Das Objekt
Der Schutzbrief gelangte in einer kleinen Sammlung von Dokumenten des in der NS-Zeit nach Brasilien emigrierten Frankfurters Manfred Kahn nach 1961 an das Leo Baeck Institute (AR 1266). Da die Sammlung - abgesehen von dem Schutzbrief - nur drei von Kahn selbst verfasste Schriften, zwei humoristische Gedichte auf die Gesangsqualitäten zweier zeitgenössischer Kantoren sowie den genannten Brief, umfasste, wurde der Schutzbrief aus ihr entnommen und in eine Sammlung von Schutzbriefen unterschiedlicher Provenienz integriert.
Historischer Kontext
Eine stabile geschäftliche und Wohnsituation war für Juden der Mittelschicht möglich, doch sie war mit einer kostspieligen Lizenz verbunden
Auf Grund verschiedener politischer Entwicklungen gingen der Judenschutz und, damit verbunden, das Judenregal, das Recht, Juden anzusiedeln und dafür Schutzkosten von ihnen zu erheben, im
Allerdings verzichteten die Kaiser nicht vollständig auf ihre Rechte über die Juden im Reich, sondern betrachteten sich weiterhin als ihre obersten Schutzherren. Das führte nicht selten zu Konflikten, wenn etwa das Reichsoberhaupt in Belange eingriff, die die Reichsstände als ihre eigenen Angelegenheiten ansahen, und war eine der Ursachen für die Vertreibung der Juden aus zahlreichen Reichsstädten und Territorien im 15. und 16. Jahrhundert.
Schutzbriefe konnten ebenso für einzelne Juden wie für ganz Gemeinden erteilt werden. Die Kosten orientierten sich in der Regel an der Attraktivität des Ansiedlungsortes und die darin festgelegten ökonomischen Handlungsmöglichkeiten - wie das vorliegende Beispiel erahnen lässt - an den jeweiligen territorialen Rahmenbedingungen und Bedürfnissen.
Schutzjuden befanden sich gegenüber anderen, nur geduldeten Juden in einer privilegierten Position, auch wenn diese durch die häufige Befristung des Schutzverhältnisses nicht ganz ungefährdet war. Juden ohne Schutzbrief dagegen konnten - ähnlich wie viele Angehörige der christlichen Unterschichten - jederzeit ausgewiesen werden, was eine permanente Unsicherheit zur Folge hatte.
Deutlich besser gestellt als einfache Schutzjuden waren die privilegierten Hoffaktoren, die im Sprachgebrauch der Zeit als
Die Tätigkeit der jüdischen Hoffaktoren konnte sehr unterschiedliche Bereiche umfassen, doch stand im Zentrum oder wenigstens am Anfang meist die Belieferung des Hofes mit Gegenständen des gehobenen Bedarfs und speziell die Versorgung des Fürsten mit den benötigten Finanzmitteln auf Kredit. Einige fungierten auch als Betreiber der fürstlichen Münzprägestätten.
Die ersten Personen, die man als Hofjuden bezeichnen kann, obwohl sich dieser Titel erst später etablierte, werden bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts greifbar, doch etablierte sich das Hoffaktoren-System vor allem seit dem späten 17. Jahrhundert.
Mit dem Aufkommen stehender Heere im 18. Jahrhundert spielte dann auch die Versorgung der Armee eine wachsende Rolle. Etliche der bekannten jüdischen Hoffaktoren erwarben ihr Vermögen zunächst als Heereslieferanten, die besonders während der zahlreichen Kriege dieser Zeit die Truppen mit Proviant, Pferden, und selbst Uniformstoffen versorgten und oft genug auch das Geld zu ihrer Besoldung vorschossen.
Die Privilegien der Hoffaktoren unterschieden sich in vielem von den Schutzbriefen anderer Juden. Sie galten in der Regel nicht nur für den Empfänger, dessen Kernfamilie und Gesinde, sondern oft auch für seine Schwiegersöhne, weitere Verwandte und alle zu seinen Geschäften benötigten Mitarbeiter. Außerdem waren sie unbefristet und wurden meist nach dem Tod des Ausstellers von dessen Nachfolger sofort erneuert. Neben dem persönlichen und juristischen Schutz umfassten sie die Befreiung von Zöllen oder zumindest deren Beschränkung auf den für Christen üblichen Satz, Handelsfreiheit, freie Wohnortwahl und Bewegung innerhalb des entsprechenden Territoriums, freie Religionsausübung und oft auch Befreiung vom Tragen von Unterscheidungskennzeichen an der Kleidung.
Spott-Flugblatt des Joseph Süss Oppenheimer mit Inschrift in nachgeahmter, westjiddischer Sprache:
Denkmol af Jouseph Süss Oppenheimer:
Er hot gemusst mit Chibbelekeif unn Krap-
peln ze toudt sich zappeln
Kupferstich von 1738 (?). (© Public Domain, Autor unbekannt. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Graphische Sammlungen.)
