Hinweis
Der Autor hat sich im Hinblick auf geschlechtergerechte Sprache für das generische Maskulinum entschieden.
/ 23 Minuten zu lesen
Die terroristische Flugzeug-Entführung 1977 korrespondierte mit der dynamischen Verflechtung der Welt in dieser Zeit. Diese neuen Vernetzungen erschwerten und ermöglichten die Geiselbefreiung.
Der Autor hat sich im Hinblick auf geschlechtergerechte Sprache für das generische Maskulinum entschieden.
Die terroristische Gewalt 1977 wird oft als Deutscher Herbst bezeichnet. Die RAF-Morde am Generalbundesanwalt Siegfried Buback und am Dresdner Bank-Chef Jürgen Ponto im April und Juli gelten als blutiger Prolog hierzu. Ihnen folgten die Entführungen des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine „Landshut“, um elf RAF-Häftlinge und zwei palästinensische Häftlinge in Istanbul freizupressen.
Diese Ereignisgeschichte ist gut bekannt und oft dargestellt worden.
Bereits 1969 erreichte die Zahl der Flugzeugentführungen einen Höhepunkt mit weltweit 85 gekaperten Maschinen, und sie blieb im folgenden Jahrzehnt auf einem erhöhten Niveau.
Das in den 1970er Jahren ausgebaute Satellitenfernsehen ermöglichte eine grenzübergreifende Live-Übertragung derartiger terroristischer Aktionen. Flugzeug-Entführungen wanderten so emotionalisierend in die Wohnzimmer. Der Terrorismus, der stets als eine radikale Form der Kommunikation zu fassen ist
Diese globale Kommunikation in Echtzeit erschwerte zudem, sei es in München 1972 oder bei der „Landshut“ 1977, die Befreiung von Geiseln. Da die globalen Medien sofort live über die Schritte und Informationen der Sicherheitskräfte berichteten, waren auch die Geiselnehmer darüber informiert. Als die GSG 9 etwa zur Befreiung der „Landshut“ in Istanbul Zwischenstation machte, meldete der Rundfunk sogleich deren Ankunft dort, weshalb ein Teil der GSG 9 nach Bonn zurückfliegen musste; zumindest ein Teil unter ihrem Kommandeur Ulrich Wegener blieb verdeckt dort, um bei der nächsten Landestation rasch einzugreifen. Die Geiselnehmer erfuhren auch aus den Medien, dass der Pilot der „Landshut“, Jürgen Schumann, Informationen über sie übermittelt hatte (etwa über Hinweise im Müll) – dies führte zu Misstrauen bei den Entführern, die Schumanns längere Abwesenheit in Aden dann zum Anlass nahmen, ihn zu erschießen. Als über die gut informierten Medien Israels die geplante Befreiung in Mogadischu vorab in Westeuropas Radios wanderte, war die gesamte Aktion gefährdet; Bundeskanzler Schmidt verhinderte zumindest erfolgreich die Auslieferung von Zeitungen mit der Meldung, um die Entführer nicht erneut zu warnen.
Der Linksterrorismus agierte in den 1970er Jahren oft international vernetzt und grenzübergreifend. Das galt für die Ausbildung an Waffen, die kooperative Planung und Durchführung von Anschlägen, die Wahl der Ziele und die Flucht ins Ausland. Palästinensische Terroristen spielten in diesen internationalen Netzen eine Schlüsselrolle.
Kontakte zwischen westdeutschen und palästinensischen Terroristen entstanden früh. Bereits 1969 trainierten einzelne linksextreme Deutsche um Rainer Kunzelmann in den Lagern der PLO-Organisation Fatah in Jordanien, ein Jahr später dann die Gründergeneration der RAF. Bis zur Entführung der „Landshut“ blieben der deutsche und palästinensische Terrorismus eng verbunden, besonders ab 1975.
