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Jüdisches Leben im deutschen Spielfilm nach 1945 | Jüdisches Leben in Deutschland – Vergangenheit und Gegenwart | bpb.de

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Jüdisches Leben im deutschen Spielfilm nach 1945

Lea Wohl von Haselberg

/ 13 Minuten zu lesen

Wie wird jüdisches Leben in Spielfilmen abgebildet? Wie werden Figuren als jüdisch kodiert und damit als Darstellungen von Jüdinnen und Juden erkennbar gemacht? Dieser Beitrag untersucht die Inszenierung jüdischer Spielfilmfiguren und des Jüdischen vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart hinein.

Jüdische Filmtage im Deutschen Filminstitut & Filmmuseum. (© David Bachar)

Einleitende Überlegungen

Zwei Widersprüche kennzeichnen die filmischen Darstellungen des Jüdischen in Deutschland sowohl vor als auch nach 1989: Der erste Widerspruch liegt in der Diskrepanz zwischen der geringen Größe der jüdischen Minorität im Verhältnis zur großen symbolischen Bedeutung, die 'den Juden' als abstrakter Gruppe zukommt. Während diese "symbolische Existenz" eine wichtige Rolle im öffentlichen Bewusstsein spielt, wird eine tatsächliche Begegnung im Alltag kaum erlebt. Das liegt an der geringen Zahl an in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden, aber auch daran, dass sie nicht (zwangsläufig) erkennbar sind. Hier kommt der zweite Widerspruch ins Spiel: gerade für Spielfilme als audiovisuelle Erzählungen ist Erkennbarkeit von zentraler Bedeutung, weshalb Jüdinnen und Juden als jüdische Figuren in medialen Darstellungen für das nichtjüdische Publikum erkennbar und damit sichtbar gemacht werden müssen. Problematisch ist hierbei vor allem, dass Stereotype – also die durch Tradierung bekannten Bilder von Jüdinnen und Juden – in der Regel antisemitisch aufgeladen sind und Interner Link: Antisemitismus trotz seines gesellschaftlich konstanten Fortbestands öffentlich geächtet wird. Dadurch entsteht eine Schwierigkeit für die Gestaltung jüdischer Filmfiguren: Obwohl die Verwendung von Stereotypen problematisch ist, kann es ohne sie kaum gehen.

Gerade weil der medial vermittelten Begegnung mit jüdischen Spielfilmfiguren kaum außerfilmische Kontakte gegenüberstehen, die diese begleiten oder konterkarieren könnten, kommt den medialen Begegnungen mit jüdischen Spielfilmfiguren besondere Bedeutung zu: Weil sie eben keine Personen sind, ist ihre Jewishness eine Zuschreibung, eine Konstruktion, die in der Figurengestaltung selbst vollzogen wird. Dabei werden immer wieder die vorhandenen Vorstellungen dessen gespiegelt, was erstens als jüdisch angenommen und zweitens als bekanntes Bild von Jüdinnen und Juden vorausgesetzt wird. Jewishness muss in den Filmfiguren kodiert werden. Einige filmische oder televisuelle Darstellungen reflektieren diese Kodierungen und nehmen beispielsweise ironisch auf sie Bezug. Dadurch werden sie als mediale Konstruktionen sichtbar und verhandelbar gemacht. Hier liegt sicherlich ein widerständiges Potential von Filmen, Gegenbilder zu produzieren.

Blickt man auf jüdische Themen im deutschen Film und Fernsehen, so wird das Spannungsfeld von Innen und Außen schnell deutlich, das sich auch in der Unterscheidung von realer und symbolischer Existenz andeutet, darin aber nicht aufgeht. Es berührt auch die angenommene Unterscheidung von Selbst- und Fremdbildern. Im Gegensatz zu Romanen können Filme weitaus schlechter an eine*n Autor*in rückgebunden und in der Deutung des Films eine Autor*innen-Perspektive mit der filmischen Erzählung verknüpft werden. Filme sind kollektive Produkte, die unter der Mitarbeit vieler Filmschaffender entstehen, wobei diese nicht gleichberechtigt in den künstlerischen Prozess eingebunden sind, sondern in einem hierarchisch organisierten Produktionsprozess arbeiten. Deshalb führt die kategorische Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremddarstellungen, die an jüdische und nicht-jüdische Filmschaffende gebunden sein müsste, in ein schwieriges Terrain und erlaubt es nicht, auf dieser Basis zwischen vermeintlich authentischen und unauthentischen Darstellungen zu unterscheiden.

