Das Objekt
Der römische Menora-Ring wurde am 27. Juni 2001 bei archäologischen Grabungen in Kaiseraugst (Schweiz, Kanton Aargau) gefunden. Er ist als Leihgabe im Jüdischen Museum der Schweiz in Basel ausgestellt. Der Ring wird ins 4. Jahrhundert n. Chr. datiert und besteht aus einer Kupferlegierung. Die kreisrunde Platte hat einen Durchmesser von 10.7 mm und ist knapp 3 mm dick. Der Ring selbst ist stark verbogen, hatte ursprünglich einen Durchmesser von circa 17 mm und ist an seiner dünnsten Stelle gebrochen.
Historischer Kontext
Ein weiterer Beweis für die Anwesenheit von Juden während des späten Römischen Reiches.
Der kleine Fingerring erscheint auf den ersten Blick als einfaches Schmuckstück aus der Römerzeit. Gefunden wurde er in einem antiken Gebäude an der Hauptverkehrsachse im nördlichen Teil der antiken Stadt Augusta Raurica, südwestlich des spätantiken Castrums Rauracense. Die abgenutzte Oberfläche des Rings lässt vermuten, dass er über längere Zeit als Siegel verwendet wurde.
Aufgrund der Darstellung einer Menora auf der Ringplatte kann der Siegelring Interner Link: als eines der ältesten Zeugnisse eines Judentums auf Schweizer Boden angesehen werden. Im Zentrum steht der siebenarmige Leuchter. Die mit Rundpunze gefertigte eingetiefte Perlung der Menora bildet vereinfacht seine Struktur nach. Die Darstellungsweise entspricht einer geläufigen Ikonografie, wie sie für die Darstellung des Leuchters auch auf anderen Fingerringen und Schmuckstücken verwendet wurde.
Trotz der abgegriffenen Oberfläche der Ringplatte sind an der Menora noch immer die symbolisierten Lichtträger am Ende der Arme deutlich erkennbar, die mit dreieckigen Punzen eingeschlagen wurden. Die dreifüßige Basis der Menora des Kaiseraugster Rings entspricht der für das 4. Jahrhundert üblichen Form für Menorot, wie sie auch auf der Interner Link: spätantiken Lampe aus Trier dargestellt ist. Für die Standfüße wurde im Übrigen dieselbe dreieckige Punze verwendet wie für die symbolisierte Darstellung der Tonlampen.
Die Darstellung der Menora auf dem Kaiseraugster Ring geht zurück auf den siebenarmigen Leuchter, den die Römer im Jahre 70 n. Chr. bei der Eroberung und Zerstörung Jerusalems zusammen mit den übrigen heiligen Geräten aus dem zweiten Tempel geraubt und im folgenden Jahr im Triumphzug durch Rom geführt hatten. Der antike Chronist Flavius Josephus überliefert dieses Ereignis detailreich in seinem Werk. Dieses Ereignis ist auf dem 81 n. Chr. errichteten Titusbogen dargestellt, dem bekanntesten Beispiel der Darstellung der Menora. Ab diesem Zeitpunkt wird der Leuchter zum charakteristischen Symbol der jüdischen Identität und taucht auf Darstellungen in Synagogen, Grabmälern, aber auch alltäglichen Objekten auf. Besonders in der Spätantike wird das Symbol häufig auf Darstellungen in jüdischen Katakomben, auf Sarkophagen, Gläsern, Öllampen, aber auch Schmuckanhängern und Fingerringen geläufig.
Meist werden dem Leuchter weitere Ritualobjekte zur Seite gestellt. Dies ist auch auf dem Ring der Fall. Denn links und rechts der Menora sind verschiedene Symbole eingepunzt, die allerdings nur noch ansatzweise sichtbar sind. Links ist die Form eines Etrogs, einer Zitrusfrucht aus der Symbolik des jüdischen Laubhüttenfests Interner Link: Sukkot, erkennbar. Die längliche Vertiefung rechts wird als Lulaw, den Feststrauß des Laubhüttenfests, interpretiert. Charakteristisch für Darstellungen auf Fingerringen in der Interner Link: Diaspora ist die getrennte Darstellung von Etrog und Lulaw zu beiden Seiten der Menora.
