Neuanfang inmitten von Trümmern
Als das nationalsozialistische Deutschland am
Sehr bald wirkten sich die ideologischen Gegensätze zwischen den Besatzungsmächten und der beginnende Kalte Krieg auch auf die Situation der jüdischen Bevölkerung aus. Dies betraf vor allem antijüdische Kampagnen, die in der
Entschädigung für Nazi-Unrecht?
In der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der späteren DDR wurde eine politische Hierarchisierung der Verfolgtenschicksale eingeführt, die nach "Kämpfern gegen den Faschismus" (in der Regel kommunistische Widerstandskämpfer) und "Opfern des Faschismus" (OdF, zumeist rassisch Verfolgte) unterschied. Dementsprechend wurden verschiedene Zuwendungen gewährt, wobei die Anerkennung als OdF bei politischer Missliebigkeit auch wieder entzogen werden konnte. Seit 1949 regelte eine "VdN-Anordnung" für anerkannte Verfolgte des Naziregimes die Gewährung von Renten, Gesundheitsleistungen, Wohnraum und Studienhilfe für Kinder. Im Vergleich mit dem allgemeinen Rentenniveau in der DDR waren diese "Ehrenpensionen" relativ hoch, allerdings wurde dadurch der Anspruch auf Restitution und Entschädigung durch Fürsorgeleistungen für einen begrenzten Personenkreis ersetzt.
Fragen der Wiedergutmachung und Entschädigung wurden schon in den ersten Nachkriegsjahren verhandelt. Bereits im September 1945 erließ das Land Thüringen ein Wiedergutmachungsgesetz, das die aus politischen, religiösen und rassischen Gründen enteigneten Vermögenswerte restituierte. Das betraf privates Eigentum ebenso wie das von jüdischen Gemeinden und Organisationen. Für die übrigen Länder der Sowjetischen Besatzungszone bestimmten die sogenannten Befehle Nr. 64 und Nr. 82 vom April 1948, dass emigrierte Personen nicht rückerstattungsberechtigt seien, das von den Nazis beschlagnahmte und bisher treuhänderisch verwaltete Eigentum in "Volkseigentum" umgewandelt werden würde und lediglich das von zugelassenen religiösen oder karitativen Organisationen genutzte Eigentum zurückzugeben sei. Damit wurde ein Besitzanspruch von jüdischen Gemeinden auf die in Gebrauch befindlichen Synagogen, Gemeindehäuser, Friedhöfe und wenigen sozialen Einrichtungen anerkannt, darüber hinaus gehende individuelle oder kollektive Wiedergutmachungsansprüche aber nicht.
Obwohl sich die SED anfangs für eine Wiedergutmachungsgesetzgebung für ganz Deutschland eingesetzt hatte, gewannen bald die Kräfte Oberhand, die Restitution und Entschädigung für erlittene Schäden an Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum ablehnten. Die staatliche Haftung für das nationalsozialistische Unrecht wurde unter Verweis auf die sozialistische Gesellschaftsordnung und mit antisemitischen Argumenten verweigert: Die Rückerstattung würde allein "jüdischen Kapitalisten" zugutekommen, die Kosten habe die deutsche Arbeiterklasse zu tragen, und sie ziele darauf, kapitalistische Eigentumsverhältnisse zu restaurieren.
Instrumentalisierung und Auflösung der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes"
Der Antifaschismus war von Beginn an eine zentrale moralische Legitimationsfigur für die Etablierung des politischen Führungsanspruchs der SED beim Aufbau eines ostdeutschen Staatswesens. In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es einen engen Schulterschluss zwischen der Partei und Organisationen wie der 1947 gegründeten "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN), die auch in Personalunion und in gemeinsamen politischen Zielen begründet war. Ab 1948 aber setzte die SED neue Schwerpunkte: Um ihre Massenbasis zu vergrößern, strebte sie nach der Einbeziehung der ca. 500.000 früheren
Der Sog antijüdischer Maßnahmen intensivierte sich durch die stalinistische Politik, die seit 1948 Verfolgungen von politischen Abweichlern im Ostblock verstärkte und zunehmend Juden und Jüdinnen ins Visier nahm. Nach Schauprozessen mit zunehmend antisemitischer Stoßrichtung in Osteuropa diente der Slánsky-Prozess in Prag 1951/52 als Auftakt zu Judenverfolgungen in der DDR.
