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Drehtür-Karrieren am Beispiel der Automobilindustrie

Gerald Traufetter

/ 12 Minuten zu lesen

Über Jahre hinweg ist in der Automobilbranche ein enges Netzwerk zwischen Konzernen und Ministerien herangewachsen – und hat sich an strukturelle Veränderungen angepasst. Das liegt vor allem auch daran, dass Politik und Konzerne ihr Spitzenpersonal austauschen.

Die Automobilindustrie ist ein wichtiger Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor in Deutschland. (© picture-alliance/dpa)

Die Automobilindustrie nimmt mit einem Umsatz von über 423 Milliarden Euro (2017) eine Sonderstellung in der deutschen Wirtschaft ein. Kein Industriezweig beschäftigt mehr Menschen: direkt sind es über 800.000. Indirekt, in Zulieferbetrieben und Servicefirmen, arbeiten noch einmal deutlich mehr Menschen, sodass jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland von der Autoindustrie abhängt. Insbesondere mit dem Dieselmotor haben deutsche Ingenieure eine technologische Führerschaft im Vergleich zur weltweiten Konkurrenz erobert, die sie in anderen Bereichen nicht erlangt oder aber verloren haben.

Als Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor ist die Automobilbranche von herausragender Bedeutung für die politischen Entscheidungsträger/-innen. Gleichzeitig bedarf das Auto als Massenverkehrsmittel ein hohes Maß an Reglementierung, etwa bei technischen und ökologischen Standards sowie Sicherheitsvorschriften und Verbraucherrechten. Die Konzerne hängen also ihrerseits in einem hohen Maße von politischen Entscheidungsprozessen ab.

Über Jahrzehnte hat sich dadurch ein enges Netzwerk des Austauschs zwischen Politik und Automobilindustrie entwickelt und etabliert. Die Vorsitzenden und Lobbyistinnen und Lobbyisten der Autokonzerne sprechen regelmäßig im Kanzleramt und den zuständigen Ministerien wie Verkehr, Wirtschaft und Umwelt vor, ihre Verbandsvertreter/-innen sind in relevanten, technischen Gremien bei der EU-Kommission in Brüssel als Expertinnen und Experten zugelassen und werden auch in den Parlamentsausschüssen in Berlin gehört. Dieses Netzwerk kennzeichnet aber auch, dass viele Karrieren über die Politik und die Parteien in die Autoindustrie und deren Lobby-Büros in Berlin und Brüssel führen – und in manchen Fällen sogar wieder zurück. Es mag an der langen Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel liegen, dass einige ihrer engen Mitarbeiter in Leitungspositionen diese beruflichen Werdegänge aufweisen.

Michael Jansen etwa leitete zwischen 2006 und 2009 das Büro der Bundeskanzlerin in der CDU-Parteizentrale, ehe er die DHL-Repräsentanz in Berlin anführte und 2015 als Leiter der Hauptstadtrepräsentanz zu Volkswagen wechselte. Thomas Steg, der ursprünglich von dem für seine engen Kontakte mit der Autoindustrie bekannten Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ins Kanzleramt geholt wurde, war vier Jahre lang auch stellvertretender Regierungssprecher von Angela Merkel, dann selbstständiger Kommunikationsberater bevor er 2012 als "Generalbevollmächtigter für Außen- und Regierungsbeziehungen" zu VW ging. Auch Matthias Wissmann, der Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA) kennt die Bundeskanzlerin seit vielen Jahren: Schon unter Helmut Kohl waren sie Kabinettskollegen in den Ressorts Verkehr und Umwelt. Noch heute gilt er als einer ihrer Vertrauten.

Die Autoindustrie und ihr Umfeld (Verbände der Metall- und Elektroindustrie) hat in den Jahren 2009 bis 2015 rund 13,6 Millionen Euro an CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne gespendet und ist damit einer der größten Parteispender. Die Konzerne unterhalten die größten Lobbyistenbüros in Berlin und in Brüssel. Der VW-Konzern beschäftigt beispielsweise allein 33 Mitarbeiter/-innen mit einem Budget von 2,8 Millionen Euro für die Lobbyarbeit auf europäischer Ebene. "In Deutschland ist es praktisch Staatsräson, die deutsche Automobilbranche zu schützen – auch wenn dies zulasten der Umwelt oder des Verbraucherschutzes geht", schreibt der Verband Lobbycontrol in seinem Jahresbericht. Dies begründen die Autoren u.a. mit den bisherigen Rechercheergebnissen zur Diesel-Affäre, bei der sich ein Mangel an staatlicher Kontrolle, aber auch ein womöglich bewusstes Wegschauen der Aufsichtsbehörden zeigte.

