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Einführung | Jugendkulturen in Deutschland (1950-2005) | bpb.de

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Einführung

Klaus Farin

/ 3 Minuten zu lesen

Wissenschaftler und Journalisten haben bei ihren Versuchen, Erklärungen für die rechtsextreme Gewaltexplosion zu finden, immer wieder auf extreme Defizite in der sozialen Lage oder individuellen Biografie der Täter verwiesen.

Mordanschlag auf eine türkische Familie in Mölln 1992. (© AP)

Arbeitslosigkeit, fehlende Väter, die antiautoritäre Erziehung des Westens, die autoritäre Erziehung des Ostens u.v.m. – aus der ordentlichen Bahn des Lebens geworfene Schicksalskinder und marginalisierte Randgruppenangehörige suchten eben ihr Heil in rechtsextremistischen Gewaltkulten wie denen der Hooligans, Skinheads oder NPD-gelenkten Kameradschaften, wo sie mit Hilfe von Rechtsrock, Internet-Angeboten und anderen Propagandamitteln weiter aufgerüstet und so lange hochgepusht würden, bis die Explosion in einer grauenvollen Tat quasi zwangsläufig erfolgen musste. Das ist ja nicht völlig falsch: Soziale Marginalisierung und persönliche Schicksalsschläge – kurzum: alles, was Menschen in die Verzweiflung treiben kann – stellen durchaus Risikofaktoren dar. Doch die enorme Attraktivität dieses Erklärungsansatzes ist offensichtlich: Die Täter sind anhand weniger Kriterien eindeutig zu kategorisieren und vor allem von der Bevölkerungsmehrheit klar zu unterscheiden. Aus "unseren Kindern" werden Fremde. "Nein, bei uns ist das nicht so schlimm", lautet die immer wiederkehrende Auskunft auf die Frage nach rechtsextremistischen und rassistischen Tendenzen in einer bestimmten Schule oder einem Betrieb. "Wir haben hier keine Skinheads."

Praktisch wäre es ja schon, könnte man die Täter so eindeutig anhand optischer Merkmale, der Zugehörigkeit zu bestimmten Jugendsubkulturen oder Parteien und biografischer Extremlagen identifizieren. Doch leider fügt sich die Realität nicht den beruhigenden Hypothesen. Jeder Zehnte unter 25 Jahren war im letzten Jahr arbeitslos gemeldet, viele davon bekamen nicht einmal die Chance, nach der Schule eine Ausbildung zu absolvieren. So lernen schon Vierzehnjährige, dass diese Gesellschaft sie nicht braucht. Etwa 1,4 Millionen Kinder und Jugendliche wurden in Deutschland von ihren eigenen Eltern, Erziehungsberechtigten, nahen Verwandten körperlich misshandelt, z.T. krankenhausreif geprügelt. 50000 Jugendliche unter 18 Jahren leben derzeit in einem Heim, mehr als 7000 ältere Jugendliche in weiteren intensiv sozialpädagogisch betreuten Wohnformen, weitere 37000 leben nicht bei ihren eigenen Eltern, sondern in einer "Pflegefamilie". Doch nur eine winzige Minderheit der so in ihrer Entwicklung geschädigten Jugendlichen landet in der Neonaziszene, und auch die vielen anderen, immer wieder genannten Ursachen für ein Abdriften von Jugendlichen in rechtsextreme und rassistische Ideologien und Subkulturen – der Einfluss entsprechend orientierter (Groß-)Väter und anderer erwachsener Vertrauenspersonen, Arbeitslosigkeit und mangelnde Perspektiven, moralische und Bildungsdefizite, gewaltverherrlichende Computerspiele und verführerische neonazistische Propaganda in Musik, Internet und Printmedien, alleinerziehende Mütter, fehlende Väter und anderweitig sozial zerrüttete Familienverhältnisse usw. – führen offensichtlich nicht zwangsläufig in die rechtsextreme Ecke. "Die meisten haben niedrige formale Bildungsabschlüsse (überwiegend Hauptschulen), aber die wenigsten waren zur Tatzeit arbeitslos. Die meisten aktenkundig gewordenen Fälle sind Auszubildende und Facharbeiter, Schüler und Wehrpflichtige. Familienkatastrophen, durch problematische Trennung der Eltern oder Alleinerziehung indiziert, sind bei den Tätern nicht überproportional anzutreffen", zitieren Bergmann/Leggewie eine Untersuchung der Gerichts- und Ermittlungsakten von über 1400 Fällen (Bergmann/Leggewie 1993, S.33). "Weder pathologische Einzelfälle noch eine fehlgegangene, nach rechts verrutschte Arbeitslosenrevolte lassen sich belegen. Vielmehr muss man die auffällige Normalität der Lebensläufe und die Zugehörigkeit der Täter zum gesellschaftsweiten Mittelstand konstatieren. Die meisten Täter stammten "aus gutbürgerlichem Milieu" und seien nie zuvor "aufgefallen", stellen Kriminologen und Staatsschützer erstaunt fest" (a.a.O., S.10f.). Unter den 334 Tatverdächtigen, die von Januar bis Oktober 1991 wegen ausländerfeindlicher Gewalttaten festgenommen wurden, berichtet die tageszeitung am 25. Oktober, waren lediglich 44 Skinheads.

Quellen / Literatur

Bergmann, Jörg/Leggewie, Claus: Die Täter sind unter uns. Beobachtungen aus der Mitte Deutschlands. In: Kursbuch 113, Berlin 1993, S. 7 – 37.

Fussnoten

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ist Fachautor, Dozent und Leiter des Externer Link: Archiv der Jugendkulturen sowie des gleichnamigen Verlages.