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Freihandel als weltpolitisches Instrument | Globaler Handel | bpb.de

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Freihandel als weltpolitisches Instrument

Andreas Eckert

/ 7 Minuten zu lesen

Der Kolonialismus sicherte den Europäern lange Jahre ökonomische Vorteile wie billige Rohstoffe und neue Absatzmärkte. Beim gegenwärtigen Freihandel sieht der Berliner Afrikawissenschaftler Andreas Eckert Kontinuitäten zwischen den Praktiken von damals und heute.

Mit seiner Installation "Scramble for Africa" thematisiert der britisch-nigerianische Künstler Yinka Shonibare die europäische Expansion in Afrika. 2010 wurde sie in Berlin gezeigt. (© picture-alliance/dpa)

"Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation (Ausbeutung, Anm. d. Red.) des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander." Im Kommunistischen Manifest (1848) entfaltete Karl Marx eine Globalisierungsutopie, in welcher der Nationalstaat als politischer Raum lediglich eine untergeordnete Rolle einnahm. Staat und Politik waren für ihn nicht mehr als Oberflächenphänomene. Marx zufolge stellten der zunehmend globale Kapitalismus mit seinen inneren Widersprüchen und die Vereinigung der Proletarier aller Länder zur Weltrevolution die wirklichen die Geschichte bewegenden Kräfte dar.

Auch im Liberalismus mit seiner Freihandelsideologie, dem zweiten großen politischen Entwurf der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, hatte der Staat nur wenig Gewicht. Richard Cobden (1804-1865), der britische Baumwoll-Unternehmer und Begründer der Freihandelsbewegung (Anti-Corn Law League), erhoffte sich wie viele seiner Mitstreiter von der Beseitigung aller Handelsschranken auf der Welt Prosperität und Frieden für die gesamte Menschheit.

Andreas Eckert (© IGK/HU Berlin, Fotograf: Maurice Weiss)

Auch Deutschland oder Frankreich haben ihre Industrien einst geschützt

Dahinter stand die Vorstellung von einer konfliktfreien, weltumspannenden Interaktion, die möglich werden würde, wenn sich Staaten und Regierungen des Eingriffs in freiwillige Vereinbarungen zwischen Individuen enthielten. In ähnlicher Form argumentieren noch heute Verfechter des Freihandels und pflegen zu vergessen, dass gegenwärtig führende kapitalistische Länder wie Deutschland, Frankreich, die Vereinigten Staaten und eben auch Großbritannien ihre im Entstehen befindlichen Industriezweige einst selbst mit Importkontrollen und Schutzzöllen vor der Weltmarktkonkurrenz geschützt haben.

Im Zeitalter von Kolonialismus und Dekolonisation wechselten sich in Bezug auf die Kolonien Freihandelspraktiken mit stärker protektionistischen Gebaren ab. Immer aber war das oberste Gebot, die wirtschaftlichen Interessen der Europäer zu unterstützen. Gleichzeitig sollten Spielräume einheimischer Produzenten und Händler kontrolliert und gegebenenfalls eingeengt werden. Dies gelang allerdings nicht immer.

Die Idealisierung des Freihandels als rationaler und pazifistischer Sonderweg der Briten rief seinerzeit den deutschen Wirtschaftstheoretiker Friedrich List auf den Plan, der in seiner unvollendet gebliebenen Schrift Das nationale System der politischen Ökonomie (1841) kritisierte, das Finanzkapital der Londoner City übe eine parasitäre und hemmende Wirkung aus.

London sei im Gegensatz zu industriellen Städten nicht produktiv, könne jedoch dank seiner unerschöpflichen finanziellen Mittel den Regierungen agrarischer Länder die Richtung seiner Politik vorschreiben. Auf diese Weise fördere es die Profitsteigerung des englischen Kapitals; die Bevölkerung von weniger entwickelten Nationen ziehe hingegen den Kürzeren.

Koloniale Beziehungen für den Export einheimischer Erzeugnisse

List war jedoch keineswegs ein Anti-Kolonialist, sondern nahm lediglich die Freihandelsforderung des Liberalismus ins Visier. Koloniale Expansion konnte ihm zufolge nützlich sein, indem sie Märkte schaffe, Bezugsquellen für Rohstoffe erschließe und als Ventil für die europäische Auswanderung diene. Koloniale Beziehungen hatten für List den primären Zweck, den Export der einheimischen Erzeugnisse und Industrieprodukte des Westens sowie den Import von Rohstoffen sicherzustellen.

