Jüdisches Leben außerhalb des sogenannten Heiligen Landes – in der jüdischen "Diaspora" – existierte spätestens seit der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. C. Die erste urkundliche Erwähnung einer jüdischen Ansiedlung in der deutschsprachigen Region ist aus dem Jahre 321 überliefert, als Juden in der Colonia Agrippina, dem heuten Köln, als römische Bürger erwähnt werden. Aber erst einige hundert Jahre später entstanden jüdische Gemeinden, vornehmlich in Städten entlang des Rheins. Ihre Mitglieder setzten sich vor allem aus Händlern zusammen, die über Italien und Frankreich in die deutschsprachigen Gebiete gekommen waren. Diese Region wurde "Aschkenas" genannt – ein Begriff, mit der ganz Europa nördlich von Spanien und Portugal bezeichnet wurde, so dass bis heute europäische Juden auch "Aschkenasen" genannt werden.
Die drei jüdischen Gemeinden der oberrheinischen Städte Speyer, Worms und Mainz bildeten seit dem 11. Jahrhundert einen Verbund, der gemeinhin auch SchUM genannt wird, eine Abkürzung, die aus den hebräischen Anfangsbuchstaben der Städte hergeleitet wird. Mit Mainz als Zentrum wurde dieser Zusammenschluss zu einem der wichtigsten religiösen und kulturellen jüdischen Zentren des späten Mittelalters in Europa. Bis heute zeugen Synagogen, jüdische Friedhöfe und Ritualbäder gemeinsam mit der religiösen Überlieferung von der immensen Bedeutung der SchUM-Städte. Die engen Verbindungen der drei Gemeinden untereinander führten zu einem regen intellektuellen Austausch. Aus allen Teilen Europas kamen Studenten, um bei den Gelehrten in SchUM zu lernen. Unter ihnen war etwa der Rabbi Schlomo ben Jizchak aus Troyes (1040–1105), abgekürzt "Raschi", der aufgrund seiner Kommentare zur Hebräischen Bibel (dem Tanach) bis heute einer der wichtigsten Gelehrten in der jüdischen Bibelauslegung ist.
Aufgrund ihrer Internationalität wurden die ab dem 12. Jahrhundert in den SchUM-Städten erarbeiteten Neuerungen in der jüdischen Rechtsprechung, hauptsächlich im Familienrecht, bald für alle europäischen Gemeinden gültig. Es handelte sich um für die damalige Zeit ausgesprochen progressive juristische Regelwerke und bis heute findet sich auf einem jüdischen Ehevertrag der Verweis auf diese Rechtsprechung. Hier wurde beispielsweise das Gesetz eingeführt, dass sich ein Mann ohne die Einwilligung seiner Ehefrau nicht scheiden lassen darf.
Die Gemeinden waren allesamt nach einem ähnlichen urbanen Prinzip aufgebaut: Im Mittelpunkt standen:
die Synagoge – das Gotteshaus, aber auch Lehr- und Versammlungshaus;
die
Interner Link: Mikwe – das Tauchbad, das zur hygienischen wie auch rituellen Reinigung dient. Die Mikwe muss "lebendiges Wasser" enthalten, so dass die Mikwes in der Regel unter die Erde gebaut wurden;die Jeschiwa – die Talmudschule, in der sich die männlichen Juden dem Tora- und Talmudstudium widmen. Die Jeschiwot der SchUM-Städte genossen europaweit das größte Ansehen.
Überreste dieser Bauwerke sind beispielsweise auf dem "Judenhof" in Speyer zugänglich.
Zu einer jüdischen Gemeinde gehört auch der Friedhof (Beit Almin). Der älteste jüdische Friedhof in Europa ist der "Heilige Sand" in Worms, auf dem sich noch rund 2.500 Grabsteine aus dem 11. und 12. Jahrhundert befinden. Da im Judentum die Totenruhe nicht gestört werden darf, werden Jüdinnen und Juden ausschließlich erdbestattet. Es ist verboten, Gräber zu verlegen oder einzuebnen, denn im Judentum wird an die Auferstehung der Toten nach dem Erscheinen des Messias geglaubt. Besucher*innen hinterlassen kleine Steine auf den in der Regel aufrechtstehenden Grabsteinen, in die neben Namen und Lebensdaten der Verstorbenen die hebräische Abkürzung des aus der Bibel stammenden Segens "Seine/ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens" eingemeißelt sind.