Wie der Seitenwechsel von Amtsträgern zwischen Politik und Automobilindustrie politische Entscheidungen beeinflussen kann, lässt sich anhand zweier einflussreicher Personen skizzieren, Eckart von Klaeden und Johannes Koschnicke. Die beiden spielten eine wichtige Rolle in der Diesel-Affäre um manipulierte Abgassysteme, die im September 2015 an die Öffentlichkeit kam. Der nunmehr seit drei Jahren andauernde Skandal stellt so etwas wie einen Stresstest für die Beziehung zwischen Politik und Autoindustrie dar. Einen einzigartigen Einblick in dieses Geflecht geben dabei die Akten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Volkswagen-Affäre, die als eine wichtige Grundlage der hier vorliegenden Analyse dienen.

Das Beispiel Eckart von Klaeden

Der Niedersachse war von 2009 bis 2013 Staatsminister im Kanzleramt für Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung und saß in dieser Funktion mit am Kabinettstisch. Alle wichtigen Akten im Kanzleramt gingen in dieser Zeit über seinen Schreibtisch. Der Posten im unmittelbaren Umfeld von Angela Merkel ist der Höhepunkt seiner politischen Karriere. Während seines Jurastudiums in Göttingen engagierte er sich erst in der Studentenvereinigung der Christdemokraten, dann bei der Jungen Union. Von 2004 bis 2013 war er Mitglied im Bundesvorstand der CDU, danach Mitglied des CDU-Präsidiums.

Noch während von Klaeden als Staatsminister arbeitete, kündigte er seinen Wechsel zu dem Stuttgarter Autokonzern Daimler an. Sein Posten ist dort seit dem Jahr 2013: Lobbyist. Er leitet die Abteilung Politik und Außenbeziehungen des Konzerns.

Die Bewährungsprobe ließ nicht lange auf sich warten. Umweltmessstationen in deutschen Innenstädten zeichnen 2013 eine Stickoxid-Belastung von bis zu 90 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf – mehr als doppelt so viel wie erlaubt . Insbesondere der Anteil des giftigen Stickstoffdioxids an den gesamten Stickstoff-Emissionen war angestiegen. Als Grund werden die Abgase von Dieselfahrzeugen diskutiert. Die EU-Kommission senkte die Grenzwerte für den Stickoxid-Ausstoß der Autos ab September 2014 von 180 auf 80 Milligramm pro Kilometer ab, doch die Messwerte in den Städten sinken nicht, so wie es zu erwarten gewesen wäre. Deshalb fasste die EU-Kommission den Plan, Autos vor der Zulassung nicht mehr nur im Labor zu testen, sondern auch ganz real auf der Straße. Ein Problem für die Autokonzerne, denn wie sich später herausstellt, gelingt es ihnen nur mit Manipulationen am Abgassystem, die Zulassung für die Wagen durch die Prüfung in den Testlabors der Genehmigungsbehörden ausgestellt zu bekommen. Da die Dieselautos von Daimler ähnlich wie jene der Konkurrenz hohe Mengen an gesundheitsgefährdenden Stickoxiden ausstoßen, drohten mit dem geplanten neuen Verfahren die Manipulationen der Autokonzerne aufzufliegen.

Am Nachmittag des 18. März 2015 schrieb Eckart von Klaeden eine E-Mail an den Leiter der Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik im Bundeskanzleramt Lars-Hendrik Röller. Beide waren noch vor ein paar Jahren gemeinsam im Kanzleramt tätig. Klaeden machte den einflussreichen Beamten auf ein drängendes Problem für sein Unternehmen und die gesamte Branche aufmerksam. Sechs Tage später sollten bei dem "Technical Committee for Motor Vehicles" in Brüssel Entscheidungen über jene Straßentests anstehen. Das Regelwerk sollte bis zum Ende des Jahres beschlossen sein. Klaeden schrieb: "Was zunächst wie eine untergeordnete technische Entscheidung klingt, kann enorme Konsequenzen für die Automobilindustrie im Hinblick auf die zukünftige Nutzung von Dieselmotoren haben." Der Entwurf der Kommission könne "nicht akzeptiert werden". Man fühle sich "massiv bedroht". Er wäre "dankbar", wenn die Bundesregierung "ihre Haltung noch einmal überdenken würde". Klaeden belässt es nicht bei dieser Intervention. Er ruft am nächsten Vormittag im Bundeskanzleramt an und schlägt vor, dass die Bundeskanzlerin in dieser Angelegenheit von dem Vorstandschef eines Autobauers kontaktiert werden könnte. Klaeden sprach offensichtlich für die Gesamtheit der Autokonzerne im Bundeskanzleramt vor, vermutlich wegen seiner guten Beziehungen als ehemaliger Staatsminister. Der Daimler-Lobbyist schlägt Martin Winterkorn als Gesprächspartner für Angela Merkel vor. Er ist zu diesem Zeitpunkt der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG.

