Die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA und Kanada werden nicht nur den Welthandel, sondern auch unser Zusammenleben stark verändern. Bei TTIP und CETA geht es anders als bei vorangegangenen Verträgen zwischen sogenannten Entwicklungsländern und Industrienationen (wie etwa NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko) nicht mehr nur um den Abbau von Zöllen. Diese sind ohnehin schon sehr niedrig. Verhandelt wird über jede Art von nichttarifären Handelshemmnissen. Dazu zählen Subventionen bestimmter Produkte, aber auch Gesetze zum Schutz der Umwelt, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von geistigem Eigentum und von öffentlichen Gütern.
Wie in Europa der Schutz von Umwelt, Mensch und Tier aussieht, unterscheidet sich grundlegend davon, wie dies in den USA und Kanada geregelt wird. Wenn in Europa ein Produkt den Verdacht erregt, ein Risiko für die Bevölkerung zu sein, kann es mit Auflagen belegt oder ganz verboten werden. Diesem sogenannten Vorsorgeprinzip folgend wurden Asbest, DDT oder Blei im Benzin viel schneller aus dem Handel genommen als in den Vereinigten Staaten (Pinzler 2015). In den USA und Kanada hingegen liegt die Nachweispflicht der Unbedenklichkeit beim Hersteller oder beim Importeur. Ein Produkt gilt solange als unbedenklich, bis von offizieller Stelle das Gegenteil bewiesen wird (Volland 2015). Bei diesem sogenannten Wissenschaftsprinzip ist die "Nachsorge" umso strenger geregelt. Wenn es zu einem Unfall oder einer Verletzung des Konsumenten kommt, muss der Hersteller mit hohen Strafen rechnen. Daher wird man in den USA auf einem Coffee-to-go-Becher vor Verbrennungen durch das Heißgetränk gewarnt. Ein Hersteller überlegt sich entsprechend genau, ob es nicht doch günstiger ist, ein Produkt gründlich zu testen, bevor es auf den Markt kommt.
Unabhängig von einer möglichen Aushebelung des Vorsorgeprinzips rütteln die transatlantischen Freihandelsabkommen aber auch ganz grundlegend an der Vorstellung, dass bestimmte Güter und Serviceleistungen so wichtig für die öffentliche Daseinsvorsorge sind, dass sie dem gewinnorientierten Marktgeschehen entzogen sein sollten.
Freihandelsabkommen mit nachteiligen Auswirkungen auf die Wasserversorgung
TTIP und Co. können weitreichende Folgen für Dienstleistungen und Infrastruktur der öffentlichen Hand haben, etwa für das Gesundheitswesen, den Bildungs- oder den Kulturbereich. Ein Gutachten des Europarechtlers Martin Nettesheim im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung kam zu dem Schluss, dass das bereits fertig verhandelte CETA-Abkommen die Freiheit von Ländern und Gemeinden berühre, "den Bürgerinnen und Bürgern umfassende, effiziente und kostengünstige Leistungen der Daseinsvorsorge zu erbringen" (Nettesheim 2016, 2). Er warnt vor einem Zielkonflikt zwischen der Gestaltungsbefugnis ("right to regulate") von Ländern und Kommunen und "den sich aus CETA ergebenden Bindungen".
Besonders nachteilig dürften sich die Freihandelsabkommen im Bereich der Versorgung mit dem lebensnotwendigen Rohstoff Wasser auswirken: Bislang obliegen Wasserver- und Abwasserentsorgung in Deutschland ausschließlich der Regulierungshoheit von Bund, Ländern und Gemeinden. Durch CETA könnte sich das jedoch ändern.
Das liegt unter anderem an den sogenannten Negativlisten. Bislang folgten ältere Handelsabkommen dem sogenannten Positivlisten-Ansatz: Dieser besagt, dass nur jene Bereiche, die ausdrücklich im Vertragswerk erwähnt werden, Liberalisierungspflichten unterliegen. Bei CETA und TTIP wurde dieses Prinzip jedoch auf den Kopf gestellt. Mit den neuen "Negativlisten" unterliegt alles der Liberalisierung, es sei denn, es wird ausdrücklich aufgeführt und somit ausgeschlossen. Das klingt gut, lässt aber viel Raum für spätere juristische Interpretationen (Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft 2016). Ein ausdrücklicher Ausschluss der Wasser- und Abwasserversorgung ist jedenfalls trotz der Forderungen vieler Expertinnen und Experten in CETA nicht enthalten (Laskowski 2016, 37). Ähnliches kann man auch für das noch im Geheimen verhandelte TTIP-Abkommen vermuten. CETA und TTIP käme eine nationalen oder EU-Gesetzen übergeordnete rechtliche Wirksamkeit zu (Broß 2015). Sämtliche Organisationsstrukturen in der Wasserwirtschaft, soweit sie in öffentlicher Hand sind, wären somit betroffen.
