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Die Handschuhe vom Lokomotivführer Julius Brod | Geteilte Geschichte | bpb.de

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Die Handschuhe vom Lokomotivführer Julius Brod

Sabine Bergler

/ 7 Minuten zu lesen

Diese Handschuhe trug Julius Brod als Oberlokführer der Kaiserlich-Königlichen Bosnischen Eisenbahn. 1914 chauffierte er Erzherzog Ferdinand nach Sarajewo, wo dieser ermordet und damit der Erste Weltkrieg ausgelöst wurde.

Die Handschuhe des Lokomotivführers Julius Brod, Externer Link: Shared History Projekt. (Jüdisches Museum Wien) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Das Objekt

Diese weißen Lederhandschuhe gehörten zur Arbeitsausstattung von Julius Brod. Er war Lokomotivführer der k.u.k. Bosnischen-Herzegowinischen Eisenbahn. Die Handschuhe trug er stets, wenn in seinem Zug Mitglieder der kaiserlichen Familie saßen. So auch im Juni 1914, als er den habsburgisch-lothringischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine schwangere Ehefrau Sophie Chotek nach Sarajevo fuhr. Die Enkelin von Julius Brod verkaufte die Handschuhe gemeinsam mit einigen Fotografien 1993 dem Jüdischen Museum Wien. Sie wollte diese Objekte an einem sicheren Platz wissen und sie vor einer möglichen Zerstörung im Interner Link: Bosnienkrieg (1992–1995) schützen.

Historischer Kontext

Österreichische Juden im Lauf der Jahrhunderte

Ankunft des Erzherzogs Franz Ferdinand auf dem Bahnhof von Ilidze bei Sarajewo, um an den Manövern der k.u.k.-Armee in Bosnien teilzunehmen.- Foto, 25. Juni 1914. (© picture-alliance/akg)

Julius Brod stammte aus einer aschkenasischen Familie in Mähren, einem Gebiet, das bereits ab dem frühen 16. Jahrhundert von den Habsburgern regiert wurde. Die Heimatregion seiner Frau, Franziska Bär, war hingegen Bosnien, dessen Okkupation 1908 zum Zerbrechen der Donaumonarchie beitragen sollte. Weder Julius Brod noch Erzherzog Franz Ferdinand konnten das folgenschwere Ausmaß der gemeinsamen Zugfahrt im Juni 1914 und das sich anbahnende Interner Link: Attentat auf den Thronfolger in Sarajevo erahnen, das schlussendlich zum Interner Link: Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte. Ein Krieg, der die Herrschaft der Habsburger beendete und 17 Millionen Leben forderte, darunter das zahlloser Juden.

Diesen Geschehnissen ging eine jahrhundertelange, überaus wechselhafte Beziehung zwischen Juden und Habsburgern voraus. Während für die Habsburger meist der finanzielle Nutzen der bestimmende Faktor im Umgang mit den Juden war, mussten Letztere versuchen, sich mit den Habsburgern wie mit allen anderen Herrschern zu arrangieren. Sie lebten in den Herzogtümern Österreich und Steiermark bereits vor der Eroberung durch die Habsburger im Jahr 1278. Ihre rechtliche Stellung war überdies 40 Jahre zuvor zu einem Politikum zwischen dem babenbergischen Herzog Friedrich II. und dem Stauferkaiser Friedrich II. geworden. Der Machtkampf wurde zu Gunsten des Herzogs entschieden. Es war sein Judenprivileg, dass zur rechtlichen Grundlage für das nächste Jahrhundert wurde. Juden waren vor Mord, Zwangstaufe und Entführung ihrer Kinder geschützt. Selbst Grund und Boden durften sie erwerben. Es sollte bis zum Jahr 1867 dauern, bis Juden ein solches Recht von den Habsburgern wieder bedingungslos zugestanden wurde. Den Beginn der ungewissen Lage bilden die Ereignisse der Wiener Gesera: Albert V. ließ 1421 die Wiener Juden vertreiben und ermorden. Von nun an galt in Wien ein generelles Aufenthaltsverbot für Juden, das nur von Einzelnen für begrenzte Zeit umgangen werden konnte. Ende des Jahrhunderts, als Maximilian I. Geld für die Verteidigung gegen die Osmanen benötigte, ließ er sich auf die Forderungen der Landstände von Steiermark und Kärnten ein, die für die Vertreibung der Juden Geld boten. Da der Kaiser jedoch nicht auf die Steuergelder der Vertriebenen verzichten wollte, bot er diesen in anderen habsburgischen Gebieten Zuflucht.

