Welche Freihandelsabkommen gibt es – und wie erfolgreich sind sie?
Maike Brzoska
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TPP, TTIP, RCEP, NAFTA, Mercosur – die Welthandelsordnung scheint aus kryptischen Buchstabenfolgen zu bestehen. Was steckt hinter den Abkürzungen? Und wie wird sich das Welthandelsregime weiterentwickeln? Dazu die Journalistin Maike Brzoska.
Auf internationalen Konferenzen gehört es zum guten Ton, dass Politikerinnen und Politiker nach langen Verhandlungen vor die Presse treten und eine "Einigung" verkünden. Hände werden geschüttelt, Beschlüsse präsentiert – auch wenn eigentlich alle wissen: Im Großen und Ganzen ist diese Konferenz gescheitert.
So in etwa muss man sich die vergangenen Treffen der Doha-Runde vorstellen, zuletzt im Dezember 2015 in Nairobi, Kenia. Die Doha-Runde ist ein Verhandlungsforum unter dem Dach der Welthandelsorganisation (engl. World Trade Organization, WTO). Sie hat zum Ziel, Handelserleichterungen vor allem für Industrie- und Agrarprodukte sowie für Dienstleistungen zu erreichen. Ursprünglich sollten die 2001 auf der vierten WTO-Ministerkonferenz in Doha/Katar begonnenen Verhandlungen schon 2005 abgeschlossen sein. Nennenswerte Ergebnisse gab es nun aber auch in Nairobi nicht. Trotzdem lobten anschließend viele Politikerinnen und Politiker das Treffen – vor allem weil man sich einig geworden sei, weiter zu verhandeln.
Dabei hatte die Liberalisierung des Welthandels zuvor jahrzehntelang Fortschritte gemacht. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich 23 Staaten im WTO-Vorläuferabkommen GATT (engl. General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) auf weniger Zölle, Abgaben und andere Hemmnisse im globalen Warenaustausch geeinigt – durch das seit 1948 geltende Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen und seine auf ihm basierenden Verhandlungsrunden von Havanna bis Uruguay expandierte der Welthandel zunächst stark. Das GATT ist heute noch die wichtigste Vertragssäule der 1994 gegründeten WTO, wo die heute mehr als 160 Mitgliedsstaaten versuchen, sich auf Regeln für den weltweiten Handel zu einigen.
Der Prozess der Liberalisierung stockt spätestens seit der WTO-Ministerkonferenz in Seattle 1999, die auch von Protesten von Globalisierungsgegnern begleitet war. Deshalb suchen Staaten mittlerweile neue Foren außerhalb der WTO, um Handelsregeln zu vereinbaren. Die wichtigsten heißen: TPP (engl. Trans-Pacific Partnership), TTIP (engl. Transatlantic Trade and Investment Partnership) und RCEP (engl. Regional Comprehensive Economic Partnership). Es sind sogenannte mega-regionale Freihandelsabkommen, oft werden sie, wie im Englischen, Mega-Regionals genannt. Die Wortwahl zeigt schon, dass da etwas Bedeutendes entstehen soll. Denn während bei früheren Abkommen Staaten sich zu regionalen Handelsblöcken zusammengeschlossen haben – Beispiele sind die Europäische Union, NAFTA (engl. North American Free Trade Agreement) oder Mercosur (span. Mercado Común del Sur) –, verhandeln heute ganze Regionen miteinander. Das wird nicht ohne Folgen für den Rest der Welt bleiben. "Die Mega-Regionals könnten die Maßstäbe setzen für das künftige Welthandelsregime", sagt Interner Link: Claudia Schmucker von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.
Die Transpazifische Partnerschaft ist das Mega-Regional, das am weitesten fortgeschritten ist. Zwölf Staaten sind beteiligt, darunter die USA, Australien, Kanada, Peru, Vietnam, Singapur und Japan. Zusammen machen sie etwa 25 Prozent des weltweiten Handels aus. Sieben Jahre lang haben die Pazifik-Anrainer verhandelt, seit Herbst 2015 ist das Abkommen fertig. Alle Länder müssen aber noch ratifizieren.
Wachstum entsteht über zwei Effekte
Staaten vereinbaren solche Freihandelsabkommen, weil sie sich davon versprechen, dass zusätzliches Wachstum generiert wird. Ökonomen gehen davon aus, dass das Wachstum über zwei Effekte zustande kommt: einen handelsschaffenden und einen handelsumlenkenden Effekt. Handelsschaffung bedeutet, dass Unternehmen mehr Handel treiben, wenn es klare Regeln gibt und Barrieren wegfallen. Handelsumlenkung meint, dass mehr Handel zwischen Unternehmen innerhalb der Freihandelszone stattfindet, während der Warenaustausch mit Ländern außerhalb der Zone eher abnimmt. Staaten, die Teil solcher Abkommen sind, könnten danach wirtschaftlich profitieren, Länder außerhalb tendenziell verlieren.