Nur wenige Monate später erschütterte die Dieselaffäre das Land. Doch noch kämpften die Lobbyisten der Automobilindustrie wie Eckart von Klaeden darum, die strengeren Abgastests zu verhindern. Klaedens Intervention wirkte. "Mich erreichen Hilferufe aus der Automobilindustrie", schrieb ein Beamter im Bundeskanzleramt an seine Beamtenkollegen im Haus. Sie alarmierten Bundeskanzleramtsminister Peter Altmaier, die rechte Hand der Regierungschefin. Doch der war über das Problem mit den Straßentests bereits informiert. Am gleichen Tag hatte sich auch der Cheflobbyist der deutschen Autoindustrie und Ex-Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann an Altmaier ("lieber Peter") gewendet, um für mildere Abgastests zu werben.

Ziel der konzertierten Aktion der Automobil-Lobbyisten: Die EU-Beamten bei ihrem Plan für Straßenabgastests zu bremsen. Sie forderten stattdessen "akzeptable Grenzwerte" und ein "realistisches Gesamtkonzept". Konkret hieß das:  Die Entscheidung, wann die Straßentests verbindlich eingeführt werden, sollte verschoben werden. Auch die Grenzwerte wollten Klaeden und die Interessenvertreter/-innen der Autoindustrie aufweichen, indem sie für mehrere Jahre Übergangsfristen forderten. Konformitätsfaktoren, so hieß eine Rechenformel, wonach die Autos ein Vielfaches an Schadstoffen des gesetzlichen Grenzwertes ausstoßen dürften.

Die Regierungsdokumente zeigen, dass sich Klaeden und die Autolobby durchsetzen konnten. Binnen zwei Tagen änderte die Bundesregierung ihre Haltung. Das Bundesumweltministerium von Barbara Hendricks (SPD) wich von seiner ursprünglich harten Haltung für eine strengere Gesetzgebung ab. Das wirkte sich auch auf den Regelungsvorschlag aus, den Deutschland für die so wichtige Sitzung des Technischen Komitees für die Abgasverordnung einbrachte - hier fehlte das konkrete Datum für die Einführung strengerer Abgastests.

Das Gesetzgebungsverfahren zog sich noch ein weiteres Jahr hin. Dass die Autoindustrie mit ihren Manipulationen am Abgassystem schließlich aufflog, lag nicht an deutschen oder europäischen Behörden. Vielmehr prüfte die US-Umweltbehörde EPA (United States Environmental Protection Agency) intensiv Automodelle des Volkswagenkonzerns. Im Sommer 2015 gab ein dortiger VW-Ingenieur schließlich zu, die Abgasreinigungsanlage ihrer Diesel-Fahrzeuge verändert zu haben, damit die Autos den Labortest trotz schlechter Stickoxid-Werte im Normalbetrieb bestehen.

Mit ihrer Forderung der möglichst langen Übergangsfristen mit abgeschwächten Grenzwerten wollten die Automobilkonzerne womöglich Zeit gewinnen, um Motoren und Abgassysteme zu entwickeln, die die Abgasgrenzwerte auch wirklich einhalten würden. Ein abrupter Übergang zu Straßentest hätte das Ausmaß der Manipulationen auffallen lassen.

Die Konzerne hatten dank der Intervention ihrer Lobbyisten eine großzügige Übergangszeit bei der Einführung der Straßentests eingeräumt bekommen. Das geschieht im Oktober 2015, obwohl die Empörung über die Manipulationen der Autokonzerne in der Öffentlichkeit groß ist. Der Kampf um die Straßenmessungen von Dieselautos ist ein Lehrstück an sogenannten geräuschlosem Lobbyismus, ein Beispiel dafür, wie groß der Einfluss von Interessenvertretern auf politische Entscheidungsträger sein kann.

