Aktualität der öffentlichen Auseinandersetzung um 1968 und die Erziehung
Immer wieder wird die Erziehung der 68er in der öffentlichen Diskussion für alle möglichen Missstände verantwortlich gemacht. Dies ist nicht erst heute so, sondern lässt sich in regelmäßigen Wellen immer wieder beobachten. So machte etwa Bernhard Bueb, Autor des Buches "Lob der Disziplin" (2006), den 68ern den Vorwurf, für eine Misere in der Erziehung und einen damit verbundenen Werteverfall verantwortlich zu sein. In einer Diskussion mit dem ehemaligen Kinderladenaktivisten Cohn-Bendit warf Bueb den 68ern vor, zu sehr an Rousseau und das Gute im Menschen geglaubt und dabei verkannt zu haben, dass Kinder "untergeordnet" seien (ZEIT-Geschichte 2007, S. 34).
Vergleichbare Kritik war schon früher, etwa in Susanne Gaschkes Buch "Die Erziehungskatastrophe" (2000), formuliert worden. 1993 hatte der Politikwissenschaftler Claus Leggewie anlässlich von rechten Gewalttaten gegen Ausländer und Asylanten gefragt, ob die Erziehung schuld daran sei. Er machte "eine kolossale Indifferenz des ganz gewöhnlichen (westdeutschen) Familienlebens der neunziger Jahre" für die Übergriffe verantwortlich. Es gebe keine Grenzziehungen und keine Vorbilder. Dies sei ein Ergebnis der "repressionsfreien" Erziehung von 68, so seine äußerst kontrovers diskutierten Thesen (ZEIT-Geschichte 2007, S. 86).
Obwohl die Frage nach "der Erziehung der 68er" die Gemüter immer wieder bewegt, gibt es bisher kaum Forschungen dazu. Bis heute gibt es kein empirischen Untersuchungen, die ehemalige Kinderladenkinder zu ihren Erfahrungen und Lebensverläufen befragen. Viele der vorgebrachten Vorwürfe halten der wissenschaftlichen Überprüfung anhand zeitgeschichtlicher Quellen nicht stand. So lässt sich etwa die angeführte Bezugnahme auf Rousseau nicht nachweisen. Auch von einem "laissez-faire-Stil in der Erziehung", bei dem keine Grenzen gesetzt werden, distanzierten sich die Begründerinnen und Begründer von Kinderläden durchaus (Breiteneicher et al. 1971, S. 119ff.). Monika Seifert, die 1967 die "Kinderschule" in Frankfurt gründete, schrieb 1970: "Ein selbstreguliertes Kind ist kein sich selbst überlassenes Kind im Sinne des 'Laissez-faire-Stils'. Das Kind kann seine Bedürfnisse nur dann regulieren und seine eigene Interessenvertretung lernen, wenn es sich in der Geborgenheit eines stabilen Bezugsrahmens (Elternhaus, Kinderkollektiv) befindet" (Seifert 1970).
Neben jenem Forschungsbedarf als Aufgabe der Wissenschaft existiert ein öffentlicher Diskussionsbedarf, nicht zuletzt von Seiten der Kinder von 68ern. Darauf verweisen auch neuere autobiografisch gefärbte literarische Texte aus der Perspektive betroffener Kinder: Sophie Dannenbergs "Das bleiche Herz der Revolution" (München 2004) mit kritisch vorwurfsvollem Blick und Richard David Prechts "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" (Berlin 2005) mit eher liebevoll ironischem Ton. Precht inszeniert die Kollektivbiografie der 68er Kinder als Gegenstück zur Kindheit der "Generation Golf". Eigene Befragungen von Studierenden, ob und warum Sie sich für das Thema interessieren, betonen, dass es schließlich um die Erziehungsvorstellungen der eigenen Eltern gehe (Baader 2008).
