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Kameradschaft | Jugendkulturen in Deutschland (1950-2005) | bpb.de

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Kameradschaft

Klaus Farin

/ 2 Minuten zu lesen

Freundschaft ist eine zutiefst individuelle und persönliche Angelegenheit. Nicht so die "Kameradschaft". Sie ist situationsbedingt und zumeist nur Männern vorbehalten. Frauen stellen da nur kurzzeitige Störfaktoren dar.

Mit Freunden Skateboardfahren: Jugendliche Skater in Kabul, Afghanistan. (© AP)

Nicht so die "Kameradschaft". Sie ist situationsbedingt und zumeist nur Männern vorbehalten. Frauen stellen da nur kurzzeitige Störfaktoren dar. "Wenn's mal Ärger gibt, ist es wegen 'ner Frau / Der eine zieht sie durch, der andere säuft sich blau / Danach sind wir wieder vereint beim Bier", philosophiert die hessische Rechtsrockband Märtyrer in ihrem Song "Frauen, Bier und Tätowieren" (1991).

Der Begriff "Kamerad" - abgeleitet aus dem italienischen camerata - Kammergefährte - entstammt dem Soldatentum. Eine "Kameradschaft" ist eine Schicksalsgemeinschaft von Männern, die sich bedroht fühlen. "Eine Gruppe von Personen als Gruppe, nicht als Summe von Individuen, unter Gefährdung ihrer Existenz stehend, verteidigt diese ihre Existenz gegenüber den Elementen, der Not, der Macht, der Gewalt, der Gemeinheit. Nur daraus erklärt sich, dass die Kameradschaft gegenseitige Hilfeleistung auch dann verlangt, wenn sie den Hilfeleistenden selbst gefährdet oder schädigt, dass sie die Verteidigung der Kameraden fordert' als wär's ein Stück von mir'. Die Kameradschaft ist ganz sicher weniger emotional fundiert als die Freundschaft, erwächst aber aus viel elementareren Motivationen. Das wird deutlich, wenn man beobachtet, wie selbst höhere Werte der individuellen Sittlichkeit (z. B. die Wahrheit) zurücktreten, wenn durch ihre Verwirklichung die Kameradschaft gefährdet wäre. Kameradschaft wird nicht aus der Theorie und mit Hilfe der Diskussion erkannt und dann organisatorisch verwirklicht, sondern sie wird in unmittelbarer Einsicht, durch Beispiel und Bild, in Versagen und Konflikt real-dialektisch erzeugt. Mag die Gesellschaft auch zu sehr komplizierten Sozialstrukturen und zu einem 'hohen Ethos' vorgeschritten sein: in Urgegebenheiten menschlicher Not, in gleichsam vor-individualistischen Situationen ist ihr elementares Normengefüge plötzlich wieder wirksam" (Muchow 1959, S. 116f).

"Kamerad" kann nur sein, wer der "Kameradschaft" angehört, sich bedingungslos ihren Zielen - dem "Kampf" für die "weiße Rasse", die "Nation", gegen "Ausländer" etc. - verschworen hat. Wer aussteigt, ist automatisch nicht mehr "Kamerad", sondern Feind, Verräter - Opfer. So verlässt kaum einer die rechte Szene, wenn er nicht gleichzeitig woanders einsteigen kann, andere Freunde findet, die ihn akzeptieren, schützen, mit denen er nun seine Freizeit verbringen kann. Die beste "Waffe" gegen rechte Szenen ist offensichtlich nicht der "Kampf" gegen rechtsorientierte Jugendliche und ihre kulturellen Ausdrucksformen, sondern die Förderung bzw. Duldung der auf dem jugendlichen Freizeit- und Identitätsmarkt mit den Rechten um den Nachwuchs konkurrierenden anderen - gewaltablehnenden, nicht-rassistischen, toleranten - Kulturen. Denn dort, wo die Konkurrenz stark ist, wo eine breite Vielfalt jugendlicher Subkulturen herrscht, haben es Rechtsextreme erfahrungsgemäß schwer, überhaupt erst die gewünschte Dominanz über jugendliche Lebenswelten zu gewinnen.

So entwickelte sich Mitte der 90er-Jahre die Technoszene zum bedeutenden Ausstiegshelfer für Neonazis (und andere gewaltbereite junge Männer). Derzeit erscheinen vielen Jungen die HipHop- und Skateboarderszenen sowie die überall sprießenden Freundschaftskreise illegaler Rau(s)chwaren spannender als die Rechten, und auch Punk und die "schwarze" Szene der Gothics sind vielerorts Alternativen für Jugendliche.

Quellen / Literatur

Muchow, Hans Heinrich: Sexualreife und Sozialstruktur der Jugend. Reinbek 1959 (hier zitiert aus der 7. Auflage von 1963).

Fussnoten

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ist Fachautor, Dozent und Leiter des Externer Link: Archiv der Jugendkulturen sowie des gleichnamigen Verlages.