"Diese Leute hatten alles besetzt, was Protest hieß. Also musste ich mich mit ihnen auseinander setzen. Das hieß etwa, in einen linken Buchladen zu gehen und zu sagen: 'Heil Hitler, Genosse.'" (padeluun, sporadisches Mitglied von Minus Delta +, a.a.O., S. 73). Vor allem der Gebrauch von Nazi-Symbolik, hatten die Punks sehr schnell erkannt, erwies sich als wirkungsvoll. Wegen ihrer kurzen Haare und der Vorliebe mancher für "militärische" Kleidung und Accessoires waren sie ohnehin bereits unter Verdacht geraten, "Faschisten" oder zumindest "rechts" zu sein. Nicht wenige Punks gaben sich scheinbar alle Mühe, dieses Vorurteil zu bestätigen: Hakenkreuze wurden auf T-Shirts, SS-Zeichen auf Lederjacken gemalt, Bands gaben sich merkwürdige Namen wie Alte Kameraden, Blitzkrieg, Stukka Pilots, SS Ultrabrutal, Napalm oder Blut + Eisen, Songtitel hießen "Party in der Gaskammer" (Middle Class Fantasies) oder "Dachau Disco" (Cretins). Tatsächlich waren sie keine Neonazis. Für die Punks stellte das ironische Spiel mit dem Tabu Nazi-Symbol ein Stilmittel dar, um den Empörten genau jene Reaktionen der Intoleranz zu entlocken, die sie bei ihnen hinter der lächelnden Fassade der Toleranz vermuteten. "Punk war ja anfangs feinste Ironie. 'No Future' - das waren für mich ironische Statements. Daran habe ich nie geglaubt. Ich stand der Zukunft ganz positiv gegenüber. Dieser doppelbödige Humor wurde oft nicht verstanden. Dass mit dem Hakenkreuz durch die Gegend zu laufen, ein Symbol der kulturellen Befreiung war, das haben viele nie gerafft." (Moritz Reichelt, a.a.O., S. 85)
"Wir haben viele blöde, derbe Nazischerze gemacht. Weil das auch diese Energie weitergetragen hat. Damals war Deutschland vom Gefühl her so eine gepolsterte Wohnzimmerwelt mit dem fetten, Zigarren rauchenden Altnazichef drin. Wenn du auf irgendeinem Teil gesessen bist, hast du gespürt, dass du auf Kunstleder sitzt, in dem Schaumgummi drin ist. Und wenn der Typ mit dir redet, hast du gespürt, dass in dem noch braune Grundsätze drin sind. Aber dass das genauso wenig durchkommt wie der Schaumgummi durchs Kunstleder. Das war die allgemeine Atmosphäre. Nicht nur von der Musik her, sondern vom ganzen Leben in Deutschland. Das war so etwas Bemäntelt-Ungesundes. Und um das hervorzuholen, war mir alles recht. Jedenfalls bis die etwas Älteren mit politischem Bewusstsein kamen. Die haben uns dann gesagt, dass das geschmacklos ist." (Franz Bielmeier, Jahrgang 1960, Herausgeber des ersten deutschen Punk-Fanzines The Ostrich, a.a.O., S. 42f.)
