Das Objekt
Dieses Kreuz kam in die Familie Mendelssohn, als Fanny Mendelssohn Hensel, die Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und Enkelin des jüdischen Philosophen der Aufklärung
Historischer Kontext
Fanny Mendelssohns Kreuz war ein Andenken an ihre glücklichste und produktivste Zeit in Italien
Im Jahr 1845 war Fanny Hensel 40 Jahre alt, als Komponistin und Konzertpianistin tätig, und außerdem Ehefrau, Mutter und treusorgende Schwester ihres gefeierten Bruders Felix Mendelssohn Bartholdy. Ihr Leben war voller Widersprüche. Sie war Mitglied der berühmtesten jüdischen Intellektuellen-Familie der Zeit und Enkelin von
Porträt von Fanny Mendelssohn im Mendelssohn Haus in Leipzig. (© picture-alliance/dpa)
Porträt von Fanny Mendelssohn im Mendelssohn Haus in Leipzig. (© picture-alliance/dpa)
Fanny war 1845 nach Florenz gereist, um ihre Schwester Rebecka zu besuchen, die dort krank geworden war – sie begleitete ihren Ehemann, den Mathematiker Peter Gustav Lejeune Dirichlet. Als Fanny nach Berlin zurückkehrte, platzierte sie das Kreuz an hervorgehobener Stelle in ihrem Musikzimmer. Betrachten wir ihren vorherigen langen Aufenthalt in Italien, fünf Jahre vor der Erkrankung ihrer Schwester, können wir ein Verständnis der Bedeutung des Kreuzes gewinnen als Symbol ihrer persönlichen Identität und ihres Glaubens.
Im November 1839 waren Fanny Mendelssohn Hensel, ihr Ehemann Wilhelm Hensel und ihr neun Jahre alter Sohn Sebastian in Rom angekommen, wo sie mehrere Monate Aufenthalt nehmen wollten. Es gab zahlreiche Gründe für sie, in der Stadt zu wohnen. Ihr Bruder Felix hatte in den Jahren 1830 und 1831, als er durch die Hauptstädte Europas gereist war, in Rom gewohnt. Wilhelm, ein Maler, hatte sich in Rom fünf Jahre lang dem Studium der alten Meister gewidmet, bevor er im Jahr 1829 Fanny heiratete.
Fannys Aufenthalt in Rom im Jahre 1839 fand gegen Ende eines Jahrzehnts voller persönlicher und professioneller Herausforderungen statt und bot ihr zumindest zeitweilig eine Ruhepause von ihrem luxuriösen, aber auch eingezwängten Leben in Berlin.
Der Tod Carl Friedrich Zelters im Jahr 1832 war für verschiedene Mitglieder der Familie Mendelssohn Anlass zur Trauer. Mit großer Leidenschaft hatte Zelter die Wiederbelebung der evangelischen Choralmusik betrieben und damit das Ziel verfolgt, in einer schwierigen Phase der deutschen Geschichte Begeisterung für den Einigungsnationalismus zu wecken. Über Jahrzehnte hatte Zelter als Leiter der Sing-Akademie, einer renommierten Chorvereinigung, die musikalischen Auftritte von Felix Mendelssohn Bartholdy unterstützt, wie auch die von Sara Itzig, die ebenfalls einer prominenten jüdischen Familie in Berlin entstammte.
Obwohl Zelter bei bedeutenden öffentlichen Musikdarbietungen eng mit Felix zusammengearbeitet hatte, offenbarte seine Korrespondenz einige seiner negativen Empfindungen, die er im Innern gegen die Familie Mendelssohn hegte. Als im Jahr nach seinem Tod Zelters Briefwechsel mit dem berühmten Dichter Johann Wolfgang von Goethe veröffentlicht wurde, konnten Freunde wie Feinde der Familie in dem Band seine abfälligen Bemerkungen über die Mendelssohns lesen. Und dann hatte Felix nach Zelters Tod mit seiner Bewerbung 1833 um den Posten des Direktors der Sing-Akademie keinen Erfolg. Seine Eltern waren empört und beendeten ihre finanzielle Unterstützung dieser herausragenden Institution des Berliner Musiklebens.
Darüber hinaus hatte es für Fanny seit Mitte der 1830er Jahre immer wieder erhebliche Rückschläge in ihrem Privatleben gegeben. Sie erlitt eine Fehlgeburt, auf die möglicherweise eine weitere folgte, und musste den Verlust von Freunden und Freundinnen verkraften, die aus der Stadt fortzogen oder starben. Felix konnte sich den Kompliziertheiten und Einengungen der hochkultivierten Mendelssohnschen Atmosphäre durch Reisen an andere Orte entziehen; diese Möglichkeit stand seiner Schwester nicht offen.
