Die sozial-ökologische Transformation erfordert gewaltige Investitionen. Konservativ geschätzt geht es um einen Mehrbedarf von knapp einer Billion Euro bis 2030. Nur ein Fünftel davon sind klassische öffentliche Investitionen in die Infrastruktur. Der große Rest sind private Investitionen.
Die Unternehmen müssen ihre Produktionsanlagen und -prozesse grundlegend erneuern, um langfristig am Markt bestehen zu können. Es würde allerdings zu kurz greifen, die dafür erforderlichen privaten Investitionen als rein betriebswirtschaftliches Problem abzutun. Der Staat spielt in dieser Transformation eine zentrale Rolle. Das tut er sowieso, etwa dadurch, dass er Rahmenbedingungen wie im Bereich der CO2-Bepreisung setzt. Doch auch als Kapitalgeber wird der Staat diese privaten Investitionen anreizen und auch unterstützen müssen.
Warum schafft das „der Markt“ nicht alleine? Auf diese Frage gibt es zwei zentrale Antworten. Erstens subventionieren auch andere Länder ihre Unternehmen massiv bei deren Investitionen. In China geschieht das schon immer, in den USA aber neuerdings auch, zum Beispiel durch den Inflation Reduction Act. Folglich wird Europa nicht umhinkommen, ähnliche Angebote zu machen, denn sonst wandern die Unternehmen ab.
Das zweite – und wichtigere – Argument für staatliche Industriepolitik ist systematischer Natur und hat nichts mit vermeintlich unfairen Subventionspraktiken anderer Länder zu tun. Diesem Argument zufolge können und wollen die Geschäftsbanken große und transformative Investitionen gar nicht finanzieren. Das sagen sie auch selbst ganz offen. Sie bevorzugen sichere Kreditvergaben und kurze Tilgungszeiträume. Eine Immobilienfinanzierung für Kunden mit höchster Bonität, eine Finanzierung für die Erweiterung eines etablierten und profitablen Geschäftsmodells – all das machen Privatbanken gerne. Hier kann sich der Staat raushalten.
Der Staat ist als Investor geduldiger
Doch die Realität der Transformation ist komplexer. Wir müssen die gesamte Wirtschaft in der EU bis 2050 hin zur Klimaneutralität umbauen. Langfristig wird das auch Profite abwerfen, weil erneuerbare Energien günstiger sind als fossile. Aber kurzfristig sind hier Ersatzinvestitionen nötig – ein „brauner“ wird durch einen „grünen“ Kapitalstock ersetzt, ohne dass dadurch sofort zusätzliche Gewinne entstehen.
Er ist als Investor geduldiger als private Akteure. Er kann darauf vertrauen, dass sich „grüne“ Geschäftsmodelle durchsetzen werden. Anfängliche Durststrecken kann er einfacher durchstehen als kurzfristorientierte Financiers, die auf ihre Quartalszahlen starren. Gelingt zum Beispiel die Ansiedlung grüner Stahlproduktion in Deutschland, überstehen die Unternehmen also das „Tal des Todes“ – die zunächst hohen Kosten der ökologischeren Produktionsweise –, dann profitiert davon die gesamte Volkswirtschaft. Es kommen neue Wertschöpfungsketten in Gang, an den Produktionsstandorten profitieren die Zulieferer, und so weiter. All diese Aspekte werden von Privatinvestoren strukturell vernachlässigt. Sie interessieren sich bloß für die betriebswirtschaftliche Investitionsrechnung. Der Staat agiert anders. Er kann die positiven Ausstrahlungseffekte einbeziehen und deshalb Investitionen anders bewerten.
Nun darf man dieses Argument nicht überdehnen. Der Staat soll nicht Kapitalgeber für beliebige Projekte werden und die Privatbanken überflüssig machen. Sein Spielfeld ist die (Co-)Finanzierung großer Investitionsprojekte von hohem gesellschaftlichem Interesse. Der Staat finanziert keine Investitionen, die Unternehmen und Banken alleine stemmen können. Er fokussiert sich auf solche Fälle, die ohne staatliche Beteiligung nicht zustande kämen, eben wegen der systematisch anderen Herangehensweise der privaten Investoren.
Kompatibel mit der Schuldenbremse
Durch diesen Ansatz kommt es zu einem crowding in, also zu einem Verstärkungseffekt durch eine Hebelung von privatem Kapital mit öffentlicher Beteiligung, die keinesfalls nur über Subventionen erfolgen muss. Eine staatliche Intervention kann beispielsweise über sogenanntes stilles Eigenkapital erfolgen. Damit wird der Staat zum „Miteigentümer“ von Unternehmen, nimmt aber keinen Einfluss auf deren operatives Tagesgeschäft. Eine solche „finanzielle Transaktion“ ist übrigens voll kompatibel mit der Schuldenbremse, die staatlichen Ausgaben enge Grenzen setzt. Denn der Staat darf werthaltige Unternehmensbeteiligungen über Kredite finanzieren, ohne dass dies auf die zulässige Nettokreditaufnahme angerechnet wird. Neben dem Eigenkapital sind auch andere Beteiligungen oder Finanzierungsformen denkbar. Aber das sind Details, die von den öffentlichen Banken (wie der KfW oder den Landesförderbanken) zu klären sind, die vermutlich als handelnde Akteure auftreten würden.
Selbstverständlich muss ein solches Konstrukt, das Ähnlichkeiten mit einem Staatsfonds aufweist, professionell und politikfern gemanagt werden. Es kann nicht sein, dass sich dort nur zweifelhafte bis schlechte Projekte sammeln, von denen die Privatbanken aus gutem Grund die Finger lassen. Die Projektauswahl muss nüchtern und nach neutralen Kriterien erfolgen. Politische Einflussnahme muss, abgesehen von langfristigen strategischen Leitlinien, ausgeschlossen sein. Zentral ist auch ein Exit-Mechanismus: Projekte, die sich im Nachhinein als Fehler entpuppen, müssen wieder abgestoßen werden können. Bei rein politischer Logik dürfte das nicht gut funktionieren, bei einem professionellen Staatsfonds klappt das besser, wie auch am Beispiel Norwegens sichtbar wird.
Es wird nicht Marktwirtschaft durch Staatswirtschaft ersetzt. Der Staat gibt allerdings eine langfristige Richtung vor, schiebt bestimmte große Projekte an und holt dadurch Privatinvestoren an Bord. Markt und Staat sind Partner, die sich Risiken und Erträge fair teilen. So sieht Industriepolitik nach der Zeitenwende aus.