Doch festzuhalten ist, dass jüdische Filmschaffende sich in prominenten künstlerischen Positionen, wie der Regie, dem Drehbuch oder der Produktion, an Darstellungen jüdischer Erfahrung und Figuren im Film beteiligen. Das anzuerkennen, ohne Filmemacher*innen auf ihr Jüdischsein zu reduzieren, ist ein Balanceakt zwischen Einschreibung und Ausschreibung aus der Filmgeschichte.

Produktive Nachkriegszeit

Vielfach besteht der Eindruck, die Nachkriegszeit sei vor allem durch das Beschweigen der jüngsten Vergangenheit geprägt gewesen. Doch in den Jahren unmittelbar nach Ende des Interner Link: 2. Weltkriegs sind in Deutschland einige Filme entstanden, die sich mit der Verfolgung und Interner Link: Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Europa befassten und in diesem Kontext von jüdischer Erfahrung erzählten: Der von Fritz Kortner geschriebene Film DER RUF (1949, Regie: Josef von Baky) über die Remigration eines Professors, der sich mit dem Antisemitismus der Nachkriegszeit auseinandersetzen muss und daran letztlich stirbt, zeigt nicht nur ein Panorama der Perspektiven von Exilant*innen und die Mehrsprachigkeit des Exils, sondern auch die Schattierungen von Täter*innen- und Mitläufer*innenschaft in Deutschland – wobei sich das tragische Ende im internationalen Verleihtitel THE LAST ILLUSION weitaus stärker andeutet; auch der von Artur Brauner produzierte Film MORITURI (1948, Regie: Eugen York) über eine Gruppe im Wald Versteckter am Ende des 2. Weltkriegs sei hier erwähnt; ebenfalls der DEFA-Film EHE IM SCHATTEN (1947, Regie: Kurt Maetzig), in dem angelehnt an die Geschichte Joachim und Meta Gottschalks von einem Schauspieler*innenehepaar erzählt wird, das sich der fortschreitenden Verfolgung und drohenden Deportation der jüdischen Frau nur durch den gemeinsamen Suizid entziehen kann; oder schließlich die jiddischsprachige Produktion LANG IST DER WEG (1947/48, REGIE: Herbert B. Fredersdorf, Marek Goldstein), die jüdische Überlebende im Transit eines DP-Camps zeigt – um nur einige Beispiele zu nennen.

Holocaustfilme

Jüdische Figuren bleiben lange vornehmlich an die Interner Link: Shoah gebunden. So entstehen in den 1950er Jahren in der BRD nur wenige Filme mit randständigen jüdischen Figuren, wie beispielsweise WIR WUNDERKINDER (1958, Regie: Kurt Hoffmann) mit Pinkas Braun in der Nebenrolle des jüdischen Siegfried Stein. Mit den 1960er Jahren findet eine weitere Hinwendung zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit angesichts des Interner Link: Eichmann-Prozesses in Jerusalem (1961) und der Interner Link: Frankfurter Auschwitzprozesse (1963-65) statt. Filme wie ZEUGIN AUS DER HÖLLE (1966, Regie: Zika Mitrović) oder der Fernsehkrimi MORD IN FRANKFURT (1968, Regie: Rolf Hädrich) in der BRD sowie JETZT UND IN DER STUNDE MEINES TODES (1963, Regie: Konrad Petzold) oder CHRONIK EINES MORDES (1965, Regie: Joachim Hasler) in der DDR können hierfür beispielhaft genannt werden.