Deutlich wird an diesem Beispiel auch, wie wichtig für den Lobbyismus einer Branche Vertreter/-innen sind, die gezielt ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ansprechen können. Man kennt sich, man duzt sich nicht selten, man kann anknüpfen an Begegnungen und Empfänge im öffentlichen Leben der Hauptstadt. Nähe verschafft Aufmerksamkeit – Aufmerksamkeit, die Lobbyisten für ihre Anliegen benötigen. Eine Karriere als politischer Beamter wie die von Eckart von Klaeden mündet deshalb nicht selten bei einem Unternehmen im Berliner Lobby-Büro. Der Verdienst für diese Posten von zum Teil mehr als 500.000 Euro pro Jahr übersteigt das Jahresgehalt der Bundeskanzlerin bei weitem, auch das ist ein Grund, den Sprung in die Privatwirtschaft zu tun. Ökonomisch betrachtet stellt es die Krönung einer beruflichen Laufbahn dar.

Das Beispiel Joachim Koschnicke

Der studierte Betriebswirt Koschnicke, damals 37 Jahre alt, arbeitete von 2005 bis 2011 als Bereichsleiter für Strategische Planung im Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU in Berlin. Die Bundeskanzlerin hält viel auf die Kommunikationsfähigkeit Koschnickes, er gilt im Konrad-Adenauer-Haus als einer ihrer Vertrauten und so schickt sie ihn 2010 nach NRW, um den dortigen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers vor einer Wahlpleite zu bewahren. 2011 wechselt Koschnicke zunächst zum Meinungsforschungsinstitut Forsa. Ab 2013 arbeitet er als "Vice President Public Policy" für den Autohersteller Adam Opel AG. Koschnicke ist ein Experte für Krisenkommunikation, eine Eigenschaft, die im Frühjahr 2016 für den Rüsselsheimer Autobauer große Bedeutung erlangen soll. Auch hier geht es um die Affäre um manipulierte Diesel-Motoren. Nach dem Ausbruch des Abgasskandals bei Volkswagen im September 2015 hatte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eine Untersuchungskommission zur Aufklärung der Diesel-Manipulationen bei Volkswagen eingesetzt. Diese ließ über 50 Automodelle auch anderer Hersteller nachmessen, und so stießen die Experten ebenso bei Opel-Modellen auf hohe Stickoxidwerte. Opel sollte erklären, wie es zu diesen Messergebnissen gekommen ist.

Opel-Lobbyist Koschnicke, obwohl er nicht der Leiter des Berliner Opel-Büros ist, übernahm in der Folge die Kommunikation mit dem Verkehrsministerium – möglicherweise, weil sich die Opel-Führung durch seine persönlichen Beziehungen in Berlin bessere Erfolgschancen ausrechnete. Interne E-Mails und Protokolle aus den Unterlagen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses dokumentieren dabei, wie Koschnicke die Unregelmäßigkeiten an der Motorsoftware der Opel-Modelle kleinredete, Druck ausübte und die Verbindungen in die Union für seine Lobbyarbeit nutzte.

Zunächst verhielt sich Koschnicke betont jovial in seiner Kommunikation. Dem Präsidenten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA), Ekhard Zinke, schrieb er in einer E-Mail vom 26. November 2015 ("Da wir uns kennen"), Opel wolle dem "Aufklärungsinteresse" mit "noch mehr Transparenz" begegnen. Die Tonlage änderte sich, als das Bundesamt Opel mit den Erkenntnissen konfrontiert, dass der Autobauer offenbar eine ähnliche Abschalteinrichtung wie VW eingesetzt hatte. Die Prüfer hätten "keine einheitlichen Testbedingungen angewandt", beschwerte sich Koschnicke in einer E-Mail vom 1. März 2016 an das KBA. Ihre Ergebnisse seien "rechtlich nicht relevant". Opel versprach schließlich, die Software der Wagen nachzubessern. Allerdings sollte dies freiwillig geschehen, somit würde es bei einer gesichtswahrenden Lösung bleiben.

Im Mai 2016 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL eigene Untersuchungen , in denen drei neue, noch unentdeckte Abschalteinrichtungen am Abgassystem eines Opel Zafira nachgewiesen werden konnten. Der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt reagierte verärgert, weil er von Opel eigentlich erwartet hatte, dass sie alle Abgasmanipulationen offengelegt hatten. Er ließ Konzernchef Karl-Thomas Neumann nach Berlin einbestellen. Begleitet wurde dieser von Koschnicke, der einen alten Parteifreund mitgebracht hatte: den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), der in Unionskreisen noch immer großes Ansehen genießt. In einer Präsentation bekräftigten sie gegenüber Dobrindt, dass die im SPIEGEL zitierten Daten falsch interpretiert worden seien. Die Beamten des Kraftfahrtbundesamts (KBA) hielten dagegen und verfügten, dass Opel die Abschalteinrichtungen aus der Software des Zafira tilgen soll. Auch die Zulassung des neuen Modells des Familienwagens würden sie verweigern, wenn nicht die Abschalteinrichtungen beseitigt würden.

