Durch die Corona-Pandemie stellte sich 2020 die Frage: Ist das Weltfinanzsystem überhaupt stabil genug für diese Krise? Die Konjunktur stürzte so tief ab wie noch nie seit dem Zweiten Weltkriegs.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, in was für einem Ausmaß die globale Wirtschaft verwoben ist, lieferte ihn die Interner Link: Corona-Pandemie 2020. Die Krankheit hatte in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan ihren Lauf genommen, wo wahrscheinlich auf einem Wildtiermarkt das COVID-19-Virus von einem Tier auf einen Menschen übersprang. Als dort immer mehr Menschen erkrankten, riegelte die Regierung die Millionenstadt ab. Andernorts fühlte man sich zunächst noch weit weg und nicht betroffen, doch das Virus breitete sich sehr schnell über Länder und Kontinente aus und entwickelte sich zu einer Pandemie.
Als erstes EU-Land ordnete Italien Ausgangsbeschränkungen für die Bevölkerung und die Schließung vieler Betriebe an – kurz darauf sogar aller nicht systemrelevanter Betriebe. Reihenweise ergriffen Regierungen in Europa in der Folge drastische Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit, fielen sogar im eigentlich grenzenlosen Schengen-Raum die Schlagbäume. Die wirtschaftlichen Folgen der politisch angeordneten Maßnahmen waren enorm. Vor schwierigen Entscheidungen standen vielerorts im Schengen-Raum Arbeitende nach der Grenzschließung, etwa die Ärztinnen und Pflegerinnen, die von Tschechien zur Arbeit in Krankenhäuser nach Bayern pendelten: daheim bei der Familie bleiben oder vorübergehend am Arbeitsort wohnen?
Gleichzeitig Nachfrage- und Angebotsschock
Das Geschehen bedeutete für die Realwirtschaft einen Interner Link: Nachfrageschock, weil viele Menschen keine Waren mehr kauften oder Dienstleistungen nicht mehr beanspruchten; so brach etwa der Tourismus ein. Die Wirtschaft traf gleichzeitig ein Angebotsschock: Weil Lieferketten unterbrochen wurden, konnten bestimmte Waren nicht mehr hergestellt werden. So kaufen zum Beispiel deutsche Automobilhersteller eine Menge Teile bei Zulieferern in Norditalien, allein bei VW sind es einige Tausend verschiedener Teile – manche von diesen fehlten nun. In vielen Fabriken stoppten die Bänder, die meisten Flugzeuge blieben auf dem Boden, Restaurants und Geschäfte schlossen. Eben noch gesunde Unternehmen standen plötzlich vor dem Abgrund, etwa Fluggesellschaften wie die Lufthansa oder Air France. Sie verhandelten nun über staatliche Hilfen. Unternehmen meldeten Insolvenz an wie zum Beispiel die italienische Fluggesellschaft Alitalia, die verstaatlicht wurde, oder die Golf-Airlines Emirates, die in der Folge mit Etihad Airways fusionierten. Bei einem Teil der Unternehmen stieg dagegen die Nachfrage in der Krise. Dazu zählten Hersteller von Medikamenten und Medizingeräten genauso wie Streamingdienste, Anbieter von Onlinekommunikationssoftware, die Lebensmitteldiscounter und Supermärkte sowie große Onlineversandhändler.
Schwarzer Schwan
Bald war klar, dass die Interner Link: Konjunktur so tief abstürzen würde wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Denn die EU-Kommission erwartete einen Rückgang der Konjunktur für 2020 von 7,5 Prozent und der Internationale Währungsfonds erklärte: „Diese Krise ist wie keine andere bisher.“ Offen war zu dem Zeitpunkt, ob es noch weitere Wellen der Pandemie geben würde und welche Folgen diese haben könnten. Befürchtet wurde eine wirtschaftliche Depression – also eine lange Stagnation auf niedrigerem Produktionsniveau.
