Das Objekt
Mit dem Tode der letzten jüdischen Bürgerin, Amalie Schwabe, am 12. Dezember 1923, endete die fast 300-jährige Geschichte der jüdischen Gemeinde in Hornburg. Bereits seit 1882 wurde das Quorum von mindestens zehn erwachsenen männlichen Juden nicht mehr erreicht, um einen Gottesdienst zu feiern. Das
Historischer Kontext
Viele kleine jüdische Gemeinden verloren durch Landflucht in den zwanziger Jahren ihre Mitglieder, und ihre Synagogen wurden baufällig.
Das Jüdische Museum im Braunschweigischen Landesmuseum zählt zu den historisch wichtigen Einrichtungen in der niedersächsischen Museumslandschaft. Es verfügt mit der barocken Inneneinrichtung der ehemaligen Synagoge aus der Landgemeinde in Hornburg über ein bedeutendes, im Originalzustand weitgehend erhaltenes und im norddeutschen Raum einzigartiges Sachzeugnis. Die Synagogeneinrichtung steht im Zentrum der gegenwärtigen Dauerausstellung zur jüdischen Kultus- und Kulturgeschichte und umfasst die Ausstattungsteile Tora-Schrein, Bima, eine überhöhte Kuppel, eine Halterung für die Jahreszeitkerzen, ein Vorbeterpult, Gebetsbänke und Gebetspulte, zwei Gebetstafeln, einen Kronenleuchter, eine
Die jüdische Gemeinde in Hornburg entwickelte keine eigenständige Architektur. Sie orientierte sich an den Baustilen der Zeit. Das Behrendsche Haus, in dem die jüdische Gemeinde ihre Synagoge 1766 einrichtete, wurde nach dem architektonischen Vorbild der Halberstädter Synagoge, einem prächtig ausgestatteten barocken Synagogenbau von 1712, zu einem quadratischen Fachwerkhaus mit Mansardendach im Barockstil umgebaut. Im Westen war ein kleiner Vorbau als Eingangsraum angefügt worden. Zudem enthielt dieser Vorbau eine Treppe, die zur Frauenempore führte. Die Männer betraten den liturgischen Saal - den Hauptraum - durch eine zweiflügelige Tür mit Blick auf den ihr gegenüberliegenden barocken Toraschrein im Osten des Gebäudes. Eine Inschrift über den Eingang verwies auf die Jahreszahl 1766 und auf den Psalm 118, Vers 20: "Das ist das Tor des Herrn; die Gerechten werden dort einziehen."
Die Frauenempore zog sich oberhalb des historischen Eingangs zur Synagoge gegenüber dem Toraschrein im hinteren Bereich über die gesamte Breite des Raumes. Ein hohes Holzgitter über der Brüstung diente als Sichtschutz. Schlichte Tragsäulen stützten die Empore, in einer der Säulen war ein Almosenschaft eingelassen.
Der erhöht stehende hölzerne Toraschrein wurde vermutlich 1766 angefertigt. Auffällig sind die reichen Barockschnitzereien. Das mittlere Feld mit den Türen ist von zwei Säulen begrenzt. Sie erinnern an die bronzenen salomonischen Tempelsäulen, Jachin und Boas, und sind üppig mit floraler Dekoration, mit Frucht- und Blumenarabesken, geschmückt. Der obere Teil der heiligen Lade trägt die Gesetzestafeln. Darauf steht eine Krone und unter den Tafeln zeigen sich vier umschnitzte Felder mit hebräischen Namen. Links und rechts der zum Toraschrein hinaufführenden Stufen befinden sich beidseitig Gestelle mit Dornen. Auf diese Dornen steckten die Gläubigen ihre Jahreszeitlichter, sie wurden angezündet, um an die Verstorbenen zu erinnern. Ein rechtsseitig montiertes Pult für den Vorbeter ergänzt dieses Ensemble.
Im Zentrum des Gebetsraumes steht die achtseitige, um wenige Stufen erhöhte Kanzel, die Bima. Darüber schwebt ein von der Decke abgehängter Kronenleuchter. Die Bima für die Toralesung wird zudem von einer heute freihängenden Kuppel überwölbt, die einst im Hornburger Synagogengebäude in die Decke eingelassen war. Indes ist die Synagogendecke seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erhalten. Sie bestand aus einem hölzernen Spiegelgewölbe, war in der Farbe des Himmels bemalt und mit goldenen Sternen belegt. Gottes Bundesversprechen, inmitten seines auserwählten Volkes zu wohnen, wurde mit den an den Seiten aufgemalten Symbolen Stiftszelt, Bundeslade als Zentrum für die Gegenwart Gottes, Schaubrote, und Tempelleuchter gemäß der Überlieferung in Exodus 25 dargestellt und metaphorisch auf die Synagoge bezogen.
