TTIP schadet nicht automatisch den ärmsten Regionen der Welt. Allerdings wurde beim Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA eine wichtige Chance für Drittländer vertan, meint der Tübinger Ökonom Wilhelm Kohler.
TTIP ist keine entwicklungspolitische Initiative. Das EU-Freihandelsabkommen mit den USA soll primär den handelspolitischen Interessen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten dienen. Gleichwohl muss Europa dabei gemäß Artikel 208 des EU-Vertrags seine eigenen entwicklungspolitischen Ziele berücksichtigen, wozu die Reduktion der Armut in allen Teilen der Welt gehört. Für die armen Länder der Welt stellt der ungehinderte Zugang zu den Märkten der reichen Industrieländer eine enorme Hilfe auf dem Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung und Armutsbeseitigung dar. Er ermöglicht zweierlei: erstens die Vorteile der Spezialisierung und zweitens Lerneffekte, die die technologischen Möglichkeiten erweitern. Letztere kommen nicht nur über die Exporte selbst zustande, sondern auch über die Importe, die mit den Devisenerlösen aus den Ausfuhren überhaupt erst möglich werden.
Der Handel zwischen der EU und den USA auf der einen und den ärmsten Ländern der Welt auf der anderen Seite leidet gegenwärtig unter struktureller Asymmetrie. Die EU exportierte 2015 etwa 35 Milliarden US-Dollar in die am wenigsten entwickelten Länder. Umgekehrt betrugen die Exporte dieser sogenannten LDC (Least developed countries) in die EU nur fünf Milliarden US-Dollar. Ähnliches gilt für die Länder des subsaharischen Afrikas (SUBS) und auch für den Handel zwischen den USA und den LDC- sowie SUBS-Ländern (siehe Abbildung). Der Befund aus dieser einfachen Betrachtung ist, dass die Handelsbarrieren zwischen EU und USA auf der einen, und den LDC- und SUBS-Ländern auf der anderen Seite asymmetrisch wirken – zu Ungunsten der LDC- und SUBS-Exporte.
EU und USA sind für die weniger entwickelten Regionen deutlich wichtiger als umgekehrt
Trotz dieser Asymmetrie sind die Exporte nach Europa und in die USA für die armen Länder der Welt deutlich wichtiger als umgekehrt. Setzt man die Exporte jeweils in Beziehung zum Bruttonationaleinkommen (BNE) des exportierenden Landes (siehe Tabelle), so ergeben sich für die LDC- bzw. SUBS-Länder zwar sehr geringe Werte unter einem Prozent des BNE, für EU und USA ist der entsprechende Anteil der Exporte in diese Länder jedoch noch einmal bedeutend kleiner.
In der 2001 gestarteten Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) war eine stärkere Einbindung der ärmsten Länder in den Welthandel geplant, aber diese Runde ist bekanntermaßen gescheitert. Auch deshalb streben EU und USA nun seit 2013 ein Handelsabkommen in Gestalt der TTIP an. Vor diesem Hintergrund läge es mit Blick auf Artikel 208 des EU-Vertrages eigentlich nahe, die ärmsten Länder der Welt im Rahmen eines Assoziierungsvertrags in die Handelsliberalisierung mit einzubeziehen. Assoziierung würde bedeuten, dass diesen Ländern genau jener Marktzugang zur EU und den USA gewährt wird, den die beiden Partner sich wechselseitig zugestehen. Leider ist solches bis dato nicht geplant.
Das wäre keineswegs marginal. Eine Assoziierung würde unter anderem vermeiden, dass arme Länder aufgrund der Ursprungsregeln, die durch TTIP kodifiziert werden, bei der Globalisierung von Wertschöpfungsketten unter die Räder geraten. Natürlich hätten die ärmsten Länder der Welt Schwierigkeiten, die Produktstandards einzuhalten, die in den TTIP-Regeln für Marktzugang angedacht sind. Deswegen sollte die Assoziierung mit einschließen, dass die EU und USA diesen Ländern durch gezielte Hilfen unter die Arme greifen. Je mehr sich die vereinbarten Standards weltweit durchsetzen, umso mehr würde diese Unterstützung nachhaltige Effekte zeigen.
Die Entwicklungsländer werden betroffen sein
Auch wenn TTIP die institutionellen Grundlagen der Handelsbeziehungen zwischen den Entwicklungsländern, den USA und der EU gänzlich unberührt lässt, werden die Entwicklungsländer von dem Abkommen betroffen sein. Es sind grundsätzlich zwei gegenläufige Wirkungen relevant: ein Diskriminierungseffekt und ein Einkommenseffekt.
Der Diskriminierungseffekt bedeutet, dass die Entwicklungsländer aufgrund der Begünstigung, welche US-Anbieter in der EU und EU-Anbieter in den USA genießen, in diesen Märkten jeweils Nachfrage verlieren. Es kommt zu einem Rückgang der Exporte dieser Länder und/oder zu einem Preisrückgang für die Güter dieser Länder in der EU bzw. den USA. Dieser Effekt kann auch dadurch zustandekommen, dass die von US- bzw. EU-Firmen produzierten Güter aufgrund der Ursprungsregeln den Status von Inlandsgütern verlieren, wenn sie Vorleistungen aus den Entwicklungsländern verwenden. Damit würde für diese Güter die erwähnte Begünstigung wegfallen, und um dies zu vermeiden, werden EU- und US-Firmen auf Zwischenprodukte aus der EU oder den USA ausweichen.
Der Einkommenseffekt kommt dadurch zustande, dass die USA und die EU durch TTIP insgesamt eine Realeinkommenserhöhung erfahren werden, womit auch eine Zunahme der Nachfrage nach Importen aus den Entwicklungsländern verbunden ist. Dies wirkt dem Diskriminierungseffekt entgegen. Der Nettoeffekt dieser beiden Mechanismen lässt sich vorab nur schwer abschätzen. Auch sind verschiedene Entwicklungsländer und dort wiederum einzelne Anbieter unterschiedlich betroffen. Der Lieferant eines Zwischenproduktes an eine EU-Firma, die aufgrund erhöhter Konkurrenz aus den USA einen Produktionsrückgang erleidet, wird negativ betroffen sein. Ein mitunter im selben Land angesiedelter Lieferant für eine andere EU-Firma, die aufgrund des leichteren Zugangs zum US-Markt expandiert, wird positiv betroffen sein.
Der Grad der Betroffenheit durch TTIP hängt somit von der Spezialisierungsstruktur verschiedener Entwicklungsländer ab. Für manche Länder wird der Diskriminierungseffekt dominieren, für andere der Einkommenseffekt. Existierende Studien, etwa jene des Münchner Ifo-Instituts, kommen für die Mehrzahl der Entwicklungsländer zu Realeinkommensverlusten, aber von bescheidener Größenordnung: Über zehn Jahre kumulativ betrachtet, bewegen sich die Verluste fast durchwegs deutlich unter einem Prozent des momentanen Realeinkommens (SUBS: -0,5 Prozent). In manchen Fällen, etwa im Nahen Osten, Nordafrika und in Zentralasien kommt es sogar zu Realeinkommensgewinnen, die mit höchstens 0,2 Prozent allerdings bescheiden ausfallen.
Prof. Dr. Wilhelm Kohler hat den Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Tübingen inne und ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW). Er ist Co-Autor einer vom Ifo-Institut und dem IAW gemeinsam durchgeführten Studie über die Auswirkungen von TTIP auf Drittländer.
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