China ist nicht Teil von TPP, obwohl es in der pazifischen Region neben den USA die führende Handelsmacht ist. Einige werten das als Versuch der Amerikaner, den aufstrebenden Handelsgiganten in die Schranken zu weisen. Daneben verhandeln China und 15 weitere Staaten seit 2012 über das Freihandelsabkommen RCEP. Darunter sind viele asiatische Länder und Australien – nicht aber die USA. "TPP und RCEP verschärfen die wachsende Rivalität zwischen den USA und China um die wirtschaftliche Vormachtstellung in Asien", sagt Hanns Günther Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Wenn die Mega-Regionals tatsächlich zustande kommen, wäre das ein neues Kapitel in der Geschichte der Welthandelsordnung. Denn Freihandelszonen zwischen den Wirtschaftsmächten über Weltmeere hinweg sind etwas Neues. Bis dato erfolgte die Liberalisierung des Handels in erster Linie innerhalb einer Weltregion. Vor allem in den 1990er Jahren gab es eine Welle der regionalen Integration. NAFTA, ASEAN (engl. Association of Southeast Asian Nations) und Mercosur sind die wichtigsten Handelsblöcke aus dieser Zeit.
Quantensprung in der Integration: Der Maastricht-Vertrag
Auch die EU schaffte durch den 1993 in Kraft getretenen Maastricht-Vertrag einen Quantensprung in der Integration, bei der auch die Schaffung einer eigenen Währung bereits ins Auge fasst wurde. Die Europäische Union ist die am tiefsten integrierte Freihandelszone mit dem freien Austausch von Waren, freiem Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Ihre Wurzeln gehen zurück in die 1950er Jahre. Wirtschaftlich betrachtet galt die EU lange als Erfolgsprojekt. Der Handel auf dem europäischen Kontinent ist über viele Jahre stark gewachsen, davon profitieren vor allem exportorientierte Staaten wie Deutschland. Allerdings sind in der Euro- und Staatsschuldenkrise ab 2009 Schwachstellen der europäischen Architektur sichtbar geworden. So meinen viele Beobachter, dass die gemeinsame Währungspolitik dauerhaft nicht ohne eine gemeinsame Fiskalpolitik, also eine stärkere Koordinierung der Ausgaben- und Steuerpolitik innerhalb der EU, funktionieren kann.
Nicht ohne Grund entstanden ebenfalls Anfang der 1990er Jahre weitere regionale Handelsblöcke: Wegen des handelsumlenkenden Effektes und um den Anschluss an den Weltmarkt nicht zu verlieren, gerieten andere Staaten in Zugzwang, ebenfalls Abkommen zu schließen. 1994 trat das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft. Es startete mit großen Erwartungen, US-Präsident Bill Clinton prophezeite einen Job-Boom. Dieser ist nach Meinung der meisten Analysten allerdings ausgeblieben.
1991 wurde der Vertrag für den Gemeinsamen Markt des Südens Mercosur unterzeichnet. Mitglieder sind heute Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela. Eine Reihe weiterer Staaten, etwa Chile und Kolumbien, sind assoziiert. Erklärtes Vorbild war die EU, sogar eine gemeinsame Währung ist angedacht. Gemessen daran ist die Integration innerhalb des Mercosur allerdings bis heute wenig fortgeschritten.
Dagegen gewinnt der regionale Zusammenschluss ASEAN zunehmend an Bedeutung – auch wegen der stark wachsenden Wirtschaft in den Mitgliedsländern. Die Organisation wurde 1967 von den fünf südostasiatischen Staaten Indonesien, Thailand, Malaysia, den Philippinen und Singapur gegründet. Heute hat ASEAN zehn Mitglieder, darunter auch das wirtschaftlich aufstrebende Vietnam. Zu ASEAN gehört die Freihandelszone AFTA (engl. Asean Free Trade Area), die 1992 unterzeichnet wurde. Darüber hinaus gibt es seit 1997 gemeinsame Konferenzen der zehn ASEAN-Staaten mit der Volksrepublik China, Südkorea und Japan (ASEAN plus Three).
Indien und China spielen inzwischen eine größere Rolle in der Handelspolitik
Nach dieser regionalen Integrationswelle hat sich der Welthandel seit Beginn des neuen Jahrtausends stark verändert. Asien ist inzwischen die dynamischste Region der Welt, weshalb Staaten und Organisationen dieser Region begehrte Handelspartner sind. Außerdem spielen einzelne Länder und wie Indien oder China eine größere Rolle in der Handelspolitik – und treten entsprechend selbstbewusster auf. Daneben haben sich auch viele Entwicklungsländer, in Afrika zum Beispiel im Comesa (engl. Common Market for Eastern and Southern Africa), zusammengeschlossen und fordern in der WTO Mitspracherechte ein.
Die veränderten Machtverhältnisse sind einer der Gründe, warum die Doha-Runde nicht vorankommt. Zwar gilt in der WTO das Motto "ein Land, eine Stimme", dennoch ist es ein offenes Geheimnis, dass die wirtschaftlich mächtigen Staaten die Agenda dominieren. Und das waren in früheren Jahren vor allem die alten Handelsmächte USA und EU. Inzwischen können sie ihre Interessen in den Gremien jedoch nicht mehr so leicht durchboxen. Man könnte deshalb auch sagen, in dem Moment, in dem andere Staaten Zugeständnisse von ihnen verlangen, wenden sich die USA und die EU neuen Verhandlungsforen zu, bei denen sie größere Chancen sehen, ihre Interessen zu verwirklichen. "Die alten Handelsmächte versuchen, ihre Stellung in der Weltwirtschaft zu behaupten", sagt Interner Link: Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn.
