Das Objekt
Stolpersteine für die Familie Frank in Aachen
Die
Historischer Kontext
Jeder Stolperstein, den wir sehen, erinnert uns, wie wichtig Toleranz ist, wie zerbrechlich die Demokratie ist und wie Geschichte und Gedenken uns lehren, Fragen über unsere heutige Welt zu stellen.
Dr. Eric Kandel, ein in Österreich geborener Jude, der für seine Forschung über die physiologische Grundlage des Gedächtnisses und das
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Es ist schwer, die vielfältigen Interessen des Erwachsenen und seine Entscheidungen auf konkrete Erfahrungen in der eigenen Kindheit und Jugend zurückzuführen. Trotzdem kann ich nicht anders als mein Interesse am menschlichen Verstand – dem Verhalten von Menschen, der Unvorhersehbarkeit ihrer Beweggründe und der Beständigkeit des Gedächtnisses – mit meinem letzten Jahr in Wien zu verbinden. Ein Leitsatz des Judentums nach dem Holocaust ist "Niemals vergessen," eine Mahnung an zukünftige Generationen, wachsam gegenüber Antisemitismus, Rassismus und Hass zu sein, dem Gedankengut, durch das die Grausamkeiten der Nationalsozialisten erst möglich wurden. Meine Arbeit als Wissenschaftler befasst sich mit der biologischen Grundlage dieses Mottos: mit den Prozessen im Gehirn, die es uns ermöglichen, uns zu erinnern.
Welche Rolle spielt das Gedächtnis bei der
Die Stolpersteine als Artefakte zu bezeichnen, führt zu interessanten Weiterungen – die im Bürgersteig vor den Häusern von Opfern der Verfolgung durch die Nationalsozialisten eingelassenen Messingplatten stammen schließlich nicht aus der Zeit, an die sie erinnern. Seit fast 30 Jahren verlegt Gunter Demnig Stolpersteine in Deutschland und Europa. Sie tragen in der Regel den Namen, Geburtstag, sowie den Ort und das Datum des Todes der Person, an die sie erinnern. Als ein eindringliches Beispiel für die "Schöpfung" von Artefakten wird sein Werk auch in Zukunft die Erinnerung an Zehntausende Menschen am Leben halten, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Auch wenn das Projekt seine Kritiker hat, die sich daran stören, dass man das Andenken mit Füßen treten könnte, gehen jeden Tag Hunderttausende an den Steinen vorüber und sehen kleine Erinnerungen an Menschen, die zur Ausreise gezwungen wurden oder nach ihrer Deportation dem fast sicheren Tod ins Auge sahen.
Das ungeheure Ausmaß des Holocausts lenkt oft von den individuellen Tragödien ab. Im Gegensatz dazu wirft jeder Stolperstein ein Schlaglicht auf die Geschichte eines einzelnen Menschen. Am Pastorplatz 1 in Aachen liegen Stolpersteine für Edith Frank und ihre zwei Töchter Margot und Anne. Die drei Frauen hielten sich eine Zeit lang in Aachen auf, nachdem sie Frankfurt verlassen hatten und bevor sie in Amsterdam Schutz suchten. Sie sind vor allem durch Annes Tagebuch bekannt, das im Versteck in Amsterdam entstand. Edith und Margot stießen im Dezember 1933 in den Niederlanden zu Otto Frank, dem Vater der Familie. Anne blieb vorläufig bei ihrer Großmutter in Aachen, bis sie im Februar 1934 ihrer Familie folgte. Die weitere Geschichte ist auf der ganzen Welt bekannt.
Archive und Museen sind in der Regel die zentralen Anlaufstellen für die Bewahrung von Artefakten und für deren Besichtigung. Die Stolpersteine hingegen stellen eine umfangreiche dezentrale Artefaktsammlung dar. Man findet sie über ganz Europa verteilt, sei es auf dem Weg zu Schule oder zur Arbeit oder beim Einkaufen. Die Gegenwärtigkeit der Steine fördert die Erkenntnis, dass diese historischen Ereignisse ganz in der Nähe stattfanden, dort, wo heute Menschen leben und arbeiten.
Sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit vermitteln die Stolpersteine die wesentlichen Angaben zum Leben einzelner Jüdinnen und Juden (ausführlichere Informationen kann man auf der Webseite des Stolpersteine-Projektes finden), bevor ihre Gemeinden vom Holocaust vernichtet wurden. Als tragisches Mahnmal der gemeinsamen Geschichte hat Gunter Demnig auch Steine zum Gedenken an andere Opfer der Nationalsozialisten verlegt, darunter Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen und Mitglieder des Widerstands. Die Stolpersteine erinnern daran, dass sich hinter jedem Namen ein Holocaust-Opfer mit eigener Geschichte verbirgt. Menschen und Familien, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte ihrem Land verbunden waren, wurden aus ihren Häusern und Wohnungen geholt. Sie mussten fliehen oder in den Ghettos, den Todes- und Arbeitslagern oder den Schlachtfeldern der Ostfront ums Leben kommen. Die Steine halten die Erinnerung an die Menschen und ihre Geschichte wach und tragen zu einem Verständnis bei, was im Holocaust vernichtet wurde.
