Aus der Ferne betrachtet mutet die regulatorische Zusammenarbeit harmlos und sogar vernünftig an. Die Europäische Kommission sowie nationale Behörden sollen durch diesen Eckpfeiler eines zukünftigen EU-US-Handelsvertrages in einem ständigen Austausch mit ihren amerikanischen Pendants stehen. Das Ziel: Darauf zu achten, dass künftige Gesetzgebung in Abstimmung mit der Gegenseite stattfindet. Damit sollen unnötige Unstimmigkeiten zwischen den jeweiligen regulatorischen Ansätzen vermieden werden. Denn: Unterschiede – zum Beispiel bei technischen Normen für Rücklichter oder bei der Beschriftung von Verpackungen – kosten Unternehmen, die ihre Produkte nach Übersee verkaufen wollen, bares Geld. Und tatsächlich: Auch aus Verbrauchersicht macht es Sinn, wenn Behörden Erfahrungen austauschen, um Fehler zu vermeiden oder um voneinander zu lernen. Aber das trifft nur unter bestimmten Bedingungen zu.
An erster Stelle müsste ein solcher regulatorischer Dialog die Zielsetzung haben, den Verbraucher-, Umwelt- und Arbeitnehmerschutz zu stärken. Es ist aber offensichtlich, dass ein Handelsabkommen, das darauf abzielt, derartige "Hürden" für Unternehmen abzubauen, dafür nicht das richtige Instrument ist.
Außerdem sollte sich der Dialog auf eine freiwillige Zusammenarbeit beschränken. Anderenfalls würden europäische und amerikanische Behörden in ein Korsett gezwängt und müssten auch bei Themen, bei denen es schlicht keine Übereinstimmung gibt, nach möglichen Schnittstellen suchen. Dies birgt das Risiko, dass eine Angleichung der Regeln übers Knie gebrochen wird. Drittens sollte sich die regulatorische Zusammenarbeit auf praktische Sachverhalte beschränken, aber keinesfalls Gesetzgebungsfragen ansprechen. Ein transatlantisches Lebensmittelfrühwarnsystem macht Sinn für Verbraucherinnen und Verbraucher, die Ausarbeitung gemeinsamer Regelungen zum Datenschutz hingegen führt nur in eine Sackgasse – denn in den USA gibt es kein allgemeines Datenschutzgesetz wie in der EU.
Ansatz des Kommissionsvorschlags ist falsch
Die Stoßrichtung des Kommissionsvorschlags für TTIP vom Februar 2016
Es wäre falsch, wenn amerikanische und europäische Behörden Gesetzestexte dem jeweiligen Handelspartner vorlegen müssten, bevor sie an die eigentlichen Gesetzgeber gehen – also im Fall der EU an das Europäische Parlament (EP) und den Rat. Für letztere wäre das wie eine Zwangsjacke und würde den Einfluss US-amerikanischer Unternehmenslobbyisten unangemessen stärken. Man stelle sich vor, die EU würde einen Gesetzesvorschlag zu genetisch veränderten Mechanismen oder Klonfleisch vor der Abstimmung im Parlament den USA vorlegen müssen. Das würde im Hinblick auf die enormen – auch kulturellen – Unterschiede das ganze Gesetzesvorhaben in Gefahr bringen.
Der neueste Vorschlag der Kommission zu den "Organen" eines TTIP-Abkommens belebt die Idee eines transatlantischen Regulierungsforums wieder. Dieses Forum war in früheren Vorschlägen als Regulatory Cooperation Body bereits von der Zivilgesellschaft und Mitgliedern des EP stark kritisiert worden. Unsere Kritik an diesem jetzt in "Forum" umbenannten Gremium ist weiterhin aktuell: Durch die Institutionalisierung der regulatorischen Zusammenarbeit in Form des "Forums" und der untergeordneten Gremien besteht die Gefahr, dass die Gesetzgebung in der EU verlangsamt wird oder sogar komplett zum Erliegen kommt. Der Druck zivilgesellschaftlicher Organisationen hat aber auch schon konkrete Verbesserungen in dem Vorschlag der EU-Kommission erwirkt: Die Transparenz sowie die Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen bei der geplanten regulatorischen Zusammenarbeit sind erfreulich. Webseiten mit öffentlich zugänglichen Informationen, ein parlamentarischer Dialog und die Möglichkeit zur Teilnahme an Beratungsgremien sind wichtige Vorschläge. Allerdings: Wenn Lobbyisten von Anfang an mit am Tisch sitzen wie derzeit geplant, lassen sich Maßnahmen im Sinne des Allgemeinwohls nur schwierig auf den Weg bringen.
EU-Vorschlag will amerikanische Lobby-Praktiken festschreiben
Die regulatorische Zusammenarbeit in TTIP besteht aus einer Kombination von zwei komplementären Regelungen: zum einen der regulatorischen Zusammenarbeit im engeren Sinne und zum anderen der "guten Regulierungsverfahren" oder good regulatory practices.
Während der letzte Vorschlag der Kommission zur regulatorischen Zusammenarbeit erheblich entschärft worden ist, ist das Kapitel zum "guten Regulierungsverfahren" aus Verbrauchersicht immer noch kritisch zu bewerten. Die EU will nun amerikanische Lobby-Praktiken verbindlich festschreiben, die Fortschritte im Verbraucher- oder Umweltschutz bekanntermaßen erheblich behindern. Mit einer dieser Praktiken wurde in den USA die Bedeutung von wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analysen auf die Spitze getrieben. Dies führte dazu, dass die US-Behörden aus Furcht vor kostspieligen Gerichtsverfahren nur noch selten auf Verbote oder Einschränkungen von potenziell schädlichen Substanzen oder Produkten zurückgreifen. Die USA haben seit 1991 keine einzige Chemikalie mehr verboten. Die Kommission schlägt nun solche Kosten-Nutzen-Analysen auch für TTIP vor. Außerdem enthält der Vorschlag keine ausreichenden Garantien dafür, dass im Falle von wissenschaftlicher Unsicherheit die konsequente Umsetzung des EU-Vorsorgeprinzips gewahrt bleibt. Dieses "gute Regulierungsverfahren" kommt ausschließlich der Industrielobby entgegen. Sie hat damit einen Hebel in der Hand, Schutzstandards in Frage zu stellen oder zu entschärfen.
Aus Sicht des Verbraucherschutzes sollte sich die Kommission darauf beschränken, den unverbindlichen Regulierungsansatz aus dem EU-Kanada-Abkommen (CETA) zu verhandeln. Solch ein freiwilliges System bietet den nationalen Regulierungsbehörden den nötigen Spielraum, nur dann in einen regulatorischen Dialog einzutreten, wenn eine Zusammenarbeit höhere, nicht niedrigere Schutzstandards verspricht.
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