In diese Zeit fällt der Beginn einer Kennzeichnungspflicht: Das Tragen eines gelben Flecks in Städten wurde sukzessive verordnet. Doch nicht überall wurde dies gutgeheißen, vor allem die mährischen Stände wehrten sich lange dagegen. Offiziell währte diese Diskriminierungsmaßnahme bis Mitte des 17. Jahrhunderts. Damals machte sich für die Habsburger bereits ein System der sehr engen Zusammenarbeit mit einer jüdischen Finanzelite bezahlt - den sogenannten Interner Link: Hofjuden, die dem Kaiserhaus mit exorbitanten Steuern und günstigen Krediten Geld verschafften. Doch dieses für die Habsburger so gewinnbringende Arrangement bedeutete für die Juden im Allgemeinen keineswegs Sicherheit. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung lebte im 16. und 17. Jahrhundert in ländlichen Gebieten im Osten der Habsburgermonarchie. Ihre Lebensbedingungen wurden von den jeweiligen Landesfürsten bestimmt und waren dementsprechend unterschiedlich. In der Residenzstadt, in der die jüdische Bevölkerung durch das System der Hofjuden wieder angewachsen war sowie im umliegenden Niederösterreich, kam es unter Leopold I. zwischen 1669–1670 zu einer Ausweisung der Juden. Die dadurch erhofften finanziellen Vorteile hatten sich aber ins Gegenteil verkehrt, so dass wenige Jahre später eine Wiederansiedlung von finanzkräftigen Juden forciert wurde.

Politische Partizipation 1848-1933

Das Toleranzpatent von Joseph II., der Interner Link: Wiener Kongress sowie die Interner Link: Revolution von 1848 bildeten große Interner Link: Hoffnungsmomente auf Gleichberechtigung, die erst mit dem Staatsgrundgesetz von 1867 unter Franz Joseph I. erreicht wurde. Doch vor Anfeindungen und Unrecht waren die nun gleichberechtigten Juden nicht gefeit, durch die errungene Pressefreiheit von 1848 fand auch Interner Link: antisemitische Polemik weite Verbreitung. Unterschiedliche jüdische Identitätsmodelle zwischen Interner Link: Zionismus und Assimilation versuchten dieser selbstbewusst entgegenzutreten, womit sich auch eine inner-jüdische Diskussion entspann. Professor Bernhardi, im gleichnamigen Drama von Arthur Schnitzler, bringt dies auf den Punkt:

    "Aber abgesehen davon, erlaube ich mir, dich wieder einmal darauf aufmerksam zu machen, daß ich Deutscher bin, geradeso wie du. Und ich versichere dich, wenn sich einer von meiner Abstammung heutzutage als Deutscher und Christ bekennt, so gehört dazu größerer Mut, als wenn er das bleibt, als was er auf die Welt gekommen ist. Als Zionist hätt’ ich’s leichter gehabt."

Das Stück war ohne Angabe von Gründen in der Donaumonarchie verboten. Es erschien Interner Link: 1913 in Berlin und thematisiert einen bereits Interner Link: ausgeprägten politischen Antisemitismus. Vermutlich wollte man durch seine Unterdrückung kalmierend auf die bereits aufgeheizte Stimmung im Vielvölkerstaat wirken und weitere Konfliktherde vermeiden. Nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg lebten Juden weiterhin auf den Gebieten des untergegangenen Habsburger-Reiches, unter neuen Bedingungen und in nun unterschiedlichen Staaten. Die Frage nach Identität sollte in den folgenden Jahren noch deutlich an Brisanz gewinnen.

Persönliche Geschichte

Der Weg nach Sarajewo

Im Jahr 1993 verkaufte Ljerka Danon dem Jüdischen Museum Wien einige Erinnerungsstücke ihres Großvaters, des Lokomotivführers Julius Brod. Sie wollte die Objekte an einem sicheren Ort wissen und sie vor einer möglichen Zerstörung im Bosnienkrieg bewahren. Heute gehören sie vermutlich zu den letzten Spuren vom Leben Julius Brods. Denn seine offiziellen Personalunterlagen fielen einem Brand im Februar 2014 zum Opfer. In diesem Jahr gab es in ganz Bosnien-Herzegowina Proteste gegen die Verelendung des Landes. Bei schweren Ausschreitungen in Sarajevo wurde ein Teil des Präsidialamtes in Brand gesteckt, wodurch zahlreiche Archivunterlagen, darunter die der bosnischen Eisenbahn, vernichtet wurden.

