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Staatspleiten

Caspar Dohmen

/ 4 Minuten zu lesen

Ist ein Staat pleite, kann er seine Schulden nicht mehr bezahlen. In der Folge kann der Staat seine Aufgaben nicht mehr erfüllen. Aber können Staaten überhaupt bankrott gehen?

2010 stand Griechenland kurz vor dem Staatsbankrott. Die Europäischen Nachbarn und der IWF hatten das Land mit Krediten in Milliardenhöhe unterstützt. (© picture-alliance, Christoph Hardt/Geisler-Fotopres)

2023 stellt sich die Schuldenfrage für Staaten: Denn alleine 136 von 152 untersuchten Staaten im Globalen Süden waren „kritisch verschuldet, davon 40 Länder sehr kritisch“, heißt es in dem Schuldenreport von dem Hilfswerk Misereor. Und die Situation werde sich durch den Krieg in der Ukraine und die steigenden globalen Zinsen weiter verschlechtern, erwarteten Fachleute. Aber welche Handlungsmöglichkeiten haben Staaten?

Handlungsoptionen

Ökonomisch betrachtet können sie sich auf drei Wegen ganz oder teilweise ihrer Verpflichtungen entledigen, wenn sie Tilgung und Zins für ihre Schulden nicht mehr bezahlen können oder wollen:

Sie werfen die Notenpresse an und zahlen Kredite mit frischem Geld zurück, das weniger Wert hat. Die Folge ist meist eine Interner Link: Inflation, die sich bis zur Hyperinflation steigern kann und schließlich eine Interner Link: Währungsreform notwendig werden lässt. So war es in Deutschland nach dem Interner Link: Zweiten Weltkrieg.

Sie stellen die vertraglich vereinbarten Zahlungen einfach ein.

Oder sie nehmen als Mittelweg einen Interner Link: Schuldenschnitt vor: Die Schulden werden dabei auf ein erträgliches Maß gestutzt. Einigen sich Schuldner und Gläubiger einvernehmlich auf eine Vorgehensweise und die Höhe des Forderungsverzichts, spricht man von einem geordneten und freiwilligen Schuldenschnitt. So war es 2012 in Griechenland und so war es zuvor in Lateinamerika, wo 1982 die erste weltweite Schuldenkrise der Nachkriegszeit ausgebrochen war.

Häufig wenden sich klamme Staaten an den Interner Link: Internationalen Währungsfonds (IWF), der Hilfskredite vergeben kann. Im Gegenzug werden den überschuldeten Staaten allerdings Bedingungen für die Sanierung der Staatsfinanzen vorgegeben. Dazu zählen regelmäßig harte Sparauflagen, die Privatisierung von Staatsbetrieben oder eine Deregulierung der Wirtschaft. Die betreffenden Länder unterwerfen sich faktisch für eine bestimmte Zeit dem Regiment des IWF.

Folgen für Gläubiger

Gläubiger haben bei Staatspleiten weniger Rechte als bei Insolvenzen von Unternehmen oder Privatpersonen. Zum Beispiel, weil der Besitz eines Staates nicht Interner Link: gepfändet wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Überschuldung lange Zeit ein Thema der Interner Link: „Entwicklungsländer“. Deswegen gab es immer wieder Bemühungen, den Schuldenstand zu reduzieren.

Als sich 1999 die Verschuldung der Entwicklungsländer innerhalb von zwanzig Jahren auf 2,5 Billionen US-Dollar mehr als verdreifacht hatte und der Schuldendienst den Handlungsspielraum vieler Regierungen drastisch einschränkte, einigten sich die Staats- und Regierungschefs der damaligen G-8 auf einen radikalen Schuldenerlass für die ärmsten Länder um bis zu 90 Prozent. 41 Länder konnten an dem Programm teilnehmen, sofern sie bestimmte Bedingungen akzeptierten. Auch für andere Staaten stand ein teilweiser Schuldenerlass wie für Afghanistan 2006 oder den Irak 2008 auf der Tagesordnung.

Als Forum für Verhandlungen über Umschuldungsvereinbarungen und Schuldenerlasse der Gläubiger haben sich zwei Klubs etabliert: die Clubs aus London und Paris. Der sogenannte Pariser Club trifft sich jährlich im französischen Finanzministerium; Vertreterinnen und Vertreter der Gläubigerstaaten sprechen dort jeweils mit den Vertreterinnen und Vertretern eines Schuldnerlandes. Bislang hat der Club mehr als 430 Abkommen mit ca. 90 Ländern beschlossen. Beispielsweise strich er 2013 die Milliardenschulden von Birma, das einen Reformkurs eingeschlagen hatte. Ein Problem ergibt sich daraus, dass China dem Pariser Club nicht angehört, aber als Kreditgeber von Staaten eine zunehmend große Rolle spielt.

Die Clubs aus London und Paris

Der Londoner Club ist ein informelles Gremium von rund 1.000 privaten Gläubiger-banken. Er trifft sich meist zeitgleich mit dem Pariser Klub. Die Geschäftsbanken geben aber nur dann eine Zusage für einen Schuldennachlass, wenn es vorher ein positives Vo¬tum von IWF oder Pariser Klub gibt, bisweilen auch erst, wenn beides vorliegt. Gewöhnlich werden nur die Schulden erlassen, keineswegs die aufgelaufenen Zinsen.