Schon während der ersten Pandemiewelle hatten sich die Schattenseiten einer globalen Arbeitsteilung gezeigt, die in gewöhnlichen Zeiten Konsumenten in Europa billige Produkte und Unternehmen niedrige Kosten ermöglicht. Aber als zum Beispiel die Lieferketten aus Asien rissen, fehlten in Europa einfache Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel genauso wie Schutzkleidung für Ärzte und Krankenhäuser, drohte sogar ein Engpass bei den lebenswichtigen Antibiotika. Teils halten diese Lieferschwierigkeiten noch immer an.
Fragen wurden in der Gesellschaft laut: Sollten wir lebenswichtige Produkte nicht auch in Europa herstellen und Notvorräte anlegen? Zumal eine solche Pandemie ein von Experten erwartetes Bedrohungsszenario darstellte, es sich also nicht um einen sogenannten schwarzen Schwan handelte, als den Wissenschaftler ein unvorhersehbares Ereignis bezeichnen. Im Gegenteil: Die SARS-Pandemie hatte die Gefahren einer solchen Viruserkrankung bereits Anfang der Nullerjahre verdeutlicht. Damals konnte die Pandemie zwar schnell eingedämmt werden, weswegen die Folgen gering blieben. Das für die öffentliche Gesundheit zuständige Robert-Koch-Institut hatte jedoch infolge von SARS ein Pandemieszenario für Deutschland entwickelt. Ganz offensichtlich fehlte es bei dem Ausbruch der Pandemie hier und in allen anderen Ländern dennoch an der notwendigen Vorbereitung. Auch die Finanzmärkte traf die Krise unerwartet.
Corona-Crash an der Börse
Anders lassen sich die panischen Reaktionen der Akteure an den Börsen auf die Pandemie kaum erklären. In Rekordtempo rauschten zwischen Mitte Februar und Mitte März 2020 die Börsen in New York, London oder Frankfurt am Main in die Tiefe: Binnen 19 Tagen schrumpften die Aktienbewertungen um mehr als 20 Prozent. Zum Vergleich: Während der Weltwirtschaftskrise hatten die Börsen diese Negativmarke erst nach 43 Tage erreicht. Allerdings fiel der Absturz mit minus 37 Prozent dieses Mal geringer aus als nach der Lehman-Pleite (minus 54 Prozent) oder der Weltwirtschaftskrise ab dem Jahr 1929 (minus 90 Prozent).
Außerdem holten die Börsen ebenfalls rasant schnell einen Teil der Verluste wieder auf. Manche sahen darin bereits eine Trendwende, andere warnten vor weiteren Abstürzen. Die Lage blieb unsicher und das konnte auch gar nicht anders sein. Schließlich beruht die Wirtschaft auf den Handlungen und Entscheidungen vieler Menschen und diese sind schon in normalen Zeiten schwer vorhersagbar. Nahezu unmöglich ist das in einer Pandemiekrise, solange deren Umfang und Folgen unklar sind, weil es etwa an Impfstoffen oder Medikamenten fehlt. Klar ist nur: Mit der Länge der Krise steigt die Gefahr, dass mehr Betriebe pleitegehen und Menschen entlassen werden. In Europa schnürten die Regierungen teils gigantische Rettungspakete, um der Wirtschaft und den Menschen zu helfen. In den Entwicklungsländern fehlte dafür schon von Beginn an das Geld.
Mancher stellte bang die Frage, ob das Weltfinanzsystem überhaupt stabil genug sei, um diese Krise zu bewältigen. Der Blick richtete sich besonders auf Banken – sie hatten die Finanzkrise von 2008 verursacht und waren reihenweise von Staaten mit Steuergeldern gerettet worden. Seitdem hat sich aber einiges in Europa getan. So werden Großbanken in der Interner Link: Eurozone nicht mehr von nationalen, sondern europäischen Aufsehern kontrolliert. Der Vorteil: Sie können Einblick in alle Geschäfte einer Bank und deren Tochterunternehmen in der gesamten Währungsunion nehmen. Außerdem schreibt die europäische Finanzaufsicht Großbanken höhere Risikopuffer vor. Infolgedessen stieg seit 2008 die maßgebliche Eigenkapitalquote – das Verhältnis vom Eigenkapital zum Gesamtkapital – bei den Großbanken an. Im Schnitt verfügten die großen Banken im ersten Quartal 2023 in der Eurozone über eine Eigenkapitalquote von 15,5 Prozent. Der Wissenschaftler Martin Hellwig hält allerdings deutlich mehr für sinnvoll: eine Eigenkapitalquote von 20 bis 30 Prozent. „Banken, die unter 20 Prozent liegen, müssen rekapitalisiert werden“, fordert er.
