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Finanzkrisen und Spekulationsblasen

Caspar Dohmen

/ 7 Minuten zu lesen

Solange Menschen handeln, solange gibt es auch schon Spekulations- und Finanzblasen, aus denen sich handfeste Krisen entwickeln können. Entscheidend ist dabei weniger das Ökonomische als die Psyche.

Tulpen galten im 16. und 17. Jahrhundert als Statussymbol, ihr Preis stieg exorbitant – bis die Spekulationsblase platzte. (© picture-alliance, dpa-Zentralbild | Stephan Schulz)

Wie kostbar doch eine einzelne Blume sein kann. Selbst wenn sie so rasch verblüht wie eine Tulpe. Tatsächlich ist die Tulpe ein besonders anschauliches Beispiel für wirtschaftlich völlig unerklärliche, fieberhafte Spekulationen an den Börsen, wobei der Wert eines Gegenstandes erst rasant ansteigt und dann plötzlich rapide sinkt, sich gar in nichts auflöst, platzt wie eine Seifenblase.

Die Tulpenkrise

Im 16. Jahrhundert war die Tulpe aus Zentralasien nach Europa gelangt. Die Menschen waren fasziniert von ihren leuchtenden Farben, vor allem an den Fürstenhöfen, wo die Prunksucht keine Grenzen kannte, wurde sie zum Statussymbol. Die Preise für Tulpenzwiebeln begannen zu steigen, und viele beteiligten sich an der Spekulation. Das ging lange Zeit gut. Im 17. Jahrhundert erreichte die Entwicklung ihren Höhepunkt: Der Spitzenpreis für eine Zwiebel lag bei – umgerechnet in heutige Wertverhältnisse – 87.000 Euro. Tulpenzwiebeln waren damit teurer geworden als Gold.

Aber plötzlich ging nichts mehr weiter, fanden sich bei solchen Preisen keine Käufer mehr. Die Spekulationsblase platzte. Der Zusammenbruch wirkte umso dramatischer, als die Holländer schon damals die Spekulation durch Termingeschäfte angefacht hatten: Als nämlich Zwiebeln knapp geworden waren, stellten sie Anrechtsscheine auf spätere Lieferungen aus. Selbstverständlich verloren die Inhaber der Anteilscheine viel Geld, als niemand mehr die Tulpenzwiebeln zu den exorbitanten Preisen kaufen wollte. Nach dem Muster der Tulpenkrise sind seither viele Finanzkrisen verlaufen. Kaum eine ist ihrem Ursprung nach rein ökonomisch erklärbar. Aber die Folgen waren häufig katastrophal. Ins kollektive Gedächtnis hat sich vor allem die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre eingegraben.

Die Rolle der Psychologie

Mit Interner Link: Bulle und Bär werden oft die Entwicklungen an den Börsen beschrieben wegen des Kampfverhaltens der beiden Tiere. Der Bulle stößt mit den Hörnern nach oben, weswegen die Börsianerinnen und Börsianer mit ihm eine längerfristige Aufwärtsentwicklung, auch Hausse genannt, beschreiben. Der Bär schlägt mit seiner Pranke nach unten und steht damit für eine längerfristige Abwärtsentwicklung, auch als Baisse bezeichnet. Man spricht auch von einem Bullen- oder Bärenmarkt. Allerdings hat die Kursentwicklung an den Börsen weniger mit tierischen Instinkten als viel mehr mit der menschlichen Psyche zu tun.

Am Anfang steht meist ein neuer ökonomischer Trend, der Anlegenden neue Gewinnmöglichkeiten zu eröffnen scheint. Eine zweite Phase ist geprägt durch steigende Gewinnerwartungen und anziehende Aktienkurse. Die Aussichten erscheinen jetzt rosig und es steigen immer mehr Investorinnen und Investoren ein. Irgendwann verselbständigen sich die Gewinnerwartungen; die Käuferinnen und Käufer glauben dann, dass ein neues Zeitalter anbricht, dass diesmal alles anders ist und die Gesetze von Angebot und Nachfrage nicht mehr gelten. Für das Kalkül der Anleger ist es allerdings tatsächlich ziemlich unwichtig, ob sie die Börse für überbewertet halten. Entscheidend ist vielmehr, wie sie das Verhalten der anderen Marktteilnehmer einschätzen. Solange sie davon ausgehen können, dass andere weiter kaufen, ist es für sie rational, ebenfalls weiter zu kaufen, um an dem steigenden Kurs teilzuhaben. Denn, solange es alle tun, zahlt es sich für denjenigen aus, der dabei ist. Unbedarfte Anleger steigen oft erst sehr spät ein, manch einer auch nur, weil in solchen Marktphasen regelmäßig auch Schwindler auf den Plan treten, die Neulingen Geld abjagen wollen.

