Die EU-Kommission versteht nicht, warum immer mehr Bürgerinnen und Bürger gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) Sturm laufen. Noch 2013 sah die Welt ganz anders aus. Bis zum Beginn der TTIP-Verhandlungen wurden Freihandelsabkommen nämlich geräuschlos und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt. Das hat sich nun geändert. Der Widerstand in der Bevölkerung rührt daher, dass immer mehr Menschen merken, dass sie von der Politik unzureichend oder falsch über den Inhalt und die Tragweite von CETA und TTIP informiert werden. Tatsächlich geht es bei dieser neuen Generation von Handelsabkommen weniger um Handel, sondern um Deregulierung, Marktöffnung und Investorenschutz. Die Menschen begreifen zunehmend, dass Ceta und TTIP ihre Lebens- und Arbeitswelt weitaus stärker beeinflussen könnten als die Politik es ihnen weismachen will. Und sie wollen wissen, welche Vor- und Nachteile sie von CETA und TTIP haben.
Die Befürworterinnen und Befürworter sehen in TTIP in erster Linie einen Motor, der die lahmende europäische Konjunktur wieder zum Laufen bringt. So behauptete die EU-Kommission unter Verweis auf eine von ihr beim Centre for Economic Policy Research (CEPR) in Auftrag gegebene Studie
Verschwindend geringes Plus beim Wirtschaftswachstum
Ergebnisse, die die Behauptungen der EU-Kommission stützen, sucht man in der Studie des CEPR vergeblich. Für das sehr optimistische Szenario eines umfassenden Freihandelsabkommens, dem die Annahme zugrunde liegt, dass alle Zölle beseitigt und sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie Importquoten oder unterschiedliche Standards in sehr großem Umfang abgebaut werden, kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU am Ende einer Anpassungsphase von zehn Jahren nach Inkrafttreten um knapp 0,5 Prozent höher wäre als ohne TTIP.
Das ifo Institut hat die Auswirkungen von TTIP für Deutschland berechnet. Danach wäre das hiesige reale BIP pro Kopf am Ende einer Anpassungsphase von zehn bis 20 Jahren 1,6 Prozent höher als ohne TTIP.
Ein großer blinder Fleck bei den Kosten der Abkommen
Die Studienergebnisse sind eindeutig: Selbst unter außerordentlich optimistischen Annahmen sind die erwarteten Wachstums- und Beschäftigungseffekte durch TTIP winzig. Und wie hoch wären die Kosten eines umfassenden Freihandelsabkommens? An dieser Stelle haben die Studien einen großen blinden Fleck.
Makroökonomische Kosten werden lediglich als vorübergehende Anpassungskosten betrachtet. Soziale Kosten, die durch den substantiellen Abbau regulatorischer Maßnahmen und durch Schadenersatzzahlungen an ausländische Unternehmen im Rahmen des Investorenschutzes entstehen könnten, finden überhaupt keine Erwähnung. Für die EU-Kommission ist der Abbau nicht-tarifärer Hemmnisse gleichbedeutend mit der Beseitigung unnötiger Regelungen. Diese Sichtweise greift entscheidend zu kurz. Viele Regulierungsmaßnahmen insbesondere im Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz haben zum Ziel, Kosten von der Allgemeinheit abzuwenden oder diese zu begrenzen. Würde man bei der Beurteilung von CETA und TTIP berücksichtigen, dass der Gesellschaft durch den Abbau solcher Regelungen beträchtliche Kosten entstehen und dass diese zum Beispiel über Steuererhöhungen finanziert werden müssten, was wiederum dämpfende Effekte auf Wachstum und Beschäftigung haben würde, dürfte die ohnehin magere Bilanz dieser Handelsabkommen noch deutlich schlechter ausfallen.
(© Privat) (© Privat) | Standpunkt Gabriel Felbermayr: |