Auf halber Raumhöhe befinden sich rechts und links vom Toraschrein Gebetstafeln. Eine Tafel trägt ein Gebet in hebräischer Sprache, die andere Tafel ist teils in hebräischer, teils in deutscher Sprache beschrieben und enthält die Bitte, den preußischen König Friedrich II., sein Haus, und seine Regierung zu segnen. Umlaufende Bänke mit abgeteilten Sitzen fassen den Gebetsraum ein, davor stehen einzelne Gebetspulte mit verschließbaren Fächern für das Gebetbuch und für Gegenstände des Gebetsrituals.
Die museale Präsentation zur jüdischen Kultur- und Religionsgeschichte im Vaterländischen Museum Braunschweigs blieb dann bis kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges - auch während der nationalsozialistischen Diktatur - für die Öffentlichkeit zugänglich. 1935 wurde das Museum verstaatlicht, in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie gestellt und zu einer "nationalpolitischen Erziehungsanstalt" umgeformt. Die Braunschweiger Zeitungen berichteten 1937 über die Neugestaltung der Dauerausstellung ausführlich darüber. Das Museum müsse "teilnehmen am lebendigen Ringen der deutschen Gegenwart," d.h. "eine nationalpolitische Erziehungsanstalt in Museumsform wird von den überkommenen Sammlungsgegenständen die besonders auswählen und hervorheben, die geeignet sind, die neuerkannten Lebensgesetze unseres Volkes zu veranschaulichen [...]."
In diesen ideologischen Kontext wurde auch die Judaica-Sammlung des Vaterländischen Museums gestellt. In den damaligen Zeitungsberichten hieß es, die Hornburger Synagoge sei unverändert in der Ausstellung verblieben. Doch kommentierte man sie "als ein Fremdkörper in der deutschen Kultur". Dies zeigt, dass die Judaica-Präsentation politisch instrumentalisiert wurde, um die antisemitischen Vorurteile in der Bevölkerung zu verstärken. Dementsprechend wurde ein Beschriftungsfeld angebracht, das die "Synagoge im Sinne der rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten nun erläuterte":
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"Synagoge aus Hornburg / ein Fremdkörper in der deutschen / Kultur. Die äußeren Formen erinnern / an heimische Dorfkirchen der Barockzeit. / Dahinter steht aber die jüdische Welt / des Alten Testaments."
Nach mehr als 40 Jahren wurde das Jüdische Museum 1987 als Teil des Braunschweigischen Landesmuseums in einer neuen Präsentation in den Räumen des ehemaligen Evangelischen Vereinshauses im Ausstellungszentrum Hinter Aegidien wiedereröffnet. Seitdem sind die barocke Inneneinrichtung aus Hornburg und andere Objekte zur jüdischen Kultus- und Kulturgeschichte für die Allgemeinheit wieder zugänglich.
Persönliche Geschichte
Ein leidenschaftlicher Lokalhistoriker und Museumsfachmann sammelte die benötigten Mittel, um den Innenraum der Synagoge zu retten.
Karl Steinacker war ein engagierter Museumsmann. Systematisch untersuchte er die Region Braunschweig, um "alles aufzunehmen, was in seinem Interessengebiet an eigenartigen Geschichtsdenkmalen sich bietet." So ist auch die Übernahme der barocken Synagogeneinrichtung aus der Landgemeinde Hornburg sein Verdienst und mit ihr die Einrichtung des Jüdischen Museums als Abteilung der Stiftung Vaterländisches Museum—wie das Museum bis zu seiner Verstaatlichung 1935 genannt wurde.
Karl Steinacker - 1872 in Wolfenbüttel geboren - stammte aus einer verzweigten angesehenen bürgerlichen Familie im ostfälischen Raum zwischen Magdeburg, Quedlinburg, Halle, Holzminden und Braunschweig. Sein Großvater Karl Steinacker (1801–1847) war als Rechtsanwalt und Notar ein wichtiger braunschweigischer Repräsentant des Frühliberalismus, sein Vater Eduard (1839-1893) unterrichtete am Realgymnasium in Wolfenbüttel. Sein Interesse galt vor allem der Kunst und der Heimatgeschichte, Eduard Steinacker gehörte 1891 zu den Gründungsmitgliedern des Vaterländischen Museums.
