Seit 2014 führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Mit dem vollumfänglichen Angriff am 24. Februar 2022 begann Russland die massive Zerstörung der zivilen Infrastruktur, der Wirtschaft und des zivilen Lebens in der gesamten Ukraine. Der Krieg hat katastrophale Folgen: Die direkten Schäden und indirekten wirtschaftlichen Verluste werden auf insgesamt 416,8 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Und obwohl Russland die Zerstörung täglich fortsetzt und ein Ende des Krieges nicht absehbar ist, hat der Wiederaufbau der Ukraine schon begonnen. Wiederaufbau bedeutet dabei nicht nur die Wiedererrichtung der kritischen Infrastruktur und der Stromversorgung, von Wohnhäusern und Straßen, sondern auch die Wiederherstellung des gesellschaftlichen Lebens und die Reintegration der Menschen in den Arbeitsmarkt.
Um den Grundstein für einen erfolgreichen Wiederaufbau nach Kriegsende zu legen, sind folgende Elemente zentral:
Eine gemeinsame Vision der beteiligten staatlichen wie nicht-staatlichen, ukrainischen wie internationalen Akteur:innen;
die Einbindung der Ukraine in die NATO, damit sich die Zerstörungen des russischen Angriffskriegs nicht wiederholen können, und der EU-Beitritt der Ukraine;
Wiederaufbauhilfe durch die EU und private Investitionen von nationalen wie internationalen Geldgeber:innen;
eine Schlüsselrolle der Zivilgesellschaft im Wiederaufbauprozess und die Einbindung der ukrainischen Diaspora.
Build Back Better
Vorab: Die Grundvoraussetzung für den Wiederaufbau des Landes ist, dass die Schäden und die Zerstörung, die durch den Krieg verursacht wurden, sich nicht wiederholen. Das kann nur durch langfristige Sicherheitsgarantien gegenüber der Ukraine sichergestellt werden. Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine würde genau diese notwendigen Sicherheitsgarantien bieten.
Build Back Better ist der wichtigste Grundsatz für den Wiederaufbau. Er strebt einen nachhaltigen, inklusiven, modernisierungsorientierten und energieeffizienten Wiederaufbau an. Build Back Better verfolgt zugleich die Integration der Ukraine in die Europäische Union (EU) und knüpft an den bereits 2014 begonnenen Reformprozess des Landes an. Dabei sollen zentrale Vorhaben wie eine Reform zur Dezentralisierung, eine Justiz- und Verfassungsreform sowie die Antikorruptionsreform vollendet werden. Die umfassende Transformation des Landes und die Implementierung von EU-Normen sowie die Angleichung an EU-Regulierungsstandards sind dabei von zentraler Bedeutung.
Ukraine-Fazilität als nachhaltiges Finanzierungsinstrument
Mit der sogenannten Ukraine-Fazilität bietet die EU dem Land zwischen 2024 und 2027 berechenbare und flexible Unterstützung. Der Gesamtbetrag des Kreditrahmens beläuft sich auf 50 Milliarden Euro und ist sowohl für Finanzhilfen als auch für Kredite vorgesehen. Um die finanziellen Interessen der EU zu schützen, soll die Fazilität mit einem robusten Rahmen für Transparenz, Rechnungsprüfung und Kontrolle ausgestattet werden. Die EU-Kommission kann die Projekte jederzeit überprüfen, es wird einen unabhängigen Prüfungsausschuss geben, der über etwaige Misswirtschaft berichtet. Mit der Ukraine wird ein Rahmenabkommen geschlossen, das Regelungen für Verwaltung und Kontrolle der bereitgestellten Mittel festlegt und Maßnahmen gegen Unregelmäßigkeiten und Korruption vorsieht.
Ein wichtiges Element dafür bietet die von der ukrainischen Regierung neu entwickelte Plattform „DREAM“ (Digital Restoration Ecosystem for Accountable Management). Auf dieser Plattform werden Daten über alle Phasen von Wiederaufbauprojekten gesammelt, organisiert und veröffentlicht, dabei sollen die höchsten EU-Standards für Transparenz umgesetzt werden. Die Zivilgesellschaft wird den Wiederaufbauprozess entscheidend mitbestimmen, denn sie soll den Prozess nicht bloß kritisch begleiten, sondern partizipativ mit eigenen Impulsen gestalten.
Langfristig sind aber nicht nur staatliche, sondern auch private Investitionen in den Wiederaufbau notwendig, um nicht nur dringend benötigtes Kapital, sondern auch technisches Know-how und Innovationen einzubringen. Dies würde zudem die wirtschaftliche Diversifizierung fördern und Arbeitsplätze schaffen, was zur Stabilisierung und nachhaltigen Entwicklung des Landes beitragen würde. Mit einer Versicherung gegen kriegsbedingte Risiken könnte die Investitionsbereitschaft sowohl für nationale als auch internationale Investor:innen attraktiver werden.
Rolle von Zivilgesellschaft und Diaspora
Obwohl die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft am Wiederaufbau unerlässlich ist, wird sie derzeit nicht ausreichend in die Planung eingebunden. Dabei sollten die Fachkompetenz der zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, die Resilienz und Motivation der Menschen und lokalen Gemeinden in der Ukraine die Grundlage für die neuen Institutionen und den Wiederaufbau des Landes bilden. Die 2014 begonnene Reform zur Dezentralisierung bietet dafür eine hervorragende Grundlage. Zwar drängt die Zeit, doch darf das kein Hindernis sein. Der Wiederaufbauprozess ist in vollem Gange. Es fehlt aber noch immer ein klarer Rahmen, der eine sinnvolle Beteiligung der Bürger:innen und der Zivilgesellschaft an diesen Prozessen gewährleistet.
Auch die ukrainische Diaspora kann im Wiederaufbau als „Brückenbauerin“ zwischen der Ukraine und den Geberländern fungieren. Engagierte Menschen in der Diaspora verfügen in der Regel über weitreichende Kenntnisse sowohl auf der gesellschaftlichen als auch auf der politischen und kulturellen Ebene und sind gut in den jeweiligen Gastländern vernetzt. Dadurch gewinnt die Diaspora relevante Kontakte, und Informationen und stellt zusätzliche Wege bereit, um den Wiederaufbau zu fördern. Im Wiederaufbauprozess können Akteur:innen aus der Diaspora dazu beitragen, dass beispielsweise Projekte zur Re-Integration geflohener Menschen in der Ukraine umgesetzt und internationale Bildungsabschlüsse anerkannt werden, aber auch politische Botschaften der Ukraine verstärken. Dies würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass möglichst viele Ukrainer:innen in das Land zurückkehren.
Obwohl die ukrainische Regierung eine Zusammenarbeit mit der Diaspora anstrebt, fehlt bislang deren systematische Einbindung in den Wiederaufbauprozess. Damit das volle Potential ausgeschöpft werden kann, muss die Rolle der Diaspora hervorgehoben und Kooperationen mit ihr müssen gestärkt werden.