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Strukturwandel der Öffentlichkeit: von der Mediendemokratie zur Internetdemokratie?

Uwe Krüger

/ 20 Minuten zu lesen

Für erfolgreiche Interessenvermittlung ist Presse- bzw. Medienarbeit essenziell. Waren Lobbyisten früher vor allem auf gute Kontakte zu Journalistinnen und Journalisten angewiesen, so nutzen sie heute verschiedenste Kanäle und Instrumente, um ihre Botschaften zu kommunizieren.

Ihre "Gatekeeper"-Funktion haben u.a. Tageszeitungen nicht gänzlich verloren. Für Lobbyisten und Öffentlichkeitsarbeiter ist es aber zunehmend wichtig, direkt mit den Zielgruppen ihrer Botschaften zu kommunizieren. (© picture-alliance, picture alliance/imageBROKER)

Der Stromkonzern Vattenfall, so wusste der stern-Journalist Hans-Martin Tillack 2009 zu berichten, lud von Zeit zu Zeit die Chefredakteure und Ressortleiter überregionaler Medien zu Hintergrundgesprächen der besonderen Art. Ein Chauffeur holte die Gäste, die zugesagt hatten, vom Berliner Gendarmenmarkt mit einem silbergrauen Mercedes der E-Klasse ab, dann ging die Fahrt zu einem Schlosshotel im Umland von Berlin. Dort gab es nach einem Begrüßungsglas Champagner am Eingang ein fürstliches Abendessen, bei dem der Vattenfall-Vorstandschef Tuomo Hatakka ein Eingangsstatement über die Positionen seines Unternehmens abgab. Anschließend hatten die Journalisten Gelegenheit, mit einem ebenfalls geladenen Spitzenpolitiker – mal Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, mal der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck – ein vertrauliches Hintergrundgespräch zu führen. Es sei eben „wichtig, dass Unternehmen, Medien und Politik im ständigen Dialog miteinander bleiben“, begründete Vattenfall seine Lobby-Maßnahme. Die Übernachtung war ebenso wie der Shuttle-Service und das Gourmet-Menü für die Alpha-Journalisten kostenlos, der französische Weiß- und Rotwein erlesen: Riesling Hengst Grand Cru und Châteauneuf-du-Pape, Jahrgang 2004.

Solche Fälle mögen illustrieren, was der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas mit "Refeudalisierung der Öffentlichkeit" meinte, als er den Strukturwandel der Öffentlichkeit beschrieb. Laut Habermas etablierte sich im 18. Jahrhundert in den Kaffeehäusern, Salons und Tischgesellschaften des Bürgertums erstmals eine Öffentlichkeit im Sinne einer „Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“, in der monarchisch-herrschaftliches Handeln einer kritischen und rationalen Erörterung unterzogen wurde. Das emanzipatorische Potenzial dieser politischen Öffentlichkeit entfaltete sich zunehmend in Form einer bürgerlichen Presse mit einem von staatlichen Zensoren unabhängigen Journalismus. Habermas sah allerdings bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert, vor allem aber im 20. Jahrhundert Anzeichen eines Zerfalls dieser bürgerlichen Öffentlichkeit: Durch die Konzentration von Geld und Macht in immer weniger Händen und die Entwicklung eines Wohlfahrtsstaats mit korporatistischen Strukturen habe das kritische Räsonnement der Privatleute an Bedeutung verloren, während manipulative Werbung, Öffentlichkeitsarbeit von Staat und Verbänden sowie eine kommerzialisierte und in Medienkonzernen organisierte Presse zunehmend nur noch eine Scheinöffentlichkeit herstellten, in denen partikulare Interessen dominieren.

Diese Analyse von Habermas wurde im Detail vielfach kritisiert, etwa wegen ihrer idealisierten Vorstellung der frühbürgerlichen Öffentlichkeit. Dennoch ist die Warnung vor Vermachtungstendenzen der demokratischen Öffentlichkeit berechtigt. Die Medien fungieren zwar demokratietheoretisch neben Legislative, Exekutive und Judikative als "vierte Gewalt", die nicht nur die Bürger mit möglichst vielfältigen Informationen und Meinungen versorgt, sondern auch Fehlentwicklungen und Missstände aufzeigt. Die freie Diskussion der Bürger, in der idealerweise durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments die bestmöglichen politischen Entscheidungen gefunden werden, ist jedoch mitunter dadurch bedroht, dass ressourcenstarke Akteure wie Wirtschaftsverbände oder Konzerne massiv versuchen, mit den Mitteln von Lobbying und Public Relations ihre Interessen im Prozess der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung durchzusetzen und die Medien zu beeinflussen.