Fanny Hensel, Vier Lieder für das Piano. (© picture-alliance/akg)
Fanny Hensel, Vier Lieder für das Piano. (© picture-alliance/akg)
Schließlich waren da noch die musikalischen Herausforderungen, denen sie sich im Jahr 1839 gegenübersah. Sie arbeitete mühevoll daran, sich von ihrem Lieblingsgenre des klavierbegleiteten Sololieds weiter zu entwickeln und Chormusik für größere Ensembles zu komponieren. Für sie und Felix und viele ihrer Freunde war es seit den 1820er Jahren ein wichtiges Anliegen, mit den Mitteln der Musik zur Schaffung einer moralischen und nationalen Gemeinschaft beizutragen. Tatsächlich war die Aufführung der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach im Jahr 1829 ein Familienprojekt gewesen. Ihre Großmutter Bella Salomon hatte Felix eine Abschrift der Partitur geschenkt und Felix war die treibende Kraft hinter der berühmten Aufführung gewesen.
Ein weiterer Kummer für Fanny war es, dass nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1835 ihre Familie nicht mehr die beliebten Sonntagsmusiken im Gartensaal ihres luxuriösen Stadthauses ausrichtete. Diese halböffentlichen Veranstaltungen hatten ihr die Gelegenheit gegeben, auch eigene Kompositionen aufzuführen – zu einer Zeit, in der sowohl ihr Vater als auch ihr Bruder Felix sie unter Druck setzten, nur im privaten Kontext zu konzertieren und ihre Kompositionen nicht zu veröffentlichen.
Rom in den sechs Monaten des Winters 1839/40 mit Wilhelm und Sebastian war eine Idylle von fast schon ekstatischer Freude für Fanny gewesen. An erster Stelle stand, dass sie dort als Komponistin und Pianistin von berühmten Musikern der Académie de France à Rome in der Villa Medici gewürdigt wurde. Ihre musikalischen Erlebnisse in Italien inspirierten ihr im Herbst 1841 fertig gestelltes Werk "Das Jahr", mit dem Untertitel "12 Charakterstücke für das Forte-Piano". In diesen Stücken finden sich Zitate evangelischer Kirchenchoräle; das einzige Autograph wurde von Wilhelm Hensel illustriert. Heute erfreut sich dieser Zyklus vor den anderen ihrer überlieferten Kompositionen großer Beliebtheit.
Fanny Hensels Musikraum in ihrer Wohnung in der Leipziger Str. 3 in Berlin. - Gemälde von Julius Helfft. (© Public Domain, Wikimedia)
Fanny Hensels Musikraum in ihrer Wohnung in der Leipziger Str. 3 in Berlin. - Gemälde von Julius Helfft. (© Public Domain, Wikimedia)
Das Aquarell von Julius Helft, das er 1849 von Fannys Arbeitszimmer anfertigte, zwei Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1847, zeigt das Kreuz an hervorgehobener Stelle auf einem der Tische im Raum stehen. Die Bedeutung des Kreuzes in diesem persönlichen Raum von Fanny Hensel legt nahe, dass der evangelische Glaube mehr als eine bloße Fassade war, sondern eine tiefe empfundene und künstlerisch inspirierende innere Überzeugung. Wie so viele andere Belege aus ihrem gesellschaftlichen und musikalischen Umfeld steht das italienische Kreuz dem Verständnis entgegen, dass Fanny sich selbst als im Inneren eine Jüdin begriff.
Ihre Eltern Lea und Abraham Mendelssohn hatten im Jahr 1816 alle vier ihrer Kinder taufen lassen und traten sechs Jahre später ebenfalls zum Christentum über. Trotz der Bemühungen der Historiker bleiben ihre Motive für die Konversion im Dunkeln. Lea gestand in einem Familienbrief ein, sie wünschte, man würde in der nahen und weiter entfernten Familie "mit dieser Scheinheiligkeit" der Taufen aufhören. Abraham wiederum schrieb Fanny, der Übertritt der Familie sei Ausdruck seiner eigenen universalistischen und relativistischen Ansicht der modernen Religionen und erklärte, die Taufen seien notwendig gewesen wegen dessen, "was die Gesellschaft von uns verlangt".
Die Glaubensentscheidungen von Fanny und vielen Mitgliedern der Großfamilie offenbaren einiges über die deutsch-jüdische Erbe ihrer Zeit. Zahlreiche Gründe lassen den Schluss zu, dass die Synergie diverser Leidenschaften, die für die Religion, die Musik, die Moral oder den Einigungsnationalismus brannten, für den erweiterten Clan der Mendelssohns unwiderstehlich war. Der Verlust für die jüdische Zivilisation war herzzerbrechend, insbesondere, da ihre Aufgabe des Judentums auf die zukünftigen Entwicklungen in Deutschland und Europa verwies.
