Drei Schritte nach vorn, einer zurück Nachdem der Frauenanteil im Deutschen Bundestag 1987 zum ersten Mal die 10 Prozent Grenze durchbrochen hatte (in den Länderparlamenten bereits 1984), stieg er in den nächsten Wahlperioden rasant weiter an. In der rot-grünen Regierung von 1998 bis 2005 lag er bei 42,8 Prozent. Und 2005 wurde zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine Frau zur Kanzlerin gewählt: Angela Merkel (CDU).
Damit schienen Frauen unbestreitbar in der Politik angekommen zu sein, auch wenn ihnen noch immer schwerpunktmäßig die Bereiche Familie, Jugend und Gesundheit zugeordnet wurden. So gab es bisher keine Innen-, Außen- oder Finanzministerin und auch keine Bundespräsidentin. 2013 übernahm aber eine Frau die Leitung des Verteidigungsministeriums, Ursula von der Leyen (CDU), die bereits in ihrer Zeit als Frauen- und Familienministerin eine Sachverständigenkommission eingerichtet hatte, die 2011 den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung vorlegte.
Obwohl Angela Merkel eine große symbolische Wirkung hat – als erste deutsche Kanzlerin und eine der mächtigsten Politikerinnen der Welt – nahm der Frauenanteil in ihren Regierungen stetig ab – von 40 Prozent im Kabinett I, über 38 Prozent (II), 35,2 Prozent (III) bis zu 30,6 Prozent (IV) – und weist damit einen so niedrigen Stand auf, wie das letzte Mal vor 1989. Ging man bisher davon aus, dass der Frauenanteil stetig steigen würde, bis die Geschlechter zu gleichen Teilen vertreten sein würden, machte die Erkenntnis, dass nicht nur Stillstand, sondern auch Rückschritte möglich sind, deutlich, dass nach wie vor Handlungsbedarf besteht. Außerdem sorgten immer wieder Eklats für Proteste. So führte die Besetzung des Bundesinnenministeriums, das 2018 auch die Aufgabe des Heimatministeriums übernahm, mit ausschließlich weißen, männlichen Staatssekretären und Abteilungsleitern zu der in der Presse breit gestellten Frage: "Gehören Frauen eigentlich zu Deutschland?" (FAZ vom 28.3.2018)
Und nicht nur in den Führungspositionen fehlt es an Frauen. Die Frauenanteile der Parteien liegen 2018 – in abnehmender Reihenfolge - bei: Grüne 39 Prozent, Die Linke 37 Prozent, SPD 32 Prozent, CDU 25 Prozent, FDP 21,9 Prozent, CSU 20 Prozent, AfD 16 Prozent. Angela Merkel erklärte, dass ein Frauenanteil von 25 Prozent "nicht den Ansprüchen einer Volkspartei" (DER SPIEGEL vom 05.05.2018) entspräche. Und sogar die FDP, die sich bisher am vehementesten gegen die Quote ausgesprochen hat, beginnt über eine Quotierung nachzudenken.
Woran liegt die geringere Beteiligung?
Lange war die Antwort auf die Frage, warum weniger Frauen parteipolitisch organisiert sind, dass sich Frauen nun einmal weniger für Politik interessieren. (Oder von konservativer Seite: Dass sie eher für den familiären als für den politischen Bereich geeignet seien.) Dem widerspricht, dass sich Frauen in nicht-institutionalisierten Politikbereichen - also bei Demonstrationen, Bürgerinitiativen, Antifa etc. - im gleichen Ausmaß engagieren wie Männer. Das geringe politische Interesse von Frauen ist also lediglich ein geringeres Interesse an Parteipolitik. Was sagt das aber über die Identifizierung von Frauen mit dieser Form der Demokratie aus?
Aber auch scheinbar profanere Gründe wie Ressourcen spielen eine zentrale Rolle, um innerhalb der Parteihierarchie aufzusteigen (die so genannte Ochsentour). Man muss nämlich viel Zeit investieren und das bedeutet, entsprechend erst einmal genügend Zeit zur Verfügung zu haben. Frauen mit Kindern finden jedoch nur schwer Zeit für die endlosen Gremiensitzungen, die gerne bis in den späten Abend hinein gehen – und erst recht nicht für das gemeinsame Bier danach. Das Problem betrifft viele Berufsgruppen, so stammen nicht von ungefähr rund zwei Drittel aller Parlamentarier*innen aus dem öffentlichen Dienst, da es hier möglich ist, seinen Beruf "ruhen" zu lassen, wenn man Politik machen möchte.
2017 führte die Fernuniversität Hagen im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung eine Studie über politische Beteiligung in der Kommunalpolitik durch. Das Genderranking gewann Erlangen mit 44 Prozent Frauen im Stadtrat - und das im Bundesland Bayern, in dem die politische Beteiligung von Frauen traditionell gering ausfällt (28,3 Prozent). Auf die Frage, was Erlangen zu einem best practice Modell mache, nannte der ehemalige Oberbürgermeister Dietmar Hahlweg (SPD) neben der Quote vor allem: Kinderbetreuung und die Reflexion von Arbeitsabläufen, also etwa Sitzungen mit fixiertem Ende.
Im Bundestag, wo erst 2017 eine Kinderbetreuung während der langen Abendsitzungen (einmal die Woche von 17 bis 21 Uhr) eingerichtet wurde und Babys im Plenarsaal nur in Ausnahmefällen erlaubt sind, liegt der Anteil alleinstehender Frauen ohne Kinder deutlich über dem der alleinstehenden Männer ohne Kinder. Für Männer wirken sich Kinder nicht oder nur unerheblich auf ihre politische Karriere aus. Für Frauen hingegen scheint sich noch immer die Frage zu stellen: Politik oder Familie? Die Quoten verändern zwar erfolgreich die Rekrutierungsmuster der Parteien, nicht aber die tradierte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.
