TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und Europa, wurde nicht für den Mittelstand gemacht. Zu erkennen ist das daran, dass zahlreiche Instrumente, die mit TTIP verankert werden sollen, auf international agierende Unternehmen und Großkonzerne zugeschnitten sind. Wichtigstes Beispiel: der Investitionsschutz. Die Klagemöglichkeiten ausländischer Konzerne gegen Staaten vor privaten Schiedsgerichten oder wie bei dem jetzt in CETA geplanten öffentlichen Handelsgerichtshof können sich Mittelständler schlicht nicht leisten. Investitionsschutz wird dem Mittelstand zwar gerne als notwendiges Instrument angepriesen, um seine Investitionen zu verteidigen. Doch bei durchschnittlichen Verfahrenskosten von acht Millionen Euro müsste dieser Schutz von mittelständischen Betrieben teuer erkauft werden. Mit den angedachten Modellen des Investorenschutzes werden zudem Privilegien für ausländische Investoren gegenüber den Inländern geschaffen, obwohl die existierenden Gerichte der EU-Mitgliedstaaten ihnen schon heute einen effektiven Rechtsschutz bieten.
Bei der geplanten regulatorischen Kooperation zwischen EU und den USA werden, so ist zu befürchten, Konzernlobbyisten mitmischen, um Gesetze in der Planung zu ihren Gunsten zu beeinflussen: Kleine und mittlere Unternehmen hätten auch hier das Nachsehen, da die wenigsten die finanziellen Kapazitäten hätten, eigene Lobbyvertreter in dieses Gremium zu entsenden. Zudem sind die Pläne zur regulatorischen Kooperation auch für qualitätsorientierte Unternehmen hochgefährlich: Die Erfahrungen mit dem bereits existierenden Regulationsgremium in den USA zeigen, dass die Mehrzahl von Vorschlägen zur Umweltgesetzgebung dieses Gremium entweder gar nicht oder nur in extrem abgeschwächter Form verlassen haben und die Konzernlobbyisten hier offenbar großen Einfluss ausgeübt haben.
Auch die in Aussicht gestellte Harmonisierung technischer Normen könnte sich als trügerisch für kleinere Firmen erweisen. TTIP-Befürworter meinen ja, gerade Mittelständler würden die Vereinfachung von Zulassungsverfahren einhellig begrüßen. Viele Vertreterinnen und Vertreter der großen Wirtschaftsverbände behaupten bis heute, dass die Harmonisierung von technischen Normen und Standards ein "einheitliches Spielfeld" für alle Anbieter schaffen würde.
Der US-amerikanische Markt ist fragmentiert – daran würde TTIP nichts ändern
Aber: Würden doppelte Prüfungen für technische Produkte mit TTIP tatsächlich wegfallen und damit Exporte für europäische Mittelständler erleichtert werden? Nein. Denn Tatsache ist, dass Europa einen harmonisierten Binnenmarkt hat. Hier wenden die Unternehmen international gebräuchliche Zertifizierungen wie ISO an. Der US-amerikanische Markt ist jedoch höchst fragmentiert – Zertifizierungsvorgaben und technische Normen sind in den 50 Bundesstaaten unterschiedlich geregelt. Und daran würde auch TTIP nichts ändern, da Washington verfassungsgemäß keinen Durchgriff auf diese Regularien der Bundesstaaten hat.
Wichtige Brüsseler Normungsinstitutionen wie der TÜV-Verband warnen daher davor, dass US-Unternehmen durch TTIP einen unfairen Wettbewerbsvorteil erhalten. Denn im schlimmsten Fall wird ihnen zwar der Zugang zum (bereits harmonisierten) europäischen Markt erleichtert, europäische Mittelständler müssen aber weiterhin unüberschaubar viele regionale Besonderheiten beim Export in die USA erfüllen. TTIP würde damit einen "Einbahnstraßen-Effekt" hervorrufen – zum Nachteil der europäischen Unternehmen.
Auch bei der Öffnung der öffentlichen Beschaffung werden vor allem die Großen profitieren. Das transatlantische Freihandelsabkommen verspricht Unternehmen beiderseits des Atlantiks einen leichteren Zugang zum jeweiligen öffentlichen Beschaffungswesen. Dafür sollen die von vielen als sinnvolle Errungenschaft angesehenen "Buy-local"-Regelungen abgebaut werden. Auch dies hilft nur den Großen, denn kleine und mittlere Unternehmen verfügen meistens nicht über die entsprechenden Ressourcen, an Ausschreibungen jenseits des Atlantiks teilzunehmen.
Kleine und mittlere Unternehmen sind nicht generell gegen Freihandel
Wenn viele kleine und mittlere Unternehmen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA ablehnen, heißt das nicht, dass sie generell gegen freien Handel sind. Ein völkerrechtlich bindender Vertrag wie TTIP ist aus Sicht dieser Mittelständler jedoch das falsche Instrument für die zweifelsohne bestehenden Herausforderungen: Normen sollten am besten in den einschlägigen Institutionen wie der Internationalen Organisation für Normung (ISO) festgelegt werden – und nicht in bilateralen Abkommen.
Dass eine gegenseitige Anerkennung von Richtlinien auch ohne große Rahmenabkommen möglich ist, zeigt beispielsweise das Äquivalenzabkommen für Bioprodukte zwischen den USA und Europa. Branchenspezifische Abkommen sind zu bevorzugen – damit es eben nicht dazu kommt, dass schwächere Branchen (in Europa zum Beispiel die Landwirtschaft) den Interessen von stärkeren Branchen (zum Beispiel der Automobilwirtschaft) geopfert werden.
Die Mittelständler wehren sich zu Recht gegen ein Abkommen, das nicht für ihre Interessen konstruiert wurde, sondern im Gegenteil eine Reihe von Risiken birgt. Sie wehren sich auch gegen leere Versprechungen, die ihnen mit TTIP gemacht wurden. Wenn die US-Regierung gar keine Harmonisierung von technischen Standards, keine Besserung in der Frage "blaue vs. weiße Kabel" zusagen kann – da sie keinen Durchgriff auf die privatwirtschaftlich organisierte Normungswirtschaft und Zertifizierung hat – dann sollte das künftig auch laut gesagt werden.
Michael Hüther (© Institut der deutschen Wirtschaft Köln) Michael Hüther (© Institut der deutschen Wirtschaft Köln) | Standpunkt Michael Hüther: |