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Kohleausstieg – Ein gerettetes Dorf will eine Zukunft Wir im Wandel. Geschichten vom Umbruch

Sonja Ernst

/ 5 Minuten zu lesen

Die Bewohnerinnen und Bewohner von Pödelwitz haben dafür gekämpft, dass ihr Dorf nicht dem Tagebau weichen muss. Pödelwitz will ein Modelldorf sein, doch wirklich gerettet ist es nicht.

Kohleausstieg – Ein gerettetes Dorf will eine Zukunft

Wir im Wandel. Geschichten vom Umbruch

Kohleausstieg – Ein gerettetes Dorf will eine Zukunft

Die Bewohnerinnen und Bewohner von Pödelwitz haben dafür gekämpft, dass ihr Dorf nicht dem Tagebau weichen muss. Pödelwitz will ein Modelldorf sein, doch wirklich gerettet ist es nicht. Mehr Infos unter: bpb.de/wirimwandel

Das Transkript der Episode gibt es Interner Link: hier zum Download.

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Pödelwitz liegt in der Nähe von Leipzig, im Mitteldeutschen Braunkohlerevier. Das Dorf grenzt an den Tagebau Vereinigtes Schleenhain. Als der Tagebau erweitert und der Ort abgebaggert werden sollte, wehrten sich die Bewohnerinnen und Bewohner dagegen. Zumindest einige.

Zu ihnen gehört Jens Hausner, 57. Er ist Landwirt und lebt mit seiner Familie in Pödelwitz. Er gehört zu denen, die ihr Dorf nicht aufgeben wollten. Ab 2011 lasen sie sich ein in das Bergbaurecht, in Gutachten und auch Gerichtsurteile zu anderen Dörfern. Für Jens Hausner war bald klar, dass es keine rechtliche Grundlage für den Abriss des Ortes gibt. „Wenn wir es nicht über eine politische Entscheidung hinbekommen hätten, dann hätten wir das über eine juristische Entscheidung erreicht“, sagt er im Rückblick.

Podcast "Wir im Wandel"Über die Hosts

Sonja Ernst und Monika Ahrens. (© Privat)

Sonja Ernst ist freie Journalistin. Sie berichtet über Themen aus Politik und Gesellschaft, vor allem für den Hörfunk, u.a. Deutschlandradio oder SWR. 2022 gewann sie den Peter Scholl-Latour Preis für ihre Reportage "Kinder aus Kriegsvergewaltigungen – Trauma und Schweigen überwinden".

Monika Ahrens ist freie Radiojournalistin und arbeitet im Redaktionsteam des Update-Podcasts von Deutschlandfunk Nova. Sie kommt aus Niedersachsen, hat in Leipzig und Berlin studiert und lebt in Köln.

Öffentlichkeitsarbeit und die Bürgerinitiative „Pödelwitz bleibt“

Sie gründeten die Bürgerinitiative „Pödelwitz bleibt“. Jens Hausner ging in die Politik und wurde Mitglied bei der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er wurde in den Stadtrat von Groitzsch gewählt – der Kleinstadt, zu der Pödelwitz gehört. Ebenso machte Pödelwitz erfolgreich Öffentlichkeitsarbeit und war immer wieder in den Schlagzeilen.

Im Januar 2021 war gewiss, dass Pödelwitz bleibt. Pläne, den Tagebau um das Dorf zu erweitern wurden offiziell beendet. Doch gänzlich gerettet war Pödelwitz damit noch nicht. Denn das Dorf ist heute fast leer.

Freiwillige Umsiedlung – viele verließen das Dorf

Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain gehört der MIBRAG, der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft. Auch wenn keine Genehmigung zur Abbaggerung vorlag, bot das Unternehmen den Pödelwitzern eine Entschädigung an, wenn sie ihre Häuser verkaufen und wegziehen. Zwischen 2014 und 2018 nahmen viele das Angebot an: Von ursprünglich 140 Einwohnerinnen und Einwohnern blieben 35.

Das sei zunächst eine herbe Enttäuschung gewesen, erinnert sich Jens Hausner. Doch im Nachgang seien sie froh, dass die, die gehen wollten, den Schritt gemacht haben. „Denn wir hätten wahrscheinlich diesen Riss nie wieder kitten können, der durchs Dorf getrieben wurde. Aufgrund dieser Entschädigungszahlung“, sagt Jens Hausner. Jetzt würden zwar deutlich weniger Menschen im Dorf leben, doch dafür teile man ein intakteres Dorfleben als zuvor.

Doch die verlassenen Häuser stehen bis heute leer. Sie sind Eigentum der MIBRAG, die bislang nicht verkaufen möchte. Interesse an den Häusern gibt es, denn für Pödelwitz wurden viele Ideen entwickelt, den Ort zu einem Modelldorf zu machen.