Die Motive für Flugzeugentführungen waren stets sehr heterogen. Entführungen aus dem sozialistischen Ostmitteleuropa sollten den Geiselnehmern Wege in die Freiheit ebnen, während die Linksextremisten vor allem ihre Genossen aus Gefängnissen pressen und Geld für neue Aktionen sichern wollten. Sie einte ihr symbolischer Angriff auf die moderne Mobilität, die staatliche Sicherheitsversprechen und menschliche Urängste herausforderte. Am 6. September 1970 wurden sogar vier verschiedene Flugzeuge, die gen New York fliegen wollten, zur gleichen Stunde von Palästinensern entführt, um ein besonders sichtbares Zeichen zu setzen. Diese Aktion zeigte, welchen Bumerangeffekt Entführungen haben können: Nachdem eine in Jordanien gelandete Maschine ein langes Geiseldrama ausgelöst hatte, reagierte Jordaniens Regierung mit der massenhaften Vertreibung von Palästinensern aus ihrem Staatsgebiet, um sich international von der Geiselnahme zu distanzieren. Neben Entführungen nahm seit 1970 auch das Zünden von Bomben in israelischen und US-amerikanischen Fliegern zu, um Angst zu verbreiten. Anschläge in Flugzeugen waren damit mit der Figur des Selbstmord-Attentäters verbunden, der besonders unberechenbar war und damit Befreiungsaktionen erschwerte.
Die vier „Landshut“-Entführer stammten alle aus palästinensischen Familien, hatten aber zum Teil internationale Viten. Ihr Anführer Zohair Youssif Akache stammte etwa aus einer von Palästina nach Libanon geflohenen Familie und hatte in London Flugzeugtechnik studiert. In England radikalisierte er sich und erschoss den Präsidenten Nordjemens und dessen Begleitung. Seine Mitentführerin Souhaila Sami Andrawes as-Sayeh stammte aus dem israelischen Haifa, wuchs in Beirut und in Kuwait in christlichen Schulen auf, um dann im Libanon zu studieren. Die Entführung der „Landshut“ wurde ebenfalls in globalen Netzwerken konzipiert: Die Planung entstand in Bagdad, wo der Palästinenser Wadi Haddad sie der westdeutschen RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt vorschlug.
Die Kooperation zwischen Linksterroristen aus dem Westen und denen des globalen Südens wurde durch die sozialistischen Staaten im Osten unterstützt, die wie die DDR enge Kontakte zur PLO pflegten.
Allerdings wandelte sich die Unterstützung des Terrorismus im Vorfeld der „Landshut“-Entführung. Die PLO, beziehungsweise die Fatah als deren größte Organisation, erklärte ab 1974 ihre Abkehr von terroristischen Aktionen wie Flugzeugentführungen. Ihre radikalen Splittergruppen, wie die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ bei der „Landshut“-Entführung, setzten derartige Aktionen fort. Nachdem bei internationalen Anschlägen – wie etwa auf die OPEC-Zentrale in Wien Ende 1975 – auch Araber starben, forderten auch Staaten wie Saudi-Arabien ein schärferes Vorgehen gegen diese radikalen Palästinenser. Die offene Aufnahme und Förderung von Terroristen, wie sie besonders Südjemen oder Libyen praktizierten, bedeutete somit zunehmend eine Isolierung innerhalb der arabischen Staatenwelt. Entsprechend schwer fiel es 1977 den Entführern der „Landshut“, Landeplätze zu finden.
Zunehmend international waren auch die Opfer des Terrorismus. Viele Anschläge richteten sich besonders gegen Israelis und US-Amerikaner. In den von radikalen Palästinensern entführten Maschinen saßen freilich stets auch andere Staatsangehörige, was Befreiungsversuche zu einem grenzübergreifenden Politikum machte, bei dem viele Regierungen mitverhandelten. Auch andere terroristische Aktionen suchten gezielt internationale Opfer, um wiederum Terroristen aus unterschiedlichen Staaten mit einem Schlag freizupressen. So überfiel ein Kommando des „Schwarzen September“ 1973 die saudische Botschaft in Sudan bei einem Empfang mit westlichen Diplomaten, um Palästinenser in verschiedenen Staaten zu befreien; zwei Diplomaten aus den USA und einer aus Belgien wurden hierbei erschossen. Dies wiederum förderte grenzübergreifende Gegenmaßnahmen.
