Die seit 2013 laufenden TTIP-Verhandlungen haben nicht nur die Inhalte des Abkommens, sondern auch die Art und Weise seiner Aushandlung in den Fokus gerückt. Manche fragen sich: Warum wollen plötzlich so viele Bürgerinnen und Bürger Einblick in laufende Gespräche über Handelsabkommen, wollen Textentwürfe für Verträge lesen, deren Lektüre wahrlich kein literarischer Hochgenuss ist?
Die beste Antwort darauf hat Pascal Lamy bei einer Veranstaltung des Jaques Delors Institut im September 2015 in Berlin gegeben. Lamy ist als ehemaliger EU-Handelskommissar und Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO alles andere als ein Gegner von Handelsabkommen.
Aber er hat dennoch einen wesentlichen Unterschied bemerkt: Früher, so Lamy, seien Verhandlungen über Handelsabkommen hinter verschlossenen Türen möglich gewesen. Die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger war sicher, weil Zollsenkungen auch Preissenkungen bedeuten. Hinter verschlossenen Türen habe man mit den Unternehmensverbänden auch besser als in der Öffentlichkeit die Interessen der verschiedenen betroffenen Branchen austarieren können.
Heute, bei TTIP und CETA, den EU-Handelsverträgen der neuen Generation mit den USA und mit Kanada, gehe es nicht mehr um Zollsenkungen, sondern um die Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse, also um nichts anderes als die wechselseitige Anpassung von Gesetzen mit Schutzvorschriften für Umwelt, Gesundheit und Verbraucher. Die Sorge der Bürgerinnen und Bürger sei deshalb nicht verwunderlich. Es könne nicht mehr wie beim Kuhhandel zwischen Produzentenverbänden hinter verschlossen Türen gefeilscht werden.
Verdacht etwas verbergen zu wollen entsteht
Es war daher einer der Geburtsfehler von TTIP und CETA, dass unter Ausschluss der Öffentlichkeit über Grundlagen unseres Gemeinwesens verhandelt werden soll. Wenn über Sonderklagerechte für ausländische Unternehmen vor Schiedsgerichten diskutiert wird, stehen Errungenschaften wie die Sozialpflichtigkeit des Eigentums auf dem Spiel. Wenn bestehende und zukünftige Gesetze daraufhin überprüft werden sollen, ob sie ein Handelshemmnis darstellen, werden Jahrzehnte der Auseinandersetzungen beispielsweise über Gentechnik, Chemikalienzulassung, Arbeitnehmerrechte oder Datenschutz wieder aufgerollt. Wer dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit tut, setzt sich dem Verdacht aus, etwas verbergen zu wollen – in einer Demokratie ist das ein fatales Signal und in Zeiten immer durchlässigerer Verwaltungen zudem ein untauglicher Versuch.
Dies hat im Herbst 2014 auch die neu gewählte EU-Kommission festgestellt. In der Folge wurden dann zuerst Positionspapiere, später das Verhandlungsmandat und sukzessive die TTIP-Verhandlungsdokumente der europäischen Seite veröffentlicht.
Dabei sind die Argumente gegen eine höhere Transparenz damals wie heute nicht stichhaltig.
Das erste – gegen die Veröffentlichung des Verhandlungsmandats gerichtete – Argument lautete, man wolle sich vom Verhandlungspartner nicht in die Karten schauen lassen. Schon damals hatte die Überzeugungskraft dieses Arguments allerdings stark gelitten: Beim NSA-Abhörskandal kam heraus, dass auch viele Brüsseler Dienststellen belauscht wurden. Inzwischen – nach Beginn der Verhandlungen – wäre die Öffentlichkeit in Europa froh, wäre sie so gut informiert wie die US-Verhandlungspartner.
Nur wenige Abkommen greifen so breit und so tief ein
So viel Öffentlichkeit habe es in den Verhandlungen über internationale Abkommen noch nie gegeben, lautet ein weiteres Argument. Dies ist nicht nur falsch, wie sich beispielsweise anhand der Verhandlungen zeigt, die im Dezember 2015 in den Klimavertrag von Paris mündeten. Der Einwand ist auch unangemessen, weil nur wenige internationale Abkommen gleichzeitig so breit und so tief in demokratische Entscheidungsverfahren eingreifen.
Das dritte Argument sagt schlicht, die USA würden sich einer Veröffentlichung widersetzen. Das mag sein, es verbleibt allerdings ein schaler Geschmack. Denn auf der anderen Seite bittet die EU-Kommission um Vertrauen in ihre Durchsetzungskraft bei den Verhandlungen. Wie aber auf die Stärke der verhandelnden Kommission vertrauen, wenn diese sich nicht einmal bei der Transparenz durchsetzen kann?
Bleibt das letzte Argument: Auf das Ende der Verhandlungen zu warten. Dann würde ja alles veröffentlicht und könnte im Zuge der Ratifizierung ausführlich bewertet werden. Wer sich die heftigen Konflikte um die Unterzeichnung des seit Ende 2014 fertig verhandelten CETA anschaut, erkennt, dass auch dies kein vernünftiger Weg sein kann. Alle Erfahrung sagt, dass das Wiederaufschnüren abgeschlossener Verhandlungen mit viel Gesichtsverlust und hohen politischen Kosten verbunden ist. Dementsprechend stark ist der Druck, das vorgelegte Ergebnis dann doch ohne Änderung zu akzeptieren.
Wir brauchen deshalb einen transparenten Neuanfang bei der Aushandlung von Handelsabkommen. Wer am Ende eine breite Zustimmung möchte, tut gut daran, schon zu Beginn Zivilgesellschaft und Parlamente zu fragen. Es ist ja auch nicht so, als wäre dies in Europa ein völlig unbekanntes Verfahren. Jedes größere Gesetzgebungsverfahren der EU wird zuerst mit einer ausführlichen Mitteilung der Kommission angekündigt, Konsultationen und Folgenabschätzungen schließen sich an, bevor dann die eigentliche Richtlinie oder Verordnung vorgelegt und umfassend vom EU-Parlament beraten wird.
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