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Nachhaltige Anlagen

Caspar Dohmen

/ 6 Minuten zu lesen

Der Markt für vermeintlich nachhaltige Güter, Dienste, Unternehmen und Anlagen wächst beständig. Doch: Trägt ein Finanzprodukt das Label "Nachhaltigkeit", heißt das nicht, dass es das auch ist.

Wie viel Macht hat eine Anlegerin oder ein Anleger? (© picture-alliance, Westend61 | Gerasimovi)

Die meisten Geldanlagen sind undurchsichtig für den gewöhnlichen Anleger. Wir vereinbaren Konditionen wie eine monatliche Sparrate oder einen bestimmten Zinssatz und überlassen dann den Banken, Investmentgesellschaften oder Versicherungen, was sie mit unserem Geld machen. Damit fördern wir als Anlegende immer wieder unbewusst Entwicklungen, die wir in der Politik, bei Konsumentscheidungen oder am Arbeitsplatz wahrscheinlich ablehnen würden – und profitieren finanziell von Umweltzerstörung, der Missachtung von Menschenrechten, dem Abbau von Arbeitsplätzen oder der Existenz von Interner Link: Steueroasen. Jede, die Geld anlegt, kann so zur Mitspekulantin werden. Ein Beispiel: Obwohl die Mehrheit der Deutschen sich jahrelang für eine Abschaltung der Atomkraftwerke aussprach, waren die meisten von ihnen über ihr Girokonto indirekt an der Finanzierung von Atommeilern beteiligt. Ähnliches dürfte für die Rüstungsindustrie gelten, der als Investitionsobjekt seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine jedoch teilweise eine neue Rolle zugesprochen wird.

Man kann als Anleger oder Anlegerin auch mehr Verantwortung für sein Geld übernehmen und selbst entscheiden, wo und wofür man es anlegt, beispielsweise für eine nachhaltige Entwicklung, was bedeutet, dass bestenfalls so gewirtschaftet wird, dass die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen erhalten bleiben. Bislang entscheiden sich dafür erst sehr wenige Sparende in Deutschland. Während das gesamte Geldvermögen in Bargeld, Bankeinlagen, Wertpapieren und Ansprüchen an Versicherungen hierzulande Ende 202 mehr als sieben Billionen Euro betrug, war gerade einmal ein Bruchteil davon nachhaltig investiert – allerdings mit steigender Tendenz.

Probleme des Best-in-Class-Ansatzes

In Deutschland vertrauen die meisten Menschen, die Geld anlegen wollen, ihr Vermögen Fonds, Interner Link: Lebensversicherungen, Bausparkassen oder Interner Link: Pensionskassen an. Deren Portfoliomanagement kauft mit den Geldern dann Aktien, Immobilien oder Rentenpapiere. Diejenigen, die sich dabei an ethischen oder ökologischen Werten orientieren, nutzen meist den sogenannten Best-in-Class-Ansatz. Bei dieser Bewertungsmethode sind grundsätzlich keine Branchen ausgeschlossen. Die Fondsmanager picken sich vielmehr die Unternehmen aus einer Branche heraus, die sich am stärksten an sozial-ökologischen Kriterien orientieren, weil sie beispielsweise Fahrzeuge bauen, die weniger Sprit verbrauchen oder mit neuen Elektromotoren ausgerüstet sind.

Im Idealfall kommt es zu einem ethischen Wettbewerb innerhalb und zwischen Branchen. Allerdings gibt es in der Realität auch fragwürdige Ergebnisse: Der Ölkonzern BP verursachte im Jahr 2010 eine gewaltige Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko, als die Ölplattform Deepwater Horizon explodierte. Eine Untersuchungsorganisation der US-Regierung stellte später fest, dass es auf der Plattform „keine Sicherheitskultur“ gegeben habe. Anlegerinnen und Anleger nachhaltiger Fonds mussten feststellen, dass sie indirekt an Aktien und Anleihen des britischen Unternehmens beteiligt waren, das für die Katastrophe verantwortlich war. Eine Studie im Auftrag der Grünen Bundestagsfraktion im Jahr 2011 förderte zutage, dass zehn der wichtigsten Fonds, die das Etikett Nachhaltigkeit verwenden, in Firmen der Öl- und Gasindustrie investiert hatten, die de facto gegen dieses Prinzip verstießen. Weitere Studien belegten dies, wie die der NGO Finanzwende aus dem Jahr 2021 – sie untersuchte 314 nachhaltige Fonds mit einem Volumen von 100 Milliarden. Fazit: Vermeintlich nachhaltiges Geld werde tatsächlich kaum anders angelegt als konventionelles. Denn die als nachhaltig deklarierten Fonds schlössen weder besonders problematische Unternehmen noch schädliche Sektoren aus. So lägen über 70 Prozent der nachhaltigen Investitionen in Energie in fossilen Energien, darunter fast 100 Millionen Euro in Kohle.

Wer sich für nachhaltige Geldanlagen interessiert, muss daher genau hinschauen, auch weil der Begriff ungeschützt ist. Hilfreich wäre eine einheitliche Klassifizierung aller Finanzprodukte nach ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien durch den Gesetzgeber (auch ESG-Kriterien von engl: Environmental, Social, Governance). Besonders übersichtlich wäre es für Anlegerinnen und Anleger, wenn es eine Ampel für Finanzprodukte gäbe. Nur mit echter Transparenz kann eine Anlegerdemokratie tatsächlich funktionieren.