Ob die ansatzweise über dem Etrog erkennbare feine Vertiefung als Interner Link: Schofar, also das an hohen Feiertagen in Synagogen verwendete Widderhorn interpretiert werden kann, bleibt im Moment noch Spekulation. Eine ähnliche Anordnung der Symbole ist jedoch auch auf weiteren Darstellungen römischer Ringsteine bekannt. Eine Klärung wird durch eine laufende naturwissenschaftliche Analyse erhofft.
Die Darstellung der Menora ist spätestens ab dem 3. Jahrhundert als etabliertes religiöses Zeichen für das Judentum zu werten. Analog zu den in dieser Zeit immer zahlreicher auf Siegel- und Schmuckringen auftretenden Christusmonogrammen und Kreuzen verweist der Kaiseraugster Ring damit klar auf den religiösen Hintergrund des Besitzers oder der Besitzerin. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kaiseraugster Ring von Juden getragen wurde. Ob der Kaiseraugster Menora-Ring von einer privaten Person oder im sakralen Umfeld getragen wurde, muss aber ebenso offen bleiben, wie bei anderen Siegelringen mit religiösen Symbolen, die im Gebiet der antiken Stadt gefunden wurden.
Mit dem Fund des Ringes für die Spätantike kann jedoch bisher noch nicht von einer permanenten jüdischen Niederlassung in der antiken Stadt geschlossen werden. Allerdings ist das archäologische Umfeld des Fundorts bislang nur partiell erforscht worden. Die Fundstelle liegt unterhalb der älteren Oberstadt, die bis ins 3. Jh. n. Chr. bestand. Der Ring lag in der Unterstadt westlich des um 300 n. Chr. angelegten Kastells. Das Gebäude lag an der Fernverbindung der Raetiastrasse, dem Zubringer zur Rheinbrücke und zum Hafen, der für die Verschiffung der Ware rheinabwärts, in dieser Zeit noch immer von Bedeutung war. Zahlreiche Funde sprechen von kaufkräftigen dort ansässigen Bewohnern, die sich auch in dieser eher unsicheren Zeit noch mit Olivenöl und Fischsaucen aus Spanien und sogar Wein aus Nordafrika versorgen konnten.
In welchem Kontext der Menora-Ring nach Augusta Raurica gekommen ist, bleibt weiterhin offen. Eine Herkunft aus dem italischen Raum erscheint jedoch plausibel. Denn schon in der Spätantike ist dort eine grosse jüdische Gemeinschaft nachweisbar.
In Augusta Raurica selbst ist der Ring allerdings nicht der älteste jüdische Fund. In Augst wurde eine sehr seltene Münze aus Palästina aus der Zeit Domitians und Agrippa II. aus den Jahren 85/86 n. Chr. gefunden. Gut möglich, dass sich diese Münze in Besitz von Juden befunden hatte. Vielleicht wurde sie aber auch von Soldaten aus Judäa in den Westen gebracht.
Die Geschichte und Bedeutung des Menora-Rings wird also auch weiterhin Fragen aufwerfen. Mit diesem wichtigen Fund ist jedoch auf dem Gebiet der heutigen Schweiz eindeutig eine zumindest temporäre jüdische Präsenz in römischer Zeit nachweisbar. Das wertvolle Fundstück wird in der nächsten Zeit erneut mit zerstörungsfreien Methoden untersucht werden können. Daraus werden neue Erkenntnisse zur Zusammensetzung des Materials, der Herstellungstechnik, zu Details der Darstellung und eventuell sogar zur Herkunft dieses besonderen Objekts erhofft.
Persönliche Geschichte
Ludwig Berger-Haas‘ Werk über den Menora-Ring von Kaiseraugst ist ein weiterer Beweis dafür, dass selbst kleinformatige archäologische Funde von großer historischer Bedeutung sein können.
Der Menora-Ring aus Kaiseraugst ist unverrückbar verknüpft mit dem jüdischen Basler Professor Ludwig Berger-Haas (1933–2017). Als Grabungsleiter in Augusta Raurica war er in den 1960er Jahren für die Erforschung zahlreicher wichtiger Befunde zuständig. Höhepunkte seiner Karriere als Ausgräber in Augst waren die Freilegung eines noch vollständigen Backofens einer antiken Taberna, sowie die Entdeckung und Hebung des berühmten Gladiatorenmosaiks am 15. Oktober 1961. Das erst kürzlich vollständig restaurierte Mosaik bildet heute eines der Prunkstücke der archäologischen Sammlung von Augusta Raurica.
