonn ein weiterer Schauplatz im „Geiseldrama“ der Entführung der „Landshut“ etablierte. Die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Schauplätze, gegenüber den körnigen Bildern der verloren wirkenden Lufthansa-Maschine auf einem Rollfeld in sich wechselnder Wüstenumgebung, von Dubai über Aden bis Mogadischu, betonte nur die Beschleunigung und Intensität der Ereignisse, in deren Dramaturgie sich ein baldiges, noch dramatischeres Ende bereits anzukündigen schien. Im Gegensatz zu Anschlägen und Attentaten ist Entführungen und Geiselnahmen zu eigen, dass sie eine länger andauernde mediale Wirkung entwickeln. Anders als beim Einzelschlag sind hierbei Ergebnis und Ausgang noch offen. Es ist klar, dass es zu einer spektakulären Auflösung der Situation kommen muss und dementsprechend groß ist der Druck auf alle Beteiligten – für Jede und Jeden spürbar gemacht durch die mitunter atemlose mediale Berichterstattung.
Darüber hinaus widmete sich vor allem BILD einem weiteren Gegen-Schauplatz, wenn täglich dem entführten Flugzeug als Ort der Opfer das Stammheimer Hochsicherheitsgefängnis als Ort der angenommenen Täter gegenübergestellt wird. BILD berichtete in kaum verhaltener Empörung über die gute Verpflegung der Gefangenen und muss doch zunächst feststellen: „In Stammheim: Ein Tag wie jeder andere.“ Allerdings wird auch hier aus dem, was außerhalb des Gefängnisses geschieht, letztlich ein Schauplatz, der sich in der medialen Berichterstattung in das Gesamtbild einer Dramaturgie der überwältigenden Gleichzeitigkeit einfügt. BILD berichtet von einem „Heer an Schaulustigen“ vor dem Gefängnis und zitiert Stimmen aus der Menge: „’Jede Stunde einen erschießen, dann ist das bald vorbei.’“
In einem Crescendo der Eskalation zeigt die Titelseite von BILD am 17.10. eine Aneinanderreihung von Schlagzeilen: „Panik im Geisel-Jet. Totenblaß der Kanzler. Frau Schleyer weint. Baader tobt vor Wut. Armer Schleyer. Terroristen schlagen die Geiseln“. In der Fülle der dramatischen Entwicklung, zur gleichen Zeit an ganz verschiedenen Orten, drohte alles über einem zusammenzubrechen.
Bereits einen Monat zuvor, nach den ersten Tagen der Schleyer-Entführung, wurde den Beobachter*innen der Ereignisse klar, dass die Bundesregierung auf Zeit spielte und offensichtlich in keiner Weise zu einem Austausch der Geisel gegen die Stammheimer Gefangenen bereit war (was der Krisenstab bereits am Tag nach der Entführung im Geheimen beschlossen hatte). Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde in den Medien über eine mutmaßliche weitere Entführung spekuliert. Nach der „Landshut“-Entführung sah man sich hierin bestätigt, wie beispielsweise im SPIEGEL oder STERN, die vom „zweiten Schlag der Terroristen“ sprachen: „Und wie befürchtet, richtete er sich nicht gegen Wirtschaftsführer, Staatsdiener oder Diplomaten, die ebensowenig ausgetauscht würden wie Hanns-Martin Schleyer, sondern gegen normale Bürger. (...) Es ging nicht mehr allein um einen Top-Manager der Industrie, jetzt ging es um 47 Frauen, 33 Männer und sieben Kinder – um einfache Bürger, um kleine Leute.“
Von Beginn der Flugzeugentführung wurde diese mit dem Schleyer Fall in eins gesetzt, was beispielsweise in den Hintergrundgrafiken der Tagesschau immer wieder deutlich gemacht wurde. Genau dies war auch die Absicht der RAF gewesen, die ein weiteres Foto des entführten Schleyers an die Nachrichtenagenturen geschickt hatte, auf dem dieser vor einem Poster mit dem RAF-Logo sowie den Namen „Commando Siegfried Hausner“ und „Commando Martyr Halimeh“ gezeigt wird. Im Jahr zuvor hatten die in Stammheim einsitzenden RAF-Gefangenen die Entführung des Air France Flugzeugs nach Entebbe durch Wadi Haddads Abspaltung PFPL-EO (External Operations) und Mitgliedern der „Revolutionären Zellen“ noch verurteilt. Doch im Fall der „Landshut“ sei das Angebot der gleichen Gruppe angenommen worden, da es sich um ein deutsches Flugzeug handelte und davon ausgegangen wurde, dass dies eine größere Medienöffentlichkeit, und damit erhöhten politischen Druck, erzeugen würde.