Sorgen bereiteten Fachleuten die hohen Schuldenstände. Infolge langanhaltend niedriger Zinsen waren die Gesamtschulden von Staaten, Unternehmen und Haushalten vor der Pandemie in nie gekannte Höhen gestiegen.
Geldpolitik in der Corona-Krise
In der Corona-Krise handelte als erster Interner Link: europäischer Akteur die EZB. Die Notenbank der heute 20 Euroländer stellte bereits im März 2020 Finanzhilfen von 750 Milliarden Euro bereit, um damit Anleihen von Unternehmen und Staaten bis Ende des Jahres aufzukaufen. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliches Handeln“, twitterte EZB-Chefin Christine Lagarde und ergänzte: „Es gibt für unseren Einsatz für den Euro keine Grenzen.“ Die EZB lockerte die Vorgaben, um gezielter und mehr Staatsanleihen aus schwächeren EU-Ländern aufkaufen zu können. Ein Beitrag zur Solidarität von jemandem, der krisenerfahren ist. Immerhin hatte die EZB mit einem geldpolitischen Machtwort bereits die Eurostaatsschuldenkrise 2012 in den Griff bekommen – und die Finanzmärkte davon abgehalten, weiter auf den Zerfall der Eurozone zu wetten.
Aber das Angebot der EZB wurde nur wenig genutzt, weswegen die Staaten und die EU bald andere Mittel ergriffen. Da die Krise einen anderen Charakter hatte als 2008, musste der Einfluss der Notenbanken auf die Wirtschaft begrenzt bleiben. Wenn ganze Branchen zum Stillstand verdonnert sind, kann Kredit noch so günstig sein – wer möchte das Geld schon investieren, wenn die Aussichten völlig ungewiss sind. Zudem hatten die Notenbanken ihre Möglichkeiten zur Beeinflussung der Märkte bereits weitgehend ausgeschöpft. Denn die Leitzinsen lagen seinerzeit weltweit noch nahe oder bei null. Unter die Arme greifen konnten die Notenbanken aber den Staaten, die in dieser Krise Mittel in gigantischer Höhe mobilisierten, um die Wirtschaft zu stützen. In England räumte die Zentralbank der Regierung einen Überziehungskredit ein, dessen Höhe sie öffentlich nicht nannte.
Eine solche direkte Staatsfinanzierung ist der EZB verboten. Aber sie konnte den Eurostaaten indirekt helfen, indem sie deren Staatsanleihen auf dem Markt in großem Umfang aufkaufte. Das macht sie bereits seit der Finanzkrise in großem Umfang und verstärkte dies nach Ausbruch der Corona-Krise. Damit wollte sie die Inflationsrate in Richtung auf die von ihr angestrebten zwei Prozent bringen und eine Deflation verhindern. Wenn die EZB Staatsanleihen kauft, sinken allerdings auch die Zinsen, die Staaten für neue Anleihen bezahlen müssen.
Fiskalpolitik in der Corona-Krise
Jahrelang hatte die Bundesregierung an einem ausgeglichenen Haushalt festgehalten – in der Krise von 2020 war die schwarze Null dann aber hinfällig. Um ein gigantisches Rettungsprogramm zu finanzieren, beschloss das Parlament einen Nachtragshaushalt und nahm neue Schulden in Höhe von 217,8 Milliarden Euro auf. Finanzminister Olaf Scholz sagte, die Regierung tue alles, um die Corona-Folgen abzumildern, und dafür gebe es „kein Drehbuch.“ Die jetzige Krise sei ohne Vorbild und eine schicksalhafte Herausforderung für die ganze Menschheit. Bund und Länder zahlten in der Krise direkte Zuschüsse an Unternehmerinnen und Unternehmer und setzten die Hürden für den Bezug der Mindestsicherung Hartz IV herab. Die Regierung ermöglichte Kurzarbeit für Unternehmen – wovon diese bald für zehn Millionen Beschäftigte Gebrauch machten, fast jeder vierte Erwerbstätige in Deutschland war davon betroffen.
