Einleitende Überlegungen
Zwei Widersprüche kennzeichnen die filmischen Darstellungen des Jüdischen in Deutschland sowohl vor als auch nach 1989: Der erste Widerspruch liegt in der Diskrepanz zwischen der geringen Größe der jüdischen Minorität im Verhältnis zur großen symbolischen Bedeutung, die 'den Juden' als abstrakter Gruppe zukommt.
Gerade weil der medial vermittelten Begegnung mit jüdischen Spielfilmfiguren kaum außerfilmische Kontakte gegenüberstehen, die diese begleiten oder konterkarieren könnten, kommt den medialen Begegnungen mit jüdischen Spielfilmfiguren besondere Bedeutung zu: Weil sie eben keine Personen sind, ist ihre Jewishness eine Zuschreibung, eine Konstruktion, die in der Figurengestaltung selbst vollzogen wird. Dabei werden immer wieder die vorhandenen Vorstellungen dessen gespiegelt, was erstens als jüdisch angenommen und zweitens als bekanntes Bild von Jüdinnen und Juden vorausgesetzt wird. Jewishness muss in den Filmfiguren kodiert werden. Einige filmische oder televisuelle Darstellungen reflektieren diese Kodierungen und nehmen beispielsweise ironisch auf sie Bezug. Dadurch werden sie als mediale Konstruktionen sichtbar und verhandelbar gemacht. Hier liegt sicherlich ein widerständiges Potential von Filmen, Gegenbilder zu produzieren.
Blickt man auf jüdische Themen im deutschen Film und Fernsehen, so wird das Spannungsfeld von Innen und Außen schnell deutlich, das sich auch in der Unterscheidung von realer und symbolischer Existenz andeutet, darin aber nicht aufgeht. Es berührt auch die angenommene Unterscheidung von Selbst- und Fremdbildern. Im Gegensatz zu Romanen können Filme weitaus schlechter an eine*n Autor*in rückgebunden und in der Deutung des Films eine Autor*innen-Perspektive mit der filmischen Erzählung verknüpft werden. Filme sind kollektive Produkte, die unter der Mitarbeit vieler Filmschaffender entstehen, wobei diese nicht gleichberechtigt in den künstlerischen Prozess eingebunden sind, sondern in einem hierarchisch organisierten Produktionsprozess arbeiten. Deshalb führt die kategorische Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremddarstellungen, die an jüdische und nicht-jüdische Filmschaffende gebunden sein müsste, in ein schwieriges Terrain und erlaubt es nicht, auf dieser Basis zwischen vermeintlich authentischen und unauthentischen Darstellungen zu unterscheiden.
Doch festzuhalten ist, dass jüdische Filmschaffende sich in prominenten künstlerischen Positionen, wie der Regie, dem Drehbuch oder der Produktion, an Darstellungen jüdischer Erfahrung und Figuren im Film beteiligen. Das anzuerkennen, ohne Filmemacher*innen auf ihr Jüdischsein zu reduzieren, ist ein Balanceakt zwischen Einschreibung und Ausschreibung aus der Filmgeschichte.
Produktive Nachkriegszeit
Vielfach besteht der Eindruck, die Nachkriegszeit sei vor allem durch das Beschweigen der jüngsten Vergangenheit geprägt gewesen. Doch in den Jahren unmittelbar nach Ende des
Holocaustfilme
Jüdische Figuren bleiben lange vornehmlich an die
Ende der 1960er Jahre erscheint dann KADDISCH NACH EINEM LEBENDEN (1968) von Karl Fruchtmann, ein westdeutsches Fernsehspiel, das in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich ist: Aus der Perspektive eines Überlebenden wird von Peri erzählt, der nach dem früher mit ihm im KZ inhaftierten Bach sucht. Diese Suche erfolgt jedoch nicht im Spiegel der deutsch-nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft, stattdessen verortet Fruchtmann die Geschichte in Israel, wo er auch drehte. In diesen Filmen werden die Perspektiven von Überlebenden, der Blick auf ihre psychische Versehrtheit und das Fortwirken der Vergangenheit in der Gegenwart für ein deutsches Fernsehpublikum sichtbar.