Persönliche Geschichte
Familie Mendelssohn verlässt das Judentum, Familie Beer reformiert das Judentum
Eine der dringendsten Fragen, die sich bei der Betrachtung des Glaubensübertritts der Kinder und Enkelkinder von Moses Mendelssohn stellt, ist die, ob ihre Entscheidung, das Judentum zu verlassen, für ihre kulturellen Leistungen und ihren gesellschaftlichen Aufstieg von größerem Belang war. Eine wahrhaft religiöse Motivation ist nicht festzustellen. Sicherlich wurden Lea und Abraham Mendelssohn von einem ästhetischen Nationalismus zu ihrer Entscheidung geführt. In ihrem gesellschaftlichen Umfeld waren viele der Überzeugung, die evangelische Kirchenmusik drücke leidenschaftliches Nationalgefühl und moralische Erhabenheit in einer Zeit aus, die einen Scheideweg für die Geschichte Deutschlands darstellte. Auf die Melodien des deutschen Sprachraumes zurückgreifende Musik drückte das kollektive Ethos der besten und talentiertesten deutschen Musikschaffenden, Dichtenden und Denkenden aus, die in ihren gesellschaftlichen Kreisen verkehrten. Über die pragmatischen Gründe für diesen Schritt wissen wir weniger. Waren sie der Ansicht, dass eine für die Öffentlichkeit angenommene evangelische Identität für die musikalische Karriere ihres Sohnes Felix notwendig sei?
Ein Vergleich mit einer anderen jüdischen Familie, die eine ebenso prominente Rolle in der Hochkultur Berlins spielte wie die Mendelssohns, die Familie Beer, bietet in dieser Hinsicht einige Einsichten.
Porträt der Amalie Beer von Johann Karl Heinrich Kretschmar (© Public Domain, Wikimedia/Anagoria)
Porträt der Amalie Beer von Johann Karl Heinrich Kretschmar (© Public Domain, Wikimedia/Anagoria)
Amalia und Jacob Herz Beer hatten außerordentlich viel mit den Mendelssohns gemein. Beide Familien waren wohlhabend, beide pflegten sie scheinbar echte Freundschaften mit prominenten Christinnen und Christen. Lea und Amalia folgten beide nicht den jüdischen Traditionen bezüglich Haartracht und Kleidung. Und in beiden Familien gab es einen über alle Maßen talentierten Sohn: Giacomo bei den Beers und Felix bei den Mendelssohns. Tatsächlich waren die Parallelen zwischen den beiden Wunderkind-Komponisten so eng, dass viele Zeitgenossen Felix mit Giacomo verwechselten. Das machte Felix wütend, und es heißt, er frisierte sich fortan anders, um Vergleiche dieser Art zu vermeiden. Sowohl Giacomo als auch Felix studierten an der Universität zu Berlin; beide machten schließlich ihre musikalische Karriere andernorts: Felix in Leipzig und Giacomo in Paris.
Auf grundlegenderer Ebene jedoch reagierten die beiden Elternpaare sehr unterschiedlich auf die Interner Link: Krise des Judentums in ihrer Zeit. Es waren die Jahre, in denen die Übertritte zum christlichen Glauben exponentiell zunahmen und die Synagogen von Jahr zu Jahr leerer wurden. Während Lea und Abraham Mendelssohn in dieser Zeit beschlossen, sich eine evangelische Identität zusammen zu basteln, verschrieben sich Amalia und Jacob Herz Beer ganz dem Bemühen um eine Erneuerung der jüdischen religiösen Praxis. Sie hatten eine Vorahnung, dass die Voraussetzung für ein Gesetz zur Gleichberechtigung der Jüdinnen und Juden eine Modernisierung seitens der jüdischen Gemeinde ihrer religiösen und schulischen Institutionen war. Im Jahr 1817 ließen sie ihre elegante Stadtvilla umbauen, um dort Raum für wöchentliche Gottesdienste zu schaffen. Über die folgenden sechs Jahre, bis zur Schließung der neuen Privatsynagoge durch die Behörden, nahmen knapp 1.000 Berliner Jüdinnen und Juden an den Gottesdiensten nach reformiertem Ritus teil – ein Drittel der Erwachsenen unter der jüdischen Bevölkerung Berlins.
Giacomo Meyerbeer (Public Domain, Bibliothèque nationale de France/Wikimedia) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de
Giacomo Meyerbeer (Public Domain, Bibliothèque nationale de France/Wikimedia) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de
Der Lebensweg von Giacomo Meyerbeer widerlegt die Vorstellung, dass in diesem Umfeld eine Taufe erforderlich war, um in der Musik Erfolg zu haben. Darüber hinaus entzogen die Mendelssohns mit ihrer Abkehr vom Judentum denjenigen, die sich um eine Reform des Judentums bemühten, die Talente, den Geist und nicht zuletzt auch den Wohlstand ihrer so bedeutenden Familie. Dieser Schritt schützte auch ihre Nachfahren nicht vor dem Antisemitismus des 20. Jahrhunderts, in dem das nationalsozialistische Regime zwei Mitglieder der Familie Mendelssohn in den Selbstmord trieb und dafür sorgte, dass die Werke von Felix Mendelssohn nicht mehr gespielt wurden.
Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.