Gemeindeleben in der DDR
Die ersten Gottesdienste hatten nach der Befreiung in noch halbwegs erhaltenen Synagogen und Gemeindehäusern, in Trauerhallen auf Friedhöfen und in Privatwohnungen stattgefunden. Der erste Synagogenneubau wurde 1952 in Erfurt eröffnet, ein weiterer folgte 1961 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Doch die Mitgliederzahlen, die durch Überalterung und Auswanderung ständig sanken, begrenzten die Möglichkeiten, ein reges religiöses, soziales und kulturelles Gemeindeleben zu führen. Wöchentliche Schabbatgottesdienste wurden in der Berliner Synagoge Rykestraße abgehalten, in den übrigen Orten in größeren Abständen oder nur zu jüdischen Feiertagen. Rabbiner Martin Riesenburger betreute bis zu seinem Tod 1965 die Gemeinden, danach amtierten Rabbiner und Kantoren aus Ungarn und Westberlin gastweise zu Feiertagen, Beerdigungen und anderen Anlässen. In Erfurt, Leipzig und Magdeburg nahmen die Gemeindevorsitzenden Vorbeterfunktionen wahr, in Berlin war zudem ein Kantor angestellt. Eine koschere Fleischerei in Berlin versorgte die Gemeinden mit einem Grundangebot koscherer Lebensmittel. Matzot
Mitgliederentwicklung in den jüdischen Gemeinden der SBZ/DDR
Jahr | 1946 | 1956 | 1969 | 1982 | 1989 |
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Mitgliederzahl | 4.047 | 1.888 | 1.070 | 470 | 385 |
Erst ab Mitte der achtziger Jahre gab es einen ganz leichten Anstieg der Zahlen in Berlin und Dresden, weil es dort in der Zweiten Generation jüdischer, kommunistischer Familien ein neues Interesse an der Gemeindezugehörigkeit gab. In Berlin gründete sich die Gruppe "Wir für uns", in der sich jüngere Leute in der Suche nach einer jüdischen Identität trafen.
Antisemitismus in der DDR
Judenfeindliche und nazistische Äußerungen wurden politisch und strafrechtlich verfolgt, gleichwohl lebten antisemitische Ressentiments in der Bevölkerung und auch in der SED-Politik fort. Die Verfolgungen nach dem Slánsky-Prozess und die feindselige Haltung gegenüber dem Staat Israel wurden offiziell als "antizionistisch" ausgegeben, wobei in ideologischen Konstruktionen, in Sprachbildern und Karikaturen klassische antisemitische Feindbilder fortlebten. Die einseitige Berichterstattung über den Nahostkonflikt verbreitete antisemitische Denkfiguren, wobei man sich dabei häufig jüdischer Journalisten, z.B. Gerhard Eisler (Vorsitzender des Rundfunkkomitees der DDR), bediente, um den Vorwurf des Antisemitismus zurückweisen zu können. Die Nahostpolitik der DDR war einseitig auf die Zusammenarbeit mit palästinensischen Terroristen und auf praktische Militärhilfe an die mit dem Staat Israel Krieg führenden Parteien ausgerichtet.