Durch diese weltweite Bedrohung kam es im Rahmen der Vereinten Nationen (UN) zu vielfältigen Gesprächen, um eine engere internationale Terrorismusbekämpfung zu etablieren. Bereits am Terrorismusbegriff stießen unterschiedliche Positionen aufeinander, da die sozialistischen Staaten von legitimen „Befreiungsbewegungen“ sprachen. Deshalb gelang 1973 nur ein Übereinkommen gegen die terroristische Ermordung von Diplomaten und 1976, unter Federführung der Bundesrepublik, gegen Geiselnahmen außerhalb bewaffneter Konflikte.
Zudem kam es zu einzelnen internationalen Geheimverhandlungen zwischen westlichen Regierungsvertretern und gesuchten Terroristen. Überliefert ist etwa ein Bericht über ein Geheimtreffen zwischen dem österreichischen Kanzler Bruno Kreisky, dem deutschen SPD-Politiker und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski und zwei PLO-Abgesandten direkt nach der „Landshut“-Entführung im November 1977. Die PLO versprach dabei Unterstützung im Vorgehen gegen den Terrorismus im Gegenzug für eine stärkere Anerkennung Palästinas.
Besonders zwei internationale terroristische Anschläge der 1970er Jahre beeinflussten die Befreiung der „Landshut“ in Mogadischu. Zum einen veränderte die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München 1972 den deutschen Umgang mit dem internationalen Terrorismus. Sowohl die Herkunft der palästinensischen Attentäter als auch ihre Flucht unterstrich die neue internationale Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik, die zugleich die globale Reputation des Staates herausforderte. Die Terroristengruppe „Schwarzer September“ nahm elf israelische Sportler als Geiseln, um 232 Palästinenser, einen japanischen Terroristen und die RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof freizupressen. Wie sich später zeigte, wurden sie zudem durch deutsche Neonazis unterstützt.
In Reaktion auf diese desaströse Erfahrung baute die Bundesregierung eine Sondereinheit des Bundesgrenzschutzes auf – die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9), um künftig professioneller Geiseln zu befreien. Die internationale Kritik an der Freipressung der Terroristen, insbesondere von Israel, leitete schrittweise ein Umdenken bei Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und Terroristen ein. Bei der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975 durch die Bewegung 2. Juni ließ Kanzler Schmidt sich zwar noch widerwillig überzeugen, terroristische Gefangene freizugeben, aber danach beharrte er auf seiner harten Linie, keiner Freipressung mehr nachzugeben.
Die Befreiung der „Landshut“ knüpfte vor allem an die Flugzeug-Entführung nach Entebbe 1976 an. Diese wurde zum Symbol des internationalen Terrorismus. Hier hatten zwei westdeutsche Terroristen der Revolutionären Zellen, Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, mit Genossen der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ ein Flugzeug der Air France gekapert. Sie zwangen die Maschine mit 248 Passagieren in Entebbe in Uganda zu landen, wo der dortige Diktator Idi Amin die Terroristen mit Umarmung empfing und Unterstützung versprach. Dass in der Folge der Geiselnahme eine Unterteilung der Geiseln in eine israelische und eine nicht-israelische (in anderen Quellen: jüdische und nichtjüdische) Gruppe vorgenommen wurde
Die Befreiungsaktion durch israelische Spezialkräfte erwies sich als wegweisend für die Stürmung der „Landshut“. Bei der Befreiung wurden sämtliche Entführer getötet, während nur drei der hundert Geiseln zu Tode kamen. Die Bundesregierung war zwar in diese Rettungsaktion nicht eingeweiht und erhielt vielmehr zur Täuschung die Aufforderung, die geforderte Freilassung der Gefangenen vorzubereiten;
Unumstritten waren derartige Befreiungen nicht. Die DDR-Regierung verurteilte etwa die Befreiung als „Israelischen Überfall auf Uganda“ und „verbrecherischen Anschlag Tel Avivs“ und unterschlug ihren Bürgern die Aufteilung der Geiseln nach jüdischer Zugehörigkeit. Auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, und die Organisation für Afrikanische Einheit sah darin einen Bruch des Völkerrechts sowie eine Gefährdung des internationalen Friedens und der Sicherheit.
