Der Deutsche Kulturrat hat bereits im Mai 2013, also noch vor der Erteilung des Verhandlungsmandats des EU-Rats an die Kommission, eine Ausnahme für die Kultur in TTIP gefordert. Dabei haben wir auf den besonderen, doppelten Charakter von Kulturgütern und -dienstleistungen hingewiesen. Sie sind einerseits Wirtschaftsgüter und andererseits Träger von kultureller Identität und kulturellen Werten. Sie werden von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, von öffentlich geförderten Institutionen, von durch Gebühren finanzierten Einrichtungen sowie durch Kultureinrichtungen in Trägerschaft der öffentlichen Hand erbracht. Dabei bestehen innerhalb des Kultursektors, zu dem auch die audiovisuellen Medien gehören, zahlreiche Verschränkungen.
Es war allerdings nicht die deutsche Bundesregierung, die eine Ausnahme im Verhandlungsmandat des Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA verankert hat: Die französische Handelsministerin Nicole Bricq hat dem Verhandlungsmandat erst zugestimmt, als ein Bereich, und zwar die audiovisuellen Medien, ausgenommen worden waren. Das hatte zur Folge, dass die EU-Kommission bei den Verhandlungen keine Angebote für den europäischen audiovisuellen Sektor machen durfte. Frankreich hatte mit dieser Ausnahme vor allem seine Filmindustrie im Blick.
Auf Bundesebene haben sich erst im Oktober 2015 die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Monika Grütters und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zum Kulturbereich in TTIP positioniert. Sie haben in einem gemeinsamen Positionspapier formuliert:
Dass Regelungen aus dem Bereich der Telekommunikation nicht die Meinungsvielfalt und den Medienpluralismus einschränken dürfen, womit indirekt eingestanden wurde, dass im Telekommunikationskapitel von TTIP auch über Verbreitungsformen und -wege von Rundfunk und Fernsehen diskutiert wird.
Dass im Kapitel zum elektronischen Geschäftsverkehr keine neue Güterkategorie, die digitalen Güter, geschaffen werden soll und Maßnahmen zum Erhalt der kulturellen Vielfalt weiterhin möglich bleiben sollen. Damit wurde indirekt bestätigt, dass über die neue Güterkategorie der digitalen Güter, an der insbesondere die USA großes Interesse haben, verhandelt wird.
Dass im Investitionsschutzkapitel klar gestellt werden muss, dass Maßnahmen zur Sicherung der medialen und kulturellen Vielfalt nicht als indirekte Enteignung angesehen werden dürfen, Konzerne also nicht gegen solche Regeln von Staaten klagen können.
Dass im Kapitel zur regulatorischen Kooperation, also zur Zusammenarbeit bei der Entstehung von Gesetzen, keine verbindlichen Vorgaben zur Regulierung von Medien und Kultur enthalten sein dürfen. Damit hat der Gesetzgeber weiterhin Handlungsspielräume zur Sicherung der medialen und kulturellen Vielfalt.
Dass das Kapitel zum geistigen Eigentum die effektive Durchsetzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten weiterhin zulässt. Damit wird klargestellt wird, dass für europäische Werke in den USA das urheberzentrierte europäische Urheberrecht nicht in Frage gestellt werden darf.
Dass die Ausnahmen für audiovisuelle Medien zukunftsfest gestaltet werden müssen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf digitale Verbreitungswege, damit speziell der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Entwicklungsgarantie hat.
Dass die geplanten Erleichterungen bei den Zollvorschriften nicht den Kulturgutschutz konterkarieren dürfen.
Allein diese Forderungen der Bundesregierung, die pro-TTIP eingestellt ist und sich für das Abkommen auf allen politischen Ebenen stark macht, zeigen, dass der Kulturbereich selbstverständlich von TTIP betroffen ist - und dies über die Kulturförderung hinaus. Es ist gerade die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, auf die Handelsabkommen wie TTIP direkte Auswirkungen haben.
Kanada hat seinen Games-Sektor weitgehend ausgenommen
Im Vertragstext des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) kann jeder nachlesen, was eine Regierung unternimmt, um Zukunftsbranchen wie die Kultur- und Kreativwirtschaft zu schützen. Die kanadische Kultur- und Kreativindustrie, die beispielsweise im Games-Sektor eine weltweite Bedeutung hat, wird von diesem Abkommen weitgehend ausgenommen. Die vorherige konservative kanadische Regierung hat die Liberalisierung vorangetrieben und das Abkommen verhandelt. Aber auch sie wusste, dass Kulturerzeugnisse und -dienstleistungen besondere Güter sind. Und dass zum Schutz und zur Weiterentwicklung der kulturellen Vielfalt Fördermaßnahmen erforderlich sind, die ein Freihandelsabkommen nicht in Frage stellen darf.
Leider hat die EU-Kommission bei den Verhandlungen mit Kanada nicht in gleichem Maße den europäischen Kultur- und Kreativsektor im Blick gehabt. Es wurde die Chance vertan, mit einem Land, das Europa, den europäischen Werten und der europäischen Kultur so nah ist, ein für den gesamten Kultur- und Mediensektor wirklich wegweisendes Abkommen zu vereinbaren, das entsprechende Schutzmechanismen vorsieht. Jetzt ist das Europäische Parlament am Zug, hier noch entgegen zu steuern.
Falls diese nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten noch stattfinden werden: Mit Blick auf die TTIP-Verhandlungen heißt dies, dass der CETA-Vertrag für den Kulturbereich kein Vorbild werden darf. Stattdessen müssen im Gegenteil umfassende Ausnahmen für die europäische Kultur- und Kulturwirtschaft sowie den nicht gewinnorientierten Kultur- und Mediensektor vereinbart werden. Kulturelle Vielfalt darf nicht zu einer vielbeschworenen Leerformel werden. Sie muss als Leitbild der deutschen und europäischen Kultur- und Handelspolitik dienen.
(© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/dpa) | Josef Joffe:
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