Für die Gemeinden war Antisemitismus vor allem in Gestalt von Friedhofsschändungen präsent, über die dann nicht berichtet werden durfte. Als der Thüringer Gemeindevertreter der in Erfurt ansässigen Jüdischen Landesgemeinde Raphael Scharf-Katz diese im Juli 1983 fotografierte, nahm ihm die Polizei die Filme ab. Letztlich entsprach die staatsoffizielle Behauptung, dass es Antisemitismus und Neonazismus allein in Westdeutschland gäbe, nicht der Erfahrung von Jüdinnen und Juden in der DDR. Auch in der SED-Politik, als jüdisches Selbstverständnis allein die "Glaubensjuden" anzuerkennen – d.h. allein eine Definition von Judentum als Religionsgemeinschaft zuzulassen, die sich ausschließlich kultischen Zwecken zu widmen habe – zeigte sich die Unfähigkeit zu einer unvoreingenommenen Akzeptanz jüdischer Identität. Als Ausdruck der Zugehörigkeit zum Judentum galt allein die Gemeindemitgliedschaft; Beschreibungen einer säkularen, kulturellen, ethnischen oder nationalen jüdischen Identität galten als suspekt und wurden jüdischen Parteimitgliedern unter dem Verdacht der Illoyalität vorgehalten. In Folge dieser Politik überstieg die Zahl der Juden und Jüdinnen außerhalb der Gemeinden wesentlich die der Gemeindemitglieder, wobei erstere statistisch nicht erfasst wurden und man insofern nur von Schätzungen sprechen kann.
Eine Wende in der SED-Politik gegenüber Juden und Judentum?
Seit Mitte der achtziger Jahre war ein neuer Ton in der DDR-Propaganda zu vernehmen. Unter dem Stichwort der "Erberezeption" schenkte die SED einer differenzierteren Betrachtung jüdischen Verfolgungsschicksals in der Nazizeit, der Geschichte des Judentums überhaupt und der Bewahrung von Zeugnissen jüdischen Lebens mehr Aufmerksamkeit. Dies war Teil eines außenpolitischen Kalküls, nämlich der Hoffnung auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen mit den USA, um der chronischen Devisenknappheit und dem drohenden Bankrott der DDR entgegenzuwirken. Ein Hindernis für Handelsbegünstigungen hatte stets in der Ablehnung von Wiedergutmachungsleistungen bestanden. Zwar war die DDR weiterhin dazu weder willens noch in der Lage, aber zumindest sollte ein glänzendes jüdisches Leben als Aushängeschild dienen. Losgelöst von diesen politischen Berechnungen ergriffen Gesellschaft und Gemeinden in der DDR die Chance dieser Öffnung, um Aspekte jüdischer Geschichte, Religion und Kultur stärker im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Es kam zur Wiederherstellung jüdischer Friedhöfe unter Einbeziehung von Freiwilligen und von "gesellschaftlichen Kräften", wie der Freien Deutschen Jugend (FDJ), des Kulturbunds, kommunaler Akteure und sogar der Nationalen Volksarmee (NVA). Eine Vielzahl von Sachbüchern und belletristischer Literatur, Fachkonferenzen, Vorträgen, Konzerten, Theateraufführungen, Forschungen zur Lokalgeschichte sowie Denkmalenthüllungen widmeten sich der Entdeckung der jüdischen Kultur.
Auch die jüdischen Gemeinden wurden durch dieses neue Interesse am Judentum belebt. Synagogen wurden renoviert, allen voran die große Berliner Synagoge in der Rykestraße, und für die zerstörte Berliner Synagoge in der Oranienburger Straße wurden Wiederaufbaupläne geschmiedet. Zudem gelang es 1987, mit Rabbiner Isaac Newman wieder einen Rabbiner für die geistliche Betreuung der DDR-Gemeinden zu gewinnen; dass er aus den USA kam, schien ein neuer Ausweis der Öffnung der SED zu sein, allerdings verließ er die DDR nach acht Monaten wieder unter Verweis auf den staatsoffiziellen Antisemitismus und zu starken Vorgaben hinsichtlich seiner Amtsführung. Die Hinwendung zu jüdischen Themen kulminierte im Herbst 1988, als des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 gedacht wurde. Aus diesem Anlass entfaltete sich ein inoffizieller Wettstreit zwischen der DDR und der Bundesrepublik darüber, welcher deutscher Staat denn verantwortlicher mit der Nazivergangenheit und der Bewahrung des jüdischen Erbes umgehe. Bundestag und Volkskammer hielten jeweils Sondersitzungen mit jüdischen Ehrengästen aus aller Welt ab, Gedenkstätten wurden eingeweiht und der Wiederaufbau der Neuen Synagoge in Berlin als "Centrum Judaicum" beschlossen.