Festhalten lässt sich, dass es "die Erziehung der 68er" nicht gibt. Schließlich ist es schon schwierig genug, zu bestimmen, wer "die 68er" überhaupt waren. Die Forschungen der letzten Jahre haben wiederholt darauf hingewiesen, dass sich die Revolte von 68 aus sehr verschiedenen Quellen speiste. Durchgesetzt hat sich ein Verständnis von 1968 als "Chiffre" für gesellschaftliche Protestbewegungen 1967/1968 (Kraushaar 2000), die eine internationale Dimension aufwiesen. Auch die Bemühungen im Kontext von 68, die Erziehungsverhältnisse zu ändern, sind von unterschiedlichen Vorstellungen getragen. Selbst für die ersten Gründungen von Kinderläden 1968 in Berlin lässt sich keineswegs von einheitlichen Konzepten sprechen. Über die von Elternselbsthilfe-Initiativen gegründeten alternativen Kindergärten, die in leerstehenden Einzelhandelsläden eingerichtet wurden, berichten die Akteure: "Sie arbeiten weder praktisch noch theoretisch einheitlich. In fast allen Stadtteilen entstanden im Laufe des Jahres neue Elternkollektive, mit der Absicht, Kinderläden zu gründen" (Breiteneicher 1971, S. 34).
Eine historische Aufarbeitung muss diesen Differenzen Rechnung tragen, sonst besteht die Gefahr, Extreme - wie zum Beispiel die gut dokumentierten Bedingungen, unter denen die Kinder in der bekannten Berliner Kommune II aufwuchsen - zu generalisieren (Kommune 2 1969; Koenen 2001, S. 162). Gleichwohl wird in den folgenden Ausführungen versucht, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner der Erziehungsbewegung von 68, die auch als "antiautoritäre Erziehung" bezeichnet wird, zu beschreiben.
Motive für die Veränderung von Erziehungsverhältnissen
Der Umstand, dass Fragen der Erziehung in den Fokus der Protestbewegung gerieten, hängt unmittelbar mit dem Nachdenken über die Gründe für den Nationalsozialismus und mit den Debatten um Autorität und Antiautorität zusammen. Antiautorität war in keinem anderen Land ein Schlagwort der 68er Bewegung. In Deutschland hingegen war es zentral und geht unter anderem auf die Rezeption der Kritischen Theorie und deren "Studien zum autoritären Charakter" (engl. 1950) zurück. Diese hatte das Frankfurter Institut für Sozialforschung unter der Leitung von Theodor W. Adorno in der Emigration durchgeführt. Die Untersuchung sollte mit Mitteln der empirischen Sozialforschung und der Sozialpsychologie erklären, warum Individuen faschistische Systeme unterstützen, und wie dies mit ihren individuellen psychischen Dispositionen zusammenhängt (Adorno 1973, S. 1). Der Erziehung kam in den Analysen eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Adorno selbst unterstrich in seinen Rundfunkbeiträgen zur "Erziehung nach Auschwitz" aus dem Jahre 1966 vor allem die Bedeutung der Erziehung in der frühen Kindheit (Adorno 1971, S. 90f.). Die Rezeption der Schriften zu "Autorität und Familie" von Erich Fromm aus dem Jahre 1936 und der "Studien zum autoritären Charakter" führte bei den Protagonisten von 1968, etwa bei Rudi Dutschke, zu folgender Programmatik: der Faschismus wurzelt in der autoritären Persönlichkeit und diese geht auf die Erziehung zurück (Dutschke 1968, S. 68). Ergo muss die Erziehung verändert werden. Dutschke hatte das Begriffspaar "Autorität/Antiautorität" in die deutsche Debatte eingebracht (Gilcher-Holtey 1998, S. 174, S. 181). Am Anfang der pädagogischen Aufbrüche von 68 stand also die gemeinsame Frage: Wie lassen sich Erziehungsverhältnisse so gestalten, dass nachfolgende Generationen nicht mehr anfällig für ein System wie den Nationalsozialismus sind, sondern das Potential zum Widerstand haben? Erziehung zur Kritikfähigkeit lautete die Losung. Die nächste Generation anders aufwachsen zu lassen, als man selbst und die eigenen Eltern erzogen worden waren, stand am Beginn der pädagogischen Initiativen von 68. Diese richtete sich auf verschiedene Bereiche des Bildungssystems: auf den vorschulischen Bereich, die Jugendarbeit - hier ist insbesondere die so genannte Heimerziehungsbewegung zu nennen, die sich mit den Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in Heimen befasst -, auf die Schule und schließlich die Universität. Neben der Kinderladenbewegung und der Heimerziehungsbewegung gab es auch eine Schülerbewegung, die sich für schulische Mitbestimmungsrechte einsetzte und eine eigene Presse in Form von Schülerzeitungen hervorbrachte (Gass-Bolm 2006).