Franziska Knauer und Matthias Werner möchten in Zukunft beide nach Pödelwitz ziehen. (bpb, Sonja Ernst) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Strukturwandel: Pödelwitz will Vorbild sein und experimentieren

„Was wir hier vorhaben, soll Modellcharakter haben“, sagt Matthias Werner. „Wo man alles ausprobieren kann, wo man auch Fehler machen kann, wo andere davon lernen können“, so der 36-Jährige. „Und dadurch, dass dieser Ort diese Geschichte hat und nun so leer steht, bietet er die besten Voraussetzungen dafür.“

Matthias Werner lebt mit seiner Familie in Leipzig und würde gerne nach Pödelwitz umziehen. Ebenso Franziska Knauer, 30. Sie ist die Stieftochter von Jens Hausner und ist im Dorf groß geworden. Langfristig möchte sie zurück nach Pödelwitz.

Beide gehören dem Verein „Pödelwitz hat Zukunft“ an, der 2021 gegründet wurde. Im Rahmen von Dorfversammlungen und anderen Treffen wurden Ideen für Pödelwitz entwickelt: von einer offenen Werkstatt plus Atelier über ein Seminarhaus und Coworking-Space bis hin zur solidarischen Landwirtschaft, einer Energiegenossenschaft und Mehrgenerationenhäusern. Außerdem soll Pödelwitz ein inklusives Dorf werden und betreutes Wohnen anbieten.

Diese Ideen für Pödelwitz sieht der Verein auch als Experiment, wie sich Dörfer in den Regionen, die vom Kohleausstieg geprägt sind, neu erfinden und entwickeln können.

Kohleausstieg und Strukturwandel in den Regionen

Spätestens 2038 will Deutschland keinen Strom mehr aus Kohle gewinnen. Der beschlossene Kohleausstieg wird Folgen für die deutschen Braunkohlereviere haben. Im Rheinischen Braunkohlerevier endet die Laufzeit für die Braunkohle-Kraftwerke 2030. In den Revieren in Ostdeutschland ist das Ende für 2038 angesetzt. Ein früherer Ausstieg wird diskutiert.

Die Politik will diese Regionen unterstützen. Für den Strukturwandel wurden rund 40 Milliarden Euro Finanzhilfen von der Bundesregierung beschlossen. Grundlage dafür sind auch die Ergebnisse der sogenannten Kohlekommission. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ legte im Januar 2019 einen Bericht vor.

Evaluation der Fördermittel

Oliver Holtemöller leitet die Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Ebenso ist er der stellvertretende Präsident. Das IWH untersucht gemeinsam mit dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, wofür die Fördermittel des Bundes ausgegeben werden und mit welcher Wirkung.

„Ich glaube, es ist wichtig, sich erst einmal die Ausgangslage zu vergegenwärtigen. Die Regionen, die jetzt am stärksten vom Braunkohleausstieg betroffen sind, sind heute schon strukturschwache Regionen“, sagt Oliver Holtemöller. Das Wirtschaftswachstum habe sich in den vergangenen rund 20 Jahren vor allem im Dienstleistungsbereich abgespielt. Im produzierenden Gewerbe, wozu der Bergbau zählt, seien in der Summe keine neuen Arbeitsplätze entstanden.

Die beiden Institute sind noch mittendrin bei der Analyse und Auswertung der Strukturhilfe-Maßnahmen. Dafür spielen sie auch unterschiedliche Szenarien durch: Was wäre gewesen, wenn es keinen Kohleausstieg gegeben hätte? Was, wenn der Ausstieg ohne Fördermittel erfolgen würde und so weiter.

Zunächst untersuchen die beiden Institute die Finanzmittel, die direkt über den Bund verplant und ausgegeben werden. Von den 40 Milliarden Euro sind das rund 26 Milliarden; die restliche 14 Milliarden fließen über die Länder. Oliver Holtemöller ist sich sicher, dass Strukturwandel aber nicht allein aus Berlin oder den Landeshauptstädten heraus geplant werden könne. „Am Ende müssen es Initiativen sein, die aus den Regionen selbst kommen“, sagt Oliver Holtemöller.

Wie weiter in Pödelwitz?

In Pödelwitz herrscht derweil ein Gefühl von Stillstand. Auch wenn ein Beteiligungsprozess begonnen hat. Diesen führt die kommunale Strukturentwicklungsgesellschaft durch. Mit am Tisch sitzen unter anderem der Landkreis sowie alle Kommunen rund um das Tagebaugebiet „Vereinigtes Schleenhain“. Auch die MIBRAG ist eingeladen.

Franziska Knauer und Matthias Werner geht der Beteiligungsprozess zu langsam. Die Häuser würden verfallen und für die Menschen, die in Pödelwitz geblieben sind, sei das halbleere Dorf kein Dauerzustand. Sie wünschen sich, dass die Politik das Potenzial des Ortes versteht und sich um eine Lösung bemüht.

„Weil die Leute, die jetzt noch hier sind und die hierher wollen, die wollen das mitmachen und das hat man sonst nirgendwo, dass die Dorfgemeinschaft bereit ist, Änderungen hinzunehmen“, sagt Matthias Werner. „Sonst hast du überall Widerstand gegenüber Windrädern oder so. Und das ist hier alles nicht.“

„Pödelwitz sehe ich als Ort, in dem man den Strukturwandel ausprobieren kann. Ich sehe das als Leuchtturmprojekt“, sagt Franziska Knauer. „Wir probieren das jetzt hier einfach mal aus: Strukturwandel. Wir gucken, was kann funktionieren und was nicht.“

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