Ende der 1960er Jahre erscheint dann KADDISCH NACH EINEM LEBENDEN (1968) von Karl Fruchtmann, ein westdeutsches Fernsehspiel, das in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich ist: Aus der Perspektive eines Überlebenden wird von Peri erzählt, der nach dem früher mit ihm im KZ inhaftierten Bach sucht. Diese Suche erfolgt jedoch nicht im Spiegel der deutsch-nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft, stattdessen verortet Fruchtmann die Geschichte in Israel, wo er auch drehte. In diesen Filmen werden die Perspektiven von Überlebenden, der Blick auf ihre psychische Versehrtheit und das Fortwirken der Vergangenheit in der Gegenwart für ein deutsches Fernsehpublikum sichtbar.

Auch in Deutschland ist die Ausstrahlung der US-amerikanischen Miniserie Interner Link: HOLOCAUST. DIE GESCHICHTE DER FAMILIE WEISS im Frühjahr 1979 mit ihren begleitenden publizistischen Debatten eine Zäsur, die das öffentliche Bewusstsein nachhaltig verändert; Interner Link: Claude Lanzmanns neuneinhalbstündiger Film SHOAH (1985) markiert wenige Jahre später einen Meilenstein in der ästhetischen Auseinandersetzung mit der Ermordung der europäischen Juden. So bedeutend beide für die filmische Auseinandersetzung mit dem Holocaust gewesen sein mögen, so sehr lohnt es sich auch über Filme nachzudenken, die über diese kanonische Erzählung von Film- und Fernsehgeschichte in Vergessenheit geraten sind. Zwei sollen hier beispielhaft genannt werden: In der DDR hatte bereits 1972 DIE BILDER DES ZEUGEN SCHATTMANN (1971/72, Regie: Kurt Jung-Alsen) in Form einer vierteiligen Serie für das Fernsehen von einer jüdischen Verfolgungsgeschichte erzählt. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Peter Edel, beginnt die Handlung während des Interner Link: Globke-Prozesses in der DDR, bei dem die Hauptfigur Frank Schattmann als Zeuge aussagen soll. Dabei kommen die Erinnerungen an die Verfolgung und die Zeit in Interner Link: Auschwitz wieder.

1981 wurde der zweiteilige Fernsehfilm ZEUGEN. AUSSAGEN ZUM MORD AN EINEM VOLK von Karl Fruchtmann im westdeutschen Fernsehen gezeigt: Ein Film, der fast ausschließlich aus Interviews mit Auschwitzüberlebenden basiert und mithilfe einer strengen, konzeptuellen Montage einen Chor ihrer Erfahrungen entstehen lässt. Wie der Blick in Fruchtmanns Nachlass zeigt, wurde der Film mit viel Zustimmung durch die Kritik und einen Teil des Fernsehpublikums aufgenommen, löste aber auch hasserfüllte, antisemitische Anrufe im Sender aus; fast reflexhaft wurden die gewohnten Rufe nach einem Schlussstrich laut. Obwohl der Zeugen-Film wahrgenommen und diskutiert wurde, gab es kaum Wiederholungen im Fernsehen und er bleibt bis heute weitestgehend vergessen.