Die Fülle an Geschichte, die die Stolpersteine widerspiegeln, macht auf aktuelle Problemstellungen wie
Persönliche Geschichte
Während Annes berühmtes Tagebuch im Versteck in Amsterdam geschrieben wurde, hielt sie sich gemeinsam mit Mutter und Schwester nach dem Verlassen Frankfurts und bevor sie in den Niederlanden Zuflucht suchte eine Zeit lang in Aachen auf.
Anne Frank kam im Februar 1934 nach Amsterdam. Wie viele andere jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich versuchte die Familie Frank vergeblich, Visa für die Vereinigten Staaten zu erhalten. Amsterdam bot nur vorübergehend Schutz, da die Nationalsozialisten im Mai 1940 die Niederlande besetzten. 1941 wurde der Familie die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Sie wurden zu Staatenlosen. Im Juni 1942 bekam Anne zu ihrem 13. Geburtstag ein Poesiealbum geschenkt, das sie bald als ihr persönliches Tagebuch benutzte. Knapp einen Monat später tauchte die Familie unter, um der Verschleppung in ein Arbeitslager zu entgehen. Sie zogen ins Achterhuis – ein geheimes Hinterhaus in der Prinsengracht 263. Später kamen andere Juden hinzu. Anne begann bald über ihren Alltag und ihre Beziehungen zu den anderen Bewohnern des Verstecks und ihren Helfern, aber auch über ihre Hoffnungen und Ängste Tagebuch zu führen.
Annes Vater Otto war in Verhältnissen aufgewachsen, die typisch für Angehörige des deutschen Judentums aus Interner Link: bürgerlichen Familien zu Zeiten der Jahrhundertwende waren. Nach dem Besuch des traditionsreichen humanistischen Lessing-Gymnasiums zu Frankfurt studierte er an der Universität Heidelberg. Er liebte die Oper und zitierte oft aus den Werken von Goethe und Schiller. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs brach er eine Lehre in den Vereinigten Staaten ab und
Anfang August 1944 wurde die Familie Frank mit den anderen Bewohnern des Hinterhauses verraten. Zuerst kamen sie in das Durchgangslager
Aufgrund von Annes lebendigem Schreibstil und ihrer deutschen Bildung wurde ihr Tagebuch mehr als andere Zeugenberichte gelesen. Es gab viele andere junge Mädchen, die wegen des Holocausts untertauchen mussten und darüber Tagebuch führten, so wie Janina Hescheles aus Lemberg und Renia Knoll aus Krakau. Aber durch ihre geografische Entfernung von Westeuropa und die innere Distanz zu dessen Kultur waren ihre Geschichten für Leser in Deutschland und den Vereinigten Staaten weniger zugänglich. Einfacher war die Identifikation mit Anne Frank, eine "normale Jugendliche", die sich als Jüdin dennoch auf engstem Raum verstecken musste und vom Tod bedroht war. Die Ausgabe des Verlags Lambert Schneider von 1950 konfrontierte die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft mit der Tatsache, dass sie vom Holocaust wussten, davor aber die Augen verschlossen, als die Denunziationen, Deportationen und die tragische Odyssee durch die Lager begannen. Das Marketing machte die Geschichte leichter zu verkraften. Ein Zitat von Anne wurde als Motto im Buch besonders hervorgehoben und scheint Hoffnung auf Versöhnung zu machen: "[...] trotz allem glaube ich noch immer an das Gute im Menschen".
Anne hatte Deutschland als Kind verlassen. Während ihr Vater voller Nostalgie seine Bewunderung für die deutsche Kultur vor dem Krieg zum Ausdruck brachte, beschrieb Anne in ihrem Tagebuch ihre Ablehnung gegenüber den Deutschen. Selbst nach dem Krieg, gebrochen von dem Verlust seiner Familie, sagte sich Otto nicht von seinem vor dem Holocaust geformten Bild Deutschlands als Nation der Kultur und Bildung mit allen diesbezüglichen Hoffnungen nicht los. Als die erste deutsche Übersetzung des Tagebuchs erscheinen sollte, veränderte er einige Formulierungen. So wurde das Wort "Deutsche" oft durch "diese Deutsche" ersetzt, um zwischen den guten und den schlechten Mitgliedern der Gesellschaft zu unterscheiden. Trotz der Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes, der aktiven Beteiligung vieler und der Gleichgültigkeit von großen Teilen der deutschen Gesellschaft wollte Otto Frank weder Deutschland noch die deutsche Kultur verurteilen.
Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.