Worüber wollen wir hier reden? Über das Bild von Juden in den deutschen Medien? Oder über das Bild Israels in den Medien? Oder über das Bild von Israelis, die in Deutschland leben oder über Juden im Ausland und wie sie in deutschen Medien dargestellt werden, zum Beispiel Juden in den USA? Und wenn wir schon über die USA reden, reden wir dann über die sogenannte "jüdische Lobby“ oder über Amerikaner, die zufälligerweise Juden sind? Und wenn es um Deutschland geht, reden wir dann über das Bild von jüdischen Deutschen in den Medien oder das von deutschen Juden oder über das Bild von Juden in Deutschland? Worüber reden wir? Über welches Bild von welchen Juden in deutschen Medien?
Um mit Facebook zu sprechen, "it’s complicated“. Doch wenn wir uns überhaupt die Frage stellen möchten, welche Juden wie in deutschen Medien wahrgenommen werden, müssten wir doch eher die Frage stellen, wie es der jeweilige Journalist oder Autor, die jeweilige Journalistin oder Autorin mit "den Juden“ hält. Was sind Juden für sie, für ihn? In welchem Kontext nimmt er oder sie Juden wahr?
Was hat "jüdisch“ damit zu tun?
Fangen wir mit einer Banalität an. Ist für einen nichtjüdischen Journalisten ein Jude in Deutschland mit einem deutschen Pass ein "Deutscher“, ein "jüdischer Deutscher“ oder ein "deutscher Jude“, oder doch eher ein Fremder? Vielleicht sogar mit
Und so fragt sich auch so mancher Journalist nicht, warum er in einem Artikel über einen Schriftsteller – um nur ein Beispiel zu nennen – schreibt: der "jüdische Autor XY“. Ihm würde es nie einfallen, der "katholische“ oder der "evangelische“ Autor zu schreiben. Es sei denn, es hätte eine Bedeutung im Zusammenhang mit dem Werk. Dann würde das Sinn machen. Geradezu inakzeptabel wird es dann bei dem Zusatz "jüdisch“, also wenn das Jude-Sein absichtlich betont werden soll, obwohl es absolut keine Rolle spielt. Ein berühmtes Beispiel: der Frankfurter Immobilienmakler Ignatz Bubis und die Grundstücksspekulationen im Frankfurter Westend in den 1970er Jahren. Natürlich fokussierten sich die deutschen Medien damals auf die "jüdischen Spekulanten“. Es gab natürlich auch nichtjüdische Spekulanten, die beteiligt waren an den Entmietungen und Neubauten in dem Stadtviertel. Doch die Medien ereiferten sich damals fast nur über die Juden, als es um die dubiosen Praktiken im Frankfurter Westend ging. In einem berühmt gewordenen SPIEGEL-Interview sagte Ignatz Bubis damals, man könne ihn gern einen Spekulanten nennen, aber wenn man ihn einen "jüdischen Spekulanten“ nenne, dann sei das antisemitisch. Regisseur Rainer Werner Fassbinder war in seinem Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod“ (verfasst 1975) wesentlich "mutiger“ als die Medien. Er denunzierte seine Spekulanten-Figur gleich als "reichen Juden“. Punkt. Dass dann in den Feuilletons ein Streit darüber entstand, ob das nun antisemitisch sei oder nicht, war der blanke Hohn.
Zurück ins Hier und Jetzt, das so anders nicht ist. Zwar mag sich der Usus weitestgehend durchgesetzt haben, dass die Religionszugehörigkeit der Person, über die in den Medien geschrieben oder berichtet wird, keine Rolle spielen sollte. Aber dennoch wird der Zusatz "jüdisch“ auch heute gern gesetzt. Vielleicht unbewusst – weil man sich selbst nicht im Klaren darüber ist, dass man selbst ein Vorurteil hat. Oder ganz bewusst, um die Person, über die berichtet wird, in ein bestimmtes oder gar schiefes Licht zu setzen, weil man damit Vorurteile bei den Lesern, Zuhörern und Zuschauern aktivieren möchte.
Wie über jüdisches Leben berichtet wird
Wir sollten uns hier also mit Ressentiments, Vorurteilen, Klischees und auch der Befangenheit gegenüber Juden in den Redaktionsstuben befassen, denn genau darum geht es. So werden etwa Bildredaktionen besonders "einfallsreich“, wenn es um ein jüdisches Thema geht. Man nimmt dann aus dem Archiv gerne Fotos von ultraorthodoxen Juden, wie es sie kaum (noch) in Deutschland gibt. So etwa der SPIEGEL 2019 in einem Sonderheft zur Geschichte der Juden in Deutschland. Auf dem Cover zwei ärmliche Externer Link: Ultraorthodoxe. Das Bild stammt aus dem Scheunenviertel in Berlin zwischen den Weltkriegen. Der Titel des Heftes: "Jüdisches Leben in Deutschland“. Bis dahin also einfach nur: Klischee. Doch dann kommt der wirkliche Skandal, im Untertitel: "Die unbekannte Welt nebenan“. In diesem einen Cover ist eine wesentliche Problematik deutscher Berichterstattung und des deutschen Blicks gegenüber Juden in Deutschland erfasst. Ein Klischee und die Aussage, Juden gehören nicht dazu. Sie sind eine Welt "nebenan“. Nicht: mittendrin oder gar integraler Bestandteil der Gesellschaft. Nein. Ausgegrenzt. Früher tatsächlich zwangsweise, heute in den Köpfen so mancher Nichtjuden und damit natürlich auch Journalisten. 2021 wird in ganz Deutschland die Existenz jüdischen Lebens seit genau 1700 Jahren mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. Aber in den Köpfen vieler ist und bleibt es eine Welt, die nicht dazugehört.