Julius Brod kam als mährischer, aschkenasischer Jude und Lokomotivführer nach Sarajevo. Die bosnisch-herzegowinischen Staatsbahnen wurden erst durch die Besetzung der Habsburger aufgebaut bzw. funktionstüchtig gemacht. So fanden die Besatzer 1887, die das Land erst nach drei Monaten schwerer und verlustreicher Kämpfe gegen die aufständische Bevölkerung eingenommen hatten, lediglich verwilderte Reste der orientalischen Eisenbahn vor. Um die nur mit Mühe eroberten Gebiete überhaupt halten zu können, galt ein funktionierendes Eisenbahnsystem als absolute militärische Notwendigkeit. Die Bahnen standen auch der Zivilbevölkerung zur Verfügung und wurden von Beamten der Habsburgermonarchie betreut. Karl Schnack Herbosegg, ab 1891 Direktor der bosnisch-herzegowinischen Staatsbahnen, beschrieb die Auswahl der in Frage kommenden Personen in seinen Lebenserinnerungen: "Alle mussten einer slawischen Sprache schon beim Eintritt in den bosnischen Verwaltungsdienst mächtig sein, und im übrigen ihren allfälligen nationalen Chauvinismus an der Grenze zurücklassen." Betrachtet man die im Jüdischen Museum Wien erhaltenen Fotos aus dem Familienbesitz von Julius Brod, erweckt es den Anschein, dass er an seinem Arbeitsort ein sehr erfülltes Leben hatte: Er heiratete 1893 Franziska Bär und lebte gemeinsam mit ihr und seinen drei Töchtern Amalia, Elsa und Ida in Sarajevo. Um 1900 zählte er zu den Gründern des Geselligkeitsclubs der bosnisch-herzegowinischen Staatsbahnen, drei Jahre später zum Ausschuss des Lokomotivführervereins.

Die jüdische Bevölkerung in Sarajevo verdreifachte sich unter der Habsburgerherrschaft, die bereits jahrhundertelange ansässige sephardische Gemeinde verzeichnete einen Geburtenanstieg und es kam zu einem großen Zuzug von Juden aus allen Teilen der Monarchie. Letztere waren häufig in der österreichisch-ungarischen Staatsverwaltung tätig. Die steigende Attraktivität Sarajevos als Arbeits- und Wohnort hatte auch mit dem Ausbau der Eisenbahn zu tun: Auf Schienen konnte man nun in eineinhalb Tagen von Wien nach Sarajevo gelangen. Davor hätte allein die Fahrt mit der Kutsche vom Grenzbahnhof Brod nach Sarajevo dreieinhalb Tage in Anspruch genommen.

Die Bahn behielt dennoch ihren provisorischen Charakter. Ein Zustand der in der Arbeiterzeitung anlässlich eines Zugunglücks im Jahre 1906 als unzureichend kritisiert wurde: Am 13. Oktober, zehn Uhr abends, stieß der Personenzug von Sarajevo mit einem gemischten Zug aus Zenica zusammen. Es gab zwei Schwer- und fünf Leichtverletzte. Der Lokomotivführer des Personenzuges, der "allgemein als einer der tüchtigsten Maschinenführer der bosnischen Staatsbahnen gilt" war Julius Brod.

28. Juni 1914 in Sarajevo: Das Thronfolgerpaar verläßt das Rathaus - auf der anschließenden Fahrt ereignete sich das Attentat. (© picture-alliance/akg)

Die Fähigkeiten von Julius Brod wurden weiterhin geschätzt, sodass er immer wieder für Mitglieder der habsburgischen Familie im Einsatz war. Bei solchen Anlässen trug er stets die weißen Lederhandschuhe. So auch im Sommer 1914. Für ihren Besuch in Sarajevo reisten der Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Herzogin Sophie Chotek getrennt an. Sie trafen sich am 24. Juni in Mostar, wo der offizielle Teil der Reise begann. Vier Tage später kamen sie mit dem Zug in Sarajevo an. Nur wenige Stunden nach Ankunft wurde das Paar auf offener Straße ermordet. Der Abtransport der Leichen erfolgte bereits am nächsten Tag. Vom Moment vor der Zugabfahrt zeugt ein Gruppenfoto der Besatzung, zu sehen sind auch Julius Brod und seine drei Töchter. Wie mögen wohl seine Gedanken und Erinnerungen an diesen Tag, der einen der grausamsten Kriege der Weltgeschichte auslöste, gewesen sein?

Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.

Weitere Inhalte

Sabine Bergler ist Kuratorin im Jüdischen Museum Wien. Neben der Arbeit mit den Sammlungen forscht und konzipiert sie Wechselausstellungen zu Themen der jüdischen Kultur- und Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, im Besonderen: Wiener Gründerzeit, Geschichte der Arbeiterbewegung, Exilgeschichte und Schoa. Aktuell ist die Ausstellung "Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien" in Vorbereitung.