Um das Bild einer voranschreitenden Erinnerungskultur auf dem Weg zu einer erfolgreichen 'Verarbeitung der Vergangenheit' zu irritieren, lohnt also eine Gegenkanonisierung: Zum Beispiel der ruhige Dokumentarfilm IM LAND MEINER ELTERN (1981, Regie: Jeanine Meerapfel), der aus Perspektive der im argentinischen Exil geborenen und aufgewachsenen Jeanine Meerapfel von jüdischem Leben im Berlin der frühen 1980er Jahre erzählt; oder MEIN LEBEN. TEIL 2 von Angelika Levi, der sich mit dem Archiv der eigenen Mutter befasst; Thomas Heises 218-minütiger Kinoessay Interner Link: HEIMAT IST RAUM AUS ZEIT (2019), der familienbiographische Bezüge über zwei Weltkriege und mehrere deutsche Gesellschaften auffaltet; und schließlich auch Filme von Filmschaffenden der dritten Generation, wie z.B. LEBENSZEICHEN. JÜDISCHSEIN IN BERLIN (2018, Regie: Alexa Karolinski), SCHNEE VON GESTERN (2014, Regie: Yael Reuveni) oder DISPLACED (2020, Regie: Sharon Ryba-Kahn), die andere Ansätze wählen und damit andere Bilder produzieren. Sie müssen die Relevanz der Vergangenheit für die Gegenwart nicht beweisen, sondern folgen familienbiographischen Spuren, untersuchen ihre Umgebung auf ihr Durchdrungensein von der Vergangenheit und stehen dabei vielen der Historien-Filmen, die im Zuge des Erinnerungsbooms ab den 1980er Jahren entstanden, entgegen.

Kontroversen

Vor allem Holocaustfilme waren in Deutschland von (publizistischen) Kontroversen begleitet, in denen das Verhältnis zur NS-Vergangenheit ausgehandelt und bestritten wurde. Beispielhaft können hier die US-amerikanischen Produktionen HOLOCAUST. DIE GESCHICHTE DER FAMILIE WEISS und Externer Link: SCHINDLERS LISTE (1993, Regie: Stephen Spielberg) stehen, aber auch in jüngerer Vergangenheit der im Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlte Dreiteiler Interner Link: UNSERE MÜTTER, UNSERE VÄTER (2013), der u.a. in den USA und Polen kritisch diskutiert und mitunter als Entschuldungsnarrativ gedeutet wurde. Doch solche Kontroversen begleiten die Filmgeschichte der BRD schon länger: Bei der Hamburgpremiere von EHE IM SCHATTEN im April 1948 waren NS-Regisseur Veit Harlan und seine Frau, die Schauspielerin Kristina Söderbaum anwesend und wurden vom Kinobesitzer Heinz Heisig nach der Wochenschau des Kinos verwiesen – ein Beschwerdeschreiben von Harlan folgte. Heisig und der Hamburger Produzent Walter Koppel antworteten mit einem offenen Brief. Auch die Premiere von SCHWARZER KIES (BRD 1961, Regie: Helmut Käutner) löste dank der Darstellung eines jüdischen Bordellbesitzers, der in einer Szene von einem deutschen Bauern als "Saujud" beschimpft wird, eine Kontroverse aus und wurde nachträglich umgeschnitten, so dass diese Szenen in der Kinoversion nicht mehr zu sehen waren.

Diese gesellschaftlichen Debatten verweisen immer auf spezifische historische Konstellationen. Vor allem in Verbindung mit Filmen, die keine oder erst verspätet eine kontroverse Rezeption erfahren haben, ergibt sich ein aufschlussreiches Bild: Beispielsweise entspann sich um Rainer Werner Fassbinders bereits 1975 verfasstes Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod eine der wahrscheinlich wichtigsten Auseinandersetzungen um das deutsch-jüdische Miteinander in der BRD, die 1985 in der Bühnenbesetzung und verhinderten Premiere in Frankfurt als Akt jüdischer Ermächtigung gipfelte. Dagegen wurde und wird Fassbinders Film IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN (1979) eher mit einer Verarbeitung des Suizids seines Freundes und Schauspielers Armin Meier in Verbindung gebracht – und nicht mit der Ähnlichkeit der jüdischen Figur des 'reichen Jude' aus Der Müll, die Stadt und der Tod und der Filmfigur Anton Saitz aus IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN.

Häufig sind es aber vielmehr die kleinen Fiktionalisierungen, Verdichtungen und Verschiebungen, die filmische Darstellungen für antisemitische Lesarten anschlussfähig machen und mit dieser kodierten Form unterhalb des Radars von Filmkritik, Publikum, aber auch Institutionen wie der Filmbewertungsstelle laufen. Diese Anschlussfähigkeit an antisemitische Bilder, die aber eben keine antisemitische Propaganda ist, und erst in der Häufung spezifischer Motive wie das des jüdischen Wohlstands, auffällt, löst häufig keine Kontroversen aus.