Blasen platzen

Irgendwann kommt jedoch immer der Punkt, an dem mehr und mehr Anlegende ein Platzen der Blase erwarten und ihre Investments verkaufen. Meist steigen Profis als Erste aus, setzen dann auf fallende Kurse. Misstrauen verbreitet sich, obwohl es immer noch positive Einschätzungen gibt, beispielsweise von Analysten, die Einschätzungen zu den Geschäftstätigkeiten und Aktienkursen börsennotierter Unternehmen abgeben. Dennoch stoßen in diesem Moment immer mehr Anlegerinnen und Anleger ihr Investment ab, die Blase platzt. Oft bricht dann irgendwann Panik unter den Anlegern aus. Massenhaft versuchen sie ihre Papiere loszuwerden, was den Abwärtstrend beschleunigt. Anleger werden immer wieder abwechselnd von Wellen der Gier und der Panik gepackt. Und, weil der Mensch ein soziales Wesen ist, bewegt er sich oft mit der Herde, da gibt es übrigens keinen Unterschied zwischen Laien und Profis.

Regelmäßig blenden Anlegende die gewaltigen Folgen von geplatzten Wirtschaftsblasen der Vergangenheit aus. Gern glauben sie, der aktuelle Aufschwung basiere auf soliden Grundlagen, beispielsweise einer technischen Innovation, und sei damit keinesfalls mit früheren Boomphasen vergleichbar, die wegen Übertreibung und falscher Annahmen wie Seifenblasen platzten. Katalysator sind meist billige Kredite, dank derer Anlegerinnen und Anleger in größerem Umfang spekulieren können. Niedrige Zinsen der Zentralbanken befördern Blasenbildungen, so wie beim Goldboom in den 1970er-Jahren, dem japanischen Hype in den 1980er-Jahren, der Dotcomhysterie in den 1990er-Jahren oder dem jüngsten Tech-Boom bis 2022.

Gerade einmal 18 Jahre ist es her, dass bei uns für die Bewertung von Unternehmen alte Maßstäbe nicht mehr gelten sollten. Es herrschte Goldgräberstimmung an den Aktienmärkten, der Hit waren Technologieunternehmen. In Deutschland schuf die Börse damals ein eigenes Segment: den Neuen Markt. Ziel war es, Risikokapital für junge Unternehmen aus Wachstumsbranchen bereitzustellen.

Vorbild waren die USA und die seit 1971 bestehende elektronische Börse NASDAQ in New York, die als Börse für Technologieunternehmen galt und inzwischen die größte amerikanische Börse ist. In manchen Wochen ging in Deutschland Ende der 1990er-Jahre ein Dutzend Unternehmen an die Börse. Für die Investoren am Neuen Markt galt weniger der aktuelle Gewinn als vielmehr ein möglicher Markterfolg irgendwann in Zukunft als Indikator für die aktuelle Unternehmensbewertung. Viele Menschen kauften damals in Deutschland erstmals Aktien. Neue Anlegermagazine mit vermeintlich todsicheren Anlagetipps schossen aus dem Boden. Es gab auch einige Anlageberater mit Gurustatus. Auf Partys beäugte man neidisch diejenigen, die beim Börsengang eines Unternehmens Aktien ergattert hatten, was teils sehr schwierig war, weil der Andrang so groß war. Es gab gewöhnliche Leute, die ernsthaft darüber sprachen, dank Aktiengewinnen mit fünfzig Jahren reich in Rente gehen zu können. Viele Anlegerinnen und Anleger kauften Papiere auf Pump. Der Traum vom schnellen Geld platzte für viele, ebenso wie der von Tulpenzwiebelkäufern drei Jahrhunderte zuvor. Wer spät eingestiegen war und die Party nicht rechtzeitig verlassen hatte, verlor Geld. Irgendjemand zahlt immer die Zeche. Pech gehabt, könnte man sagen, da haben eben viele gezockt und beim Zocken kann man nun mal verlieren. Doch bei jeder dieser Blasen gibt es auch Gewinner, nicht nur Verlierer. Wer als Erster an der Blasenbildung profitiert, kann viele reale Güter anhäufen, bevor die Entwertung einsetzt.

Nach diversen Skandalen um Bilanzfälschungen und Insiderhandel wurde der Neue Markt vor zwanzig Jahren abgeschafft. Als „seriösen“ Nachfolger führte die Deutsche Börse den sogenannten TecDAX ein. Er umfasst die 30 größten „Technologiewerte“. Kriterien sind die Marktkapitalisierung des Streubesitzes und die Börsenumsätze.