Die sich überstürzenden Ereignisse, geprägt von neuen Ultimaten der Entführer*innen, Landeverweigerungen, dem wiederholten Weiterflug der „Landshut“, den Meldungen über den Start einer Lufthansa-Maschine mit einer GSG-9-Einheit an Bord, der Hinrichtung des „Landshut“-Flugkapitäns Jürgen Schumann und schließlich der nächtlichen Stürmung in Mogadischu, prägten und veränderten auch die Medien, die versuchten, mit den sich mitunter zu überschlagen scheinenden Entwicklungen Schritt zu halten. Vor allem dem Fernsehen kam hier eine besondere Rolle zu: Immer wieder wurde live (Einblendung: „Über Satellit“) von einem Flughafen in der Wüste berichtet, im Hintergrund in der flirrenden Wüstenhitze die „Landshut“-Maschine. 1977 waren Live-Schaltungen in den Abendnachrichten etwas Besonderes, sie betonten noch einmal die Aktualität und Dringlichkeit, ebenso wie die häufige Erwähnung „soeben“ eingetroffener Informationen. Am 19.10.1977, nach der Befreiung der Geiseln, den Selbstmorden in Stammheim und dem Auffinden der Leiche Schleyers, sendete die ARD eine Sondersendung der Tagesschau um 22:15 Uhr. Ein solches Format sollte sich bald mit den im Januar 1978 eingeführten Tagesthemen fest im ARD-Programm etablieren. Die Sendung wurde für eine halbe Minute unterbrochen von einem schwarzen Bildschirm mit dem Text: „Bitte bleiben Sie am Gerät. Neue Meldungen folgen.“
Die sich ständig ändernde Nachrichtenlage stellte auch die Printmedien vor Herausforderungen, da sie naturgemäß der Aktualität der berichteten Ereignisse hinterherhinkten. So wurden die Schlagzeilen am 18.10.1977 noch von der Hinrichtung des Flugkapitäns Schumann in Aden beherrscht, doch hatten vermutlich fast alle Zeitungsleser*innen an diesem Morgen schon von der Befreiung der Geiseln in Mogadischu und den Selbstmorden in Stammheim im Radio erfahren.
Dementsprechend beruhten die Zeitungsartikel in den Tagen der Entführung meist auf Hintergrund-Stories und Stimmungsbildern, aber auch spekulativen Auslassungen. Diese waren mitunter von gewissem fiktionalen Charakter, wenn es darum ging, mögliche Vorkommnisse an Bord der „Landshut“ zu schildern. Implizit wurden hier Erfahrungen, Bilder und Narrative der Geschichte der 1976 entführten Air France Maschine, die schließlich in Entebbe, Uganda von einem israelischen Spezialkommando gestürmt wurde, herangezogen. Prägend für die Vorstellungen dieser Entführung, quasi als Blaupause für das, was nun möglicherweise auf den Rollfeldern von Dubai, Aden und Mogadischu vor sich ging, waren wohl auch die in den Monaten zuvor auch in deutschen Kinos gezeigten Actionfilm-Verarbeitungen dieser Entführung: Der US-amerikanische Film „Unternehmen Entebbe“ kam nach seinem Erscheinen Ende 1976 auch international in die Kinos und wurde in einigen Ländern wegen Protesten und Anschlägen auf Kinos abgesetzt; im April 1977 folgte „...die keine Gnade kennen“, mit Charles Bronson und Horst Buchholz in den Hauptrollen. Vor allem in BILD wurde in großformatigen Grafiken das mögliche Innere der „Landshut“ illustriert und über eine Befreiungsaktion à la Entebbe spekuliert.