Eine Lobbyorganisation, die das besonders erfolgreich praktiziert hat, ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die im Jahr 2000 von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie (Gesamtmetall) gegründet wurde, um eine unternehmerfreundliche Umgestaltung von Arbeitsmarkt und Sozialsystemen öffentlich zu unterstützen. Gesamtmetall stattet sie mit einem Jahresbudget von sieben bis zehn Millionen Euro aus. Mit diesem Geld werden alle Register strategischer Kommunikation gezogen. Die INSM lässt wissenschaftliche Studien, repräsentative Bevölkerungsumfragen oder Vergleichsrankings von Ländern und Kommunen erstellen, über die die Medien berichteten. Sie verleiht Preise ("Reformer des Jahres", "Blockierer des Jahres"), geht Medienpartnerschaften mit renommierten oder reichweitenstarken Printtiteln (Die Welt, Focus, Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Super Illu) ein, schaltet Anzeigen mit politischen Botschaften in Medien wie Bild oder Hörzu und verbreitet ihre Anliegen über prominente "Botschafter/-innen" aus Politik und Wirtschaft, die in Talkshows eingeladen werden. Auch in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter ist die INSM aktiv. Um hier möglichst viele Nutzer zu erreichen, sponserte sie etwa am Abend des TV-Duells der Kanzlerkandidaten 2017 den Twitter-Hashtag #tvduell, Suchte man an jenem Abend bei Twitter nach dem Thema, sah man als erstes einen bezahlten Tweet der INSM, in dem sie "Keine Rentengeschenke auf Kosten unserer Kinder und Enkel!" forderte.

In ihren ersten Jahren schreckte die INSM auch nicht davor zurück, politische Schleichwerbung in Sendungen der ARD zu platzieren: Sie bezahlte eine Produktionsfirma dafür, in die Vorabendserie Marienhof Szenen mit arbeitgeberfreundlichen Dialogen über Zeitarbeit oder Steuersenkung einzubauen, und bezuschusste die Produktion einer dreiteiligen Dokumentation, die politisch in ihrem Interesse lag ("Das Märchen von der gerechten Steuer", "Das Märchen von der sicheren Rente" und "Das Märchen vom blühenden Arbeitsmarkt"). Eine Studie ergab, dass in Medienberichten über Aktivitäten der INSM sehr häufig deren Darstellung einfach übernommen wurde und die Hintergründe der Organisation als Interessenvertretung der Arbeitgeber nur selten aufgezeigt wurden – zumindest in den ersten Jahren, bevor die INSM in die Kritik von Lobby-Beobachter/-innen kam.

Dieses Beispiel zeigt vor allem eins: Die Instrumente der Beeinflussung sind vielfältig und nicht immer transparent. Wer über viele Ressourcen verfügt, kann versuchen, eine öffentliche Arena mit ihren Botschaften massiv zu beeinflussen. Auch bei großen NGOs wie Greenpeace, die ihre Medienarbeit ebenfalls sehr professionell entwickeln, gilt dabei bisweilen das Prinzip "Der Zweck heiligt die Mittel". Manche Argumente der Umweltorganisation gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar der Konzerne Shell und Esso hielten einer wissenschaftlichen Bewertung nicht stand. Greenpeace räumte im Nachhinein selbst ein, dass manche Behauptungen, mit denen Greenpeace erfolgreich Druck ausüben konnte, grob fehlerhaft waren. Professioneller Journalismus wird seiner Rolle als kritischer Diskursanwalt der Öffentlichkeit hier nicht immer gerecht, zumindest nicht zeitnah. Für das Funktionieren der Demokratie braucht es aber eine vielfältige Medienlandschaft mit professionellen Journalistinnen und Journalisten, die genügend Zeit und Geld für Recherche und Reflexion haben, um etwa Lobby-Einflüsse durchschauen zu können – und die dann auch noch ein genügend großes Publikum haben, um Wirkung entfalten zu können. Doch die Öffentlichkeit steckt seit etwa 35 Jahren in einem neuerlichen Strukturwandel, und die Medienwelt hat sich im Zuge von Digitalisierung, Globalisierung, Individualisierung, Ökonomisierung und Beschleunigung fundamental verändert. Dieser Wandel beeinflusst wesentlich auch die Formen und Strategien der Interessenvertretung. So hat zum Beispiel Vattenfall seine luxuriösen Hintergrundrunden mit Journalistinnen und Journalisten und Politikerinnen und Politikern vor längerer Zeit abgeschafft. „Der inhaltliche Nutzen für das Unternehmen war gering, die Kosten recht hoch, das Format war aus der Zeit gefallen und hat uns in Sachen Transparenz und Glaubwürdigkeit angreifbar gemacht“, erklärt Vattenfall-Pressesprecher Stefan Müller. "Was wir heute noch durchführen, sind regelmäßige Hintergrundgespräche zwischen Unternehmensrepräsentanten und Journalisten, die auf Energiepolitik spezialisiert sind. Das findet in einem normalen Rahmen ohne Fünf-Gänge-Menü und alkoholische Getränke statt und ist ein Arbeitstreffen, das inhaltlich angebracht und notwendig und gleichzeitig auch in Umbruchzeiten mit Bilanzverlusten und Arbeitsplatzabbau zu rechtfertigen ist."