Die Gemeinden in der DDR profitierten von dieser Öffnung – zum einen, weil nun auch mehr staatliche Gelder zur Erhaltung von Synagogen, Friedhöfen und anderen Gemeindebauten zur Verfügung gestellt wurden, zum anderen, weil jüdisches Leben nun eine breite Wertschätzung erfuhr. Die Mitgliederzahlen großer Gemeinden wie Berlin und Dresden stiegen leicht an durch den Neueintritt von Kindern der jüdischen Parteimitglieder, die sich noch in den fünfziger Jahren genötigt gesehen hatten, aus den Gemeinden auszutreten oder sich von ihnen fernzuhalten, um nicht Denunziationen, Entlassungen oder Parteiausschluss auf sich zu ziehen.
Die Wende von 1989/90
Die demokratische Revolution des Herbstes 1989 und der Prozess der deutschen Vereinigung 1990 wurde von Juden und Jüdinnen in der DDR zurückhaltend beobachtet. Das Gefühl der Unsicherheit und Befürchtungen, es könne zu einem erneuten deutschen Nationalismus kommen, waren sehr verbreitet. Öffentliche Manifestationen von Rechtsradikalen und Neonazis, teilweise befördert von der untergehenden Staatssicherheit, verstärkten diese Ängste. Der Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR verhielt sich sehr abwartend, eher staatstreu, aber zugleich wurden auch in den neuentstehenden Gruppierungen der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler sowie am Zentralen Runden Tisch Bekenntnisse zur historischen Verantwortung gegenüber der Nazivergangenheit hörbar. Von dort kam auch die Aufforderung an die Modrow-Regierung
Auf die Probe gestellt wurde diese politische Willensbekundung schon kurz darauf, als im April 1990 die ersten jüdischen Familien aus der Sowjetunion mit Touristenvisa eingereist waren und aus Furcht vor antisemitischen Nachstellungen sich weigerten, dorthin zurückzukehren. Zu dieser Zeit gab es weder rechtliche Regelungen über den Aufenthaltsstatus noch eine Infrastruktur zur Integration von Flüchtlingen, aber mit viel Engagement schufen die Ausländerbeauftragte der DDR-Regierung, Almuth Berger, und ihr Stab gemeinsam mit kommunalen Stellen, den jüdischen Gemeinden und vielen Ehrenamtlichen die Bedingungen für die Aufnahme der jüdischen Zuwandererinnen und Zuwanderer. Ehemalige Kasernen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) dienten als Unterkünfte, Deutschkurse und Sozialhilfe wurden angeboten. Allein bis Juli 1990 fanden 650 Personen Aufnahme, bis Oktober desselben Jahres waren es schon 2.000. Wird diese Zahl den ca. 385 alteingesessenen Mitgliedern der jüdischen Gemeinden im Jahre 1989 gegenübergestellt, wird deutlich, welche Chancen, aber auch welche Herausforderungen sich nun für die Zukunft jüdischen Lebens im Osten Deutschlands ergaben. Nach der deutschen Vereinigung wurde die bisherige Aufnahmepraxis zunächst fortgeführt, bis sie 1991 in die Regelung der sogenannten Kontingentsflüchtlinge mündete. Die Aufnahme von Juden und Jüdinnen aus der Sowjetunion, die dadurch für die folgenden Jahre bewirkte Verdreifachung der Gemeindemitgliederzahlen im vereinten Deutschland und der Aufschwung des jüdischen Lebens in der ehemaligen DDR verdanken sich dem couragierten Handeln von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern sowie den Beschlüssen der einzig demokratisch konstituierten Volkskammer und Regierung der DDR.