Punk war bewusst destruktiv. Es ging um die Zerstörung scheinheiliger Tabus und Ideologien, nicht um sachliche Kritik, Verbesserungsvorschläge oder gar das Angebot einer neuen Moral. Punk hatte keine Lösungen anzubieten, keine Visionen für die Zukunft, zumindest nicht solche, die irgendjemand real miterleben möchte. Punk wollte nicht reformieren, sondern zerstören, auch die marihuana-vernebelten Kuschelutopien der Linken. "Ich bin so hungrig, mir ist so kalt/Ich will zurück nach Buchenwald." Punks glaubten nicht mehr an das reformoffene, demokratische Deutschland. Immerhin: Wir befinden uns in den späten Siebzigern, in einer Zeit, geprägt durch Berufsverbote, eine gnadenlos durchgepeitschte Atompolitik, eine paranoide Terroristenhatz, die, so fürchteten nicht wenige, gerade dabei war, zum "Schutz der Demokratie" diese abzuschaffen. "Dieses 'Deutschland im Herbst', das war die Grundstimmung. Man hat plötzlich - durch diese Jagd auf die RAF und die damit verbundene Verschärfung in der gesamten Gesetzgebung - die wahren Zustände gesehen." (Frank Fenstermacher, Jahrgang 1955, Mitglied von Der Plan und Fehlfarben und Betreiber des Attak-Labels, a.a.O., S. 72)
Natürlich war Punk oppositionell. Subversiv. Antifaschistisch trotz einiger weniger "Nazi-Punks" in den eigenen Reihen. Links? Nicht unbedingt. Die erste Punk-Generation war eher diffus anarchistisch oder antipolitisch als traditionell links orientiert. Obwohl Punks etwa ab 1980 im Zuge der Aufsplitterung der Punkkultur in Punks, New Waver, Dark Waver/Gruftis und vor allem Skinheads durchaus in großer Zahl in verschiedenen politischen Zusammenhängen aktiv wurden (zu Anti-Nazi-Demonstrationen gingen, leer stehende Häuser mitbesetzten, sehr rege in der Bewegung für selbst verwaltete Jugendzentren mitmischten usw.), wehrten sie sich doch, wenn auch nur teilweise erfolgreich, gegen zu aufdringliche Umarmungsversuche politischer Organisationen. Parteien und Kadergruppen, aber auch Bündnisse wie "Rock Against Racism" oder die in den Siebzigern erwachende autonome Bewegung, haben die fatale Neigung, ihre Mitglieder und Sympathisanten zu disziplinieren. Doch Punks liebten viel zu sehr ihren Status als Bürgerschreck, um ihn irgendwelchen politischen Anliegen unterzuordnen; die Lust auf nicht kalkulierbare Provokation war ein unverzichtbarer Spaßfaktor der Punkkultur.
"Es gab mal ein Interview mit den Clash, in dem einer von denen sagt: 'Wenn ich eine Kuh sehe, könnte ich kotzen.' Das war so: Peng! 'Leckt mich am Arsch mit eurer blöden Natur. Wir leben hier in Städten!' Deswegen dieser Text von mir, 'Industrie-Mädchen', wo sich zwei Leute neben einem Kernkraftwerk lieben, und das piept dazu." (Thomas Schwebel, Jahrgang 1959, Gitarrist und Texter bei S.Y.P.H. und den späten Mittagspause und Fehlfarben, a.a.O., S. 89)
Bar jeglicher Hoffnungen, politisch etwas bewegen zu können, gelangweilt von der geschwätzigen Ernsthaftigkeit der "Linken", blieb den Punks nur ein Weg, ihren Nonkonformismus auszuleben: durch beißende Ironie und die Verweigerung jeglicher ernsthafter Dialoge.
"Wenn du dich mit Hippies unterhieltst, ging es nach fünf Minuten garantiert um Atomkraft, und nach zehn Minuten hattest du so ein düsteres Weltbild, dass du dich am liebsten umbringen wolltest. Und darum war Punk auch so nötig. Da merkte ich, es gibt auch noch andere Leute, die das stört." (Moritz Reichelt, Jahrgang 1955, Sänger des Plan, a.a.O., S. 83)
Punk war aggressiv. Punk war nihilistisch. Aber Punk war nie, selbst in seinen düstersten Facetten, so depressiv wie eine durchschnittliche Veganer-WG, so demonstrativ des Lebens überdrüssig wie Grunge, der alternative Elendsrock der Neunzigerjahre. "No Future", das ultimative Markenzeichen der Punks, ist wohl eine der am meisten (auch von vielen Punks ab der 2. Generation) missverstandenen Botschaften überhaupt. "There's no future", sangen die Sex Pistols in "God Save The Queen", doch die Textzeile in dem Song geht weiter: "... for you". An anderer Stelle heißt es, und damit jegliche Missverständnisse ausräumend: "There is no future in England´s dreaming." Denn: "We're the future, your future." Ihr seid kaputt, Ihr habt keine Zukunft. Denn seht uns an: Wir sind eure Spiegelbilder. Die Zukunft und die Hoffnung eures Landes. Eure Zukunft! Punk hieß nicht: Die Welt ist traurig, lasst uns 'ne Runde heulen, sondern: Wenn´s eh bald vorbei ist, lasst uns noch solange richtig Spaß haben. Und denen, die uns die Zukunft verbaut haben, die all den Dreck auf diesem Planeten zu verantworten haben, zeigen, was die uns können. So war die Aneignung öffentlichen Raums eine wichtige Aktivität der Szene. Punks zogen sich nicht unauffällig hinter ihre eigenen (besetzten) vier Wände zurück, sondern trafen sich vorzugsweise in Fußgängerzonen, auf Bahnhofsvorplätzen, auf den Stufen von Rathäusern und an den Ausgängen öffentlicher Verkehrsmittel. Dort, wo sie die "Normbürger" am meisten irritierten und verärgerten.