StaatsbankrottGibt es ein Insolvenzverfahren für Staaten?

Bislang gibt es kein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten, bei dem die Schulden eines Staates nach verbindlichen Regeln umstrukturiert und gesenkt würden, so wie dies bei der Insolvenz von Unternehmen oder Privatpersonen der Fall ist. Ein staatliches Insolvenzverfahren könnte einiges vereinfachen. Einige Initiativen fordern ein solches Verfahren schon lange, vor allem für Entwicklungsländer. Nach Ausbruch der Staatsschuldenkrise 2010 in Griechenland forderte die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenfalls die Einführung eines staatlichen Insolvenzverfahrens.

Ein einzelner Gläubiger könnte dann nicht mehr eine Einigung mit einem überschuldeten Staat blockieren. Denn bei einem solchem Verfahren wäre eine Mehrheitsentscheidung der Gläubiger maßgeblich. Und es gäbe noch einen zweiten Vorteil: Die Lasten würden gleichmäßiger auf die öffentlichen und privaten Gläubiger verteilt. Das wichtigste Gegenargument: Regierungen könnten sich bewusst hoch verschulden und auf ein späteres Insolvenzverfahren setzen.

„Geierfonds“

Wenn Firmen von säumigen Kundinnen und Kunden kein Geld mehr bekommen, verkaufen sie ihre Forderung oft an ein sogenanntes Inkassobüro, das die Schulden dann auf eigene Rechnung einzutreiben versucht – bisweilen mit zweifelhaften Methoden. Ähnlich agieren im Fall überschuldeter Staaten einige Hedgefonds, auch sogenannter Interner Link: „Geierfonds“ genannt. Sie kaufen billig alte Schuldtitel praktisch zahlungsunfähiger Länder auf. Um Druck auf Regierungen auszuüben, damit diese die alten Rechnungen begleichen, lassen sie sich einiges einfallen.

BeispieleFälle von "Geierfonds"

Im Oktober 2012 beschlagnahmten Polizisten in Ghana das argentinische Segelschulschiff "A. R. A. Libertad". Denn ein US-amerikanischer Hedgefonds hatte einen Pfändungsbeschluss vor einem Gericht erwirkt. Drei Monate lag das Schulschiff in Ghana fest. Erst dann befand ein UN-Gericht, dass Kriegsschiffe Immunität genießen und daher nicht als Pfand für Schuldzahlungen genommen werden können. Argentinien hatte 2001 den Staatsbankrott erklärt. Viele Gläubiger hatten seitdem Zahlungsvereinbarungen mit der argentinischen Regierung zugestimmt, die einen teilweisen Schuld¬verzicht enthielten. Eine Minderheit verkaufte ihre Forderungen an den Hedgefonds.

Ein anderer Hedgefonds hatte im Jahr 1999 für den Schnäppchenpreis von 3,2 Millionen US-Dollar eine alte Forderung Rumäniens aus der Zeit des Kalten Krieges an den Staat Sambia erworben: Es ging um eine Lieferung von Traktoren aus den 1970er-Jahren. Die ursprüngli¬che Kreditschuld hatte sich durch aufgelaufene Zinsen auf 30 Millio¬nen US-Dollar verdoppelt. 2007 verklagte der Fonds das afrikanische Land vor einem britischen Gericht auf Zahlung von 55 Millionen US-Dollar. Wahrscheinlich hätten die Richter dem Fonds sogar die ganze Summe zugesprochen. Doch es kam heraus, dass die Fonds¬manager den damaligen sambischen Präsidenten Frederick Chiluba mit einer Million Dollar geschmiert hatten, damit dieser überhaupt dem Verkauf der Staatsschulden auf dem sogenannten Sekundärmarkt zustimmte. Die Richter reduzierten die Summe auf 15 Millionen US-Dollar, ohne jedoch die Ansprüche des Fonds grundsätzlich infrage zu stellen.

Fälle wie diese gab es immer wieder: IWF und Weltbank sprachen von einem Dutzend Klagen und einer Streitsumme von rund 1,8 Milliarden Dollar. Auf der Liste der "Geierfonds" standen unter anderen Kamerun, Äthiopien und Nicaragua – also auch Länder, deren Regierungen für Staatsschulden aufkommen müssen, die diktatorische Regimes in der Vergangenheit zur privaten Bereicherung aufgenommen haben.

Häufig hatten sich Weltbank und IWF auf die Seite der Investoren gestellt, nach der Finanzkrise von 2008 schlugen sie hingegen Alarm. Solche Fonds würden die Bemühungen zur Entschuldung der Dritten Welt untergraben, hieß es. Die Interner Link: Weltbank unterstützte nun Staaten dabei, ihre Schulden bei kommerziellen Gläubigern wie Banken, Unternehmen und Inkassofirmen zurückzukaufen, bevor diese an „Geierfonds“ verkaufen.

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Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.