In seiner späteren Tätigkeit als Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Basel widmete sich Ludwig Berger unterschiedlichsten wissenschaftlichen Themen, vom Neolithikum bis in die Spätantike. Internationale Beachtung fanden seine Forschungen zum antiken Glas, aber auch seine Ausführungen zur frühkeltischen Kunst, die er 1967 als Beitrag im ersten Band der Propyläenkunstgeschichte publizierte.
Trotz seiner Tätigkeit an der Universität Basel blieb Ludwig Berger Augusta Raurica stets verbunden. Zahlreich sind seine Publikationen zu der römischen Koloniestadt am Rhein und die von ihm vollständig überarbeitete, 2012 erschienene siebte Auflage des Führer durch Augusta Raurica fasst den aktuellen Forschungsstand in hervorragender Weise zusammen.
Seinen zahlreichen Schülerinnen und Schülern dürfte vor allem eine Fundgattung für immer in Erinnerung bleiben: Die "Thekenbeschläge des Gemellianus". Dabei handelt es sich um durchbrochene Messerfutteral-Beschläge aus Bronze, welche sich über fast 50 Jahre zu einer Art "archäologischem Steckenpferd" von Ludwig Berger entwickelten.
Auf den zahlreichen Exkursionen schickte er seine Studierenden bei Museumsbesuchen jeweils auf die Jagd und wer tatsächlich einen ihm noch unbekannten "Gemellianus" in einer Sammlung entdeckte—ein Ereignis, das allerdings selten genug vorkam—konnte sich einer Einladung zum Kaffee bei der nächsten Pause sicher sein.
In seinen späten Forschungsjahren beschäftigte sich Ludwig Berger mit jüdischen Zeugnissen aus römischer Zeit. Anlass hierfür war der 2001 in Kaiseraugst gefundene Menoraring. Den Ring hatte er zwar nicht selber ausgegraben, er übernahm aber dennoch mit grossem Interesse und Engagement die ausführliche wissenschaftliche Aufarbeitung und Einordnung dieses besonderen Objekts, wofür er als hervorragender Kenner von Augusta Raurica und gleichzeitiger Angehöriger des Jüdischen Glaubens geradezu prädestiniert war.
In der Folge verfasste er neben diversen Artikeln zum Ring selbst auch eine umfassende Arbeit über jüdische Zeugnisse in den nördlichen Provinzen des römischen Reichs. Dank der vier Jahre nach der aufsehenerregenden Auffindung erschienenen Monografie Der Menora-Ring von Kaiseraugst—Jüdische Zeugnisse römischer Zeit zwischen Britannien und Pannonien (2005) erlangten Objekt und Buchautor eine breite Wahrnehmung in der internationalen archäologischen Gemeinschaft. Das Buch, eine der wichtigsten Schriften in der späten beruflichen Laufbahn Ludwig Bergers, avancierte bald zum Standardwerk und bildet heute eine wertvolle Grundlage für Forschungen zum Judentum in der römischen Antike.
Die Untersuchung und Bearbeitung des Rings in all seinen Aspekten erwies sich als kein leichtes Unterfangen und die damit verbundene Thematik stellte letztlich auch für L. Berger eine beträchtliche Herausforderung dar. So schreibt er in der Einleitung:
"Später wurde ich angefragt, ob ich bereit wäre, die weitere wissenschaftliche Bearbeitung zu übernehmen, was ich mit grosser Freude akzeptierte. Dieser Auftrag bedeutete für mich—man entschuldige die abgedroschene Formulierung—eine grosse Herausforderung, verlangte und ermöglichte sie doch die Einarbeitung in die mir bisher völlig unbekannte Archäologie des frühen Judentums der Diaspora. Daneben sollte die Arbeit auch einen Beitrag an die Erforschung von Augusta Raurica bzw. des spätrömischen Castrum Rauracense abgeben, mit der ich seit Jahrzehnten verbunden bin."
Das an sich kleine Objekt war auch später immer wieder Gegenstand von Publikationen Bergers. Der Ring wurde in der Folge in zahlreichen Ausstellungen in ganz Europa präsentiert. Eine Kopie befindet sich neuerdings als Dauerleihgabe im Jüdischen Museum in Berlin. Die Arbeiten Ludwig Bergers über den Menora-Ring aus Kaiseraugst belegen einmal mehr, dass auch kleinformatigem archäologischem Fundgut grosse historische Bedeutung zukommen kann.
Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.