Im Folgenden werden die relevanten Entwicklungen in Medienangebot und Mediennutzung in Deutschland seit Anfang der 1980er Jahre skizziert, um zum Schluss deren Implikationen für den Lobbyismus und die Öffentlichkeit aufzuzeigen.

Entwicklung des Medienangebots

Technische Erfindungen und gesellschaftliche Entwicklungen haben schon seit Jahrhunderten die Medienwelt permanent verändert: Der Buchdruck ermöglichte im 17. Jahrhundert die Tageszeitung, der Telegraf im 19. Jahrhundert internationale Nachrichtenagenturen, und im frühen 20. Jahrhundert revolutionierte die Einführung des Radios den Alltag. Doch seit den 1980er Jahren läuft technologie- und wirtschaftsgetrieben ein beschleunigter Strukturwandel der Öffentlichkeit ab.

An dessen Anfang stand die klassische massenmediale Welt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: ein über Jahrzehnte relativ stabiles Mediensystem mit den Gattungen Zeitung, Zeitschrift, Radio und Fernsehen in einem fast ausschließlich nationalen Rahmen, in dem eine überschaubare Zahl privater Print-Verlage und öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten innerhalb professioneller Strukturen Inhalte für große, weitgehend passive Publika produzierte. Den Kern des bundesdeutschen Mediensystems bildeten im Printbereich eine Handvoll überregionaler Qualitätszeitungen (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt, Frankfurter Rundschau, seit 1978 auch die taz) und der Boulevard-Riese Bild, einige politische Wochenmagazine und -zeitungen (Spiegel, Stern, Zeit) und eine große Zahl von Regionalzeitungen (wie Rheinische Post, Neue Osnabrücker Zeitung, Stuttgarter Zeitung). Im Rundfunkbereich waren die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender (ARD, ZDF, Dritte Programme der ARD) und Hörfunkwellen konkurrenzlos. Für Interessenvertreter war damit die Anzahl der Adressaten ihrer Botschaften überschaubar, die klassischen Medien hatten eine sehr starke Rolle als Gatekeeper und Hersteller von politischer Öffentlichkeit inne.

Die Dynamik, die nun einsetzte, speiste sich vor allem aus technologischen Fortschritten (Satellitentechnik, Digitaltechnik und Word Wide Web) sowie medienpolitischen wie medienökonomischen Veränderungen (Liberalisierung und Deregulierung des Rundfunks). So führte die Zulassung privater Rundfunkanbieter seit 1984 zu einer Vermehrung der Sender im Radio- und Fernsehbereich, die die öffentlich-rechtlichen Anstalten unter erheblichen Konkurrenz- und Quotendruck setzten. Allein 1984 starteten die neuen TV-Kanäle Sat.1, RTL plus und das öffentlich-rechtliche 3sat. Seitdem wuchs das Angebot kontinuierlich: Die Anzahl der TV-Sender, die einen Marktanteil von mindestens 0,1 Prozent aufweisen, stieg allein zwischen 1995 und 2015 von 14 auf 36. Die zunehmende Menge ließ dabei die Größe der Kuchenstücke schrumpfen, die die einzelnen Sender abbekamen: Einen Marktanteil von über 10 Prozent haben inzwischen nur noch zwei Sender (ARD und ZDF), RTL und Sat.1 rutschten unter diese Marke. Eine solche Entwicklung ist im Trend der Medienexpansion vielerorts zu sehen: Die Vielfalt bzw. Vielzahl steigt zum Preis sinkender Reichweiten, der Medienmarkt segmentiert sich immer mehr. Ökonomisch bedeutet das: Mit dem einzelnen Medienprodukt ist tendenziell weniger Geld zu verdienen. Politisch bedeutet das: Die Öffentlichkeit zerfällt in immer kleinere Teile, was potenziell den Einfluss einzelner Medien schwächt. Einerseits wirkt das Vermachtungstendenzen entgegen, vor denen Habermas warnte, es beeinträchtigt allerdings auch ihre Möglichkeiten, wirksam Kritik und Kontrolle auszuüben sowie eine gesellschaftliche Integrationsfunktion zu erfüllen.