Jüdischer Alltag & Normalität

Es gab und gibt immer wieder Versuche, jüdische Lebenswelten für ein deutsches Publikum vor allem im Fernsehen erfahrbar zu machen. In den 1980er Jahren erzählte die dreizehnteilige Fernsehserie LEVIN UND GUTMAN (1985) im Vorabendprogramm von den religiösen Levins und den säkularen Gutmans in Berlin. Einige Jahre zuvor hatte die Serie DER GANZ NORMALE WAHNSINN (1979, 12 Episoden, 45 Minuten, Regie: Helmut Dietl) jüdischen Humor nach München und in die deutschen Wohnzimmer gebracht: mit einer Hauptfigur Maximilian Glanz (Towje Kleiner), die zwar nicht eindeutig als jüdisch markiert, aber deutlich an die männlichen Protagonisten Woody Allens angelehnt war. Der auf einem Roman von Rafael Seligmann beruhende Fernsehzweiteiler SCHALOM, MEINE LIEBE wiederum zeigte innerjüdische Konflikte: zwischen den Generationen, zwischen Deutschland und Israel, nicht zuletzt um jüdisch-nichtjüdische Ehen.

Auf eine ganz andere Weise zeigte Dominik Grafs IM ANGESICHT DES VERBRECHENS (2018, 10 Episoden, 50 Minuten) Alltäglichkeit: In der Krimiserie ermittelt der russisch-jüdische Kommissar Marek Gorsky (Max Riemelt), dessen Jüdischkeit an keiner Stelle der zehnteiligen Serie besondere Bedeutung hat, von der aber dennoch nebenbei erzählt wird. Eine solche selbstverständliche Beiläufigkeit war zu diesem Zeitpunkt neu im deutschen Fernsehen, setzt sich aber beispielsweise im Berliner Tatort fort, der mit Nina Rubin (Meret Becker) seit 2015 eine jüdische Kommissarin hat. Ansonsten bleibt Normalität etwas, das viele deutsche Fernsehproduktionen herbeizuschreien versuchen. Ob in Nebensträngen der Fernsehserie BERLIN, BERLIN (2002-2005), in Liebeskomödien wie SO EIN SCHLAMASSEL (2009, Regie: Dirk Regel) oder MATZE, KEBAP UND SAUERKRAUT (2020, Regie: Christoph Schnee), oder in zahlreichen TV-Krimis: vielfach bleiben die jüdischen Figuren schablonenhaft und hölzern, sie dienen der didaktischen Vermittlung von Wissen über das Judentum, der Charakterisierung nichtjüdischer Figuren oder einer vermeintlich diversen Fernsehwelt oder müssen als Gesprächsanlass für eine Auseinandersetzung mit der Shoah herhalten. Hier ist Normalität kein erreichter Zustand, sondern ein begehrtes Ideal. Normalität, verstanden als Leichtigkeit, wird zum Sehnsuchtsort eines deutsch-jüdischen Miteinanders. Wie weit das postnationalsozialistische Deutschland tatsächlich davon entfernt ist, versuchen Filme wie EIN GANZ NORMALER FALL (2011, Regie: Thorsten C. Fischer) oder DAS UNWORT (2020, Regie: Leo Kashin) einzufangen, die den Antisemitismus der ‚bürgerlichen Mitte‘ mit seinen Zwischentönen, aber auch das Unbehagen und die Projektionen im Kontakt mit Jüdinnen und Juden zeigen. Dabei mögen sie mitunter über die Komplexität ihrer Themen stolpern, denen die spezifischen Konventionen ihrer Genres Grenzen setzen, doch es werden zumindest über die Vielzahl an Perspektiven eine Diversität und auch Widersprüchlichkeit gezeigt.

Ein neues Deutschland?