Nach der Befreiung der Geiseln in Mogadischu wurde oft bemerkt, dass sich die Passagiere trotz größter Belastung äußerst ruhig verhielten und auch beim GSG 9-Einsatz diszipliniert die Maschine verließen. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die Opfer derartige Entführungen und Befreiungen aus den Medien kannten. Dies förderte zwar die Angst vor dem Fliegen, gewährte aber zugleich eine Vorstellung davon, was passieren könnte und wie man handeln müsste. Entebbe hatte der Weltöffentlichkeit vorgeführt, dass eine dramatische Befreiungsaktion glücken kann.
Die Befreiung der „Landshut“ setzte umfangreiche diplomatische Gespräche voraus, um alle direkt oder indirekt beteiligten Staaten einzubinden. Das bundesdeutsche Verhältnis zu den arabischen Staaten des Nahen Ostens schwankte zwischen Kooperation und Distanz. Nach der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen 1965 hatten die meisten arabischen Staaten ihre diplomatischen Kontakte eingefroren, nahmen diese ab Anfang der 1970er Jahre aber wieder auf. 1973 belastete der erneute Nahost-Krieg mit Israel das Verhältnis, zumal die arabischen OPEC-Staaten Öllieferungen als Druckmittel gegen den Westen einsetzten und ihre Preise erhöhten. Zugleich intensivierten die gestiegenen Öleinnahmen wirtschaftliche und politische Kontakte zum Westen. Um Geiselbefreiungen wie bei der „Landshut“ einzuleiten, bestanden somit oft Gesprächsfäden, besonders nach Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten, aber selbst nach Libyen.
Der politische Kontakt zu Staaten, die den Terrorismus förderten oder Terroristen Zuflucht gewährten, war meist ein heikler Balanceakt. Die Regierungen von Algerien, Libyen oder Südjemen wiesen dieses Thema oft als eine Unterstellung zurück. Denn auch sie fürchteten um ihr internationales Image und eine ökonomische Isolierung. Ab Mitte der 1970er Jahre lehnten sie die Aufnahme von freigepressten Geiseln und Terroristen meist ab. Mitunter wurden sie durch Anreize zur Rettung von Geiseln erst dazu gedrängt, wie Südjemen bei der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Lorenz.
Auch im Herbst 1977 suchte das Auswärtige Amt Gespräche zu Staaten, die mögliche Ausreiseländer für freigepresste Terroristen waren. Vor allem Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski reiste in dieser Mission nach Algerien, Libyen oder in den Irak.
Die meisten Staaten scheuten 1977 freilich eine Befreiung der „Landshut“ auf ihrem Territorium. Selbst in Rom, wo die entführte Maschine erstmals auftankte, verweigerten Italiens Behörden ein rasches Eingreifen aus Angst, ein Blutbad könne den ohnehin massiven Terrorismus in Italien fördern. Beim folgenden Zwischenstopp in Zypern konnte die Bundesregierung immerhin einen PLO-Vertreter mobilisieren, die Entführer zum Aufgeben zu bewegen, da sie dem palästinensischen Anliegen schaden würden; auch PLO-Führer Arafat distanzierte sich.
Beim Weiterflug zeigten die arabischen Staaten ihre begrenzte Kooperationsbereitschaft mit den Entführern. Die Regierungen in Beirut, Amman und Kuwait verweigerten den Terroristen den erhofften Zwischenstopp. Ein Tankstopp wurde schließlich in Dubai auf Bitten der Bundesregierung gewährt. Selbst die sozialistische Regierung Südjemens verweigerte eine Landung in Aden und verbarrikadierte die Landebahn, so dass die Maschine dort aus Treibstoffmangel eine Notlandung neben der Fahrbahn machen musste. Während Staaten wie Südjemen vormals noch freigepresste Terroristen aufnahmen, lehnten sie dies nun ab, da es ihre internationale Reputation gefährdete.