Ähnlich wie beim Fernsehen hat sich die Anzahl der Radioprogramme in den letzten 35 Jahren vervielfacht. 1982 strahlte jede der neun Landesrundfunkanstalten in ihrem Sendegebiet drei bis vier Wellen aus (insgesamt 27), hinzu kamen noch je ein deutschsprachiges Programm der Bundesrundfunkanstalten Deutschlandfunk und Deutsche Welle sowie zwei Programme des US-amerikanischen Senders RIAS. Diese Übersichtlichkeit ist Geschichte: Im Januar 2017 gab es in Deutschland 71 öffentlich-rechtliche und 288 private Radioprogramme, die terrestrisch verbreitet wurden.Im Printbereich ist die Situation anders. Hier ist das Angebot weniger stark expandiert bzw. ist sogar rückläufig. Die Anzahl der Publikumszeitschriften stieg zwischen 1990 und 2017 von 565 auf 764 (zwischenzeitlich, im Jahr 2010, waren es sogar 890). Die verkaufte Auflage allerdings ging von 110 auf 89 Millionen Exemplare zurück. Die Anzahl der Tages- und Sonntagszeitungen ging zwischen 1990 und 2017 langsam, aber stetig von 394 auf 334 zurück, ebenso sank ihre verkaufte Auflage in einer ungebremsten Talfahrt von 25 auf 16 Millionen. Die betreffenden Verlage bringt das in Schwierigkeiten, da sie mit ihren gedruckten Produkten weniger Vertriebserlöse generieren. Auch das zweite ökonomische Standbein der Zeitungsverlage wackelt, denn zu allem Überfluss sind die Werbeeinnahmen der Presse stark gesunken: zwischen 1999 und 2016 von sechs auf zweieinhalb Milliarden Euro (siehe Abb. 1). Damit fallen die Werbeerlöse auf das Niveau Anfang der 1980er Jahre zurück. Über ihre Webseiten erreicht die Tagespresse zwar immer noch viele Menschen, doch die Online-Reichweite lässt sich kaum in Einnahmen ummünzen. Die Zeitungsverlage haben damit ein massives Finanzierungsproblem. Sie reagieren darauf vielerorten mit Sparmaßnahmen und dünnen ihre Redaktionen aus, die damit abhängiger von Zulieferungen von außen werden. Für Lobbyisten und Kommunikationsmanager bietet dies wiederum die Chance, dass ihre Inhalte und vorgefertigten Materialien relativ ungefiltert Eingang in die Berichterstattung finden können. Demokratietheoretisch problematisch ist auch, dass die Eigentümerkonzentration im Tageszeitungsmarkt sehr hoch ist und von Jahr zu Jahr weiter leicht steigt. Inzwischen haben die zehn größten Verlagsgruppen (darunter Axel Springer SE, Funke Mediengruppe, Dumont und Madsack) einen Marktanteil von 62 Prozent der verkauften Auflage aller Tageszeitungen in Deutschland. Ein weiteres, damit zusammenhängendes Problem sind die sogenannten "Einzeitungskreise", in denen die Bevölkerung keine Wahl zwischen mehreren Lokalzeitungen hat. Dies betraf schon 2008 knapp 60 Prozent aller deutschen Städte und Landkreise. Eine solche Pressekonzentration erleichtert potenziell die Einflussnahme nicht nur von Medieneigentümern, sondern auch von großen Anzeigenkunden und Lobbyisten auf die Öffentlichkeit.

Abb.1: Seit der Jahrtausendwende verlieren die Zeitungen, das Fernsehen bleibt stabil und Online gewinnt: Werbeeinnahmen verschiedener Mediengattungen im Zeitverlauf (ab 1992 mit alten Bundesländern, bis 1999 DM umgerechnet in Euro). Quelle: Jahrbücher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. (bpb, Uwe Krüger) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Für die Werbe-Misere der Zeitungen ist vor allem das Internet verantwortlich: Dorthin sind nach dem Jahr 2000 die meisten Immobilien- und Stellenanzeigen abgewandert. Der Verlust der Medienhäuser ist der Gewinn anderer Unternehmen. Die Werbeeinnahmen fließen an Internetfirmen, die Aggregatoren, Netzwerkplattformen oder Suchmaschinen betreiben. Das Internet ermöglichte nun aber wiederum ein exponentielles Anwachsen von Informationsmöglichkeiten. Allein die Zahl der Online-Zeitungen, die von traditionellen Zeitungsverlagen in Deutschland angeboten wurde, stieg von fünf im Jahr 1995 (die ersten waren die Schweriner Volkszeitung, die taz, die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und die Rheinische Post) auf 662 im Jahr 2015. Daneben wuchs die Zahl der politischen Blogs und alternativen Nachrichtenportale (von Netzpolitik.org und Ruhrbarone über Telepolis und nachdenkseiten.de bis zu KenFM und Tichys Einblick), in denen sich sowohl ausgebildete Journalisten als auch Laien publizistisch betätigen. Auch nutzen praktisch alle Organisationen, von Regierungen und Ministerien, Kommunen, Konzernen und mittelständischen Unternehmen, Verbänden, Vereinen und Nichtregierungsorganisationen bis hin zu informellen Netzwerken und sozialen Bewegungen die Möglichkeiten des World Wide Web, um ihre Informationen und ihre Perspektiven der Öffentlichkeit darzulegen und mit ihren Zielgruppen zu kommunizieren. Insgesamt gibt es weltweit knapp eine Milliarde Websites. Das Internet hat die Publikationskosten bis auf Null gesenkt – für die Gründung einer Zeitung braucht man viel Geld, für die Erstellung einer Wordpress-Seite oder eines Facebook-Accounts gar keins – und aus vielen bislang passiven Konsumenten aktive Produzenten von Medieninhalten gemacht. Die gestiegenen Teilhabemöglichkeiten für den einzelnen sind wiederum erkauft für den Preis tendenziell gesunkener Reichweite in einem digitalen Universum mit inflationären, teils personalisierten bzw. privaten Teilöffentlichkeiten in Sozialen Medien. Stark diskutiert wird das Phänomen der "Echokammern" auf sozialen Netzwerkplattformen, das meint, dass sich Personen vor allem mit solchen Personen und Medien vernetzen, die ihre Weltsicht bestätigen. Auch dies hat Auswirkungen auf Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyismus: In einer AfD-nahen "Echokammer" auf Facebook kann die AfD sehr viel leichter politisch mobilisieren als die SPD oder die Grünen.