Die Kinderladenbewegung
Die größte mediale Aufmerksamkeit hat die Kinderladenbewegung erlangt, anhand derer sich die Ziele der "antiautoritären Erziehungsbewegung" gut diskutieren lassen. Dabei wird deutlich, dass es neben jenem theoretischen Zusammenhang, der sich auf die Frankfurter Schule bezieht, einen höchst praktisch motivierten Aspekt gab, nämlich die Frage, wie die eigenen Kinder zu erziehen seien. Dieses Problem stellte sich auch anlässlich eines schlecht ausgebauten Systems öffentlicher Kleinkindbetreuung. Als eigentliche Begründerinnen der Kinderläden dürfen zwei Frauen gelten: Die bereits erwähnte Monika Seifert in Frankfurt und Helke Sander in Berlin. Beide hatten zuvor im Ausland gelebt, Seifert mit ihrer Tochter in England, Sander in Finnland, und beide hatten dort andere Formen der öffentlichen Kleinkinderbetreuung kennen gelernt. Vor diesem Hintergrund kamen sie - unabhängig voneinander - auf die Idee, eigene Einrichtungen der Kinderbetreuung zu organisieren. Sander war Mitglied im Berliner SDS und gründete, eng mit der Etablierung von Kinderläden verbunden, im Januar 68 den "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen". Die Gründung der ersten Kinderläden in Berlin hing eng mit der Frauenbewegung und mit der Kritik am traditionellen Rollenmodell zusammen. Nach diesem waren Mütter alleine und im häuslichen, privaten Rahmen für die Kindererziehung zuständig. Hinzu kam die Skepsis gegenüber den existierenden Kindergärten. Sie habe sich nicht vorstellen können, ihr Kind in einen normalen Kindergarten zu geben, bemerkte Seifert. Fasst man die Kritik am Mainstream der vorherrschenden Erziehungsprinzipien zusammen, so ergibt sich folgender Katalog:
Kritik an der Überbelegung der Kindergärten, Kritik an der rigiden Tageseinteilung, insbesondere daran, dass die Kinder gezwungen wurden, zu bestimmten Zeiten zu schlafen und zu essen (Kommune 2 1969, S. 171f.). Sander bemerkte, dass Kinder in den traditionellen Kindergärten auch schon mal an Tischen festgebunden wurden (Berndt 1998, S. 239). Seifert unterstreicht, dass es in der Kindererziehung zunächst um die Veränderung sehr einfacher Dinge gehe: "Sie müssen ein Kind nicht alle vier Stunden wach machen und dann in der Nacht durch schreien lassen" (Seifert 1993, S. 75). Die Kritik richtete sich gegen Erziehungsprinzipien, die mit Gehorsam, Triebunterdrückung, Gefühlskälte, Härte und Bindungslosigkeit assoziiert wurden. Dass Kinder beim Mittagsschlaf im Kindergarten in neben einander aufgereihten militärischen Feldbetten auf Befehl die Augen schließen sollten oder auf Befehl Perlen aufziehen mussten, wenn die Erzieherin es anweist und dann getadelt wurden, wenn sie noch nicht so viele Perlen aufgezogen hatten, wie die anderen Kinder. Solche frühpädagogischen Maßnahmen wurden durch die Verteter der Kinderladen-Bewegung kritisiert. Intendiert war auch ein anderer Umgang mit Emotionen, so wurde insbesondere das Ausleben kindlicher Aggressionen untereinander erlaubt, ohne dass die Erwachsenen sofort eingriffen. In einem im Dezember 1969 ausgestrahlten Fernsehfilm von Gerhard Bott mit dem Titel "Erziehung zum Ungehorsam" wurde die Erziehung in den Kinderläden einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Der Film löste eine heftige Diskussion aus. Er kontrastierte die traditionelle Erziehung in den Kindergärten mit der neuen "zwangsfreien" in den Kinderläden. Ein besonderer Akzent lag dabei auf der Sexualerziehung. Während die Kindergärtnerin im Film die Kinder beim Mittagsschlaf streng ermahnt, ihre Hände über der Decke zu halten, dürfen die Kinder in den Kinderläden nackt herumlaufen und sich auch gegenseitig – im Rahmen von Sexualaufklärung – an ihren Geschlechtsteilen berühren.