Die Befreiung der „Landshut“ erforderte damit eine komplexe internationale Diplomatie. Bundeskanzler Helmut Schmidt telefonierte mit zahlreichen Regierungschefs und Ministern anderer Staaten, um Unterstützung zu gewinnen. Den Präsidenten und den Verteidigungsminister der Vereinigten Arabischen Emirate bat er, das Flugzeug auf keinen Fall starten zu lassen, um eine Stürmung zu ermöglichen.
Umstritten war im deutschen Regierungsapparat, ob beim nächsten Landestop der „Landshut“ im sozialistischen Südjemen auch die Hilfe der DDR erbeten werden sollte. Während im Bundeskanzleramt Ministerialdirektor Rufus dagegen argumentierte, „dass wir uns Honecker politisch verpflichten“, kam es schließlich doch zu einem Versuch, über die DDR-Botschaft in Aden unterstützend Einfluss zu nehmen.
Nachdem Südjemen und Vietnam die potentielle Aufnahme der RAF-Terroristen abgelehnt hatten, blieb Somalia als letztes der verlangten Ziele übrig. Dass die „Landshut“ nicht nur im islamisch geprägten Somalia landete, sondern hier auch befreit werden konnte, entwickelte sich ebenfalls aus komplexen internationalen Konstellationen und Verhandlungen. Die vormals britische und italienische Kolonie Somalia hatte nach ihrer Unabhängigkeit 1960 zunächst demokratische Strukturen aufgebaut. Nach einem Militärputsch unter Siad Barre entstand jedoch eine sozialistische, an die Sowjetunion angelehnte Diktatur. 1977 verkomplizierte sich diese außenpolitische Konstellation: Somalias Krieg mit dem ebenfalls sowjetisch unterstützten Äthiopien ließ die Bindung nach Moskau bröckeln. Erst kurz vor der Landung der „Landshut“ waren die letzten DDR-Militärberater abgezogen. Angesichts des Wettlaufes um Einfluss in Afrika hatte die Bundesrepublik Somalia weiterhin mit signifikanter Kapitalhilfe und technischer Hilfe gefördert und sogar Polizeiausbildung gewährt. Enge Beziehungen hatte die Bundesrepublik zu Somalia somit nicht, aber durchaus vertrauensbildende Kontakte, die sich nun auszahlten.
Diese Konstellation im Ost-West-Konflikt ermöglichte, eine deutsche Geiselbefreiung in Somalia zu erkaufen. Bereits in seinem ersten Telefongespräch mit Somalias Botschafter Bokah kündigte Bundeskanzler Schmidt an, eine somalische Hilfe würde mit „der Bereitschaft zu umfassender Unterstützung honoriert.“
Das Einfliegen der GSG 9 war deshalb so heikel, weil es als Verletzung der staatlichen Souveränität Somalias gedeutet werden konnte. Gerade postkoloniale Staaten waren darauf bedacht, ihre staatliche Hoheit gegenüber Westeuropäern zu unterstreichen. Während die westlichen Staaten in der 1960er Jahren noch zahlreiche militärische Stützpunkte in Nordafrika hatten (etwa in Libyen, Äthiopien u.a.), führte der sozialistische Kurswechsel und das neue Selbstbewusstsein vieler Staaten dazu, dass bei der Befreiung der „Landshut“ Landemöglichkeiten fehlten. Entsprechend vorsichtig betonte Schmidt auch gegenüber Barre immer wieder: „Wir werden nichts tun, was Ihren Wünschen nicht entspricht, sondern werden Ihre Souveränität voll respektieren.“
Ein deutscher Polizeieinsatz im Ausland suggerierte zudem, dass die dortigen Sicherheitskräfte nicht gut genug ausgebildet seien, um ein Flugzeug zu stürmen. Bereits in Dubai entstanden Diskussionen darum, ob nicht die einheimische Polizei dies übernehmen könne, was die Deutschen ablehnten.