Ferne Bilder
Zwar versucht ‚der Terrorismus‘ in der Mediengesellschaft sich der Bilder zu bemächtigen, was nie deutlicher war als mit den Schockbildern des 11. Septembers, dies jedoch gelang ihm nicht immer. Das entführte Flugzeug „Landshut“ erscheint nur fern und undeutlich, kaum etwas von dem, was Innen geschieht dringt nach außen. Die mediale Inszenierung, die das PFPL-EO Kommando eigentlich vorgesehen hatte, kann als fehlgeschlagen bewertet werden. Darin spiegelte sich aber auch die Gesamtsituation der außer Kontrolle geratenen Entführung wider: Spätestens nach der versagten Unterstützung der süd-jemenitische Behörden nach der Landung in Aden ging ihnen die Initiative verloren – die Entführer*innen wurden zu Gejagten.
Die Journalist*innen konnten oft nur mutmaßen über das, was im Moment der Berichterstattung vor sich ging, denn die Bilder aus der Ferne gaben kaum etwas Preis. „Dennoch“, so die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk, „sind auch in diesen Bildern Distanz und Brisanz auf eigenartige Weise miteinander verschränkt.“ Mit Bezug auf klassische Bild-Theorien ließe sich auch sagen, dass mit den Visualisierungen der „Landshut“-Entführung dem Flugzeug eine gewisse Aura eigen wird. Walter Benjamin hat eine solche einmal beschrieben als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ – was im Zeitalter des Fernsehens schließlich auch in umgekehrter Weise gelten mag. Der Schock, den diese Bilder auslösen, liegt weniger in der Wahrnehmung des singulären Moments der Tat als in seiner steten Verlängerung und Zuspitzung. Es ist hier mehr die Erwartung eines Schocks, welche prägend ist. Allerdings werden die immer wiederkehrenden gleichen Bilder bald selbstreferenziell. In ähnlichem Zusammenhang stellt die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag in ihrem einflussreichen Essay „Das Leiden anderer betrachten“ fest: „Das Bild als Schock und das Bild als Klischee sind zwei Seiten des gleichen Phänomens.“
Die Medienbilder von der „Landshut“ stellen letztlich so etwas wie eine Black Box dar, deren Außen wir zu sehen bekommen, über deren innere Abläufe und einen möglichen Ausgang wir jedoch kaum Erkenntnis erhalten. So formulierte Edmund Gruber, Tagesschau-Reporter vor Ort in Dubai, über die Temperaturen im Flugzeug „kann man nur Spekulationen anstellen. Ebenso wie über das Befinden der Flugzeuginsassen, der Kinder, der Kranken und der Alten Leute.“
Über vielfach eingeblendete und abgedruckte Karten als Infografiken wurde die internationale Dimension des Terrorismus in seinen Verästelungen immer wieder vor Augen geführt: Wie viele Tagesschau-Zuschauer*innen wussten schon genau, wo Aden oder Mogadischu liegen? Eine solche Internationalisierung des Terrorismus, wurde als neu beschrieben. BILD titelte: „Die Internationale der blutigen Hände“.
Nicht nur auf konservativer Seite hatte sich nun die Einschätzung der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus als entgrenzter „Weltbürgerkrieg“ etabliert. Diese Denkweise subsumiert nationale Befreiungskriege, Guerillabewegungen, zwischenstaatliche Konflikte und die Gesamtkonstellation des Kalten Kriegs unter der Prämisse der Unordnung im globalen Maßstab. Der Begriff des „Weltbürgerkriegs“, zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahrzehnte alt, entstammte dabei dem Denken des konservativen Schriftstellers Golo Mann, als auch jenem des ehemaligen NS-Juristen Carl Schmitt in dessen„Theorie des Partisanen“.
