Aus heutiger Sicht, abgehärtet durch eine reichhaltige Palette schräger Vögel, die uns seit den Neunzigerjahren beinahe täglich in Talkshows und Videoclips beschert werden, klingt das alles nicht besonders aufregend. Doch damals schlugen die Sex Pistols ein wie eine Bombe. Sie kassierten von ihren wechselnden Plattenfirmen mehr Geld dafür, dass sie auf vertraglich vereinbarte Veröffentlichungen verzichteten, als für verkaufte Platten. Als im Juni 1977 die zweite Sex-Pistols-Single "God Save The Queen" die Top Ten der britischen Charts eroberte, dokumentierte in den Aushängen der Plattenläden nur ein weißes Feld die jeweilige Position der Single. Im Radio oder im Fernsehen durfte der Song nicht gespielt werden. Ein Fernsehtalkmaster, der die Sex Pistols in seine Show einlud, fand seinen Redaktionsschreibtisch am Morgen nach der Sendung von einem anderen besetzt vor. Tourneen der Sex Pistols wurden verboten, sodass sie unter Pseudonym auftreten mussten, Bandmitglieder wurden auf der Straße zusammengeschlagen und von der britischen Polizei verhaftet. In einem Staat, in dem schon das Tragen eines T-Shirts mit der Aufschrift "Fuck" zur Inhaftierung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses führen konnte, war es wirklich nicht schwer, aufgeregte Reaktionen zu provozieren. Und die Sex Pistols, vor allem ihr Schöpfer und Manager Malcolm McLaren, verstanden ihr Geschäft. So wurde eine Kellerband, die wie die meisten Rock-´n´-Roll-Bands kaum mehr wollte als Sex, Drogen und Action, zur Initiatorin eines neuen "Way of life" für Hunderttausende von Jugendlichen in aller Welt.
Das etablierte England war schockiert, doch die rebellische Jugend hatte neue Heroen. Als die Musikindustrie erstaunt bemerkte, dass die Platten und selbst produzierten Kassetten der ab 1976 überall aus dem Boden schießenden Punkbands ohne Airplay in Radio und Fernsehen reißende Umsätze machten, stiegen auch die Medien ein. Zuerst die Pop-Presse und die sensationslüsternen Boulevardblätter, schließlich auch die seriösen großen Nachrichtenmagazine und die Trendsetter der Modewelt. Punk war zu sensationell, zu schrill, zu skandalös, um ignoriert zu werden. "Drei der vier Musikzeitschriften haben Punk/New-Wave-Gruppen auf dem Titel", protokolliert das deutsche Sounds im Juli 1977 eine ganz normale Medienwoche auf der Insel. "Alle diese Gruppen sind noch nicht in den Charts zu finden, eine von ihnen hat noch nicht mal einen Plattenvertrag. Die gewohnten Gerüchte darüber, bei wem die Sex Pistols demnächst unterschreiben. Die Sonntags-Schmonzetten mühen sich, vierfarbig die Punk-Menschen darzustellen, es wird über Johnny Rottens neueste Freundin oder dergleichen berichtet, und Londons radikalschickes Wochenmagazin Time Out bringt eine Geschichte darüber, wie Capitol Radio - die kommerzielle Radiostation - die Veröffentlichung der Clash-EP 'Capitol Radio" verhinderte." Im Dezember 1977 nominiert das Modemagazin Vogue Johnny Rotten als "Überraschung des Jahres".
Recht schnell sprangen auch die deutschen Medien auf den fahrenden Zug. Der Spiegel, Stern, das ZDF brachten erste große Reportagen. Und auch Bravo, immer auf der Suche nach dem nächsten vermarktbaren Trend, stieg mit ein.
"... Jedenfalls gab es dann im Sommer 1976 mal eine Klassenfete. Da wurden Poster an die Wand geklatscht. Unter anderem ein Bravo-Poster von den Sex Pistols. Das hat mich tierisch fasziniert. Diese Typen sahen ganz anders aus. Kurze, komische, abgeranzte Haare. Die Klamotten zerfetzt. Und als nächstes stand dann in der Zeitung ein komischer Artikel über Punk. Dass in London gerade etwas ganz Wildes abgeht. Ich fühlte mich einfach angesprochen, und ich versuchte dann, eine eigene Musik in dieser Richtung zu machen. Ich wusste gar nicht, wie Punk-Rock klingt. Es gab ja nur eine einzige Punkplatte: die erste Ramones. Die hatte ich mal im Schaufenster gesehen, aber ich wusste ja nicht, dass das Punk war." (Jürgen Engler, Jahrgang 1960, Sänger und Gitarrist von Male, in: Teipel 2001, S. 29)
"Ich habe ein Bild im New Musical Express gesehen - mit Jackett und Büroklammern und Kindersonnenbrille. Und ich dachte: 'So klasse würde ich auch gerne aussehen." Und dann lief ich eben so herum." (Peter Hein, Jahrgang 1957, Sänger und Texter von Charley´s Girls, Mittagspause, Fehlfarben und Family 5, a.a.O., S. 36f.)