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Die Wiederentdeckung der "Arbeiterklasse" – K-Gruppen | Jugendkulturen in Deutschland (1950-2005) | bpb.de

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Die Wiederentdeckung der "Arbeiterklasse" – K-Gruppen

Klaus Farin

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"Nachdem der explizit politische Bezugsrahmen der von Studenten getragenen antikapitalistischen Protestbewegung [...] seine mobilisierende und organisierende Wirkung eingebüßt hat, beginnt eine Fetischisierung der politischen Basisarbeit [...]"

Ein halbes Jahr vor der Auflösung des SDS: Studentenaktivist Hans-Jürgen Krahl am 13. September 1968 auf einer Delegiertenkonferenz in Frankfurt am Main. (© AP)

Während der SDS als organisatorischer und intellektueller Kern der außerparlamentarischen Opposition zerfiel, signalisierte die Gründung der (maoistischen) Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML), der ersten aus der studentischen Protestbewegung entstandenen Partei, am 31. Dezember 1968 den Abschied eines relevanten Teils der einstigen Rebellen von den Antiautoritären. "Nachdem der explizit politische Bezugsrahmen der von Studenten getragenen antikapitalistischen Protestbewegung (Vietnam, Springer, Notstandsgesetze) seine mobilisierende und organisierende Wirkung eingebüßt hat, beginnt eine Fetischisierung der politischen Basisarbeit und eine Formalisierung der Organisationsdebatte, beginnt plötzlich im Widerspruch zum emanzipatorischen Anspruch der Bewegung die Attraktivität rigider Organisationsformen und neoleninistischer Phrasen zu wachsen", kommentieren selbstkritisch Hannoveraner SDS-Aktivisten den Trend (zitiert nach Geiling 1996, S. 107). "Der Dogmatismus räumte die Realität beiseite und baute die Bühne der Klassengesellschaft auf. Die soziale Realität wurde aufgelöst in ein Feld von Haupt- und Nebenwidersprüchen. Die politische Realität erstarrte zunächst in unserem Kopf und dann erstarrten wir." (Forum Academicum 1/1969, S.3, hier zitiert nach Cohn-Bendit/Mohr 1988, S. 169)

Schon zu Hochzeiten der APO hatten Studentenvertreter immer wieder versucht, auch Arbeiter für ihre Ziele zu rekrutieren. Bei einer Minderheit von engagierten Lehrlingen war es ihnen in der Tat gelungen und Ansätze einer linken, antiautoritären Lehrlingsbewegung waren entstanden. Doch bei fast allen anderen Arbeitern erfuhren die Studenten im besten Fall Gleichgültigkeit, oft jedoch offene Verachtung und massive, "Bild"-gestählte Hassausbrüche. Selbst bei den gesellschaftskritischen, gewerkschaftlich engagierten Arbeitern blieb stets "das Misstrauen gegenüber jenen, die den Arbeitern, zerschlagen von der Arbeit, nach der Schicht ihre Lage erklären wollten. Es gab bei den Arbeitern ein feines Gefühl für das Unaufrichtige, wenn sie von einem Jurastudenten Flugblätter entgegennahmen, der später Staatsanwalt wird, oder von einem Betriebswirtschaftler, der später Personalchef wird." (Mosler 1977, S. 154) Doch nun kehrte die bereits als revolutionäres Subjekt entthronte "Arbeiterklasse" wieder zurück – mitsamt den alten Vorbildern (Lenin, Stalin, Thälmann). "Rein in die Betriebe", lautete das neue Erfolgsrezept der Kommunistischen Gruppen, "K-Gruppen", und sich dort so unauffällig bewegen wie ein Fisch im Meer. Schluss mit dem studentischen Outfit und Lotterleben, revolutionäre Ordnung und Pünktlichkeit waren wieder angesagt – die Rebellen von gestern fanden zurück zu ihren alten Sozialisationsmustern und verwandelten sich wieder in Kleinbürger, die sich gegenseitig vorzugsweise als "Kleinbürger" beschimpften und in "permanenter Kampfbereitschaft" auf den Morgen warteten, an dem "die Arbeiterklasse sich an der Spitze der werktätigen Volksmassen und unter Führung ihrer bolschewistischen Partei, der KPD/ML, zum gewaltsamen Aufstand erhebt" (Roter Morgen vom 17. Januar 1972). Die Zeit der marxistisch-leninistischen Sekten war angebrochen.

Quellen / Literatur

Cohn-Bendit, Dany/Mohr, Reinhard: 1968. Die letzte Revolution, die noch nichts vom Ozonloch wusste. Berlin 1988.

Geiling, Heiko: Das andere Hannover. Jugendkultur zwischen Rebellion und Integration in der Großstadt. Hannover 1996.

Mosler, Peter: Was wir wollten, was wir wurden. Studentenrevolte – zehn Jahre danach. Reinbek 1977.

Fussnoten

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ist Fachautor, Dozent und Leiter des Externer Link: Archiv der Jugendkulturen sowie des gleichnamigen Verlages.