Die Ausweitung der beschriebenen Bedrohung im internationalen Maßstab hatte auch zur Folge, dass nun in den Debatten deutlich wurde, dass die Durchlässigkeit von Grenzen zu einer Form der nationalen Bedrohung, oder mehr noch, zu einer Bedrohung der Selbstvergewisserung der nationalen Identität wird – BILD titelte entsprechend: „Die Internationale der blutigen Hände“. Im Namen der Selbstverteidigung wird dann schließlich ein sicheres Territorium für sich beansprucht, und wenn dies eine quasi-militärische Intervention in Staaten der geopolitischen Peripherie zur Folge hatte. In dieser Logik dringt der internationale Terrorismus von außen ein und hat am Ende nur Deutsche zum Opfer – beim Eintreffen der befreiten Geiseln in der Bundesrepublik wurde dies laut BILD eindringlich in Erinnerung gerufen: „Die Grenzschutzkapelle spielte den Präsentiermarsch; die Nationalhymne erklang, und die Zuschauer sangen begeistert mit - stolz auf diese jungen Männer, die ihren Staat vor seiner größten Niederlage bewahrt haben.” Schließlich wurde mit der „Landshut“-Entführung deutlich, dass Westdeutsche nirgends ungeschützter und angreifbarer waren als im Urlaub. Der Spiegel schrieb: So wurden „vor aller Welt die Fäden des Terrorismus bloßgelegt, die Zündschnüren gleich quer über Kontinente verlaufen.“
Entscheidend für die mediale Berichterstattung war jedoch, dass die „Landshut“-Entführung als eine fast ausschließlich (west-)deutsche Angelegenheit betrachtet wurde. Dabei kamen die Passagiere des „deutschen Ferienfliegers“ auch aus Norwegen, Österreich, den Niederlanden, den USA, Finnland, Griechenland, der Schweiz und Dänemark; außerdem befand sich die Crew einer spanischen Fluggesellschaft an Bord. Nicht-deutsche Passagiere wurden allerdings in den Medien, wenn überhaupt, erst nach der Befreiung der Geiseln erwähnt.
Entscheidender in dieser Hinsicht war die bis zum Ende der Entführung wiederkehrende Behauptung, es befänden sich deutsche Entführer*innen an Bord, obwohl es in der „Tagesschau“ in ihrer ersten Meldung zur Entführung hieß: “Wie wir soeben erfahren haben, handelt es sich um vier Männer aus dem arabischen Raum“. Aus heutiger Perspektive auf den internationalen Terrorismus ist es wichtig zu erwähnen, dass die Religionszugehörigkeit der Entführer*innen zu keiner Zeit Erwähnung fand. ‘Islamistischer Terrorismus‘ war schließlich in den 1970er Jahren ein noch weitestgehend unbekanntes Phänomen – zudem handelte es sich bei den vier Entführer*innen um Palästinenser*innen aus dem Libanon mit christlichem Hintergrund.
Im Großen und Ganzen war der Kenntnisstand zu den Hintergründen der Entführung und den Ereignissen an Bord während des viertägigen Irrfluges recht dürftig. Zudem galt seit dem 8.9. eine bundesweite „Nachrichtensperre“, welche als kaum verklausulierte Zensurandrohung die Medien aufforderte „in ihrer Berichterstattung nichts zu tun, was die Anstrengungen der Sicherheitsorgane des Bundes in irgendeiner Weise beeinträchtigen und dazu beitragen könnte, die Gefahrenlage zu verschärfen.”
So hieß es anfangs, der Anführer der Entführer*innen nenne sich „Hauptmann Walter Mohammed“ (BILD), oder auch „Walter Mahmoud“ (Tagesschau). Bald darauf war die Rede von zwei palästinensischen und zwei deutschen Kidnappern. BILD meldete jedoch noch am 18.10. unter den Fahndungsfotos von Stefan Wisniewski, Ingrid Siepmann und Monika Haas: „Drei deutsche Terroristen an Bord“, und zu Wisniewski hieß es, er „könnte der Anführer der Mörder sein“, immerhin spreche er „fließend Arabisch“ und lebe angeblich „seit 14 Monaten im Nahen Osten“.