Klagemöglichkeiten für kanadische Investoren vor einem neuen Handelsgericht
Da die Wasserversorgung nicht ausgeschlossen ist, sind vor allem über den Investitionsschutz Probleme zu erwarten. Die Investitionsschutzregelungen in CETA geben kanadischen Investoren die Möglichkeit, europäische Staaten vor einem neuen Handelsgericht zu verklagen, wenn nationale Gesetze und Regulierungen ihre Gewinne schmälern. Dabei könnte es viele Konfliktherde geben, die Firmen zum Anlass für Klagen nutzen dürften: etwa die Anhebung von Löhnen nach dem Mindestlohngesetz oder die Einführung von gleichen Gehältern für Frauen und Männer. Im Fall der Wasserversorgung könnten es neue Grenzwerte in der Abwasserwirtschaft, schärfere Regeln für einen stärkeren Grundwasserschutz oder die sozialverträgliche Begrenzung von Gebühren und Entgelten sein (Laskowski 2016, 4). Alle kanadischen Firmen, die sich einmal in Europa niedergelassen haben, genießen mit CETA diese Klagerechte. Übrigens: Europäische Firmen genießen sie in der EU nicht.
Auch die Möglichkeit, einmal privatisierte öffentliche Dienstleistungen wieder in öffentliche Hände zurückzuführen, wäre durch die Möglichkeit von Investitionsschutzklagen zumindest erschwert. Gemeinden, die "rekommunalisieren", könnten sich schnell dem Vorwurf der in CETA fixierten "unfairen Behandlung" oder "indirekten Enteignung" aussetzen (Laskowski 2016, 55). De facto würde dies demokratische Entscheidungen wie die nach einem erfolgreichen Volksentscheid 2011 in Berlin erzwungene Rekommunalisierung der Wasserbetriebe erheblich erschweren.
Bei diesen Freihandelsabkommen stehen nicht nur der Abbau von Handelshemmnissen, sondern auch die massive Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse auf dem Spiel (Tietje 2015). CETA und TTIP sind vor allem in einer Hinsicht "frei": Sie erlauben freies Durchgreifen auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Mit TTIP und CETA bestünden offene Grenzen für Wirtschaftsunternehmen, die die Macht hätten, zu interpretieren, was öffentliches Gut und was Ware ist. Die politische Freiheit der Bürgerinnen und Bürger wäre nur noch ein Versprechen aus einer anderen Zeit.
Literaturhinweise
Broß, Sigfried, TTIP und CETA Überlegungen zur Problematik der geplanten Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada, SKD Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge, Heft 4. Online unter: Externer Link: http://berliner-wassertisch.info/wp-content/schriftenreihe/BROSS-SKD2015.pdf (Stand: 31. Oktober 2016)
Fritz, Thomas, Geheimwaffe TTIP: Ausverkauf der öffentlichen Güter, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, 2014, 93-100.
Tietje, Christian, Lassen wir so etwas ins europäische Haus? Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 49, 27. Februar 2015, 12.
Krajewski, Markus: Potentielle Auswirkungen des transatlantischen Freihandeslabkommens (TTIP) auf die kommunale Organisationsfreiheit im Bereich Wasservers- und Abwasserentsorgung. Kurzgutachten im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternahmen e.V. (VKU), 11. Februar 2014.
Pinzler, Petra: Der Unfreihandel. Die heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien, Hamburg 2015.
Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft, Im Sog des Freihandels, Externer Link: http://www.aoew.de/media/Publikationen/Stellungnahmen/2016/AoeW_Positionspapier_CETA_Final_red_ueberarb_August_2016.pdf (Stand: 31. Oktober 2016)
Silke Ruth Laskowski, Rechtliches Gutachten zu möglichen Verstößen gegen Investitionsschutzregelungen des Freihandelsabkommens CETA durch Maßnahmen der kommunalen Wasserwirtschaft, ISDS Schiedsgerichtsverfahren und Haftungsfragen, Kassel 2016, Externer Link: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/EU-USA_Freihandelsabkommen/Laskowski_Gutachten_20_09_2016.pdf (Stand: 31. Oktober 2016)
Martin Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, Externer Link: https://stm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/160524_Nettesheim-CETA-Gutachten.pdf (Stand: 31. Oktober 2016)
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