Auch in Deutschland ist die Ausstrahlung der US-amerikanischen Miniserie
1981 wurde der zweiteilige Fernsehfilm ZEUGEN. AUSSAGEN ZUM MORD AN EINEM VOLK von Karl Fruchtmann im westdeutschen Fernsehen gezeigt: Ein Film, der fast ausschließlich aus Interviews mit Auschwitzüberlebenden basiert und mithilfe einer strengen, konzeptuellen Montage einen Chor ihrer Erfahrungen entstehen lässt. Wie der Blick in Fruchtmanns Nachlass zeigt, wurde der Film mit viel Zustimmung durch die Kritik und einen Teil des Fernsehpublikums aufgenommen, löste aber auch hasserfüllte, antisemitische Anrufe im Sender aus; fast reflexhaft wurden die gewohnten Rufe nach einem Schlussstrich laut. Obwohl der Zeugen-Film wahrgenommen und diskutiert wurde, gab es kaum Wiederholungen im Fernsehen und er bleibt bis heute weitestgehend vergessen.
Um das Bild einer voranschreitenden Erinnerungskultur auf dem Weg zu einer erfolgreichen 'Verarbeitung der Vergangenheit' zu irritieren, lohnt also eine Gegenkanonisierung: Zum Beispiel der ruhige Dokumentarfilm IM LAND MEINER ELTERN (1981, Regie: Jeanine Meerapfel), der aus Perspektive der im argentinischen Exil geborenen und aufgewachsenen Jeanine Meerapfel von jüdischem Leben im Berlin der frühen 1980er Jahre erzählt; oder MEIN LEBEN. TEIL 2 von Angelika Levi, der sich mit dem Archiv der eigenen Mutter befasst; Thomas Heises 218-minütiger Kinoessay
Kontroversen
Vor allem Holocaustfilme waren in Deutschland von (publizistischen) Kontroversen begleitet, in denen das Verhältnis zur NS-Vergangenheit ausgehandelt und bestritten wurde. Beispielhaft können hier die US-amerikanischen Produktionen HOLOCAUST. DIE GESCHICHTE DER FAMILIE WEISS und Externer Link: SCHINDLERS LISTE (1993, Regie: Stephen Spielberg) stehen, aber auch in jüngerer Vergangenheit der im Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlte Dreiteiler
Diese gesellschaftlichen Debatten verweisen immer auf spezifische historische Konstellationen. Vor allem in Verbindung mit Filmen, die keine oder erst verspätet eine kontroverse Rezeption erfahren haben, ergibt sich ein aufschlussreiches Bild: Beispielsweise entspann sich um Rainer Werner Fassbinders bereits 1975 verfasstes Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod eine der wahrscheinlich wichtigsten Auseinandersetzungen um das deutsch-jüdische Miteinander in der BRD, die 1985 in der Bühnenbesetzung und verhinderten Premiere in Frankfurt als Akt jüdischer Ermächtigung gipfelte. Dagegen wurde und wird Fassbinders Film IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN (1979) eher mit einer Verarbeitung des Suizids seines Freundes und Schauspielers Armin Meier in Verbindung gebracht – und nicht mit der Ähnlichkeit der jüdischen Figur des 'reichen Jude' aus Der Müll, die Stadt und der Tod und der Filmfigur Anton Saitz aus IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN.
Häufig sind es aber vielmehr die kleinen Fiktionalisierungen, Verdichtungen und Verschiebungen, die filmische Darstellungen für antisemitische Lesarten anschlussfähig machen und mit dieser kodierten Form unterhalb des Radars von Filmkritik, Publikum, aber auch Institutionen wie der Filmbewertungsstelle laufen. Diese Anschlussfähigkeit an antisemitische Bilder, die aber eben keine antisemitische Propaganda ist, und erst in der Häufung spezifischer Motive wie das des jüdischen Wohlstands, auffällt, löst häufig keine Kontroversen aus.
Jüdischer Alltag & Normalität
Es gab und gibt immer wieder Versuche, jüdische Lebenswelten für ein deutsches Publikum vor allem im Fernsehen erfahrbar zu machen. In den 1980er Jahren erzählte die dreizehnteilige Fernsehserie LEVIN UND GUTMAN (1985) im Vorabendprogramm von den religiösen Levins und den säkularen Gutmans in Berlin.