Entwicklung der Mediennutzung

Ähnlich wie das Medienangebot ist auch die Mediennutzung in den letzten Jahrzehnten expandiert, wenn auch nicht mit denselben Wachstumsraten. Widmete noch 1980 jeder Bundesdeutsche ab 14 Jahren täglich fünf Stunden der Rezeption tagesaktueller Medien, stieg dieses Zeitbudget seit Mitte der 1990er Jahre rasant an und bleibt seit 2005 konstant bei achteinhalb Stunden. Diese Daten, die aus der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation stammen, verstehen sich als Summe aus dem Konsum von Fernsehen, Radio, Zeitungen und Internet (ohne Zeitschriften, Bücher, Musik und Videos). Das Zeitbudget erhöhte sich also innerhalb von 35 Jahren um 70 Prozent. Betrachtet man nur die Jüngeren im Alter zwischen 14 und 29 Jahren, liegt deren Zeitbudget etwas niedriger als in der Gesamtbevölkerung (es stieg von 4 ¼ Stunden 1980 auf acht Stunden 2015), doch die Wachstumsrate liegt bei überdurchschnittlichen 88 Prozent (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Der Alltag wird immer stärker von Medien durchdrungen: Das tägliches Zeitbudget für tagesaktuelle Medien (TV, Radio Zeitung, ab 2000 Internet) in Deutschland ist beträchtlich angestiegen. Quelle: ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation (bpb, Uwe Krüger) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

In höchst unterschiedlichem Maße kam diese Erweiterung der Mediennutzung den einzelnen Mediengattungen zugute. Im Jahr 1980 schaute jeder Deutsche zwei Stunden fern (125 Minuten) und hörte gut zwei Stunden Radio (135 Minuten). 2015 wurde mehr Radio gehört (173 Minuten) und der Fernsehkonsum war auf fast das Doppelte gestiegen (208 Minuten) – wobei vor allem die Älteren für den Anstieg verantwortlich sind, die Jüngeren schauen eher weniger fern. Das Fernsehen ist damit gegenwärtig das Leitmedium. Das Zeitbudget, das die Deutschen für das Lesen einer Tageszeitung aufwenden, sank im selben Zeitraum von 38 auf 23 Minuten, und die Tageszeitungen erreichen immer weniger Menschen: Die Tagesreichweite der Zeitung sank von 64 auf 33 Prozent der Bevölkerung.

Der große Gewinner im Kampf um die Aufmerksamkeit ist das Internet. Die alle fünf Jahre durchgeführte ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation ermittelte erstmals im Jahr 2000 einen Wert für dessen tägliche Nutzung – damals 13 Minuten –, seitdem ging es steil bergauf: 107 Minuten verbrachte jeder Deutsche im Schnitt 2015 im World Wide Web. Bei den 14-29-Jährigen war der Anstieg noch steiler, von 25 auf 187 Minuten. In der jungen Zielgruppe ist damit das Internet zur meistgenutzten Mediengattung geworden und hat bereits dem Fernsehen den Rang abgelaufen; letzteres wird 144 Minuten täglich geschaut, Radio 137 Minuten gehört und eine gedruckte Tageszeitung nur 9 Minuten lang gelesen (s. Abb. 3). Inzwischen sind laut der jüngsten ARD/ZDF-Onlinestudie neun von zehn Deutschen ab 14 Jahren online, 72 Prozent nutzen das Internet täglich, von den 14-29-Jährigen sogar 97 Prozent.