An den Börsen gibt es immer wieder neue Trends. Seit der Finanzkrise spielt die Spekulation mit Interner Link: digitalen Währungen eine große Rolle, aber es gibt auch immer wieder folgenreiche Verhaltensweisen von Anlegerinnen und Anlegern. So verabredeten sich 2021 einige Kleinanleger auf wallstreetbets, einem Unterforum des sozialen Netzwerks Reddit, zum Kauf der Aktie des US-Einzelhändlers GameStop, weswegen der Titel große Kursgewinne erzielte. Das führte wiederum zu großen Verlusten bei institutionellen Investoren und Hedgefonds, die auf sinkende Aktienkurse des Unternehmens spekuliert hatten.

Freie Fahrt für Finanzmärkte

Das Interner Link: Ende von Bretton Woods markiert so etwas wie den Urknall der finanziellen Globalisierung unseres Zeitalters. Angesichts freier Wechselkurse und des Wegfalls diverser politischer Beschränkungen für Finanzunternehmen und Geldgeschäfte expandierten die Finanzmärkte kräftig. Auch die Politik setzte in vielen westlichen Ländern große Hoffnung auf die Finanzwirtschaft, nachdem der Nachkriegsboom ausgelaufen war und die Erdölkrisen 1973 und 1979/80 vielen zu schaffen machten. Geldgeschäfte galten jetzt als die Zukunftsindustrie schlechthin. Großbritannien ist sicherlich das eklatanteste Beispiel für ein Land, das diesen Weg eingeschlagen hat. Während immer mehr Fabriken und Bergwerke im Mutterland der Industrialisierung schlossen, blühte die City of London mit ihren Finanzgeschäften auf. Eine zentrale Rolle spielte auch die Wall Street. Treiber waren hier altbekannte Akteure wie die großen Investmentbanken und Börsen, aber auch neue wie Hedgefonds. Nun sprach man überhaupt erst von einer Finanzindustrie.

Ihre Macht wuchs mit den steigenden Mengen an Geld, die an den Finanzmärkten bewegt wurden. Was jährlich an Aktien, Anleihen und Krediten gehandelt wird, übersteigt das Weltsozialprodukt um ein Mehrfaches. Für dieses gewaltige Vermögen gibt es einige Gründe: Zum einen haben die Menschen in den westlichen Industrieländern seit Jahrzehnten in Frieden gelebt, wodurch ihre privaten Vermögen angestiegen sind. Allein das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland ist von 1,9 Billionen Euro 1991 auf knapp 7,5 Billionen Euro 2022 gewachsen. Außerdem können auch immer mehr Menschen sparen, vor allem in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien.

Die Finanzindustrie hat fraglos von der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte enorm profitiert. In der EU hat sich die Finanzindustrie in Relation zur Wirtschaftsleitung in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. 2021 lag dieser Anteil nur bei knapp 30 Prozent. „Das bedeutet, dass über 70 Prozent der Aktivitäten der Banken gar nicht auf die Kreditvergabe an Haushalte und die Realwirtschaft ausgerichtet sind“, heißt es bei der NGO Finanzwende. Dabei sei das doch die Hauptaufgabe von Banken.

Entfesselte Finanzmärkte haben aber auch ihren Preis. Unter dem Regelwerk von Bretton Woods mit seiner strengeren Regulierung von Währungen, Banken und Kapitaltransfers blieben die Finanzmärkte stabil. Zwischen 1945 und 1971 gab es weltweit keine einzige nennenswerte Bankenkrise. Dann entschieden sich die Regierungen für freie Wechselkurse und eine umfassende Deregulierung der Finanzmärkte. Allein zwischen 1970 und 2007 wurden 124 Bankenkrisen, 326 Währungskrisen und 64 Staatsverschuldungskrisen auf nationaler Ebene gezählt.

Zunächst beschränkten sie sich auf einzelne Länder oder Kontinente: Da war beispielsweise die Mexikokrise 1994, die Asien- und die Russlandkrise Ende der 1990er-Jahre oder die Krise nach dem argentinischen Staatsbankrott um die Jahrtausendwende. Solche Ereignisse spielten sich für die Menschen in Deutschland, Holland oder der Schweiz in den Medien ab und waren für sie weit weg. Nur wenige konnten sich hier vor-stellen, dass Gleiches bei ihnen passieren könnte. Handelte es sich dort nicht um unterentwickelte Volkswirtschaften? Waren deren Regierungen nicht korrupt? Mit einem funktionierenden Markt, einem guten Finanz- und Rechtssystem wäre so etwas doch nicht passiert? Bei uns ist doch alles anders, so oder so ähnlich dachten die meisten.

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Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.