Damit skizzierte er im Übrigen ziemlich treffend die kolonialen und nachkolonialen Wirtschaftsbeziehungen, wie sie sich bis zur Gegenwart darstellen. Während in Europa westlich des Zarenreiches zwischen 1853 und 1870 die meisten Zölle aufgehoben worden waren, bedurfte die Umsetzung der Utopie des weltweiten Freihandels außerhalb Europas zumeist der politischen-militärischen Intervention. In seinen Kolonien führte Großbritannien, die wohl wichtigste Kolonialmacht, den Freihandel ein – Dritte konnten zumindest bis in die 1930er Jahre also im britischen Imperium in der Regel ohne massive Hindernisse ihren Geschäften nachgehen.

Anders sah es im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Umgang mit formal unabhängigen Staaten und Reichen wie etwa China, dem Osmanischen Reich, Japan oder Siam (Thailand) aus. Dort suchten die Briten und andere europäische Mächte mit Druck oder militärischem Zwang, den Anschluss dieser Regionen an den "freien" Welthandel zu erreichen. "Ungleiche Verträge" öffneten bisher geschützte Märkte für die Produkte der europäischen Industrie. Dieser "Freihandelsimperialismus" war eng mit der Ideologie der Zivilisierungsmission verknüpft. Traditionale Monarchien in Asien sollten zum Beispiel lernen, "zivilisierte" internationale Umgangsformen zu beachten, um zu nützlichen, keinesfalls aber schon gleichberechtigten Mitgliedern der "Familie der Völker" werden zu können.

Die Zivilisierungsmission spielte auch eine wichtige Rolle in den eigentlichen Kolonien. Sie sollte die dortigen Bevölkerungen zu disziplinierten Bauern oder Arbeitern und zu willfährigen Untertanen eines bürokratischen Staates machen. Die wirtschaftliche Ausbeutung bildete ein zentrales Motiv für die Etablierung formeller Kolonialherrschaft. Koloniale Wirtschaft war in ihren Zielen, Praktiken und Auswirkungen extrem uneinheitlich. Immer aber ging es darum, den Vorteil der Kolonialmacht zu sichern, nicht jedoch die ökonomische Eigenständigkeit der einheimischen Bevölkerung zu ermöglichen. Besonders in Afrika blieb die Bereitschaft, in Kolonien zu investieren, bis nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichsweise gering und beschränkte sich weitgehend auf den Minensektor sowie den Bereich der Großagrarwirtschaft, vornehmlich in Siedlerkolonien.

Weder signifikante Bodenschätze noch geeignete Böden in Afrika

In den meisten Regionen Afrikas begnügten sich die Kolonialherren lange Zeit damit, von der Überschussproduktion afrikanischer Bauern und der oft mit Zwangsmitteln verbundenen Gewinnung von begehrten Rohstoffen zu zehren. Die Mehrzahl der afrikanischen Kolonien verfügte allerdings weder über signifikante Bodenschätze noch über für profitable Exportlandwirtschaft geeignete Böden. Sie waren daher nicht für eine größere Zahl europäischer Siedler geeignet und es gab auch weder dynamische afrikanische Agrarunternehmer noch eine signifikante bäuerliche Produktion. Der Anspruch des kolonialen Staates, seine Macht systematisch zu erweitern, kollidierte mit seiner Tendenz, Kosten zu sparen. Zugleich kollidierte das Bestreben des Kapitals, Strukturen zu etablieren, welche langfristig Gewinne sichern sollten, mit seiner Tendenz, möglichst schnell Kasse zu machen.

Afrika war vor dem Beginn der europäischen Kolonialisierung in die Weltwirtschaft primär als Lieferant von Rohstoffen integriert. Diese Rolle setzte sich in der Kolonialzeit fort und verstärkte sich noch. Der kommerzielle Sektor im kolonialen Afrika entwickelte sich insgesamt jedoch gegenläufig zu den Erwartungen, die die Europäer lange gehegt hatten.

Die damalige Annahme, dass die koloniale Herrschaft die Kontrolle afrikanischer Staaten über den Handel mit dem Hinterland bald brechen und vielen europäischen Händlern endlich freie Bahn gewähren würde, verkehrte sich im Laufe der Kolonialzeit nahezu ins Gegenteil. Bald dominierten einige wenige große europäische Unternehmen den Markt, und der koloniale Staat intervenierte in Handelsangelegenheiten in einem weit größeren Maße als dies seine lokalen afrikanischen Vorgänger getan hatten.