Bedenklich ist in diesem Zusammenhang die Desinformationskampagne innerhalb der deutschen Fahndungsbehörden, die offenbar die bundesdeutsche Öffentlichkeit in dem Glauben lassen wollte, dass (auch) RAF-Mitglieder die „Landshut“ entführt hätten. Am 15.10. war dem BKA und Innenminister Maihofer mitgeteilt worden, dass es sich allein um arabische Entführer handelte. Es wurde daraufhin beschlossen, diese Information nicht weiterzugeben, nicht einmal an Kanzler Schmidt. In Sachen „News-Management“ hatten bundesdeutsche Behörden, allen voran das BKA, in den vorangegangenen Jahren bereits Erfahrungen gesammelt und hatten solche Eingriffe, von einem Bundesanwalt als „offensive Information der Öffentlichkeit“ bezeichnet, weiter perfektioniert. Kanzler Schmidt persönlich hatte am Tag vor der Geiselbefreiung Druck auf den Chefredakteur der Welt ausgeübt, als diese die Meldung bereits hatte drucken lassen, eine Lufthansa-Maschine mit einem GSG-9-Kommando an Bord sei auf dem Weg nach Mogadischu. Die teilweise schon ausgelieferten Zeitungen wurden daraufhin wieder zurückgeholt. Nur so hatte die Falschinformation, die Bundesregierung sei bereit gewesen für einen Austausch, aufrechterhalten werden können, betonte Schmidt später.
Im Laufe der „Landshut“-Entführung wurde die Nachrichtensperre schließlich auch international durchzusetzen versucht, was zunächst nicht zu gelingen schien. Am dritten Tag nach der Kaperung berichteten türkische Medien über die Anwesenheit von „deutschem Militär“ auf dem dortigen Flughafen – in Wirklichkeit war dies die GSG 9, die der „Landshut“-Maschine hinterherflog. Auf Druck der türkischen Behörden musste diese in die Bundesrepublik zurückkehren – inzwischen hatten auch die Entführer*innen von diesen Meldungen Wind bekommen. Noch dramatischer für die anstehende militärische Befreiungsaktion schienen die Meldungen im israelischen Fernsehen nur vier Stunden vor dem geplanten Zugriff, „eine ‚unidentifizierbare’ Maschine sei ‚ohne Lichter’ auf dem Flughafen von Mogadischu gelandet, möglicherweise handele es sich um eine ‚Sonder-Kommando-Einheit’“. Ein israelischer Journalist hatte zuvor den unverschlüsselten Funkverkehr mit dem GSG-9-Flugzeug abgehört. Kurz darauf hatte auch die französische Nachrichtenagentur AFP die Nachricht weiterverbreitet. Auf Druck der Bundesregierung hielten internationale Agenturen weitere Meldungen dann jedoch zurück. In den bundesdeutschen Medien wurden im Nachklang Nachrichtensperre und Zensur verteidigt – man hatte sich schließlich auch selbst gefügt. In der Süddeutschen Zeitung wurde eine solche Legitimierung in eine militärische Siegesmeldung verpackt: “Der Coup von Mogadischu wäre schwerlich gelungen ohne einen vorherigen Sieg im Kampf um Information und Desinformation.”
Opferporträts
Die wiederkehrenden Bilder des Flugzeugs in der Wüstensonne deuteten bereits an, was für ein Martyrium die Geiseln im Inneren der Boeing in diesem Moment durchleben mussten. Die Betonung in allen Medienberichten über die unschuldigen und willkürlichen Opfer unterstrich die zentrale Aussage, dass es sich hier um noch extremere, irrationale und, wenn die Opfer doch so zufällig ausgewählt worden waren, letztlich unpolitische Täter*innen handeln musste. BILD zeigte ein unscharfes Foto eines der Entführer in der offenen Flugzeugtür: „Der Mann, der 87 Menschen ermorden will“. Der Umkehrschluss, dass es sich bei Hanns-Martin Schleyer entsprechend um ein weniger unschuldiges und willkürliches Opfer gehandelt hatte, wurde hier allerdings nicht explizit gezogen.