Abstriche bei Rendite und Sicherheit

Wer mit seiner Interner Link: Geldanlage den gesellschaftlichen Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft beschleunigen will, muss grundsätzlich bereit sein, Abstriche zu machen bei der Rendite oder der Sicherheit. Nur wenn eine Anlegerin für die Umsetzung sozialer oder ökologischer Ideen ganz oder teilweise auf die marktübliche Verzinsung bewusst verzichtet oder mit ihrem Geld, relativ gesehen, höhere Risiken eingeht, werden mehr und schneller „grüne“ und soziale Projekte umgesetzt. Dann nämlich erhalten auch diejenigen Unternehmen Kapital zur Realisierung ihrer Ideen, die die von konventionellen Investoren verlangten marktüblichen Zinsen nicht zahlen können oder sich anderenfalls gar kein Kapital beschaffen können. So werden Entwicklungen angestoßen, die sonst überhaupt nicht oder erst später in Gang gekommen wären. Die Finanziers der ersten Windkraftanlagen waren solche Überzeugungstäter. Und obwohl der Markt für nachhaltige Finanzprodukte mittlerweile stark wächst, fehlt es vielen Projekten in dem Bereich weiterhin an Geld.

Einiges spricht dafür, dass ethisch motivierte Geldanlagen auch einen höheren Gewinn erzielen können als konventionelle Geldanlagen, bei denen Sicherheit, Rendite und Liquidität im Vordergrund stehen. Einerseits sind nachhaltige Unternehmen häufig in neuen und wachsenden Märkten unterwegs (regenerative Energie, Wasserversorgung, Mobilität etc.), wodurch sie tendenziell höhere Renditen erzielen als Unternehmen in gesättigten Märkten. Andererseits können die Risiken auch bei konventionellen Unternehmen hoch sein und schnell die Gewinne auffressen, ob bei dem japanischen Atomkraftwerkbetreiber Tepco nach dem Unglück von Fukushima im März 2011 oder dem oben erwähnten Ölkonzern BP nach der Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko. Die Aufräumarbeiten verschlangen Milliardensummen, der Aktienwert war ruiniert und die Anlegerinnen und Anleger verloren viel Geld.

Grundlagen für nachhaltige Geldanlage

Der Markt für vermeintlich nachhaltige Güter, Dienste, Unternehmen und Anlagen wächst beständig. Investiert seien hier 35,3 Billionen US-Dollar, errechnete Global Sustainable Investment Alliance, ein Dachverband nationaler Lobbyorganisationen für nachhaltiges Investieren. Auf dieser riesigen Summe klebt das Label „ethisch und verantwortlich“. Bei genauerem Hinschauen lässt sich feststellen, dass Finanzprodukte vor allem deshalb dieses Label erhalten, wenn Streubomben und Landminen ausgeschlossen werden. Doch damit sind diese Gelder noch keinesfalls in Produkte oder Verfahren investiert, die insgesamt ökologisch und sozial nachhaltig sind.

Und selbst 35,3 Billionen US-Dollar sind wenig, gemessen an den Herausforderungen, die etwa die Vereinten Nationen bei der Umsetzung der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung auf der Welt sehen. 17 Ziele formulierte die Staatengemeinschaft („Sustainable Development Goals“): Unter anderem soll die Armut bekämpft, die Gesundheit verbessert und eine nachhaltige Wirtschaftsweise erreicht werden. 90 Billionen US-Dollar an Investitionen wären dafür in den nächsten Jahren notwendig.

Ungleiche Anlegermacht

Die Anlegermacht ist extrem ungleich auf der Welt verteilt: Die meisten Menschen können überhaupt nicht sparen, weil sie dafür zu arm sind. Seit 2020 entfielen laut Oxfam auf die reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung fast zwei Drittel des gesamten neuen Reichtums – fast doppelt so viel Geld wie auf die unteren 99 Prozent der Weltbevölkerung. Selbst in Deutschland hat laut einer Studie der ING Bank aus dem Jahr 2022 ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger überhaupt keine Ersparnisse.

Wir leben in einer paradoxen Situation: Auf der einen Seite sind Unmengen an Geld vorhanden, für die Anleger händeringend Verwendung suchen. Auf der anderen Seite gibt es gigantische Aufgaben, deren Lösung für die Menschheit wichtig wäre – wie der Aufbau einer flächendeckenden nachhaltigen Landwirtschaft, die massive Reduzierung der Treibhausgase, zukunftsfähige Städte und Verkehrskonzepte. Für diese bestehen jedoch nur unzureichende Finanzierungsmöglichkeiten.

Tatsächlich sind heute häufig die Unternehmer wirtschaftlich erfolgreicher, die auf Kosten von Umwelt und Mensch Wettbewerbsvorteile erzielen – und dabei handeln sie meistens im Rahmen der Gesetze. Müssten Firmen aber für die sozialen und ökologischen Kosten aufkommen, die sie verursachen, würde ihr Gewinn kräftig schrumpfen. Dann dürften die Anlegenden ihre Gelder aus diesen Firmen wieder abziehen und hätten einen Anreiz, in nachhaltigere Produkte zu investieren.

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Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.