Ziele und Orientierungen
Wesentliches Ziel der Erziehung in den Kinderläden war die Erziehung zur Kritikfähigkeit, zur Selbstbestimmung, zur Ich-Stärke und zur Selbstregulierung. Kinder sollten also dazu befähigt werden, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und ihnen Ausdruck zu verleihen. Sander spricht von einer Erziehung "gegen Konkurrenzkampf und Leistungsprinzip" (Sander 1968). Man orientierte sich unter anderem an Erziehungstheorien aus der sozialistischen Tradition der Vorkriegszeit sowie an der Psychoanalyse. Insbesondere die Verknüpfung von Psychoanalyse und Marxismus, wie sie sich in den Schriften des Sexualwissenschaftlers Wilhelm Reichs fand, wurde rezipiert, weshalb der Sexualerziehung auch eine besondere Rolle beigemessen wurde (Sager 2008). Zu den großen Leistungen der antiautoritären Erziehungsbewegung für die Bildungsgeschichte gehört die Wiederentdeckung und Neuauflage pädagogischer Texte aus der Vorkriegszeit, etwa der Schriften des psychoanalytischen Pädagogen Siegfried Bernfeld, dessen Veröffentlichung "Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung" aus dem Jahre 1925 vor einigen Jahren von Erziehungswissenschaftlern zum wichtigsten pädagogischen Buch des 20. Jahrhunderts gekürt wurde (Horn/Ritzi 2000). Sowohl die Schriften von Reich als auch die von Bernfeld und die anderer psychoanalytisch wie sozialistisch orientierter Pädagogen waren während des Nationalsozialismus verboten und wurden erst Ende der 60er Jahre wieder entdeckt und dann neu aufgelegt, um einer breiteren Leserschaft wieder zugänglich gemacht zu werden. Bezug genommen wurde auch auf die reformpädagogische Tradition von A. Neill und seine 1924 in England gegründete Schule "Summerhill", die sich etwa dadurch auszeichnete, dass der Unterrichtsbesuch freiwillig war. Sein 1969 in Deutschland unter dem Titel "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Das Beispiel Summerhill" erschienenes Buch erzielte Rekordauflagen. Von den Akteuren der antiautoritären Erziehungsbewegung wurde das Buch intensiv und durchaus kontrovers diskutiert. Erziehung zur Glücksfähigkeit ist für Neill das wichtigste Ziel. Insgesamt wird die Kinderladenbewegung in verschiedene Phasen eingeteilt, eine frühe der Abgrenzung, eine sozialistisch-proletarische seit Beginn der 70er Jahre, ab etwa Mitte der 70er Jahre ist dann von ihrem Ende die Rede (Jansa 2000; von Werder 1977).