In den Verhandlungsrunden der mega-regionalen Freihandelsabkommen geht es mittlerweile aber auch um ganz andere Themen. Das ist ebenfalls ein Grund, warum sich Staaten diesen neuen Foren zuwenden. Denn die Doha-Themen sind zum Teil veraltet. Früher reichte es, Zölle abzubauen. Vom Abbau der wenigen noch verbliebenen Zölle verspricht sich heute aber niemand mehr große Wachstumsschübe. In den sogenannten "Abkommen der neuen Generation" geht es deshalb darum, anders gelagerte Handelshemmnisse zu beseitigen, um die wirtschaftliche Integration voran zu treiben. Wenn es in zwei Staaten beispielsweise verschiedene technische Standards oder unterschiedliche Regeln im Umwelt- oder Verbraucherschutz gibt, kann das den Warenaustausch erschweren. Staaten wollen außerdem die globalen Lieferketten ihrer Unternehmen sichern – es gibt heute kaum ein größeres Unternehmen, das nicht in mehreren Ländern aktiv ist. Deswegen sollen geistige Eigentumsrechte und Investitionen, zum Beispiel über Schiedsgerichte, abgesichert werden.
Das in dieser Hinsicht weitgehendste Freihandelsabkommen ist die Transatlantic Trade and Investment Partnership, die die USA und die EU seit 2013 verhandeln. Bei TTIP wollen sich zwei wirtschaftliche Riesen zusammenschließen. Ihr Anteil am weltweiten Handel beträgt 44 Prozent. TTIP könnte Maßstäbe setzen. Wenn sich die EU und die USA auf Regeln einigen, so die Befürworter, dann müssen auch andere Staaten diese mehr oder weniger akzeptieren, wenn sie auf den Handel mit diesen zwei großen Wirtschaftsräumen nicht verzichten wollen.
Sogwirkung der Mega-Regionals
Eine solche Sogwirkung von Mega-Regionals lässt sich bei der fertig verhandelten Transpazifischen Partnerschaft bereits beobachten: Einige Länder, zum Beispiel Südkorea und Indonesien, haben Interesse bekundet, beizutreten. Prinzipiell könnte auch China an TPP teilnehmen. Asien-Experte Hilpert hält das "auf mittlere Sicht" allerdings für unwahrscheinlich. China müsste vorher eine Reihe von Staatssubventionen abbauen. Auch andere Liberalisierungsanforderungen von TPP kann das Land derzeit kaum erfüllen. Das zeigt auch, warum es wichtig sein kann, selbst mit am Verhandlungstisch zu sitzen. "Staaten, die Freihandelsabkommen später beitreten, müssen Regeln und Standards akzeptieren, ohne selbst Einfluss nehmen zu können", sagt Schmucker.
Wie könnte die weitere Entwicklung des Welthandelsregimes aussehen? Befürworterinnen und Befürworter der Mega-Regionals sind der Meinung, dass sie längst überfällige Handelsregeln schaffen und die Liberalisierung des Welthandels vorantreiben. Die Handelsblöcke, die in den 1990er Jahren gegründet worden sind, vernetzen sich derzeit untereinander über die Weltmeere hinweg. Falls dies gelingt, würden transkontinentale Freihandelszonen entstehen, die umso bedeutender werden, je mehr Staaten beitreten. Kritikerinnen und Kritiker geben daher zu bedenken, dass Entwicklungsländer oder kleinere Staaten, die nicht an den Verhandlungen solcher Handelsblöcke teilnehmen, so gut wie keine Möglichkeiten haben, die zukünftigen Regeln des Welthandels mitzugestalten. So ist beispielsweise kein einziges afrikanisches Land Teil der Verhandlungen eines Mega-Regionals.
In nächster Zeit könnte weiter Bewegung in das Thema kommen. Schon auf der WTO-Konferenz in Nairobi Ende 2015 haben einige Teilnehmer erstmals ein Abbruch der Doha-Runde vorgeschlagen. Einige Industrieländer, allen voran die USA, hatten sich dafür ausgesprochen. Im Abschluss-Statement wurde das nur vage angedeutet als "Meinungsverschiedenheit" (engl. "different views") in Bezug auf künftige Verhandlungen. Die Politikerinnen und Politiker betonten vielmehr, dass es ein "starkes Bekenntnis" (engl. "strong commitment") aller Mitglieder zur Doha-Runde gebe. Die diplomatische Rhetorik kann allerdings kaum darüber hinweg täuschen, dass sich einige Staaten längst anderen Verhandlungsforen zuwenden.
Die Journalistin Maike Brzoska arbeitet unter anderem für den Bayerischen Rundfunk zu Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft.
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