Es ist festzustellen, dass mit der Wiedervereinigung jüdische Figuren im deutschen Film und Fernsehen häufiger werden. Einerseits bringt das spätestens seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre boomende Geschichtskino eine Reihe von jüdischen (Neben)Figuren auf die Leinwand, andererseits werden auch in gegenwartsorientierten Erzählungen jüdische Figuren zunehmend sichtbar. Allerdings bringen Geschichtsfilme der 2000er Jahre eine Hinwendung zum 'Leiden der Deutschen' und damit einhergehend eine zunehmende Selbstviktimisierung mit. Dadurch verliert jüdische Erfahrung, die über jüdische Figuren erzählt wird, an Bedeutung; zeitgenössische jüdische Figuren dienen dagegen vielfach der Charakterisierung einer diversen Gesellschaft, die aus der Vergangenheit gelernt hat und in der jüdisches Leben wieder normal ist. Dabei fällt auf, dass jüdische Figuren in zwei primären Funktionen im deutschen Film und Fernsehen auftauchen: Einerseits als Spiegelfiguren, die die deutschen Verhältnisse beleuchten. So können sie in der Handlung Antisemitismus motivieren und dadurch die jeweiligen deutschen Verhältnisse charakterisieren – meistens wird Antisemitismus dabei als Haltung oder Weltanschauung 'der Anderen' gezeigt, aus einer sicheren Perspektive moralischer Überlegenheit. Das findet sich in unterschiedlichen Konstellationen im ost- wie westdeutschen Film und setzt sich auch in der Berliner Republik fort. Andererseits als folkloristische Figuren, die versuchen jüdisches Leben sichtbar zu machen und eine Begegnung zu ermöglichen.

Doch auch in den 1990er Jahren gibt es filmischen Widerspruch: Dani Levy steuert zu dem Episodenfilm NEUES DEUTSCHLAND (1993) den fragmentarischen Kurzfilm OHNE MICH hinzu, in dem er radikal subjektiv von Kontinuitäten rechter Gewalt und jüdischen Perspektiven darauf erzählt. In Liliane Targowniks Fernsehfilm ROSENZWEIGS FREIHEIT (1998) werden die Interner Link: Pogrome in Rostock-Lichtenhagen zum Ausgangspunkt genommen, um von der Kontinuität rechter Gewalt zu erzählen. Über motivische Wiederholungen im Film werden die rechten Pogrome der 1990er mit der Shoah und dem Anschlag auf das jüdische Altenheim in München 1970 verbunden. Beide Filme sind Einsprüche, die gegen eine Lesart der wiedervereinigten Deutschlands intervenieren, nach welcher die Pogrome der frühen 1990er Jahre wie aus dem Nichts gekommen seien – eine Deutung, die sich im Zusammenhang mit der rechtsextremen Mordserie des Interner Link: Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wiederholt und die Fatih Akin mit dem Titel seines Thrillers Externer Link: AUS DEM NICHTS (2017) aufgreift. Es sind aber auch bildhafte Interventionen gegen die verengte Darstellung jüdischer Figuren: Die Brüder Michael und Jakob in ROSENZWEIGS FREIHEIT sind sehr unterschiedlich und machen damit jüdische Diversität im Kleinen sichtbar. Der Film zeigt auch, dass die Recherchearbeit über die rechte Szene von Jakob als jüdischem Anwalt geleistet wird, der von seinen deutschen Kollegen als 'besessen' oder 'verbohrt' wahrgenommen wird, dessen Einschätzungen sich am Ende aber als zutreffend erweisen. Damit ähnelt die Hauptfigur des Jakob gerade nicht den hilflosen, passiven jüdischen Figuren, die häufig von deutschen Retter*innen flankiert werden – stattdessen ist er aktiv, politisch handelnd und mit einem scharfen Verständnis der politischen Lage ausgestattet.