Eingerichtet wurde außerdem ein Rettungsfonds, der angeschlagenen großen Unternehmen Kredite und Bürgschaften gewähren sollte. Der Staat hat sich an großen Unternehmen beteiligt. Damit wollte er auch verhindern, dass ausländische Unternehmen hiesige Firmen mit großer wirtschaftlicher Bedeutung wie z. B. die Lufthansa günstig in der Krise übernehmen. Der Schutzschirm hatte zunächst ein Volumen von 600 Milliarden Euro. Auch die EU schnürte Hilfspakete. Die EU-Kommission stützte Kurzarbeitersysteme in Mitgliedstaaten und die Europäische Investitionsbank ermöglichte mit Bürgschaften Kredite an Mittelständler.
In der EU herrschte Einigkeit darüber, dass die Staatengemeinschaft sich wirtschaftlich nur gemeinsam aus der Krise herausarbeiten kann und dabei besonders auch jenen Ländern unter die Arme greifen sollte, die es in der Krise hart getroffen hatte, etwa Italien und Spanien. Neben Solidarität spielten dabei aber auch Interessen eine Rolle. Denn viele Produktionsprozesse sind arbeitsteilig in der EU organisiert, und den Großteil der Waren und Dienstleistungen verkaufen sich die europäischen Staaten gegenseitig. Alle müssen deswegen ein vitales Interesse daran haben, dass es allen anderen gut geht. Streit gab es in der EU aber darüber, wie die Konjunkturhilfen finanziert werden sollen.
Wiederaufbaufonds
Dabei ging es vor allem um den Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro. Davon sollen 390 Milliarden als nicht rückzahlbare Subventionen fließen und 360 Milliarden als Kredite. Die Verteilung des Geldes auf die Länder richtete sich nach Kriterien wie Arbeitslosenquote, Pro-Kopf-Einkommen oder dem realen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in den Jahren 2020 und 2021. Am meisten Geld erhielten Italien und Spanien, die besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen waren.
Ökonomen befürworteten fast unisono die Maßnahmen der Notenbanken und der Regierungen in der Krise. Allerdings fragten sich viele Bürgerinnen und Bürger auch, ob die Industriestaaten ihren Schuldenberg und die Notenbanken ihre Bilanzen je wieder abbauen können. Und mit den Energiepreisanstiegen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurden auch Befürchtungen vor einer hohen Inflation bestätigt. Solange die Zinsen unter den Wachstumsraten liegen, können die Schuldenberge erfolgreich abgebaut werden – dies wird jedoch angesichts der weiterhin lauernden Rezessionsgefahr in Europa auf absehbare Zeit nicht der Fall sein.
Die Coronapandemie hat die europäische Staatengemeinschaft in die tiefste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt. Zur Linderung hat die EU Rettungspakete in Milliardenhöhe beschlossen.
Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung geht davon aus, dass die Infektionszahlen bald sinken. Für die "Bund-Länder-Runde" war das der Anlass, die meisten Corona-Maßnahmen stufenweise…
Die Diskussion über die Stärken und Schwächen des deutschen Gesundheitssystems bei der Eindämmung der Corona-Pandemie hält noch an. Die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zu bewerten ist schwierig.
Was sind derzeit die größten Probleme im deutschen Schulsystem? Einschätzungen dazu aus einer repräsentativen Meinungsumfrage unter Erwachsenen, dem ifo-Bildungsbarometer 2023.
Nach jeder Banken- und Finanzkrise stellen sich viele die Frage: Wie stabil sind unsere Währungssysteme? Verschiedene und neue Währungssysteme, seien es Kryptowährungen oder Vollgeld, sind denkbar.
Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.
Ihre Meinung ist uns wichtig!
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.