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Freihandel ja – aber bitte im Sinne der Verbraucher

Klaus Müller

/ 5 Minuten zu lesen

Niedrigere Preise und eine größere Produktauswahl reichen für Verbraucherschützer Klaus Müller nicht als Legitimation für Freihandelsabkommen aus. Er fordert, die Belange der Verbraucher bei TTIP und CETA mitzudenken.

(© dpa, Erwin Elsner)

Vor drei Jahren spukte das später vielzitierte "Chlorhuhn" erstmals durch die politische Debatte in Deutschland. Es war der Auftakt für eine kontroverse Auseinandersetzung mit dem europäisch-amerikanischen Handelsabkommen TTIP. "Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich", so könnte man den Verlauf der Diskussionen zusammenfassen, der mittlerweile auch das EU-Kanada-Abkommen CETA erfasst hat. Mittlerweile ist zwar klar, dass mit TTIP und CETA nicht automatisch Chlorhühnchen, genmanipuliertes Essen oder Hormonfleisch auf den europäischen Markt kommen würden. Aber auch die Vorteile sind eher sagenumwoben als handfest: die Erwartungen an Wirtschaftswachstum oder niedrigere Preise durch TTIP sind bislang vor allem heiße Luft.

Was also müssten Handelsabkommen bringen, damit sie zustimmungsfähig werden? Aus Verbrauchersicht reicht das Versprechen niedriger Preise oder einer größeren Produktauswahl als Legitimation für so weitreichende Handelsabkommen wie TTIP und CETA nicht aus. Schon vor Verhandlungsbeginn hätten diejenigen, die das Abkommen wollen, die Verbraucherinnen und Verbraucher von dessen Vorteilen überzeugen müssen. Das geschieht nicht durch unhaltbare Statistiken und Schätzungen, etwa wie viel Einkommen jeder EU-Bürger vermutlich mehr haben wird. Und auch nicht durch Geheimniskrämerei. Aber auch Chlorhühnchen und andere Geister tragen nicht zu mehr Sachlichkeit bei.

Grundsätzlich können Handelserleichterungen und gemeinsame Standards zwischen den USA und der EU eine vernünftige Sache sein, wenn sie sich am jeweils höchsten Schutzniveau orientieren. Aber: Bitte erst das Ziel erklären und dann den Weg dorthin bestimmen! Den Verbraucher und seine Rechte zu stärken, das muss das Verbindende sein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte versprochen, geltende Standards würden nicht angetastet oder gar abgesenkt. Darauf muss Verlass sein. Verbraucherstandards müssen gewahrt und weiterentwickelt werden können. Deswegen müssen Verbraucherinteressen offensiv in Handelsabkommen verankert werden.

Verbraucherschützer fordern rote Linien für den Freihandel

Als Verbraucherschützer fordern wir klare rote Linien für TTIP: Wir fordern zum einen den klaren Erhalt des Vorsorgeprinzips – also dem in Europa verankerten Grundsatz, dass Unternehmen, bevor sie Produkte auf den Markt bringen, deren Unbedenklichkeit nachzuweisen haben. Als Bundesverband der Verbraucherzentralen fordern wir zudem den Verzicht auf Regeln zum Investorenschutz, also den einseitigen Schutz von Unternehmen. Wir haben gute und erprobte demokratische Verfahren und eine starke Gerichtsbarkeit, die in Streitfällen greifen. Es braucht keine bilateralen privaten Streitschlichter, wenn zwei Unternehmen sich nicht einigen können. Es darf auch nicht sein, dass künftig jedes neue Gesetz in den USA und in Europa dahingehend geprüft werden muss, ob es mit TTIP in Einklang stünde. Kooperation zwischen Behörden ja – aber bitte nur auf freiwilliger Basis, dort wo es Sinn macht, nicht als über allem schwebende Prüfinstanz.

Gerade bei der so genannten regulatorischen Kooperation liegt bei TTIP der Hase im Pfeffer: Die Vision ist die eines "lebenden Abkommens", dessen Vertragstext nicht ein für alle Mal festgeschrieben wird. Das Abkommen soll sich vielmehr kontinuierlich weiterentwickeln. So sollen künftig Handelshemmnisse gar nicht erst entstehen können.