Obgleich Somalia eine sozialistische Diktatur war, sparte die Bundesregierung nicht mit großem symbolischen und materiellen Dank. Somalias Botschafter durfte an einer Kabinettssitzung teilnehmen und wurde im Bundestag mit Beifall begrüßt, während Schmidt die Botschaft zum Nationalfeiertag besuchte.
Die Männer der GSG 9 kehrten aus Mogadischu als die eigentlichen Helden wieder, die weltweit Anerkennung erhielten. Die Bundesregierung erhielt nach der Rettungsaktion aus vielen Ländern Glückwünsche für den Einsatz. Während sich ihre Bundeswehr bei internationalen Einsätzen zurückgehalten hatte, konnte die Grenzschutztruppe bei diesem quasi ersten militärischen Auslandseinsatz nach 1945 vor der Weltöffentlichkeit glänzen. „Triumph für Helmut Schmidt“, titelte etwa die New York Times.
Besonders konservative Politiker begrüßten die Aktion dennoch als heroische nationale Tat. „In diesen Wochen ist sichtbar geworden, daß die Deutschen noch ein Volk sind und nicht nur eine Wohlstandsgesellschaft. […] Diese unter Leiden gewonnenen mit dem Lebensopfer von Mitbürgern besiegelte Staatsqualität wollen wir festhalten“, betonte etwa Alfred Dregger (CDU) im Bundestag.
Zahlreiche Staaten wollten nun eine deutsche Polizeiausbildung im Sinne der GSG 9. Selbst und gerade Diktaturen wie Libyen oder Zaire baten um eine derartige Schulung. Da zu befürchten war, dass solche Staaten das GSG 9-Training gegen Oppositionelle einsetzen könnten, erhielten sie dafür meist keine Zusagen.
Die Entführung der „Landshut“ war ein Höhepunkt internationaler linksterroristischer Aktivitäten in der Bundesrepublik, aber kein Endpunkt. Vor allem war damals unklar, mit welchen Vergeltungsmaßnahmen die linksextreme Szene reagieren würde, und einige fragten sich, welche Ziele als nächsten dran seien: „Der Kölner Dom? Das Kernkraftwerk Biblis? Die Nato in Brüssel?“, unkte Der Spiegel halb ernst, halb ironisch.
Die RAF verlor hingegen nach der gescheiterten Befreiung an Bedeutung. Einzelne gaben Waffen zurück oder flohen in die DDR. Das Sympathisanten-Umfeld schrumpfte, da die gnadenlose Gewalt 1977 abschreckte.
Einzelne islamisch geprägte Staaten, wie insbesondere Gaddafis Libyen, förderten in den 1980er Jahren weiter den Terrorismus. Dazu zählte auch die Erschießung libyscher Oppositioneller auf deutschen Straßen, logistisch unterstützt durch die libysche Botschaft in Bonn. Auch hier wurden die libyschen Täter freigepresst, indem sie gegen in Libyen zuvor verhaftete Deutsche ausgetauscht wurden.
Von den palästinensischen Anschlägen und Geiselnahmen führt keine direkte Linie zum islamistischen Terrorismus seit den 1990er Jahren. Wie angedeutet, kooperierten auch bei der Entführung der „Landshut“ christlich, islamisch oder atheistisch geprägte Täter, die ein sozialistisches und „anti-imperialistisches“ Weltbild einte. Die radikale Feindschaft gegenüber Israel und den USA sowie die erstrebte „Befreiung Palästinas“ bildet sicherlich ein Bindeglied zur Gegenwart. Vor allem aber steht der heutige Terrorismus in der Tradition jener Globalisierung der Täter, Opfer und Verfolgung, die sich in den 1970er Jahren ausbildete.
ist Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam und Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF).
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!