Auf eine ganz andere Weise zeigte Dominik Grafs IM ANGESICHT DES VERBRECHENS (2018, 10 Episoden, 50 Minuten) Alltäglichkeit: In der Krimiserie ermittelt der russisch-jüdische Kommissar Marek Gorsky (Max Riemelt), dessen Jüdischkeit an keiner Stelle der zehnteiligen Serie besondere Bedeutung hat, von der aber dennoch nebenbei erzählt wird. Eine solche selbstverständliche Beiläufigkeit war zu diesem Zeitpunkt neu im deutschen Fernsehen, setzt sich aber beispielsweise im Berliner Tatort fort, der mit Nina Rubin (Meret Becker) seit 2015 eine jüdische Kommissarin hat. Ansonsten bleibt Normalität etwas, das viele deutsche Fernsehproduktionen herbeizuschreien versuchen. Ob in Nebensträngen der Fernsehserie BERLIN, BERLIN (2002-2005), in Liebeskomödien wie SO EIN SCHLAMASSEL (2009, Regie: Dirk Regel) oder MATZE, KEBAP UND SAUERKRAUT (2020, Regie: Christoph Schnee), oder in zahlreichen TV-Krimis: vielfach bleiben die jüdischen Figuren schablonenhaft und hölzern, sie dienen der didaktischen Vermittlung von Wissen über das Judentum, der Charakterisierung nichtjüdischer Figuren oder einer vermeintlich diversen Fernsehwelt oder müssen als Gesprächsanlass für eine Auseinandersetzung mit der Shoah herhalten. Hier ist Normalität kein erreichter Zustand, sondern ein begehrtes Ideal. Normalität, verstanden als Leichtigkeit, wird zum Sehnsuchtsort eines deutsch-jüdischen Miteinanders. Wie weit das postnationalsozialistische Deutschland tatsächlich davon entfernt ist, versuchen Filme wie EIN GANZ NORMALER FALL (2011, Regie: Thorsten C. Fischer) oder DAS UNWORT (2020, Regie: Leo Kashin) einzufangen, die den Antisemitismus der ‚bürgerlichen Mitte‘ mit seinen Zwischentönen, aber auch das Unbehagen und die Projektionen im Kontakt mit Jüdinnen und Juden zeigen. Dabei mögen sie mitunter über die Komplexität ihrer Themen stolpern, denen die spezifischen Konventionen ihrer Genres Grenzen setzen, doch es werden zumindest über die Vielzahl an Perspektiven eine Diversität und auch Widersprüchlichkeit gezeigt.
Ein neues Deutschland?
Es ist festzustellen, dass mit der Wiedervereinigung jüdische Figuren im deutschen Film und Fernsehen häufiger werden. Einerseits bringt das spätestens seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre boomende Geschichtskino eine Reihe von jüdischen (Neben)Figuren auf die Leinwand, andererseits werden auch in gegenwartsorientierten Erzählungen jüdische Figuren zunehmend sichtbar. Allerdings bringen Geschichtsfilme der 2000er Jahre eine Hinwendung zum 'Leiden der Deutschen' und damit einhergehend eine zunehmende Selbstviktimisierung mit.
Doch auch in den 1990er Jahren gibt es filmischen Widerspruch: Dani Levy steuert zu dem Episodenfilm NEUES DEUTSCHLAND (1993) den fragmentarischen Kurzfilm OHNE MICH hinzu, in dem er radikal subjektiv von Kontinuitäten rechter Gewalt und jüdischen Perspektiven darauf erzählt. In Liliane Targowniks Fernsehfilm ROSENZWEIGS FREIHEIT (1998) werden die
Eine ähnliche Intervention stellt der 2020 erschienene und mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm MASEL TOV COCKTAIL dar: Explizit die problematischen Bildtraditionen benennend, die jüdische Figuren vor allem als Opfer der Shoah zeigen, verbindet er diese Reduktion mit den Zuschreibungen, die die jüdische Hauptfigur Dima (Alexander Wertmann) erfährt. Als selbstermächtigter 'aggressiver Jude' bricht er genau mit diesem Bild der jüdischen Opfer und macht stattdessen Wut als Gefühl im deutsch-jüdischen Miteinander stark. Dass sich sein Tritt im letzten Bild gegen die Kamera richtet, ist als aggressiver Akt gegen die (Film)Bilder zu verstehen, von denen sich die Filmfigur befreien muss.