Abb. 3: Bei den Jüngeren hat das Internet das Fernsehen schon überholt: Tägliche Nutzungsdauer der einzelnen Mediengattungen. Quelle: ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation (bpb, Uwe Krüger) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Nicht nur das: Das Internet hat die Art und Weise, wie politisch und gesellschaftlich relevante Informationen verbreitet und rezipiert werden, gehörig durcheinandergewirbelt. Das Hans-Bredow-Institut in Hamburg befragte 2011 eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung nach den Informationsquellen, die für ihre politische Meinungsbildung am wichtigsten sind. Dabei fällt auf, dass sich die Top-Ten-Liste der Jüngeren deutlich von derjenigen der Senioren unterscheidet (s. Tab. 1).

Tabelle 1: Die wichtigsten Informationsquellen zur Meinungsbildung über politische Themen nach Altersgruppen, 2011 (in Prozent der Befragten)

Rang14 bis 29 Jahreab 60 Jahre
1ARD-TagesschauARD-Tagesschau
2Spiegel OnlineZDF heute
3google.deARD Nachrichten
4web.deZDF Nachrichten
5n-tv-Nachrichtenregionale Tageszeitungen
6facebook.comZDF heute journal
7Bild-ZeitungARD (allgemein)
8N24-NachrichtenAnne Will
9RTL-Nachrichtengoogle.de
10FreundeSüddeutsche Zeitung

Quelle: Hans-Bredow-Institut

In diesen beiden Rankings – bei den Älteren fast nur öffentlich-rechtliche Fernsehsendungen und Tageszeitungen, bei den Jüngeren eine bunte Mischung aus öffentlich-rechtlichem und privatem TV, Spiegel Online, Google, Facebook und Freunden – spiegelt sich der gegenwärtige Strukturwandel der Öffentlichkeit und die digitale Spaltung der Gesellschaft in besonders augenfälliger Weise. Die Algorithmen von Suchmaschinen und Sozialen Netzwerkplattformen haben sich zwischen die klassischen Gatekeeper (die Journalisten) und die Bürger geschoben und spielen nun genauso eine Rolle wie Bekannte, die mit ihren Empfehlungen einzelner Medienbeiträge im Social Web zu einer "Entbündelung" von journalistischer Produkten beitragen. Immer seltener wird das nachrichtliche Komplettangebot einer Redaktion wahrgenommen, immer öfter kommen Nutzer über ihren Facebook-Newsfeed, durch Suchmaschinentreffer oder andere Arten von Aggregation und sozialer Navigation auf einzelne Beiträge von Nachrichtenportalen. Und der Strukturwandel der massenmedialen Öffentlichkeit im Zeitalter digitaler Netzwerkmedien ist noch längst nicht abgeschlossen: Waren es um das Jahr 2000 herum noch stationäre Computer, auf denen sich die digitale Transformation der politischen Öffentlichkeit vollzog, boomten zehn Jahre später schon die mobilen Endgeräte, auf denen Nachrichten konsumiert, geteilt, geliked oder diskutiert werden – womit potenziell noch einmal Geschwindigkeit und Vernetzungsgrad im politischen Diskurs gestiegen sind. Heute steht das „Internet der Dinge“ vor der Tür, die Vernetzung praktisch aller Alltagsgegenstände mit dem World Wide Web. Dies wird den Kampf um Aufmerksamkeit der Nutzer und um Platz auf deren Displays noch einmal verschärfen.

Schlussfolgerungen für den Lobbyismus

Der geschilderte Strukturwandel der Öffentlichkeit wirkt sich in vielfältiger Weise auf das Feld der Interessenvertretung und der strategischen Kommunikation aus. Die Ausweitung von Medienangebot und Mediennutzung hat das Gewicht von Medien für die Gesellschaft insgesamt und den Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung im Besonderen gesteigert, weshalb bereits Ende der 1980er Jahre die These von der "Mediendemokratie" aufkam: Diese besagt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre politischen Informationen fast alle aus den Medien beziehen und sich Politiker daher an den Medien und deren Handlungslogik orientieren müssen. Wenn vorher eine eine "Parlamentsdemokratie", dann eine "Parteiendemokratie" und schließlich eine "Verbandsdemokratie" bestanden habe, seien nun weder das Parlament noch die Parteien und Verbände die zentralen intermediären Instanzen zwischen Bevölkerung und Elite, sondern – zugespitzt – die Fernsehtalkshow. Für politische Akteure bedeutet dies einerseits eine Abhängigkeit von Medien und einen entsprechenden Anpassungszwang, andererseits aber auch eine enorme Steigerung ihres Wirkungsradius. In einer Talkshow kann ein Politiker oder eine Politikerin an einem einzigen Abend mehr Leute erreichen als mit allen nicht-medialen Mitteln wie Wahlkampfreden, Hausbesuchen oder Sitzungen in einem ganzen Leben.