Nach fast zwei Monaten wandte sich Koschnicke am 4. Juli 2016 erneut in einer E-Mail an den KBA-Präsidenten Ekhard Zinke und fragte ihn, warum noch immer keine Zulassung für den neuen Zafira erteilt worden sei. Das werde "potenzielle Auswirkungen auf unseren Geschäftsbetrieb" haben, die er dem Behördenchef "aufzeigen" müsse. Die Produktion in fünf Werken sei bedroht, "die Auswirkungen wären in jeder Hinsicht dramatisch". Deshalb könne es auch nur "eine mögliche Antwort" geben: nämlich die Genehmigung.

Scheinbar um sicherzustellen, dass der Behördenchef dem Schreiben das nötige Gewicht beimessen würde, adressierte Koschnicke es auch an Zinkes Vorgesetzten: Staatssekretär Michael Odenwald im Bundesverkehrsministerium, "in Kopie". Mit dem Hinweis "Ich bin sehr sicher, dass Sie dankbar sind, diese Art der Transparenz aufgezeigt zu bekommen" will Koschnicke scheinbar deutlich machen: Blockiert das Amt weiter, wird er sich an höherer Stelle über den KBA-Präsidenten beschweren.

Die Intervention von Koschnicke war erfolgreich. Das KBA erteilte nur wenige Wochen später die Genehmigung für das neue Zafira-Modell. Für Opel war damit erst einmal das drängendste Problem der Abgasaffäre vom Tisch. Koschnicke konnte sich zufrieden von seinen Kollegen bei Opel verabschieden und das Wahlkampfteam von Angela Merkel übernehmen.

Rahmenbedingungen für Drehtür-Karrieren

Drehtür-Lobbyismus heißt das im Branchenjargon. Insbesondere für Mitarbeiter/-innen von Parlamentariern oder für Regierungsmitarbeiter ist der mehrfache Seitenwechsel interessant. Sie steigern damit die Anzahl der Kontakte auf Regierungsseite, die im Job in der Wirtschaft ihren Marktwert in die Höhe treiben.

Der Übergang vom Staatsdienst in die Privatwirtschaft ist bislang nur unzureichend geregelt. Das liegt einerseits daran, dass bislang noch nicht genügend Sensibilität für das Thema bestanden hat und Lösungen daran gescheitert sind, dass sie von den Personen getroffen werden müssen, die davon potentiell benachteiligt sind. Auch gibt es durchaus gute Gründe für den Seitenwechsel: Die Ministerien sind dringend auf Quereinsteiger aus der freien Wirtschaft und deren Kompetenzen angewiesen.

Übergangsregelungen gibt es für Minister/-innen und parlamentarische Staatssekretäre und Sekretärinnen, insbesondere die Möglichkeit, eine Karenzzeit von maximal 18 Monaten vor Aufnahme einer Tätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes zu verhängen (für Klaeden galt diese Regelung noch nicht). Ministerialbeamte haben theoretisch eine Karenzzeit von drei bis fünf Jahren, umgangssprachlich in den Behörden auch "Abklingzeit" genannt, damit die Personen kein Insiderwissen in den neuen Job als staatlicher Geheimnisträger mitnehmen und nutzen können. Diese Übergangszeit kann allerdings auch verkürzt werden. Bei nicht-verbeamteten Angestellten fehlt eine Übergangsregelung hingegen vollkommen.

Die Diesel-Affäre mahnt die Politik dazu, das Verhältnis zur Automobilindustrie und ihren Interessenvertretern zu überdenken und ggf. deutlicher zu trennen bzw. eine kritischere Haltung einzunehmen. Ein Versagen von Aufsicht wie in diesem Fall, zum wirtschaftlichen und gesundheitlichen Nachteil der Bürger/-innen, kann das Vertrauen in die Institutionen des Staates nachhaltig schädigen. Dadurch erodiert auch das Zutrauen in das demokratische Staatswesen insgesamt.

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Gerald Traufetter ist Wissenschaftsredakteur beim "Spiegel" und arbeitet hier zum Thema Lobbyismus. Die Entwicklungen im Bereich der Automobilindustrie verfolgt seit vielen Jahren und hat hierzu umfangreich recherchiert und publiziert.