Ein deutlicher Wandel zeichnete sich jedoch im kolportierten Stimmungsbild der Bundesdeutschen ab: Waren zwei Wochen nach der Schleyer-Entführung laut einer Allensbach-Umfrage noch 60% der Befragten dafür „hart zu bleiben“ und eine Freilassung der RAF-Gefangenen nicht zuzulassen, waren es in den Tagen der „Landshut“-Entführung nur noch 42%. In dieser Hinsicht schien die Strategie von RAF und PFPL-EO, mit einer zweiten Entführung den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, zunächst aufzugehen. Demgegenüber wurden von Seiten einiger Medien wenig verklausulierte Appelle veröffentlicht, den Forderungen der Geiselnehmer*innen nicht nachzugeben. BILD betonte, dass im Fall, dass die Bundesregierung „hart bleiben“ würde, zwar das Leben von Schleyer und auch den Geiseln in Gefahr wäre, doch wäre allen Terroristen schließlich klar, „daß weitere Entführungen sinnlos sind“. Sollte sich allerdings für ein Nachgeben entschieden werden, so, machte BILD unmissverständlich klar, würde die „Mordgefahr“ immer größer, und mehr noch: „Eine Serie von neuen Entführungen und Erpressungen wäre zu erwarten. Außerdem würden sich wohl Zehntausende gewalttätiger Anhänger der K-Gruppen durch den Erfolg der Terroristen ermutigt sehen, in der Bundesrepublik den großen ‚bewaffneten Kampf’ zu beginnen. Bürgerkriegsgefahr!“ Die hier formulierten Fragen hatten sich also im Grunde von selbst beantwortet. Doch auch „Stimmen aus dem Volk“, die BILD in seine Berichterstattung einbezog, sprachen eine deutliche Sprache. So wurden 14 Personen von BILD gefragt: “Was sollte die Bundesregierung tun?” Von den Befragten wurden nur zwei angeführt, die für ein Nachgeben plädierten, darunter die Mutter einer Landshut-Geisel. Drei Befragte forderten, ‚Terroristen’ sollte man „an die Wand stellen“. Die Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek befragte sich rhetorisch selbst: „‘Ich frage mich ernsthaft, ob wir nicht das Recht haben, nach jeder Geisel-Erschießung einen Terroristen zu erschießen.’”. Noch deutlicher wurde der Appellcharakter, als sich BILD als Stimme des Volkes inszenierte und titelte: „Deutsche: Stürmt!“
Hatte BILD hier zwar am deutlichsten Position bezogen, so stimmten doch so gut wie alle bundesdeutschen Medien, spätestens nach der Befreiung der Geiseln, der „harten Linie“ der Bundesregierung zu.
Im Nachhinein lässt sich festhalten, dass im Terrorismus-Diskurs des Jahres 1977 in der Opfer-Kombination des politischen Repräsentanten mit der Identifikationsfigur des ‚kleinen Mannes’ eine ideelle Personifikation der Gesamtgesellschaft dargestellt wurde. Über diese Personifikationen wurden abstrakte Prinzipien wie das Zusammenspiel von Staat und Gemeinschaft sehr viel deutlicher vermittelt, als dies in den Jahren zuvor geschehen konnte.
Deutlich in der medialen Berichterstattung wurde das Zusammenwirken der Vermenschlichung der Opfer mit einer Bestialisierung der Täter*innen, eine Darstellungslogik, die auch als moralisches Nullsummenspiel bezeichnet werden kann. Natürlich stellt dies die Legitimität der politischen Motivation der Entführer*innen infrage – mehr noch als das, wird diese Frage gar nicht erst zugelassen.
Zentral vor allem für Boulevardmedien wie die Bildzeitung und Illustrierte wie Stern war in den Tagen während und kurz nach der Entführung, Hintergrundgeschichten über die Geiseln an Bord zu recherchieren und als human interest stories zu präsentieren. Hierbei wurden traditionelle Muster einer Opfererzählung bedient, denn das Hauptinteresse lag in der Berichterstattung auf dem Schicksal der „Frauen und Kinder“, begonnen mit der Feststellung in der Tagesschau, dass sich die Entführer*innen strikt geweigert hätten, „wenigstens diese“ freizulassen. In BILD wird mit Beginn der Entführung der fiktive Blick in das Flugzeug emotional immer wieder zugespitzt: „Beim Start mußten die Geiseln alle Fenster zuziehen. Frauen und Kinder weinten.“ Zur Betonung wurden auch Fotos von Kindern an Bord abgedruckt, übertitelt mit „Drei Kinder in der Hand der Mörder“. Solche Berichte bedienten klassische Feindbilder und orientierten sich klar an traditionellen Geschlechterstereotypen, wenn es um die zu beschützenden „Frauen und Kinder“ geht, denen nach der Befreiung der Geiseln die GSG 9 als „unsere jungen Helden“ gegenübergestellt wurden.
