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Gedanken zum Festjahr #2021JLID | Jüdisches Leben in Deutschland – Vergangenheit und Gegenwart | bpb.de

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Gedanken zum Festjahr #2021JLID 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Andrei Kovacs

/ 7 Minuten zu lesen

Das bundesweite Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, neben einer zukunftsorientierten Erinnerungs- und Gedenkkultur, ein realistisches Bild der in Deutschland lebenden Juden zu vermitteln. Viele junge Juden fordern heute wortstark ein, als normaler Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden.

Mitglieder der jüdischen Gemeinde Mecklenburg-Vorpommern bereiten das jüdische Laubhüttenfest vor (20.09.2021). Die Gemeinde ist Teil des bundesweiten Projekts "321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" im Rahmen des Festjahres #2021JLID. (© picture-alliance/dpa, dpa-Zentralbild | Jens Büttner)

Am Interner Link: 11. Dezember 321 erließ der römische Kaiser Konstatin ein Edikt, in dem er auf Anfrage der Colonia Claudia Ara Agrippinensium, dem heutigen Köln, den damaligen Ratsherren und allen anderen Provinzstädten des Reiches erlaubte, Juden, auch gegen ihren Willen, in den Stadtrat zu berufen (Eck, 2011). Das Edikt, vor 1.700 Jahren erlassen, gilt heute als der früheste schriftliche Beleg für die Existenz jüdischen Lebens auf dem Gebiet des heutigen Deutschland und in Mittel- und Nordeuropa (Otten; Karabaic, 2019).

Aus diesem Anlass schlossen sich Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammen und gründeten im Jahr 2018 den gesamtgesellschaftlichen Verein "321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Ihr Ziel war die Koordination eines Jubiläums, an dem sich viele gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen bundesweit mit Veranstaltungen rund um das Thema jüdisches Leben beteiligen sollten (Scherer, 2018).

Dabei beabsichtigten die Initiatoren, das Positive der deutsch-jüdischen Geschichte ins Auge zu fassen und jüdische Geschichte nicht mehr nur in Zusammenhang mit mittelalterlichen Pogromen und der Schoa darzustellen. Dahinter stand sowohl die Überzeugung, dass jüdisches Leben ein fester Bestandteil der deutschen Kultur und Gesellschaft ist, als auch die Hoffnung, dem erstarkenden Antisemitismus in Deutschland etwas Positives entgegenzusetzen (Stoldt, 2018). Der Antisemitismus fundiert auf einer alten Tradition, Interner Link: dessen Wurzeln bis in die vorchristliche Zeit zurückreichen (Brenner, 1994). In seinem Buch "Kurze Geschichte des Antisemitismus" erklärt der Autor Peter Schäfer: "Antisemitismus ist ein variables, vielschichtiges und offenes System, das sich im Laufe seiner Geschichte ständig mit neuen Facetten anreichert und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Konstellationen immer wieder neu erfindet." (Schäfer, 2020). Mit anderen Worten könnte man sagen: der Judenhass ist das älteste, mutierende Virus der Menschheitsgeschichte (Kreikebaum, 2020).

Im Nachkriegsdeutschland wie in großen Teilen Europas beschäftigen sich seit 76 Jahren zahlreiche Wissenschaftler und Pädagogen damit, Handlungsstrategien für die Prävention und Bekämpfung dieses Virus zu erarbeiten und umzusetzen. Ungeachtet dieser Bemühungen erstarkt der Antisemitismus (Public, 2018; World Jewish Congress (WJC), 2019). Die brutalen, teilweise vereitelten Anschläge gegen jüdisches Leben in den vergangenen Jahren – sowohl in Europa als auch im Rest der Welt – führen uns immer wieder vor Augen, wie schnell der Glaube an Interner Link: Verschwörungsmythen und antijüdische Denkmuster in physische Gewalt umschlagen (Steinke, 2020). Der Virus Judenhass konnte trotz aller Bemühungen der Nachkriegszeit bis heute nicht besiegt werden.

Das Festjahr "#2021JLID – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" ist ein neuer Versuch, Judenfeindlichkeit etwas Positives entgegenzusetzen und mithilfe niedrigschwelliger Formate eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Kritiker geben zu bedenken, dass die über 1.700-jährige jüdische Geschichte auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands kein Grund zu feiern sei. Es handele sich vielmehr um eine lange Anreihung von Verfolgung, Diskriminierung, Vertreibungen und Ermordung jüdischer Menschen, die in der Interner Link: Shoa, dem größten und grausamsten Genozid der Menschheitsgeschichte vor 76 Jahren, ihren traurigen Höhepunkt fand. Es gab Vorbehalte, jüdisches Leben einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dies wird oft mit Sicherheitsbedenken und der Angst begründet, damit antisemitisches Gedankengut zu verstärken, statt es zu bekämpfen. Manche äußerten ihre Sorge, dass die positive Darstellung jüdischen Lebens zu einem Verblassen der Interner Link: Gedenk- und Erinnerungskultur führen könne.

Viele junge Juden fordern heute wortstark ein, als normaler Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden (Kovacs, 2020). Sie möchten jüdisches Leben nicht mehr ausschließlich auf religiöse Symbole, Antisemitismus und eine Opfergeschichte (Brenner, 1994) reduzieren, sondern in der Öffentlichkeit als gleichwertiger Teil einer modernen, zukunftsorientierten Gesellschaft wahrgenommen und respektiert werden.