Dies ist der eigentlich kritische Punkt des Abkommens. Denn hier stellt sich die Frage, wie sich langfristig Schutzstandards überhaupt weiterentwickeln können. Der bilaterale Austausch, das Lernen voneinander, ist ohne Zweifel sinnvoll und wird auch heute schon praktiziert. Ein völkerrechtlich verbindlicher Zwang zur Kooperation und die rechtsverbindliche Einbindung von Interessengruppen in den Regulierungsprozess kann jedoch langfristig zu einem Übergewicht wirtschaftlicher Interessen führen, wie es US-Verbraucherschützer schon heute erleben.

Es droht Rückabwicklung geltender Regulierung zum Schutz der Verbraucher

Hier drängt sich die konkrete Sorge auf, dass mit TTIP perspektivisch nicht mehr oder bessere Standards gelten, sondern Stillstand droht – oder schlimmer noch, eine mögliche Rückabwicklung geltender Regulierung zum Schutz der Verbraucher. Schon heute lässt sich ein gewisser vorauseilender Gehorsam der EU-Kommission im Zusammenhang mit TTIP beobachten. Eine geltende Definition für hormonell wirksame Substanzen (sogenannte "endokrine Disruptoren") lässt bis heute auf sich warten. Sie wurde von der EU-Kommission unter anderem auch auf Drängen der US-Handelsbehörde verschleppt. Im Jahr 2013 ließ die EU-Kommission die umstrittene Milchsäurebehandlung zur Dekontamination von Rindfleisch zu – eine langjährige Forderung der US-amerikanischen Fleischindustrie.

Auch wenn noch nicht klar ist, über welche Befugnisse die Gremien der regulatorischen Zusammenarbeit nach TTIP verfügen sollen, sicher ist schon jetzt, dass der Rechtfertigungsdruck für eine allgemeinwohlorientierte Regulierung steigen wird. Beispiel Kanada: Schon jetzt berufen sich kanadische Produzenten von genveränderten Produkten (GVO) auf die Regelungen, die die EU im europäisch-kanadischen CETA-Abkommen getroffen hat und fordern eine zügigere Abwicklung des Zulassungsprozesses für GVO.

Freilich muss der Verbraucherschutz auch die Preisfrage im Blick haben, gerade für diejenigen, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Aber die Preise sind nicht das schlagende Argument, das ein so weitreichendes Handelsabkommen legitimiert. Erst recht keines, das durch seine Geheimniskrämerei viel Misstrauen schürt.

Im Falle des EU-Kanada-Abkommens liegt nun schon seit einiger Zeit der finale Vertragstext vor. Auch wenn die Kooperation zwischen Behörden hier freiwillig gestaltet ist und das Abkommen weniger ausschweifend ist als für TTIP geplant: Verbraucherinteressen wurden nicht konsequent umgesetzt, Investoren sind noch immer bevorzugt gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen und das Vorsorgeprinzip ist nicht ausreichend verankert. CETA ist also kein verbraucherfreundliches Abkommen.

Verbraucherinnen und Verbraucher müssen als Subjekte moderner Handelsabkommen anerkannt werden. Dann würde ein solches Abkommen nicht allein das Ziel ausgeben, den internationalen Handel zu fördern. Es würde vielmehr um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger werben. TTIP will globale Wertschöpfungsketten stärken und sicherer machen. Dass es dafür die richtigen Weichen stellt, bleibt erklärungsbedürftig. Benötigt werden keine Legenden, sondern Fakten. Es muss Vertrauen aufgebaut werden, dass das Abkommen dem Gemeinwohl dienen will und nicht den Interessen derer, die die besten Legenden zu erzählen wissen.

(© Universität Jena)

Standpunkt Andreas Freytag:



Interner Link: "TTIP kann den "Goldstandard" beim Investitionsschutz begründen und dafür sorgen, dass europäische und amerikanische Produktstandards auch in Entwicklungsländern angewendet werden."

Klaus Müller ist Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Von 2006 bis 2014 leitete der Volkswirt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Für Bündnis 90/Die Grünen war er von 2000 bis 2005 Umweltminister in Schleswig-Holstein, bis 2006 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Von 1998 bis 2000 war Müller Abgeordneter des Deutschen Bundestags.