Die Welthandelsorganisation (WTO) ist die wichtigste Organisation im internationalen Handel. Nur sie garantiert das Prinzip der unbedingten
Handel im 21. Jahrhundert besteht nicht in erster Linie im grenzüberschreitenden Handel von fertigen Produkten, sondern in globalen und regionalen Lieferketten, die viele neue Handelsthemen und -regeln erfordern. Dabei geht es beispielsweise um Investitionen, den Schutz geistigen Eigentums oder Wettbewerbspolitik.
Der zweitbeste Weg sind regionale Abkommen
Wenn der "Königsweg" keine Fortschritte bringt, muss der zweitbeste Weg beschritten werden, also das Aushandeln plurilateraler, regionaler oder bilateraler Handelsabkommen. Diese müssen jedoch WTO-kompatibel gestaltet werden. Im Idealfall sollten die neuen Themen dieser Abkommen zu einem späteren Zeitpunkt multilateralisiert werden. Dies war bei dem amerikanischen Abkommen NAFTA (1994) der Fall, bei dem Regelungen über Dienstleistungen, Investitionen und den Schutz geistigen Eigentums später Eingang in die Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), dem Vorgängerabkommen der WTO, fanden.
Die EU hat sich seit ihrer Handelsstrategie "Global Europe – Competing in the World"
Die EU hat insgesamt Freihandelsabkommen mit über 50 Handelspartnern abgeschlossen. Seit Herbst 2014 sind die Abkommen mit Kanada (CETA) und Singapur ausverhandelt, die beide noch ratifiziert werden müssen. Daneben werden aktuell zahlreiche weitere Handelsabkommen verhandelt, unter anderem mit den USA (TTIP), Japan, Indien, einzelnen ASEAN-Staaten (Malaysia, Vietnam, Thailand, den Philippinen und seit Juli 2016 auch Indonesien) und dem lateinamerikanischen Bündnis Mercosur.
Baustein für eine strategische Handelspolitik
TTIP ist das bislang größte Handelsprojekt der EU. Zum ersten Mal verhandelt Brüssel mit einem gleichrangigen Partner. TTIP muss und wird von der EU daher als Baustein für eine strategische Handelspolitik gesehen. Es soll den Einfluss Europas im Welthandel sichern, gerade im Hinblick auf die schnell wachsenden Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien.
Das TTIP-Vorbild CETA und auch TTIP selbst sollen zunächst den Marktzugang zwischen den Handelspartnern erleichtern und auf diese Weise den Handel zwischen den Partnern fördern und für Wachstum sorgen. Die Abkommen mit Kanada und den USA sollen dabei weit über bestehende WTO-Regeln hinausgehen. Diese neuen Regeln ("Rules") bilden einen eigenen Pfeiler in den Verhandlungen. Bei TTIP geht es dabei konkret um: Nachhaltigkeit (Arbeits- und Umweltstandards), Energie und Rohstoffe, Zoll- und Handelserleichterung, KMU, Investitionen, Wettbewerb sowie Schutz geistigen Eigentums und geografische Indikatoren.
Die EU hofft, dass sie als Teil eines großen transatlantischen Wirtschaftsraums neue Regeln und Standards setzen kann, an denen sich Drittländer orientieren müssen. Sie will auf diese Weise mit den USA als Partner hohe globale Standards – und auch Werte – durchsetzen.
Europa ist gekennzeichnet von einer langen wirtschaftlichen Schwächephase
Das Ziel, mit TTIP globale Regeln zu setzen, ist vor allem für die Europäerinnen und Europäer von großer Bedeutung: Europa ist gekennzeichnet von einer lang andauernden wirtschaftlichen Schwächephase, niedrigem Wachstum, strukturellen Problemen und einer alternden Gesellschaft. Durch TTIP und den Zusammenschluss mit den USA will die EU ihre Gestaltungsmacht im globalen Handelssystem sichern.
China bemüht sich beispielsweise im Rahmen der "Regional Comprehensive Economic Partnership" (RCEP), die die zehn ASEAN-Staaten sowie Australien, Neuseeland, Indien, Japan und Korea umfasst, eine Freihandelszone mit eigenen Standards abzuschließen. Und auch die USA haben im Rahmen der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) mit zahlreichen Entwicklungs- und Schwellenländern eine Freihandelszone mit neuen Standards verhandelt. TTIP wie CETA sollen daher zu Recht die Rolle Europas im Handel stärken und letztlich auch Vorbildcharakter für globale Regeln haben. Wie wichtig die Abkommen sind, beschrieben bereits 2015 Schwedens Ex-Premierminister Carl Bildt und der einstige EU-Außenbeauftragte Javier Solana: "All dieses deutet auf ein fundamentales strategisches Risiko hin: Wenn TTIP scheitert, während TPP weitergeht und unterzeichnet wird, wird das globale Gleichgewicht in Richtung Asien kippen – und Europa nur noch wenige Möglichkeiten haben, ökonomischen und geopolitischen Einfluss zurückzuerlangen."
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