Wie einst sein Großvater, begann Karl Steinacker nach seinem Schulbesuch und einer einjährigen Militärzeit 1895 mit dem Studium der Rechtswissenschaften in München. Dieses Studium brach er allerdings nach dem vierten Semester ab. Seine Leidenschaft gehörte vielmehr den historischen Wissenschaften: erfolgreich studierte Karl Steinacker Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte an den renommierten Universitäten Berlin, München, Straßburg und Heidelberg. Zu seinen Lehrern gehörten etwa der klassische Archäologe Adolf Furtwängler in München und der Kunsthistoriker Georg Dehio in Straßburg. Unter Heinrich Thode, Kunsthistoriker an der Universität Heidelberg, wurde Karl Steinacker 1899 mit einer Arbeit "Über die Holzbaukunst Goslars, Ursachen ihrer Blüte und ihres Verfalls" promoviert. Eine einjährige Studienfahrt führte ihn nach Italien, dort vertiefte er seine Kunst- und Antikenkenntnisse.
Seine Museumslaufbahn begann Steinacker 1901 als Volontär im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, wechselte dann nach Braunschweig und beteiligte sich als wissenschaftliche Hilfskraft an der Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmäler des Landes Braunschweig. 1910 übernahm Karl Steinacker als Wissenschaftlicher Leiter die Direktion des Vaterländischen Museums. Mit der Verstaatlichung des Vaterländischen Museums durch das NS-Regime und Umbenennung in Braunschweigisches Landesmuseum für Geschichte und Volkstum trat Karl Steinacker 1935 in den Ruhestand.
Steinacker wusste von dem geplanten Abriss des Gebetshauses in Hornburg. In seinem Verwaltungsbericht schreibt er, dass er deshalb bereits vor dem Ersten Weltkrieg begann, die Übernahme der Synagogeneinrichtung vorzubereiten. Da Steinacker in Braunschweig bestens vernetzt war, gelang es ihm, das jüdische Bürgertum für sein Hornburger Projekt zu interessieren. Er sprach den Rechtsanwalt Oskar Ballin (1874-1916) an, kontaktierte den Bankier Bernhard Meyersfeld (1841-1920), der Vorsteher der jüdischen Gemeinde war und großzügig Kunst und Wissenschaft in Braunschweig förderte. Auch der Landesrabbiner Dr. Gutmann Rülf (1851-1915) war bereit mitzuhelfen. Indes verhinderten zunächst der Erste Weltkrieg und dann der politische Umsturz in Braunschweig 1918 weitere Schritte.
Während einer Dienstreise nach Hornburg im September 1922 erfuhr Karl Steinacker von dem nahe bevorstehenden Abbruch der Synagoge. Seine bisherigen maßgeblichen Unterstützer waren zwischenzeitlich gestorben. Für seine Idee, die Synagogeneinrichtung zu erwerben, konnte Steinacker den bekannten Jugendstilkünstler Ephraim Moses Lilien gewinnen, der seit 1920 im braunschweigischen Elternhaus seiner Frau Helene Magnus - Tochter des Justizrates Otto Magnus und der Frauenrechtlerin Sophie Magnus, geborene Isler - wohnte und sich für das Kulturleben der Stadt engagierte. In Landesrabbiner Dr. Hugo Schiff fand Steinacker einen zuverlässigen Helfer und Befürworter des Hornburg-Projektes.
Karl Steinacker sprach von "recht unerquicklichen Übernahmeverhandlungen" mit dem jüdischen Gemeindevorstand in Halberstadt, dem Rechtsnachfolger der erloschenen Gemeinde in Hornburg. Doch einigten sich schließlich der Gemeindevorstand in Halberstadt und Karl Steinacker im Team mit Landesrabbiner Hugo Schiff und dem Vorstandsvorsitzenden des Vaterländischen Museums, Apotheker Dr. Robert Bohlmann, auf die Übergabe der Synagogeneinrichtung. "In zwei Lastautofuhren am 15. und 19. April 1924 wurde die gesamte Ausstattung übernommen", wie Steinacker in seinen Aufzeichnungen berichtete.
Trotz der vielen ehrenamtlichen, unentgeltlich arbeitenden Helfer konnte das Vaterländische Museum den Erwerb der Synagogeneinrichtung nicht allein finanzieren. Dank der Vermittlung von Landesrabbiner Schiff beteiligten sich der Gemeindevorstand in Braunschweig mit einem Zuschuss, Mitglieder anderer jüdischer Gemeinden spendeten für das Synagogenprojekt, die Firmen Rothschild und Söhne in Stadtoldendorf sowie die Konservenfabriken Maseberg und Scheyer finanzierten die Aktion mit beachtlichen Beträgen.
Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.