Die SchUM-Städte wurden wiederholt von Pogromen heimgesucht, vor allem zur Zeit der Kreuzzüge (11. bis 12. Jahrhundert) und in der Zeit der Pest (Mitte des 14. Jahrhunderts), für die die jüdische Bevölkerung verantwortlich gemacht wurde. In dieser Zeit entstanden auch Verschwörungsmythen wie die der Brunnenvergiftung oder
Der Dichter Interner Link: Heinrich Heine setzte dem jüdischen Leben, der Verfolgung und dem Untergang der rheinischen jüdischen Gemeinden in seinem unvollendeten Roman Der Rabbi von Bacharach ein eindrückliches Denkmal. Der titelgebende Rabbi flüchtet in der Pessachnacht vor den christlichen Verfolgern, die die jüdische Gemeinde für die Pest verantwortlich machen.
Die Flucht des Rabbis aus Bacharach endet im jüdischen Ghetto der Stadt Frankfurt am Main. Auch hier wurde die jüdische Bevölkerung, deren erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahre 1150 stammt, zur Zeit der Pest verfolgt und ermordet. Und auch hier kommt es wiederholt zu Pogromen, wie etwa bei der "Frankfurter Judenschlacht" im Jahr 1241, als fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt ums Leben kommt. Mitte des 15. Jahrhunderts beschließt der Frankfurter Stadtrat, die jüdische Bevölkerung – nach italienischem Vorbild – in einem abgetrennten Bezirk anzusiedeln: die "Judengasse". Dies war das erste und einzige jüdische Ghetto in Deutschland. Die Gasse war nur wenig mehr als drei Meter breit und etwa 330 Meter lang, von Mauern umschlossen und über nur drei Tore zugänglich. Zunächst standen in diesem Areal elf Häuser, ein Gemeindehaus mit der Synagoge und der Mikwe, ein Krankenhaus und zwei Wirtshäuser.
Der Alltag der Ghettobewohner war durch die Verordnung des Frankfurter Rats, der sogenannten Judenstättigkeit von 1616, stark reglementiert. So durften sie das Ghetto nachts, sonntags und an christlichen Feiertagen nicht verlassen. Ihre beruflichen Tätigkeiten und ihr Verhalten im täglichen Leben waren bis ins kleinste Detail vorgeschrieben. Jüdinnen und Juden mussten einen ringförmigen gelben Fleck auf der Kleidung tragen. Insgesamt durften nur 500 Familien in der Judengasse leben und ihren Bewohnern waren pro Jahr nur zwölf Hochzeiten erlaubt. Selbst wohlhabende und angesehene Bewohner wie etwa der Bankier Mayer Amschel Rothschild (1744–1812) waren von den diskriminierenden Beschränkungen nicht ausgenommen. Aufgrund der engen Bebauung wurde die Judengasse allein im 18. Jahrhundert dreimal durch Feuerausbrüche zerstört: 1711, 1721 und 1796. Ursprünglich wurde es für ca. 100 Jüdinnen und Juden eingerichtet, aber in all den Jahrhunderten seiner Existenz nur geringfügig erweitert, so dass am Ende des 18. Jahrhunderts rund 3.000 Menschen dort lebten.
Als 1796 der Nordteil der Judengasse durch Bombardements der französischen Revolutionstruppen im Zuge der Besatzung der Stadt zerstört wurde, durfte sich die jüdische Bevölkerung auch außerhalb des Ghettos niederlassen. Der Ghettozwang aber wurde formal erst 1811 aufgehoben. Die vollen Bürgerrechte hingegen erhielten die Mitglieder der Frankfurter Gemeinde erst 1864.
Wie die SchUM-Gemeinden des Mittelalters konzentrierte sich das gesellschaftliche und philosophische Engagement der Gemeinde Frankfurt vor allem auf den Bereich der Bildung sowie der Erneuerung des Judentums. 1804 wurde hier die erste allgemeinbildende jüdische Schule gegründet, das Philanthropin ("Stätte der Menschlichkeit"). Der Wahlspruch der Schule lautete: "Für Aufklärung und Humanität" – und in diesem Sinne handelten die Leiter und Gründer der Schule, indem sie von Beginn auch Mädchen sowie nichtjüdischen Schülern die Tore der Schule öffneten. Vor allem in Frankfurt wurde ein neues, sich von der
1847 wurde in Preußen das sogenannte Autonomiegesetz eingeführt, dass der jüdischen Bevölkerung verschiedene bürgerliche Rechte einräumte, aber ihr nur eine jüdische Gemeinde an einem Ort zugestand. Auf dieser Grundlage entwickelten sich die "Einheitsgemeinden", und obwohl das Gesetz schon 1876 wieder aufgehoben wurde, behielten die meisten Gemeinden diese Form der Gemeindestruktur bei.
In den ersten fünfzig Jahren nach dem Krieg gab es nur in einigen großen Städten wie Berlin und Frankfurt am Main mehrere und unterschiedliche Synagogen. Erst in den letzten dreißig Jahren werden nach und nach