Generalstreik und danach Volksaufstand in der DDR: Bauarbeiter in der Ost-Berliner Stalinallee beginnen am 16. 6. mit einem Streik, da der Ministerrat trotz des »Neuen Kurses« die am 28. 5. 1953 beschlossene Erhöhung der Technischen Arbeitsnormen (TAN) um mindestens zehn Prozent nicht zurücknimmt. Die Gewerkschaftszeitung »Tribüne« nennt sie am 16. 6. »in vollem Umfang richtig«. Streiks, Demonstrationen und Unruhen greifen auf 373 Städte und Ortschaften über. Sie weiten sich zum Generalstreik und schließlich zum Volksaufstand aus, obwohl die SED die Normenerhöhung noch am 16. 6. korrigiert hat. Zentren des Volksaufstandes sind Industriestädte wie u. a. Ost-Berlin, Jena, Halle, Merseburg, Erfurt, Gera, Leipzig, Dresden, Magdeburg, Rostock und ferner Großbetriebe wie Bitterfeld, Leuna, Buna und Hennigsdorf. Es sind ehemalige Hochburgen der politischen Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Zunächst werden ökonomische Zugeständnisse erstrebt (»Nieder mit den Normen!«), später überwiegen politische Forderungen: »Freie Wahlen!«, »Nieder mit Ulbricht und Grotewohl«, »Rücktritt der Regierung«, »Freiheit den politischen Gefangenen«, »Nationale Einheit«. In manchen Städten übernehmen Arbeiterkomitees spontan zeitweilig die Macht. Sowjetische Stadtkommandanten verhängen ab 13 Uhr in Ost-Berlin und danach über 13 Bezirks- und 15 Kreisstädte den Ausnahmezustand und das Kriegsrecht. Demonstrationen und Versammlungen jeder Art sind verboten. Sowjetische Truppen schlagen schließlich die Zentren des Aufstands mit Panzern, Schützenwagen und Mannschaftsfahrzeugen nieder. Das ZK der SED prangert den Aufstand am 21. 6. als »faschistische Provokation« (Tag X) von »Adenauer, Ollenhauer, Kaiser und Reuter« an, danach als »faschistischen Putschversuch«. Justizminister Max Fechner (SED), der die Verhaftung Oppositioneller und Wortführer des 17. Juni kritisiert und das Streikrecht befürwortet hatte, wird am 15. 7. 1953 abgesetzt und verhaftet. Seine Nachfolgerin ist Hilde Benjamin, die »Rote Hilde«. Sie lenkt die politischen Strafverfahren »operativ« nach Anweisungen der Besatzungsmacht und der SED. Ohne die sowjetische militärische Intervention wäre die SED-Diktatur innerhalb weniger Tage in sich zusammengebrochen. Der erste Volksaufstand im Stalinismus, von den maßgeblichen Historikern in der DDR bis zuletzt als »konterrevolutionärer Putschversuch« dargestellt, bleibt daher für die SED-Führung stets ein Trauma. Noch am 31. 8. 1989 fragt Stasi-Chef Mielke in einer Dienstbesprechung auf höchster Ebene in Ost-Berlin: »Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?«