Es wird oft als "Wunder" bezeichnet, dass im Schatten der deutsch-jüdischen Geschichte und des erstarkenden Antisemitismus wieder Juden in Deutschland leben. Hinter diesem "Wunder" steht insbesondere die Interner Link: Zuwanderungswelle der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die dazu führte, dass die jüdische Gemeinschaft von unter 30.000 Ende der 1980er Jahre – bereits damals weitgehend osteuropäisch geprägt – auf heute geschätzte 150.000 bis 200.000 Menschen anwuchs. Es ist eine neue, bunte und Interner Link: vielfältige postmigrantisch geprägte Gemeinschaft, die wenig gemein hat mit der deutsch-jüdischen Geschichte der Vorkriegszeit (Freimüller, 2020). Dass jüdisches Leben in Deutschland heute wieder erstarkt, ist ein weiterer Beweis für die Resilienz und den Überlebenswillen des jüdischen Volkes, welcher sich seit Jahrtausenden in vielen Einzelschicksalen und Erzählungen geschichtlich widerspiegelt. Auch dies gibt den deutschen Juden heute ein neues Selbstbewusstsein, das es sicht- und erlebbar zu machen, zu stärken und zu feiern gilt.

Dies erfordert, dass der Mehrheitsgesellschaft, neben einer zukunftsorientierten Erinnerungs- und Gedenkkultur, ein realistisches Bild der in Deutschland lebenden Juden vermitteln wird, fernab von Vorurteilen und oft vorherrschenden verklärten und romantisierten Vorstellungen. Wissensvermittlung und Begegnung, Verständnis und Empathie – und explizit nicht ausschließlich Opferempathie (Bundesregierung, 2011) – sowie ein unverkrampftes Miteinander sollten hierbei im Vordergrund stehen, frei von latentem Antisemitismus (RIAS, 2020) auf der einen, und latentem Misstrauen auf der anderen Seite.

Ein Teil dieser Forderungen ist nicht neu. Sie finden sich bereits in einem 45-seitigen Beitrag zu 1.600 Jahre jüdischem Leben wieder, der 1938 vom Interner Link: "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" publiziert wurde (CV, 1938). Er nimmt direkt Bezug auf einen im Jahre 1932 veröffentlichten Artikel in den "Mitteilungen der jüdischen Reformgemeinde zu Berlin".

In diesem Text klagen jüdische Autoren die Mehrheitsgesellschaft eindringlich an. Sie fragten sich, warum Juden nicht als ein normaler Teil der deutschen Gesellschaft akzeptiert würden, obwohl sie seit über 1.600 Jahren wichtige Beiträge zur deutschen Kultur geleistet hätten und es immer noch täten: als Rechtswissenschaftler, Naturwissenschaftler, Künstler, Musiker, Forscher und Sportler. Der Text ist ein Plädoyer gegen Verschwörungsmythen und den gängigen Gebrauch und Missbrauch antisemitischer Schlagwörter. Die Autoren versuchten, Vorurteile und Verschwörungsmythen mit Fakten zu widerlegen. Der Text ist der verzweifelte Ruf nach einer deutsch-jüdischen Normalität.

Mit Blick auf die Gegenwart hat dieser Text in seinem Verlangen nach Anerkennung der Normalität und Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Deutschland an Aktualität nicht eingebüßt. Der Unterschied zu damals ist freilich, dass jüdische Menschen im Kampf gegen den Antisemitismus und für jüdisches Leben heute nicht mehr allein gelassen werden. Ein Zeichen dafür ist die große Beteiligung der Gesellschaft, Politik und Kirchen am laufenden Festjahr #2021JLID. Gleichwohl ist es besorgniserregend, wie stark Interner Link: Antisemitismus in der Gesellschaft in den letzten Jahren zugenommen hat.

Das Festjahr ist ein organisatorischer Erfolg, nicht zuletzt durch die großzügige finanzielle Unterstützung des Bundes, des Landes Nordrhein-Westfalens und der Stadt Köln, der Beteiligung zahlreicher Projekt- und Kooperationspartner sowie der Beratung durch die Vereinsgremien, der Projektjury und die intensive Arbeit des motivierten Geschäftsstellenteams (2021JLID, 2021). Mit einer breiten Unterstützung konnte das Vorhaben unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mit einem feierlichen Festakt am 21. Februar 2021 eröffnet werden.

Ob durch das Festjahr eine nachhaltige Wirkung entfaltet werden kann, wird die Zukunft zeigen. Erste Rückmeldungen machen Mut und geben Hoffnung. Der Erfolg hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Anstrengungen des im Rahmen der Corona-Pandemie verlängerten Festjahres nach seinem Ende am 31. Juli 2022 weiter fortgesetzt und verfestigt werden können.

Literatur:

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Er [der Text] ist eines der letzten Publikationen des CV vor seiner Auflösung in 1938, ein im Jahre 1893 in Berlin gegründeter einflussreicher Verein, der sich während seines Wirkens vornehmlich mit der Abwehr des Antisemitismus und der Entwicklung eines ‚neuen jüdischen Selbstbewusstseins‘ beschäftigte und die mehrheitlich anerkannte Position einer nationalen Zugehörigkeit als ‚jüdische Deutsche‘ vertrat.“ In: Denz, Rebekka; Gempp-Friedrich; Tilmann, editor. Centralverein Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens. De Gruyter, 2020.

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Musiker und Unternehmer Andrei Kovacs ist leitender Geschäftsführer des Vereins "321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Der Verein koordiniert und gestaltet das bundesweite deutsch-jüdische Festjahr unter der Dachmarke #2021JLID mit der Unterstützung durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen und die Stadt Köln.