Die Politikwissenschaftlerin Cilja Harders stellte zu solchen narrativen Bildern fest: „Bei der Rede vom Schutz geht es um die Abgrenzung zu den kämpfenden, starken Männern. In diesem Diskurs wird der ‚feindliche Mann’ in effektiver Weise als Bestie dargestellt, wenn ihm besondere Gräueltaten an Frauen und Kindern nachgesagt werden. Zu schützende Weiblichkeit wird zum höchsten Gut der bedrohten Gruppe.“
Doch mehr noch als das, verzichteten weder BILD noch Stern darauf, einige der weiblichen Geiseln an Bord der „Landshut“ in ihrer Berichterstattung zu sexualisieren. Beide Medien druckten großformatige Fotos von einigen jungen Frauen (BILD: „Die schöne Diana“) unter den Geiseln, die im Bikini in einer Disco bei einer „Miss-Wahl“ auf Mallorca zu sehen gegeben wurden: „Elf Schönheitsköniginnen die in der Wüste sitzen“, titelte BILD.
Die Befreiung als Befreiung
Die Befreiung der Geiseln durch die GSG 9 kam in der medialen Darstellung schließlich einer Katharsis gleich. Am Ende manifestierte sich der Triumph über ‘den Terrorismus‘ durch die Gegenbilder der befreiten Geiseln, die nun ein Gesicht bekamen, sich vor laufender Kamera in die Arme fielen und von Politikern bei ihrer Ankunft in der Bundesrepublik empfangen wurden. Nun standen den fehlenden Nachrichten und Bildern während der Entführung „eine große Anzahl von Erzählungen und medialer Aufarbeitungen [gegenüber], die die ursprüngliche Leere mit einer Fülle Fakten und Fiktionen kompensieren.“
Nach dem Eintreffen der Geiseln in der Bundesrepublik am Tag der Stürmung der „Landshut“ wurden sie von Medienvertreter*innen umlagert. Auch hier wurde in den kolportierten Aussagen immer wieder das Unmenschliche der Entführer*innen herausgestellt, wenn BILD beispielsweise eine der befreiten Geiseln zitierte: „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für Tiere das waren!“
Doch die Bedrohung durch den als „absoluten Feind“ im Sinne Carl Schmitts als bestialisch charakterisierten Entführer wurde am Ende medial aufgehoben. Die Terrorist*innen, in symbolischer Funktion, stellten letztendlich die lebende Verkörperung der Bedrohung von Leben (und der Gemeinschaft) dar. Mit ihrem Tod fand die Bedrohung seine Auflösung in der Form des Happy Ends. Entsprechend enthusiastisch wurde die Siegesstimmung nach der Befreiung der ‚Landshut’-Geiseln in den Zeitungen beschrieben. Vor allem das „Zusammenrücken“ der Deutschen wurde als Ausdruck des Triumphes exemplarisch beschworen. So meldete BILD: “In Weil am Rhein sangen Gruppen von Menschen auf den Straßen ‘So ein Tag, so wunderschön wie heute’.”
Den endgültigen Sieg über die Terrorist*innen verdeutlichte das Titelbild des Stern in der Woche nach der Geiselbefreiung. Die Großaufnahme zeigt auf drastische Weise das Ende des Anführers der Entführer*innen, Zohair Youssif Akache, dessen halb entkleidete Leiche im Staub des Flughafens von Mogadischu liegt, blutverschmiert und mit starrem Blick. Hier wurde in einer Form der Gewalt-Pornographie Schonungslosigkeit und Ästhetik zusammengeführt, mit der Wirkung eines „nachträglichen Schandbildes“ in mittelalterlicher Tradition.
Demgegenüber standen klassische Heldenerzählungen. Kommandeur Ulrich Wegener wurde beispielsweise im Stern zum „Terroristenjäger“ stilisiert, während die FAZ in der GSG 9, eher pragmatisch, eine „Feuerwehr der inneren Sicherheit“ sah und mit Verweis auf Innenminister Maihofer titelte: „’Wir sind stolz auf die Befreier’“
Doch war der offizielle Tenor eher gemäßigt, ein zu hohes Maß an Militarismus und nationalem Überschwang hätte in den 1970er Jahren erhebliches Misstrauen hervorgerufen. Immer wieder wurde betont, wie umsichtig, in keiner Weise unilateral, sondern immer in Absprache mit den Autoritäten der betroffenen Länder vorgegangen wurde. Schließlich, so der Stern, handelte die GSG 9 in „brisanter Mission“: „Als die ersten Westdeutschen seit Ende des Zweiten Weltkrieges, die im Auftrag ihrer Regierung im Ausland notfalls töten sollten“.