Für erfolgreiche Interessenvermittlung ist Presse- bzw. Medienarbeit daher essenziell und bleibt es auch. Wer seine Themen und Argumente in die mediale Öffentlichkeit bringen will, muss sich an den Nachrichtenwerten, den Darstellungsformaten und den Produktionsroutinen von Medienredaktionen orientieren. Das gilt für Regierungen und Parteien genauso wie für Unternehmen, für Gewerkschaften wie für Kirchen, für Militärs wie für soziale Bewegungen; dieser Logik folgen sogar Terrorgruppen, die mit Anschlägen oder Enthauptungen in die Nachrichten wollen, um möglichst viel Angst zu erzeugen. Die Beeinflussung von Journalisten bleibt ein wichtiges Ziel von Öffentlichkeitsarbeitern, und die Palette ihrer Instrumente reicht vom Versenden von Pressemitteilungen und die Veranstaltung von Pressekonferenzen über das Zuspielen von exklusiven Informationen bis hin zu Einladungen zu angenehmen Reisen oder Einbindung in die eigenen Strukturen etwa durch Mitgliedschaft in Beiräten oder Einbindung in Veranstaltungen und Projekten.

Doch die Journalisten, die in der klassischen Medienwelt als "Gatekeeper" noch weitgehend konkurrenzlos darüber entschieden, welche Themen und Meinungen überhaupt in die öffentliche Arena kamen, sind heute oft nur noch "Gatewatcher" und Kuratoren eines unendlichen Stroms an Informationen, Daten, Berichten und Diskussionen im World Wide Web. Für Lobbyisten und Öffentlichkeitsarbeiter ist es daher zunehmend wichtig, direkt mit den Zielgruppen ihrer Botschaften zu kommunizieren. Dialog, Interaktion, Vernetzung und Transparenz sind wichtige Werte geworden. Das macht die Sache freilich nicht einfacher, sondern eher komplexer. Daher hat sich strategische Kommunikation professionalisiert und ausdifferenziert; die Organisationen lagern sie mitunter aus oder holen sich Unterstützung von spezialisierten PR-Agenturen, Beratungsunternehmen, Think Tanks und Instituten. "Issues Management" und "integrierte Kommunikation" sind Schlagworte, die illustrieren, wie Akteure aufkommende Themen frühzeitig identifizieren und in eine für sie günstige Richtung lenken wollen, indem sie die verschiedensten Kommunikationskanäle und -instrumente inhaltlich und zeitlich aufeinander abstimmen.

Bei der eingangs erwähnten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft war es die große Berliner Werbeagentur Scholz & Friends, die für die integrierte Kommunikation sorgte (sie arbeitet auch für die Bundesregierung, Opel, Tchibo oder Siemens). Andere Akteure wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, der die Interessen von Allianz, Ergo & Co. Vertritt, rüsten selbst massiv auf und gründen eigene multimediale PR-Redaktionen: Seit 2014 hat der Verband eine 27 Mann starke Kommunikationsabteilung und einen Newsroom nach dem Vorbild großer journalistischer Häuser, in dem Themen beobachtet sowie Inhalte für Medienredaktionen, Blogger, Newsletter-Autoren, Twitter und Youtube konzertiert und zielgruppengenau ausgespielt werden. Auch beim Energiekonzern Vattenfall haben sich die Kommunikationsstrukturen und -instrumente gewandelt. Hier sitzen 19 Personen ebenfalls in einem Großraumbüro, auf einem Monitor an der Wand laufen die Social-Media-Kanäle des Unternehmens ein. In einer täglichen Morgenlage berät man darüber, was in den Sozialen Medien und im Journalismus über Vattenfall und energiepolitische Themen diskutiert wird. Neben den Beteiligten der Presse- und Medienarbeit nehmen auch Mitarbeiter von weiteren Kommunikationsdisziplinen und anderen Konzernabteilungen teil. "Hier entscheiden wir teilweise sehr kurzfristig über Reaktionen, beraten aber auch über langfristig geplante Themen wie beispielsweise die Veröffentlichung der Quartalszahlen des Unternehmens", erzählt Vattenfall-Pressesprecher Stefan Müller. Man legt inzwischen viel Wert auf Transparenz: "Statt in einen teuren Hintergrundkreis mit einigen wenigen Vertretern aus Politik und Medien investieren wir lieber in Formate wie #fragHatakka, eine regelmäßige Fragerunde auf Twitter mit unserem Deutschland-Chef und Mitglied des Gesamtvorstandes Tuomo Hatakka", sagt Müller. "Eine Stunde lang kann hier der NGO-Vertreter, die Bürgerin, der Kunde und die Mitarbeiterin in die Diskussion gehen. Das kostet einen Bruchteil, ist sichtbar und steht allen offen, die Interesse daran haben."

