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Attentat auf Dutschke | Jugendkulturen in Deutschland (1950-2005) | bpb.de

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Attentat auf Dutschke

Klaus Farin

/ 3 Minuten zu lesen

Am 11. April erfolgt auf dem Berliner Ku'damm ein Attentat auf Rudi Dutschke. Durch einen Schuss wird er lebensgefährlich am Kopf verletzt. Der 24-jährige Anstreicher Josef Bachmann, hatte die zur "Jagd" hetzenden Presseschlagzeilen wörtlich genommen.

Seine Schuhe liegen noch auf der Straße: Am 11. April 1968 wird Rudi Dutschke auf offener Straße niedergeschossen. (© AP)

Sogar Rudi Dutschke ließ sich nun zu handfesteren militanten Aktionen hinreißen. Zusammen mit seinem Kommilitonen Bahman Nirumand war er offenbar kurz davor, einen Sendemast des amerikanischen Soldatenradios AFN in die Luft zu sprengen, eine Aktion, die allein aus Dilettantismus scheiterte. Erst in letzter Minute stoppte er die Sprengung eines amerikanischen Schiffes, das Kriegsmaterial nach Vietnam transportieren sollte (den Sprengstoff hatte ihm der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli im Februar 1968 als "Gastgeschenk" zum Vietnam-Kongress mitgebracht). Am 2. April 1968 explodieren in den Kaufhäusern Kaufhof und Schneider in Frankfurt am Main Brandsätze. Am Tag darauf werden der Journalist Andreas Baader, die Germanistikstudentin Gudrun Ensslin, der Kunststudent Thorwald Proll und der Schauspieler Horst Söhnlein verhaftet. Am 4. April wird der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King ermordet. Am 11. April erfolgt auf dem Berliner Ku'damm ein Attentat auf Rudi Dutschke. Er wird durch einen Schuss lebensgefährlich am Kopf verletzt. Der Attentäter, der 24-jährige Anstreicher Josef Bachmann, hatte die zur "Jagd" auf Rudi Dutschke hetzenden Presseschlagzeilen wörtlich genommen. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Attentats kommt es in ganz Deutschland zu schwersten Straßenschlachten. In zahlreichen Filialen des Springer-Verlages werden nicht nur erneut Scheiben eingeworfen, sondern auch Auslieferungswagen blockiert oder angesteckt. In Berlin schleicht sich Peter Urbach, der später als Agent provocateur enttarnte Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, zusammen mit Demonstranten zum Fuhrpark des Springer-Konzerns, schraubt die Tankverschlüsse von fünf Lieferwagen auf und steckt die Wagen in Brand. Die Bilder von den entflammten Lieferwagen vor dem Springer-Hochhaus gehen um die Welt (vgl. Uesseler 1998, S. 290).

Die Polizei reagiert mit dem Einsatz von Wasserwerfern und Panzerwagen. Dabei werden erneut Demonstranten in blinder Wut mit Knüppeln, Hunden und Pferden auseinander getrieben und verprügelt, oft bewusst ihre Pkws zerstört. In zahlreichen Fällen werden Festgenommene noch in Polizeigewahrsam systematisch misshandelt.

Das Fazit der Ostertage 1968: bundesweit Demonstrationen und Kundgebungen in 27 Städten mit jeweils 5000 bis 18000 Teilnehmern, in 50 Städten Verkehrsblockaden, Einsatz von rund 21000 Polizisten, zwei Tote (in München wurden ein Pressefotograf und ein Student von Steinen tödlich getroffen), über 400 verletzte Demonstranten, 54 verletzte Polizisten. Innenminister Ernst Benda berichtet am 30. April 1968 vor dem Deutschen Bundestag: "Von den Beschuldigten sind 87 bis zu 18 Jahren alt, 210 zwischen 19 und 21 Jahren, 246 zwischen 22 und 25 Jahren; 286 Personen sind älter als 25 Jahre. Nach Berufen aufgegliedert, ergibt sich folgendes Bild: 92 sind Schüler, 286 Studenten, 185 Angestellte, 150 Arbeiter, 31 sonstige Berufe, 97 ohne Beruf, unbekannt ist der Beruf bei 26 Personen. Meine Damen und Herren, diese Aufgliederung scheint mir zu zeigen, wie falsch es wäre, die Gewaltaktionen als Studentenunruhen zu bezeichnen." (nach Wolff/Windaus 1977, S. 236)

Bereits der Tod von Benno Ohnesorg hatte unmittelbar eine breite Solidaritätswelle und eine sprunghaft steigende Protestbereitschaft unter vielen jungen Leuten ausgelöst. Der SDS erlebte einen bisher unbekannten Mitgliederboom, und in einer vom Spiegel in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage im Frühjahr 1968 erklärten zwei Drittel der befragten Schüler und Studenten und 55 Prozent der Berufsschüler, sie würden auch selbst an Protestaktionen teilnehmen, 56 Prozent von diesen würden sogar bei "Streiks in der Schule oder an der Universität mitmachen", 32 Prozent "den Verkehr blockieren", je 23 Prozent würden "sich widersetzen, wenn die Polizei die Demonstrationen auflöst", oder sogar "zurückschlagen, wenn Polizisten mit Knüppeln auf sie einprügeln". Fazit: "Die meisten Jugendlichen lehnen die Proteste ihrer Altersgenossen in den Groß- und Universitätsstädten nicht ab, sondern finden sie gut." (Der Spiegel 8/1968, S. 40) Am 26. Februar 1967 gründeten Schülerinnen und Schüler aus 17 Städten in Frankfurt das "Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" (AUSS). Zwei Jahre später existierten bereits 130 Schülergruppen (Mosler 1977, S. 77f.). Schon zu Beginn des Jahres 1968 hatten Schülerproteste gegen Fahrpreiserhöhungen bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt, vor allem, weil die Polizei erneut auf die symbolischen Regelverletzungen mit handfester Gewalt überreagierte: Die Blockaden von Straßenbahnschienen wurden mit Schlagstöcken und Wasserwerfern aufgelöst, es gab erneut Verletzte.

Quellen / Literatur

Mosler, Peter: Was wir wollten, was wir wurden. Studentenrevolte – zehn Jahre danach. Reinbek 1977.

Spiegel 8/1968

Wolff, Frank/Windaus, Eberhard: Studentenbewegung 1967–69. Protokolle und Materialien. Frankfurt am Main 1977.

Fussnoten

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ist Fachautor, Dozent und Leiter des Externer Link: Archiv der Jugendkulturen sowie des gleichnamigen Verlages.