Fazit
Betrachtet man die Kinderladenbewegung aus heutiger Sicht, dann gibt es irritierende Momente und solche, die sich historisch durchgesetzt haben. Zu den irritierenden gehört beispielsweise die große Bedeutung, die - in manchen Konzepten - der Sexualerziehung beigemessen wurde. Sexualität wurde zum wichtigsten Indikator für eine freie Persönlichkeit stilisiert und damit zum "Ort der Wahrheit" erklärt. Distanz erzeugen auch solche Ansätze, die mit Wilhelm Reich dafür plädierten, die Bindungen zwischen Kindern und Eltern möglichst früh durch solche zum Kinderkollektiv zu ersetzen, um so Persönlichkeiten zu erziehen, die weniger Hass auf ihre Eltern empfinden und damit insgesamt weniger aggressiv seien. Im Rahmen der so genannten "proletarischen Erziehung" wurde Kindheit teilweise politisch funktionalisiert, indem Kinder möglichst früh zu antikapitalistischen Kämpfern erzogen werden sollten. Eltern bürgerlicher Herkunft unterschrieben in den Kinderläden, dass ihre Kinder später Friseurin oder Elektromeisterin werden würden. Dies galt jedoch bei weitem nicht für alle Konzepte. Im Gegenteil, die sich eher als unpolitisch verstehenden Eltern-Kind-Initiativen, wie die Kinderläden dann später hießen, dürften in der Mehrzahl gewesen sein. Unter dem Aspekt der Modernisierung von Erziehungsverhältnissen haben die Kinderläden zu einer Pluralisierung der Trägerlandschaft geführt. Sie haben auch zur Enthierarchisierung des Verhältnisses von Kindern und Erwachsenen beigetragen, wie sie heutige Erziehungsstile auszeichnet. Die Gefahr, die damit verbunden war, ist die Auflösung jeglicher Differenz von Kindern und Erwachsenen. Teilweise ging es in den Kinderläden dann auch mehr um die Erwachsenen, die ihre eigene Erziehungsvergangenheit bearbeitet haben, als um die Kinder.
Die Balance zwischen Freiheit und Zwang, die der Philosoph Immanuel Kant als Kern des Erziehungsgeschäftes ausgemacht hat, bestimmt das Nachdenken über Erziehung seit der Aufklärung. Die Erziehung von 1968 hat den Akzent auf die kindliche Freiheit gelegt und den von Erwachsenen ausgehende Zwang kritisch reflektiert. Insbesondere aber hat die antiautoritäre Erziehungsbewegung ein öffentliches Nachdenken über Erziehung befördert. Seine besondere Dynamik verdankte es dabei dem Zusammenspiel von Protestbewegung und Bildungsreformen der 60er und 70er Jahre.
Für die Behauptung eines grundsätzlichen Werteverfalls bei heutigen Jugendlichen gibt es keinerlei empirische Belege (Shell-Jugendstudie 2006). Jugendliche heute betonen traditionelle Werte wie Freundschaften und Familie, die in ihrer Werteskala ganz oben rangieren. Damit erledigt sich auch die Frage, ob 1968 für einen Wertverfall in der Erziehung verantwortlich ist. Allerdings haben wir es seit Beginn der 70er Jahre mit einem so genannten Werte- und Mentalitätswandel zu tun. So stimmten 1967 noch 81% aller unter 30jährigen einer Orientierung von Erziehung an Sekundärtugenden wie Sauberkeit, Sparsamkeit etc. zu, 1972 waren es nur noch 52% (Noelle-Neumann 2001). Heute gilt Erziehung zur Selbständigkeit als zentrales Erziehungsziel. Unterordnung und Gehorsam sind keine Tugenden mehr, die Menschen gut auf die Lebensführung in pluralen, modernen und globalisierten Gesellschaften vorbereitet. Bei den Diskussionen über 1968 und die Erziehung geraten die Ausgangsbedingungen häufig aus dem Blick. So hatten beispielsweise Lehrer und Lehrerinnen in der Bundesrepublik bis 1973 das Recht auf körperliche Züchtigung ihrer Schüler und Schülerinnen. Die Idee, dass Kinder, weil sie Kinder sind, "untergeordnet", wie Bernhard Bueb es wieder einfordert und - entsprechend - Erwachsene "übergeordnet" sind, diese Idee hat 1968 aus der Erziehung verbannt und anstelle eines Unter- und Überordnungsverhältnisses ein Beziehungsverhältnis gesetzt, das vom Erwachsenen auch eine kritische Selbstreflexion einfordert.