Der Golem von Hugo Steiner-Prag, Externer Link: Shared History Projekt. (Leo Baeck Institute – New York | Berlin) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de
Der Golem von Hugo Steiner-Prag, Externer Link: Shared History Projekt. (Leo Baeck Institute – New York | Berlin) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de
Das Objekt
Hugo Steiner-Prag war der Illustrator des der phantastischen Literatur zuzuordnenden Romans von Gustav Meyrink "Der Golem", der 1915 in einer Vorzugsausgabe im Leipziger Verlag Kurt Wolff erschien. In Steiner-Prags Buchillustration wird der Golem vor dem Hintergrund des alten jüdischen Viertels von Prag gezeigt. In dieser späteren Zeichnung zeichnet sich die Figur des Golems hingegen allein und bedrohlich im Raum ab, einzig begleitet von einer Dunkelheit, die ein doppelter Schatten zu sein scheint. (MW)
Historischer Kontext
Die jahrhundertealte Geschichte des Golem
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"Wer kann sagen, dass er über den Golem etwas wisse? […] Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines Tages in den Gassen ein Ereignis vollzieht, das ihn plötzlich wieder aufleben lässt. Und eine Zeitlang spricht dann jeder von ihm, und die Gerüchte wachsen ins Ungeheuerliche."
(Gustav Meyrink, Der Golem, 1915) Superheld,
"Der Golem". - Lithographie von Hugo Steiner-Prag (© picture-alliance/akg)
"Der Golem". - Lithographie von Hugo Steiner-Prag (© picture-alliance/akg)
Die Wurzeln der Golem-Erzählung liegen in der jüdischen Mystik des Mittelalters. Mit der Kraft der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets, mit ritueller Beschwörung und Bewegung wollten Kabbalisten unbelebte Materie wie Staub oder Erde lebendig machen. Einen Golem zu erschaffen hatte nicht den Zweck, einen Beschützer zu generieren. Dieser mystische Schöpfungsakt war ein Versuch, sich Gott anzunähern und spirituelle Vollendung zu erreichen. Mit dem Verweis auf die schöpferische Kraft des Menschen und auf die Verwandlung unfertigen Materials in ein eigenständiges Wesen oder Werk wurde die Golem-Figur zu einer Metapher für den künstlerischen Schaffensprozess selbst.
Prag im 16. Jahrhundert - kein anderer Schauplatz ist enger mit der Golem-Erzählung verbunden als diese Stadt während der Regentschaft von Rudolf II., einem Herrscher, den das Magische und Okkulte faszinierte. Zum berühmtesten Golem-Schöpfer wurde Rabbi Judah Loew ben Bezalel, genannt der Maharal von Prag. Der Überlieferung nach belebte Loew seinen Golem aus Lehm, indem er ihm einen Pergamentstreifen mit dem Gottesnamen in den Mund legte. Der Golem sollte die Juden im Prager Ghetto vor Angriffen schützen. Um das Geschöpf zu deaktivieren, musste man ihm das Pergament aus dem Mund nehmen.
"Der Golem" von Gustav Meyrink - Titelblatt der Erstausgabe 1915. (© picture-alliance/akg)
"Der Golem" von Gustav Meyrink - Titelblatt der Erstausgabe 1915. (© picture-alliance/akg)
In späteren Jahrhunderten hat sich dieses Narrativ schillernd in Texte von Mary Shelleys Frankenstein bis zu E.T.A. Hoffmanns Sandmann eingeschrieben. Autorinnen phantastischer Literatur griffen die unheimlichen Motive der Golem-Erzählungen auf und verarbeiteten sie zu literarischen Reisen in menschliche Abgründe. Der Höhepunkt dieser phantastischen Adaptionen war Gustav Meyrinks Roman Der Golem von 1915. Er machte den Golem einem deutschsprachigen Massenpublikum bekannt.
Der Golem (1915). - Lithographie von Hugo Steiner-Prag. (© picture-alliance/akg)
Der Golem (1915). - Lithographie von Hugo Steiner-Prag. (© picture-alliance/akg)
Am Erfolg des Romans hatten die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag entscheidenden Anteil. Sie hoben die düster-magischen Momente des Romans hervor. Steiner-Prags Lithographie-Zyklus Der Golem - Prager Phantasien zeigt den Golem nicht als grobschlächtigen Koloss, der mit seiner Unbeholfenheit zum Zerstörer wird. Seine Bedrohlichkeit entfaltet sich in der Überblendung von Traum und Wirklichkeit, in der Begegnung eines Ichs mit einem unberechenbaren Doppelgänger. Steiner-Prag entwarf eine geisterhafte Golem-Gestalt, die durch die verwinkelten Gassen Prags huscht. Die Darstellung von Lord Voldemort in den Verfilmungen der Harry-Potter-Romane erinnert an Steiner-Prags Golem. Und auch in Prag schreibt sich der Golem-Mythos bis heute fort: ob in den Schaufenstern der Josephstadt mit Golem-Memorabilia oder am Grab von Rabbi Loew auf dem alten jüdischen Friedhof. Die Überreste von Rabbi Loews Golem sollen sich noch immer in der Dachkammer der Prager Altneuschul-Synagoge befinden.
"Der Golem, wie er in die Welt kam" (1920) (© picture-alliance, United Archives/IFTN)
"Der Golem, wie er in die Welt kam" (1920) (© picture-alliance, United Archives/IFTN)
Das ikonische Golembild der Stummfilmzeit hingegen prägte Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam von 1920. Wegener verwob Motive der historischen Golem-Erzählungen aus Prag und Chełm und verband sie mit Bildern des Faust-Mythos. Das Kostüm des Riesen hatte der Bildhauer Rudolf Belling schon für Wegeners
Der Golem hat einen weiten Weg hinter sich. In der Bibel heißt es im Psalm 139: "Deine Augen sahen meinen Golem." Hier wendet sich Adam, der erste Mensch, an Gott, der ihn als unfertige, ungeformte Masse vorfand und ihm ins Leben verhalf. Die Golem-Erzählung konfrontiert uns mit elementaren Fragen. Was unterscheidet den Golem vom Menschen? Hat er ein Bewusstsein? Einen eigenen Willen? Was geschieht, wenn das Geschöpf außer Kontrolle gerät? Der Golem lebt weiter, und jede Zeit bringt neue Golems zum Vorschein – seien es Humanoide mit künstlicher Intelligenz, riskante Forschungen der Gentechnologie oder Videospiele auf Konsolen und Computern. Was ist der Golem 2021?