Vorbei sind in der Ära digitaler Netzwerkmedien die Zeiten, in der ein Unternehmen mit nur einer Stimme nach außen gesprochen hat. "Vor zehn Jahren war ‚one voice‘ noch ein Thema, aber heute geht es eher um ‚one choir‘ [dt. Chor; Anm. d. Red.]", sagt Stefan Müller. "Die Stimmen des Unternehmens sind je nach Kanal und Interessensgruppe etwas unterschiedlich, aber sie müssen wie in einem Chor zusammenpassen und dürfen sich nicht widersprechen." Gleichzeitig hat die Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung für die Entscheidungen des Konzerns zugenommen: "Kommunikation und Unternehmensstrategie gehören ganz stark zusammen, wir beraten fortlaufend über unser Portfolio. Manche Vorhaben können betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, aber eine Gefahr für unsere Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit, bei der Politik, bei den NGOs oder bei den Medien darstellen." Denn nicht nur im Medienbereich, auch im Energiesektor hat eine Liberalisierung und Vervielfachung der Anbieter stattgefunden. "In Berlin und Hamburg, wo wir Grundversorger sind, haben wir 300 bzw. 400 Wettbewerber", erklärt Müller. "Wer da ein Akzeptanzproblem hat, verliert seine Kunden."

Internetdemokratie?

Auf der gesellschaftlichen Makroebene stellt sich die Frage, ob die "Mediendemokratie" mit dem linearen Fernsehen als Leitmedium nun von einer "Internetdemokratie" abgelöst wird, in der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern und direkte Interaktion mit Politikerinnen und Politikern und anderen öffentlichen Akteuren die zentrale Rolle spielen. Entsprechend euphorische Vorstellungen aus der Anfangszeit des Internets über ein neues goldenes Zeitalter der Demokratie sind inzwischen vielerorts ernüchtert worden. Eher prägen Politikverdrossenheit und Misstrauen gegenüber Eliten die Debatten im Netz, überdies häufig in einem wenig zivilisierten Ton; auch scheint es, dass der Informationsüberfluss und die Allgegenwart medialer Inhalte weniger zu Informiertheit als eher zu Desorientierung führen.

Eine weitere Frage ist, ob es in der Ära digitaler Netzwerkmedien zu einer Einebnung von Machtungleichgewichten zwischen ressourcenstärkeren und ressourcenschwächeren Akteuren kommt, da die Kommunikations- bzw. Publikationskosten derart gesunken sind und (Teil-)Öffentlichkeiten über das Social Web prinzipiell leichter zu erreichen und zu mobilisieren sind als früher. Verteilt das Netz die Macht in der Gesellschaft neu? Sind soziale Netzwerke wie Facebook die "Kaffeehäuser des digitalen Zeitalters" für Bürger, die sich erneut von alten Machtstrukturen emanzipieren? Dieser "Ausgleichsthese" steht eine "Normalisierungsthese" gegenüber, demzufolge der Medienwandel zwar kurzfristig die Chancen von politischen Außenseitern, zivilgesellschaftlichen Akteuren und sozialen Bewegungen erhöht, aber schon mittelfristig die etablierten Organisationen aufholen und sich die neuen Kommunikationsmöglichkeiten aneignen. Vieles spricht für diese zweite These, denn mit viel Geld kann man viele Leute bezahlen, die im Social Web professionell die Interessen des Auftraggebers vertreten.

Mehr noch: Der Medienwandel hat neue mächtige Akteure und Monopolisten hervorgebracht: Google besitzt ein faktisches Monopol bei den Suchmaschinen (86 Prozent Marktanteil in Deutschland bei der Desktop-Suche, 98 Prozent bei der mobilen Suche) und führt auf dem Markt der Internet-Werbung; Facebook ist die Nr. 1 auf dem Markt der Sozialen Netzwerke (61 Prozent Marktanteil und 31 Millionen Nutzer in Deutschland); Amazon ist der führende Anbieter von E-Commerce und Video-on-Demand. Sie und andere Firmen der IT-Branche wie Apple und Microsoft folgen genauso wie die traditionellen Industriekonzerne der kapitalistischen Akkumulations- und Konzentrationslogik, nur dass ihr Geschäft entmaterialisiert ist und sie ihren Gewinn aus unseren Daten schöpfen, die sie an ihre Werbekunden verkaufen. "Im Glauben, die Freiheit gefunden zu haben, werden wir zu Sklaven der digitalen Supermächte", warnt der Digitalisierungsexperte Ibrahim Evsan.Die neuen Herausforderungen für Demokratie und Öffentlichkeit heißen jedenfalls heute vor allem Datenschutz, Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung.

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Dr. Uwe Krüger ist Journalist und Mitarbeiter am Institut für Journalistik der Universität Leipzig. Von 2007 bis 2010 war er zudem Mitarbeiter am Institut für Praktische Journalismusforschung in Leipzig sowie Redakteur und Autor des Journalismus-Fachmagazins "Message". Seit Januar 2018 ist er Mitglied im MDR-Rundfunkrat, entsandt vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), Landesverband Sachsen.