Damit ungewünschte Assoziationen erst gar nicht aufkommen mochten, wurde sich beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung gegen den Verweis von rechtsradikaler Seite verwehrt, das Kommandounternehmen von Mogadischu stehe in der heroischen Tradition der Mussolini-Befreiung durch ein deutsches SS-Kommando im Jahr 1943. Ähnliche Zurückhaltung wurde auch im Spiegel geübt, die Bewunderung der deutschen Paramilitärs entsprechend ausländischen Kommentatorinnen und Kommentatoren überlassen. So hieß es beispielsweise: „GSG-9-Verherrlichung in britischer Presse: ‚Rest der Welt, bitte nachmachen!’“ Zahlreiche Berichte über Glückwünsche aus dem Ausland, im Spiegel prominent hervorgehoben die Gratulationsadresse eines „Juden aus New York“, kamen einer Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft nahe. Nun reichten die Assoziationen bei einer deutschen militärischen Aktion nicht mehr in den Zweiten Weltkrieg zurück, sondern versinnbildlichten angeblich „Charakterstärke“ und Entschlossenheit. Für einen Moment lang schien es, als gelänge mit der „befreienden Tat in Somalia“ (Helmut Schmidt) die Loslösung von der Wirkmächtigkeit der jüngeren deutschen Geschichte. Allerdings wurde die öffentliche Freude über die Beendigung der „Landshut“-Entführung schon sehr bald deutlich leiser. Zu sehr überlagerte der Skandal um die Selbstmorde in Stammheim und die Hinrichtung Hanns-Martin Schleyers die nationalen und vor allem internationalen Schlagzeilen. Aus dem „bewunderten Deutschen“ wurde bald wieder der „hässliche Deutsche“, bzw., wie der Spiegel schrieb, „der Barbar“. Von den „Landshut“-Geiseln war schon wenige Tage nach deren Befreiung nichts mehr zu lesen oder zu sehen. Zwar wurde in den Wochen nach der Zuspitzung des „Deutschen Herbstes“ noch immer davon ausgegangen, dass weitere Anschläge folgen würden – sogar von „Bomben in Cafés“ war die Rede – doch zum Jahresende 1977 setzte sich der Eindruck durch, die RAF habe in diesem Herbst 1977 eine entscheidende Niederlage erlitten, von der sie sich nicht so schnell erholen würde. In Funk und Presse wurde allmählich wieder zur politischen Tagesordnung übergegangen. Zum Jahreswechsel 1977/78 schließlich begann bereits eine erste Historisierung des "Deutschen Herbstes".
Die Entführung der „Landshut“, auch wenn sie nicht direkt als eine Aktion der RAF gesehen werden kann, verdeutlichte für viele die Abkehr von ihrer eigenen Programmatik, der bewaffnete Kampf richte “sich selbstverständlich nicht gegen das Volk, gegen die Massen”. Die selbsternannte Stadtguerilla, die unter dem Motto “Dem Volke dienen” sieben Jahre zuvor in den Untergang ging, hatte das Heft aus der Hand gegeben, an eine Gruppe Palästinenser*innen, die genau jene “kleinen Leute” über mehrere Tage terrorisierten. Auch auf Seiten der bundesdeutschen Linken war sie somit völlig diskreditiert.
Auf der anderen Seite wurde durch und mit der medialen Auseinandersetzung auch deutlich, dass das Gegenteil von dem eintraf, was die RAF sich erträumt hatte: Im Herbst 1977 hatte sich die große Mehrheit der Westdeutschen hinter den starken Staat gestellt. Staatsräson ging nun vor Kritik. Auch in den bundesdeutschen Medien.
ist DAAD lecturer für Modern German and European History an der University of Cambridge.
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