Das Handelsvolumen wuchs während der Kolonialzeit beträchtlich. Damit einher gingen diverse Möglichkeiten vor allem für europäische Handelsunternehmen, die zugleich aber nicht nur von Schwankungen der Weltmarktpreise und den Unwägbarkeiten des Transportwesens, sondern auch von lokalen politischen Konstellationen und Interessen abhängig waren. Nicht allein afrikanische Zwischenhändler, sondern auch viele europäische Handelsunternehmen verschwanden von der kommerziellen Bildfläche. Nach dem Ersten Weltkrieg prägten drei riesige Konglomerate den Handel in Westafrika: die Compagnie Française de l’Afrique Occidentale (CFAO), die Société Commerciale de l’Ouest Africain (SCOA) sowie die British United Africa Company (UAC).

Entwicklungspolitik und koloniale Kontinuitäten

Eine besondere Bedeutung in der sich nach dem Zweiten Weltkrieg abzeichnenden globalen Neuordnung kam dem Konzept der "Entwicklung" zu. Dieser Begriff sagte den Politikern der "unterentwickelten" Gesellschaften ebenso zu wie den Menschen in "entwickelten" Ländern. Denn er ließ beide teilhaben an dem intellektuellen Universum und der moralischen Gemeinschaft, die nach 1945 im Kontext weltweiter Entwicklungsinitiativen entstand. Diese Gemeinschaft teilte die Überzeugung, dass die Linderung der Armut durch ökonomische und soziale Selbstregulierung allein nicht möglich sei. Vielmehr bedürfe es konzertierter Interventionen von Regierungen armer und reicher Länder in Zusammenarbeit mit der wachsenden Gruppe internationaler Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, wie sie sich unter anderem unter dem Dach der neu gegründeten Vereinten Nationen zusammenfanden.

Angesichts der rasch zerfallenden europäischen Kolonialreiche in Asien und im Kontext des Kalten Krieges gewann Afrika als strategisches Hinterland und Rohstofflieferant erhöhte Bedeutung. Hinter dem Label "Entwicklung" verbarg sich nicht zuletzt eine ökonomische und politische Praxis, die weiterhin primär auf europäische Interessen ausgerichtet war und vor allem die effizientere Ausbeutung von Rohstoffen und Vermarktung europäischer Produkte im Blick hatte.

Vor diesem Hintergrund erwies sich der Versuch der jungen unabhängigen Staaten, "nationale Ökonomien" aufzubauen, als schwierig. Die von der internationalen Wirtschaft und ihren Institutionen auferlegten Zwänge waren hart. Die desillusionierende Einsicht, dass der Bruch mit der kolonialen Vergangenheit wesentlich schwerer und komplexer war als ursprünglich antizipiert, fand ihren Ausdruck im Begriff "Neokolonialismus". Damit verband sich einerseits die Kritik an weltwirtschaftlichen Konstellationen, welche die "Dritte Welt" (heute ist eher vom "globalen Süden" die Rede) und insbesondere Afrika in ökonomischer Abhängigkeit hielten. Zum anderen galt der Protest speziell den westlichen Mächten, die jene Staaten bestraften, die sich zu weit von den Erwartungen der kapitalistischen Großmächte entfernten.

Es wäre sicherlich zu simpel, den gegenwärtigen Freihandel als ungebrochene Kontinuität zu Praktiken der Kolonialzeit zu verdammen. Auch konnten Programme der Entwicklungszusammenarbeit in zahlreichen Fällen Leiden konkret mildern. Ebenso wenig zu leugnen sind die Fehlleistungen etwa afrikanischer Eliten und ihre Mitverantwortung für die Wirtschaftskrisen und massive soziale Ungleichheit in ihren Ländern. Dennoch lässt sich der Eindruck nicht wegwischen, dass Freihandel für ein asymmetrisches Arrangement steht, das Liberalisierung mit Protektionismus für westliche Interessen kombiniert.

Länder des "globalen Nordens" verordnen anderen Ländern gern offene Märkte, sind aber selbst oft weit davon entfernt, ihre eigenen Märkte zu öffnen. Viele Länder nehmen auch heute noch eine ähnliche Position im Weltsystem ein wie in der Kolonialära. Oft finden sich gar deutliche Phänomene quasi-kolonialer Kontrolle, etwa im Rahmen ökonomischer Strukturen und Prozesse. Diese Kontrolle wird nun nicht mehr von "klassischen" Kolonialmächten ausgeübt, sondern verstärkt von einer internationalen Organisation wie der Weltbank oder dem IWF.

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Prof. Dr. Andreas Eckert ist Lehrstuhlinhaber für die Geschichte Afrikas an der Humboldt Universität zu Berlin und leitet das vom BMBF geförderte Internationale Geisteswissenschaftliche Kolleg "Arbeit und Lebenslauf in globalhistorischer Perspektive".