Übrigens: ein Klischeefoto, das in der letzten Zeit von vielen Zeitungen und Fernsehsendern gerne verwendet wird, zeigt den Hinterkopf eines nicht ultraorthodoxen Juden mit einer blauen Kippa, auf der ein Davidstern zu sehen ist. Das Problem dabei ist, dass die meisten Juden in Deutschland sich überhaupt nicht von Nichtjuden unterscheiden. Sie tragen nämlich keine Kippa. Und die Wenigen, die es tun, tun dies kaum noch in der Öffentlichkeit, denn es ist zu gefährlich geworden. Aber wo die Redaktionen meinen, Juden "kenntlich“ machen zu müssen, wird das Klischee bedient und damit auch reproduziert - anstatt sich zu überlegen, wie sich Juden adäquater, heutiger Realität entsprechender darstellen ließen.
Wenn es um Israel geht, schaut es nicht viel anders aus. Bildredaktionen zeigen dann ebenfalls gerne orthodoxe Juden, Siedler mit Maschinenpistolen oder Soldaten. Keine Frage, dort, wo es inhaltlich Sinn macht, haben diese Bilder ihre Berechtigung. Aber ansonsten? Repräsentieren diese Gesellschaftssegmente ganz Israel? Dabei ist es interessant, wie sich in den meisten Medien in den letzten Jahren zwei "Labels“ für den jüdischen Staat herauskristallisiert haben: Da gibt es zum einen das negative Label "Israel“ mit all den bekannten Konnotationen, wie etwa "Apartheidstaat“, “Kolonialstaat“, "Besatzungsmacht“ und vieles mehr. Zum anderen gibt es das positive Label "Tel Aviv“: die Stadt am Mittelmeer ist hip, ein Hightech-Hub, hat großartige Restaurants mit Fusion Food, ein tolles Nachtleben, ist liberal. Da gibt es Strand, Sonne, schöne Frauen, coole Jungs, die Stadt ist Multikulti, lässig. Das wird dann auch gerne gezeigt. Nur wird dabei häufig der Eindruck erweckt, als ob Tel Aviv nicht zu Israel gehöre, als ob es kein Teil dieses Staates sei, den man ansonsten als das "Böse“ darstellt. Was aber bei Tel Aviv zum Problem wird. Denn Tel Aviv ist ja "gut“. Also muss man es abtrennen vom Rest des Landes. Das mag oft ganz absichtslos geschehen - oder auch nicht -, die Rote Linie zwischen absichtlichem Vorurteil und unbewusstem Klischee ist mitunter sehr fein. Das konnte man bei dem Artikel gegen den Pianisten Igor Levit in einer linksliberalen Tageszeitung im Herbst 2020 sehen. Dass Levit Jude ist, wurde nicht erwähnt. Doch in dem Artikel sind offensichtliche antisemitische Klischees und Vorwürfe vorhanden. Der Artikel wirft Levit zwei Dinge vor: dass er ein schlechter Pianist sei (wobei das kaum erklärt und ausgeführt ist) und dass er sich mit seinen politischen Tweets einer "Opferanspruchsideologie“ bediene – einer häufigen antisemitischen Denkfigur, wonach Juden einen Opferstatus etablieren und zu dubiosen Zwecken ("Einfluss", "Macht", "Geld") missbrauchen würden. Allein mit diesem Begriff hat der Artikel mit Sicherheit den Raum für derartige Assoziationen geöffnet. Dazu kommt Kritik, dass Levit nach dem erneuten Angriff auf einen Juden vor der Synagoge in Hamburg getweetet hatte, dass er "müde“ sei. Müde vom ewigen Antisemitismus in Deutschland. Und dann sind in dem Artikel auch noch Formulierungen über Levits Kontakte und sein Netzwerk. Damit wurden auch hier Formulierungen gewählt, die Assoziationen für
Um es hier nochmal klar zu stellen – und allein die Tatsache, dass man es klarstellen muss, zeigt, wie verkrampft und verquer die Diskussion zum Thema Juden in Deutschland ist: Natürlich darf der Kritiker Levit als Künstler schlecht finden. Und er kann natürlich auch das Getweete Levits kritisieren. Aber ohne antijüdisches Geraune. So einfach wäre das.