"Ich habe Fahrräder geklaut. Und habe mir damit mein Geld verdient. Ich hatte einen Dietrich und bin in Wilmersdorf rumgelaufen, habe Keller aufgeschlossen und Fahrräder geklaut. Einmal war eine Kunstveranstaltung in einer Disco. Ein Super-8-Abend. Und in dem Moment, als das Licht ausging, haben wir alle Handtaschen und alle Rotweinflaschen und alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest war. Und sind dann die 500 Meter zu mir nach Hause, nicht ohne drei Autos zu demolieren und einen Feuermelder einzuschlagen. Ich fand 'No Future' einfach geil. Ich weiß gar nicht, wie viele Autos ich verbrannt und zerstört habe. Ich bin nachts rumgefahren und habe Mercedes Benze kaputtgehauen, Backsteine reingeschmissen oder Benzin drübergekippt. Ich kam mir vor wie die ganze Baader-Meinhof-Bande zusammen. Wir sind mit zwölf Leuten aus dem Schizzo losgezogen und haben gesagt: 'Jetzt hauen wir in der Niedstraße alles kaputt.' Dann sind wir da wie die Wahnsinnigen durch und haben die ganze Straße zerlegt. Das hat super Spaß gemacht - durch eine Straße zu laufen und zum Gehen nicht den Gehsteig zu nehmen, sondern die Autos selber. Am nächsten Tag stand in der BZ: 'Die Polizei sucht einen kleinen Mann mit Hut.' Das war ich." (Ben Becker, Jahrgang 1964, Schauspieler, Sänger und Ex-Punk, a.a.O., S. 193f.) Punk war (und ist) keine militante Jugendkultur, doch anders als etwa bei den Hippies oder später im Techno war es nicht grundsätzlich verpönt, seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen. Nicht nur Vandalismus gegen bürgerliche Statussymbole wie teure Autos, Pelzmäntel, Edelrestaurants etc., sondern auch Prügeleien gehörten von Anfang an zum Szene-Alltag dazu. "Vor allem am Wochenende kamen regelmäßig 200, 300 Teds vorbei. Und dann gab es regelrechte Schlachten. Weil man halt aus England gehört hatte, dass man das so macht. Das war noch ohne Messer und solche Scherze. Das war eher Sportsgeist. Und wir waren dann auch richtig stolz, wenn wir zur Abwechslung mal gewonnen hatten. Außerdem war es halt chic, wenn man mit einem blauen Auge überlebt hatte. Von einem blauen Auge konnte man ein paar Tage zehren." (Jäki Eldorado, Jahrgang 1958, Bassist u.a. der zweiten Nina Hagen Band, heute Manager u.a. von 5 Sterne Deluxe, a.a.O., S. 207f.)
Punk war eine Spaßkultur, und im Mittelpunkt stand - neben der Musik - die Inszenierung der eigenen Person. "Morgens in die U-Bahn zu klettern ist immer wie ein Bühnenauftritt: Der Vorhang geht auf, zack, und ich weiß, dass alle Augen auf mich gerichtet sind. Und dann drehe ich mich blitzschnell um, und dann siehste die Köpfe, zack, zack, zack weg. Da kannste ein tolles Spiel mit machen. Ein neues Gefühl auf der Straße, immer auf der Bühne ..." (in: Penth/Franzen 1982, S. 192) Keine Jugendkultur zuvor war so eitel darauf bedacht, in die Medien zu kommen, keine verstand es auch so clever, die Medien für sich zu nutzen.