In einem Volksentscheid billigen 94,5 Prozent der Wähler (Wahlbeteiligung 98 Prozent) die neue DDR-Verfassung. Diese zweite Verfassung der DDR als »sozialistischer Staat deutscher Nation« sollte - anders als die erste vom Interner Link: 7. 10. 1949 - nicht nur für eine Übergangszeit gelten, sondern das Grundgesetz der sozialistischen Ordnung sein. Nach den »Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung« (Art. 1 - 18) ist die DDR als »sozialistischer Staat deutscher Nation« die »politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen«. Als unantastbar gelten das Bündnis der Arbeiter mit den Genossenschaftsbauern, mit der Intelligenz und mit den anderen Volksschichten, das sozialistische Eigentum an Produktionsmitteln, die Planung und Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung. Die »Nationale Front« gewährleistet das Bündnis aller Volkskräfte. - Die DDR erstrebt u. a. Freundschaft mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten, ein System kollektiver Sicherheit und eine stabile Friedensordnung sowie »die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus«. Damit sind erstmals die Führungsrolle der SED und ihre Weltanschauung verfassungsrechtlich festgeschrieben, ferner das Bündnis mit der Sowjetunion sowie die Bindung an die - nicht mehr pluralistisch gesehene - »sozialistische Gemeinschaft« mit ihren Produktions- und Eigentumsverhältnissen, denen auch Wissenschaft und Forschung zu dienen haben. »Grundrechte und Grundpflichten der Bürger« (Art. 19 - 40) gelten als Einheit und als »sozialistische Persönlichkeitsrechte«: Sie verbürgen nicht die individuell-private Freiheit vom Staat (»bürgerliche« subjektive öffentliche Rechte), sondern bestimmen die gesellschaftlich-politische Freiheit im Staat (»sozialistische« Rechte aktiver Staatsbürger). Ausgehend von der Prämisse, dass persönliche und gesellschaftliche Interessen miteinander übereinstimmen, ist somit jeder Bürger berechtigt und verpflichtet, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der »sozialistischen Gemeinschaft« und des sozialistischen Staates mitzubestimmen und mitzugestalten. Es gilt der Grundsatz: »Arbeite mit, plane mit, regiere mit!« (Art. 21). Demgemäß haben die konkretisierten Rechte (z. B. auf aktive und passive Wahl ab dem 18. Lebensjahr, auf Arbeit, auf Bildung und Beruf, auf Freizeit, Erholung und Wohnung, auf Schutz der Gesundheit, der Familie und Mutterschaft, auf Fürsorge im Alter und bei Invalidität), aber auch die Freiheiten nach den Grundsätzen der Verfassung (z. B. der Meinung und Presse, der Versammlung und Vereinigung sowie der Religion) Verpflichtungscharakter. Eingebunden in die sozialistische Gesellschaft sind die Gemeinschaften: die »eigenverantwortlichen« Betriebe, Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände (Art. 41 - 43), die Gewerkschaften im FDGBals »Klassenorganisation« (Art. 44 - 45) und die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften als freiwillige Vereinigung der Bauern (Art. 46). Das Regierungssystem (»Aufbau und System der staatlichen Leitung«) richtet sich nach den verfassungsrechtlich verankerten »Zielen und Aufgaben der Staatsmacht«. Sie ist nach dem Prinzip des »demokratischen Zentralismus« aufgebaut. Die Volkskammer (Art. 48 - 65) ist »das oberste staatliche Machtorgan«, dessen Rechte niemand einschränken kann. Sie allein beschließt die Gesetze und führt sie auch aus (»Einheit von Beschlussfassung und Durchführung«); sie wählt den Staatsrat, den Ministerrat, den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrats, das Oberste Gericht und den Generalstaatsanwalt, bestimmt die Grundsätze ihrer Tätigkeit und kann sie jederzeit abberufen; sie bestätigt und kündigt Staatsverträge; sie kann Volksabstimmungen beschließen und sich selbst auflösen. Die Abgeordneten (500), die alle vier Jahre direkt vom Volk, in Ost-Berlin indirekt von der Stadtverordnetenversammlung (seit 14. 6. 1981 ebenfalls direkt: Interner Link: 28. 6. 1979) gewählt werden, können von den Wählern bei groben Pflichtverletzungen abberufen werden (imperatives Mandat). - Faktisch ist die Volkskammer - anders als in der Verfassungstheorie - ein machtloses und relativ arbeitsloses Organ, das nur selten und kurz zusammentritt. Der Staatsrat (Art. 66 - 77), der von der Volkskammer gewählt wird und ihr »als Organ« verantwortlich ist, übt die Funktionen eines kollektiven Staatsoberhaupts aus: Er repräsentiert die DDR völkerrechtlich und ratifiziert Staatsverträge, er ernennt und akkreditiert die Diplomaten, er stiftet Orden, und er übt das Begnadigungsrecht aus. Darüber hinaus vertritt der Staatsrat die Volkskammer zwischen ihren Tagungen in legislativer, exekutiver und judikativer Hinsicht: Er behandelt die Vorlagen an die Volkskammer, beruft ihre Tagungen ein und schreibt die Wahlen zu allen Volksvertretungen aus; er regelt »grundsätzliche Aufgaben« durch rechtsverbindliche Erlasse und entscheidet über Grundsatzfragen der Landesverteidigung, die er mit Hilfe des Nationalen Verteidigungsrats organisiert; er legt die Verfassung und die Gesetze verbindlich aus und beaufsichtigt die Tätigkeit des Obersten Gerichts und des Generalstaatsanwalts. Der Ministerrat (Art. 78 - 80) führt als kollektiv arbeitendes Organ Gesetze und Erlasse aus und erlässt rechtsverbindliche Verordnungen; er leitet, koordiniert und kontrolliert die Ministerien und Räte der Bezirke; er ist für die Planwirtschaft zuständig sowie für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Der Vorsitzende des Ministerrats wird vom Staatsratsvorsitzenden vorgeschlagen und mit den Ministern von der Volkskammer nach dem Blocksystem für vier Jahre gewählt. Alle Mitglieder sind für die Tätigkeit des Ministerrats verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Die örtlichen Volksvertretungen (Art. 81 - 85) sind die »gewählten Organe der Staatsmacht« in Bezirken, Kreisen, Städten, Stadtbezirken, Gemeinden und Gemeindeverbänden. Sie wählen Räte und Kommissionen als ausführende und kontrollierende Organe. Die sozialistische Gesetzlichkeit und die Rechtspflege (Art. 86 106) dienen dem Schutz und der Entwicklung der DDR sowie ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung. Das höchste Organ der Rechtsprechung ist das Oberste Gericht, das der Volkskammer bzw. dem Staatsrat verantwortlich ist. Alle Richter, Schöffen und Mitglieder gesellschaftlicher Gerichte werden gewählt und sind abberufbar; denn Richter haben »dem Volk und seinem sozialistischen Staat treu ergeben« zu sein. Die sozialistische Gesellschafts- und Staatsordnung sowie die Rechte der Bürger sichert die Staatsanwaltschaft, die der Generalstaatsanwalt leitet. Jeder Bürger kann Eingaben machen; für Beschwerden gegen oberste Organe ist der Ministerrat bzw. der Staatsrat zuständig. Nach den Schlussbestimmungen (Art. 107 - 108) ist die Verfassung unmittelbar geltendes Recht. Sie kann nur von der Volkskammer durch Gesetz geändert oder ergänzt werden.