Spott-Flugblatt des Joseph Süss Oppenheimer mit Inschrift in nachgeahmter, westjiddischer Sprache:
Denkmol af Jouseph Süss Oppenheimer:
Er hot gemusst mit Chibbelekeif unn Krap-
peln ze toudt sich zappeln
Kupferstich von 1738 (?). (© Public Domain, Autor unbekannt. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Graphische Sammlungen.)
In der Zeit des Merkantilismus wurden jüdische Hoffaktoren nicht selten als Agenten einer wirtschaftlichen Modernisierung, etwa bei der Einführung des Manufakturwesens oder der Durchsetzung staatlicher Monopole, eingesetzt. Da sie nicht eigentlich Hofbeamte waren, sondern als freie Unternehmer agierten, bot dies zahlreiche Risiken. So wurde etwa der bekannte
Einige Hoffaktoren missbrauchten ihre Machtstellung, indem sie sich zu unbeschränkten Herren ihrer Gemeinden aufschwangen oder eine Beschränkung der Ansiedlungserlaubnis auf Mitglieder der eigenen Familie erwirkten. Viele andere dagegen setzten sich für die Zulassung von Juden an Orten ein, an denen sie bisher nicht geduldet worden waren, gründeten Gemeinden oder stifteten Synagogen und Kultgerät. Oft engagierten sie sich auch als Stadlanim (Fürsprecher) gegenüber der Obrigkeit für die eigene Gemeinde oder auch für andere Juden, wenn diese beispielsweise von einer Vertreibung bedroht waren.
Persönliche Geschichte
Der beschützte Status garantierte eine gewisse Stabilität trotz einer Reihe von extremen Einschränkungen im Geschäfts- und Familienleben
Über den Juden Feist Hertz ist nichts bekannt außer der Tatsache, dass er am 25. August 1779 den hier gezeigten Schutzbrief erhielt, der ihm das Recht einräumte, für fünf Jahre in dem Dorf Rülzheim zu wohnen. Da er in dem Dokument aber bereits als "Jud zu Rültzheim" bezeichnet wird, ist anzunehmen, dass er schon vorher dort ansässig war und es sich lediglich um eine Erneuerung seines Aufenthaltstitels handelte.
Rülzheim lag nicht allzu weit entfernt von Bruchsal, der Residenzstadt der Fürstbischöfe von Speyer, und war daher kein unattraktiver Wohnsitz für Juden, die sowohl in der Stadt als auch in der ländlichen Umgebung ihren Geschäften nachgehen wollten. Zur Zeit von Feist Hertz lebten hier mehr als zehn jüdische Familien, und es gab sogar eine kleine Synagoge.
Aussteller der Urkunde war Fürstbischof Damian August Philipp Karl aus der Familie der Reichsgrafen von Limburg-Stirum (1721–1797), der sie auch mit seiner eigenhändigen Unterschrift versah. In seiner Regierungszeit ab 1770 wurden Schutzbriefe für Juden generell auf fünf Jahre befristet und mussten danach erneuert werden. Wie das gedruckte Formular erkennen lässt, in das nur noch Name und Wohnort des Antragstellers sowie Datum und Dauer der Bewilligung von Hand einzutragen waren, handelte es sich dabei um einen weitgehenden Routinevorgang.
Voraussetzung für das Schutzverhältnis war das "Wohlverhalten" des jeweiligen Juden, das in vier Punkten definiert wurde, die seine persönliche Situation, wirtschaftliche Tätigkeit, den Gerichtsstand bei geschäftlichen Konflikten sowie das jährliche Schutzgeld betrafen.
Ihm wurde nur ein Wohnsitz, im konkreten Fall Rülzheim, und an diesem eine Behausung zugestanden, die er mit Familie und Gesinde bewohnen konnte. Ausgenommen waren verheiratete Kinder, die kein Aufenthaltsrecht erhielten. Noch ledige Kinder durften nur mit obrigkeitlicher Genehmigung im Hochstift verheiratet, Gäste nur mit Wissen der örtlichen Amtleute für mehr als drei Tage beherbergt werden.
Die Vergabe von Krediten wurde zu einem Zinssatz von maximal fünf Prozent gestattet, bei Überschreitung dieses Satzes drohten der Verlust des Geldes sowie eine Strafe, deren Höhe im Ermessen der Obrigkeit lag. Erlaubt war ferner der Handel mit Waren von guter Qualität, die zu angemessenem Preis auch auf Kredit verkauft werden durften. Strittige Forderungen an Untertanen hatte der Jude, selbst wenn er zum betreffenden Zeitpunkt nicht mehr im Hochstift ansässig sein sollte, nur vor den dortigen Gerichten einzuklagen.
Das Schutzgeld betrug 20 Gulden im Jahr, zuzüglich eines Neujahrsgeldes in Höhe von zwei Gulden 45 Kreuzern. Darüber hinaus hatte der Schutzjude auch zu den Gemeindelasten an seinem Wohnort beizutragen.
Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.