Bereits in der Vergangenheit ist diese große deutsche Tageszeitung immer mal wieder mit antisemitischen Karikaturen aufgefallen. Und jedes Mal kam eine Entschuldigung, man habe das so nicht beabsichtigt, es sei ein Missverständnis gewesen. Bei der letzten antisemitischen Karikatur (der israelische Premier Netanyahu wurde da grobschlächtig nach bester Stürmer-Manier mit allen "typisch jüdischen“ Merkmalen dargestellt) zog die Redaktion – wiederum nach einer öffentlichen Entschuldigung – die Konsequenz. Die Zusammenarbeit mit dem Karikaturisten wurde beendet. Das mögen viele als richtigen Schritt gesehen haben. Doch die Frage, wieso zum wiederholten Male eine antisemitische Karikatur überhaupt ins Blatt gehievt wurde, wurde öffentlich nicht weiter diskutiert.
Wie über Israel berichtet wird
Man möge sich nicht täuschen: antijüdische Muster und Patterns sind überall in den Medien zu finden sind, nicht nur links von der Mitte. Das ist nicht anders als in der gesamten deutschen Gesellschaft. Und ebenso wie sich der
So hat der berühmte amerikanische Journalist Thomas Friedman von der New York Times die Israel-Boykott Bewegung
Während die israelische Besatzung im Westjordanland seit Jahrzehnten ein Dauerthema in deutschen Medien ist, während die bloße Ankündigung einer Externer Link: Annexion von Gebieten im besetzten Westjordanland durch Premier Netanyahu im Sommer 2020 zum medialen Großereignis wurde - einer Annexion, die dann gar nicht stattfand - wird heute über die völkerrechtlich illegale
Wie könnte man über "andere“ Kulturen, Religionen und Denkweisen berichten?
Doch zurück zur deutschen Binnensituation. Allein die Formulierung des "jüdischen Mitbürgers“ wie sie Politiker und Journalisten gerne verwenden, ist eine indirekte Ausgrenzung. Wenn ein jüdischer Deutscher plötzlich von seinen "christlichen Mitbürgern“ sprechen würde, wären wohl alle ob dieses Sprachgebrauchs verständlicherweise irritiert. Denn was bitte ist ein Mit-Bürger? Entweder sind alle Bürger oder alle Mit-Bürger. Angesichts solch fundamentaldemokratischer Fragen wäre es umso wichtiger, dass Journalistinnen und Journalisten ihren eigenen Sprachgebrauch sehr genau überprüfen. Dass dies auch mit dem deutschen Bildungs- und Erziehungssystem zu tun hat, ist offensichtlich. Die Problematik, wie und was da über Juden gesagt und beigebracht wird, beeinflusst die gesamte deutsche Gesellschaft. Dass die Berichterstattung über Juden oftmals so problematisch ist, mag natürlich auch daran liegen, dass es Hemmungen und Unsicherheiten von nichtjüdischen Deutschen angesichts der Last der Shoah gibt; oft ist es wahrscheinlich einfach pure Unkenntnis; bei manchen dürften auch das Vorurteil und der Dünkel sich überlegen Fühlender zum Vorschein kommen – und immer wieder offenbart sich auch einfach nur ein grundlegender Mangel an Empathie. Das Problem reicht aber weiter als antisemitische Tropen in vielen Berichten und Reportagen, oder den zunehmenden
Wenn ein Journalist einen kritischen Bericht über die
Ähnliches findet sich bei der Kritik an Israels militärischem Vorgehen beispielsweise in Syrien. Sind sogenannte "preemptive“ Strikes, also sogenannte vorbeugende Luftschläge angemessen oder nicht? Dies ist kein rein israelisches Problem, ebenso wenig die Frage, inwieweit heute noch das internationale Recht zum Thema
Und wenn dann in puncto Judentum auch noch pure Unkenntnis dazu kommt, wird es fatal. Beispielsweise, wenn bei einem israelischen Militärschlag der Bibelsatz "Auge um Auge, Zahn um Zahn“ im Text auftaucht, quasi als Beleg für die Grausamkeit des Judentums seit der Antike. Doch dieser biblische Satz war eine unglaubliche Errungenschaft. Denn dieser Satz aus der Thora, den die Christen ‚Altes Testament‘ nennen, besagt, dass man kein Recht habe mehr Gewalt zu verüben als man selbst erdulden musste. Doch in einer wie oben beschriebenen Berichterstattung wird aus jüdischem Humanismus ein antijüdisches Ressentiment.
Mit Blick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt kommt noch ein weiteres Problem dazu. Insbesondere in Deutschland werden Juden häufig als Opfer gesehen. Während Bilder des kleinen, die Hände erhobenen Jungen aus dem