Eine ähnliche Intervention stellt der 2020 erschienene und mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm MASEL TOV COCKTAIL dar: Explizit die problematischen Bildtraditionen benennend, die jüdische Figuren vor allem als Opfer der Shoah zeigen, verbindet er diese Reduktion mit den Zuschreibungen, die die jüdische Hauptfigur Dima (Alexander Wertmann) erfährt. Als selbstermächtigter 'aggressiver Jude' bricht er genau mit diesem Bild der jüdischen Opfer und macht stattdessen Wut als Gefühl im deutsch-jüdischen Miteinander stark. Dass sich sein Tritt im letzten Bild gegen die Kamera richtet, ist als aggressiver Akt gegen die (Film)Bilder zu verstehen, von denen sich die Filmfigur befreien muss.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe dazu: Michael Brenner: Ein neues deutsches Judentum? In: Ders. (Hrsg.): Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck 2012, S. 419–434, hier S. 421 ff.; Michal Y. Bodemann: In den Wogen der Erinnerung. Jüdische Existenz in Deutschland. München: dtv 2002, S. 172.

  2. Siehe dazu: Jens Eder: Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse. Marburg: Schuren 2008; Lea Wohl von Haselberg: Und nach dem Holocaust? Jüdische Figuren im (west-)deutschen Film und Fernsehen. Berlin: Neofelis 2016.

  3. Vgl. dazu Klaus Hodl: Der "virtuelle Jude" – ein essentialistisches Konzept? In: Ders. (Hrsg.): Der "virtuelle Jude". Konstruktionen des Jüdischen. Innsbruck: Studien-Verlag 2005, S. 53–70.

  4. Vgl. Johannes Praetorius-Rhein, Lea Wohl von Haselberg: Einblendungen. Eine deutsch-jüdische Filmgeschichte in fünf Teilen, in: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 14 (2020), 26, S.1–6, online unter Externer Link: http://www.medaon.de/pdf/medaon_26_praetorius-rhein_wohl_von_haselberg.pdf [30.03.2021].

  5. Vgl. dazu Schoss, Lisa: "Juden und 'Juden’ im Fernsehfilm der DDR." In: Jüdisches Museum München (Hrsg.): Das war spitze!" Jüdisches in der deutschen Fernsehunterhaltung. Ausstellungskatalog. Klartext Verlag Essen 2011, S. 114-125. Schieber, Elke: Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisueller Medien der SBZ und der DDR 1946 bis 1990. Eine Dokumentation. Berlin: Defa Stiftung 2016.

  6. Schoß, Lisa: "Zwischen Ideologie und Erleben. Der ostdeutsche Fernsehmehrteiler 'Die Bilder des Zeugen Schattmann' (1972)". In: Judith Keilbach/ Béla Rásky/ Jana Starek (Hrsg.): Genocide at Prime Time. The Holocaust on TV. Wien: new academic press 2019, S. 69- 94.

  7. Der Dokumentarfilm WIE DER HOLOCAUST INS FERNSEHEN KAM erinnert an Fruchtmanns Zeugen-Produktion, im Kontext der Ausstrahlung war ZEUGEN. AUSSAGEN ZUM MORD AN EINEM VOLK 30 Tage in der ARD Mediathek zugänglich. Externer Link: https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/geschichte-im-ersten/sendung/zeugen-wie-der-holocaust-ins-fernsehen-kam-100.html

  8. Ereignisse 04/1948 (archive.org) / Externer Link: http://www.cinegraph.eu/chronik/1951/content/debatte_harlan.htm.

  9. Rauch, Raphael: Visuelle Integration? Juden in westdeutschen Fernsehserien nach "Holocaust". Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2018.

  10. Vgl. Antonia Schmid: Ikonologie der 'Volksgemeinschaft'. 'Deutsche' und das 'Jüdische' im Film der Berliner Republik. Göttingen: Wallstein 2019.

  11. Schoß, Lisa / Wohl von Haselberg, Lea: Antisemitismus im deutschen Spielfilm nach 1945, in: Deutschunterricht 2 (2015), S. 81–85.

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ist Film- und Medienwissenschaftlerin an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und Mitherausgeberin der Zeitschrift "Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart". E-Mail Link: l.wohlvhaselberg@filmuniversitaet.de