Öffnung der Mauer: Auf einer vom Fernsehen direkt übertragenen, zunächst langweiligen Pressekonferenz verliest SED-Politbüromitglied Schabowski um 18.57 Uhr auf eine Frage zur neuen Ausreiseregelung beiläufig den Entwurf für eine Presseerklärung über einen Beschluss, den ihm ein Bote des SED-Chefs Krenz kurz vorher zugesteckt hatte: »Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt.« Visa für ständige Ausreisen, die über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen könnten, seien unverzüglich zu erteilen. - Auf eine Nachfrage erklärt Schabowski in Unkenntnis über die Tragweite seiner Antwort, das trete nach seiner Kenntnis »sofort, unverzüglich« in Kraft. - Geplant gewesen ist dies tatsächlich erst später und nur auf Antrag. Die sensationelle Meldung löst eine Kettenreaktion aus: In Windeseile verbreiten sich Gerüchte, die Grenzübergänge seien geöffnet, obwohl davon keine Rede gewesen ist. An den abends üblicherweise menschenleeren Kontrollstellen entlang der Mauer wimmelt es binnen kurzer Zeit von Ost-Berlinern. Sie wollen eine Probe aufs Exempel machen. Der Bundestag in Bonn unterbricht seine laufende Beratung über das Vereinsförderungsgesetz und stimmt die Nationalhymne an. Die Grenzwachen sind überrascht, ratlos und überfordert. Weisungsgemäß lassen sie zunächst nur DDR-Bürger mit Ausweisen passieren, die sie abstempeln und entwerten, damit sie nicht wieder zurückkehren können. Doch wird der Ansturm so massiv, dass sie auf Formalitäten und zuletzt auf jede Kontrolle verzichten. Um 23.14 Uhr öffnen sich die Schlagbäume, zunächst am Übergang Bornholmer Straße. Nach 28 Jahren ist damit die Mauer faktisch gefallen. Der symbolträchtige 9. November, an dem 1918 in Berlin der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen hatte (er wurde der erste Ministerpräsident der Weimarer Republik), ist historisch in zweifacher Hinsicht belastet: durch Hitlers Putschversuch in München 1923 (»Marsch zur Feldherrnhalle«) und das Reichsjudenpogrom 1938 (»Reichskristallnacht«). Es ist daher problematisch, den 9. 11. zum »Tag der Deutschen« zu erklären und ihn zu feiern.