Warum brauchen wir mehr Frauen in den Parlamenten?
Das stellt jedoch ein grundlegendes Problem dar: Inwieweit ist ein Land demokratisch legitimiert, in dem zwar über die Hälfte der Wahlberechtigen weiblich, im Parlament jedoch nur ein Drittel der Gewählten Frauen sind? Ist das allgemeine, gleiche passive Wahlrecht erfüllt, wenn de facto eben nicht alle in gleicher Weise davon Gebrauch machen können? Und warum ist das so wichtig?
Dass Parlamente ein Abbild des Elektorats im Kleinen sein sollen, basiert auf der Grundannahme, die gesellschaftlichen Gruppen würden sich für ihre jeweiligen Anliegen einsetzen. Tatsache ist, Repräsentation in der Regierung und den Parteien ist die Grundvoraussetzung für eine repräsentative Demokratie. Doch was bedeutet Repräsentation? Hier muss man zwischen deskriptiver Repräsentation – Wie viele Frauen sind im Parlament? – und substanzieller Repräsentation – Wie stark werden Frauenthemen bei Entscheidungsprozessen berücksichtigt? – unterscheiden. Zwar bringen Frauen andere Lebenserfahrungen mit und haben dadurch auch andere Wahrnehmungsfilter, allerdings lässt sich die These, dass deskriptive Repräsentation automatisch auch zu substanzieller Repräsentation führt, nicht halten. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Geschlecht und politischem Handeln lässt sich nur bei ganz spezifischen Themen nachweisen, wie etwas der Frage, ob Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestandwerden sollte, was 1997 im Bundestag sehr kontrovers zwischen weiblichen und männlichen Abgeordneten debattiert wurde. In der Regel gilt für Deutschland, dass Parteizugehörigkeit das Geschlecht übertrumpft. So ist zum Beispiel die CDU Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer für die Quote, aber strikt gegen die Abschaffung des §219a (der es Ärzt*innen verbietet, auf ihren Webseiten über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren) und erst recht gegen die Abschaffung des §218 (der Abtreibung zu einer Straftat macht).
Die national wie international gemachte Erfahrung, dass eine Frau an der Regierung noch nicht unbedingt Frauenpolitik macht, führt zu der Frage: Was ist überhaupt Frauenpolitik? Und ist Frauenpolitik automatisch feministische Politik? Zurzeit besteht ein Konsens, dass zu den Frauenanliegen eindeutig Kinder- und Jugendpolitik, Externer Link: Familienpolitik und
Grundsätzlich lässt sich festhalten, je konservativer das Frauenbild einer Partei oder eines Staates ist, desto geringer ist ihr Frauenanteil – und desto mehr beschränkt sich Frauenpolitik auf Familienpolitik. In der EU befindet sich Deutschland, was den Frauenanteil im Parlament angeht, im Mittelfeld. Spitzenreiter sind Schweden und Finnland mit über 40 Prozent Frauen in der Regierung. Entsprechend sagt die Geschlechterverteilung im Parlament viel über Geschlechterrollen und Partizipationsmöglichkeiten in der Gesamtgesellschaft aus, aber nur wenig darüber, ob dort auch feministische Politik gemacht wird.
Ausblicke und Visionen
Seit dem
Weil deskriptive Repräsentation noch keine substanzielle Repräsentation ist, fordert die Publizistin Antje Schrupp "keine Frauenquote, sondern Feministinnenquote". Das ist natürlich eine Provokation, die allerdings darauf aufmerksam macht, dass es vielleicht nicht ausreicht, was Parlamentarier*innen qua eigener Erfahrung mitbringen, und sie eventuell Weiterbildungen brauchen, um sie für geschlechterpolitische Themen zu sensibilisieren und ihnen das Wissen und Rüstzeug zu vermitteln, diese auch kompetent vertreten zu können.
Ein weiteres Problem ist, dass beispielsweise im Externer Link: Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2017) unter Gleichstellung nahezu nur Frauenförderung verstanden wird. Damit werden jedoch wichtige Problemfelder und Handlungsoptionen ausgeblendet, denn für Gleichberechtigung ist es wichtig, dass Politik auch Männer und weitere Geschlechter in den Blick nimmt, und zwar nicht nur als Profiteure der bestehenden Geschlechterordnung, sondern auch als deren Leidtragende. So weist der Politikwissenschaftler Thomas Gesterkamp darauf hin, dass neben dem gender pay gap (dass Frauen in Deutschland als Ergebnis von Geschlechterrollen 22 Prozent weniger verdienen als Männer) auch der gender life expectancy gap (dass Männer in Deutschland als Ergebnis von Geschlechterrollen fünf Jahre früher sterben) ein Hindernis für Geschlechtergerechtigkeit ist und der politischen Aufmerksamkeit bedarf. Um gesellschaftlich Veränderungen zu bewirken, ist es schlicht nicht effektiv, nur Gleichstellungspolitik für Frauen zu machen. Mit anderen Worten: Wenn mehr Frauen in die Politik gehen sollen, müssen gleichzeitig die Hürden beseitigt werden, die es für Männer bedeutet, sich um die Kinder zu kümmern. Dazu bedarf es neben einer Frauen- und Genderpolitik, auch einer eigenständigen emanzipatorischen Männerpolitik.
Ein Mittel, um all diese Aufgaben strukturell anzugehen, könnte die Einrichtung eines Bundesministeriums für gesellschaftlichen Wandel sein.