Hintergründe zur Inflations-Entwicklung
Starke Preisanstiege in 2022: Nach Jahrzehnten mit relativ geringer Geldentwertung sind die Preise im Jahr 2022 weltweit und in der Eurozone stark angestiegen. Wichtigste Ursache dafür sind die hohen Preisaufschläge für Energie infolge des Kriegs in der Ukraine.
Reaktion der Notenbanken: Große Zentralbanken wie die Fed in den USA und auch die Europäische Zentralbank (EZB) reagierten darauf mit einem Ende der Anleiheankäufe an den Finanzmärkten sowie mit stark ansteigenden Leitzinsen. Damit endete eine langanhaltende Ära des billigen Geldes.
Gefahren des Zinsanstiegs: Allerdings bergen die Werkzeuge der Währungshüter Gefahren: Wenn die Zinsen steigen, werden Kredite teurer. Dies könnte dazu führen, dass die Wirtschaftsentwicklung in einzelnen Ländern abgewürgt wird und deshalb die Arbeitslosigkeit steigt. Außerdem können hohe Zinsen besonders stark verschuldeten Staaten und Unternehmen Schwierigkeiten bereiten.
Preis-Lohn-Spirale: Ökonominnen und Ökonomen warnen auch vor dem Problem einer langanhaltenden Inflation. Diese könnte sich entwickeln, wenn sich der Preisauftrieb verfestigt, zum Beispiel durch hohe Lohnabschlüsse. Diese könnten eine Interner Link: Preis-Lohn-Spirale in Gang setzen, die die inflationäre Entwicklung zusätzlich verstärkt.
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Nach Jahren mit einer eher deflationären Tendenz hat sich der Preisauftrieb in im Jahr 2022 massiv verstärkt und in Deutschland zu Inflationsraten von über zehn Prozent geführt. Solche Werte waren in der Nachkriegszeit bisher nur in der Phase der Korea-Krise Anfang der 1950er Jahre erreicht worden.
Immer wieder ist zu hören, dass die langjährige Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) für diesen Inflationsschub verantwortlich sei. Allerdings liegt die reale Konsumnachfrage im Euroraum noch immer unter dem Niveau von vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Für das Narrativ, wonach die EZB zu viel Geld in den Umlauf gebracht habe, wodurch es zu Inflation gekommen sei, fehlt damit ein wichtiges Bindeglied. Es ist daher nicht überraschend, dass noch im Herbst 2021 alle führenden deutschen, aber auch europäischen Wirtschaftsforschungsinstitute davon ausgingen, dass die Inflationsrate in den Jahren 2022 und 2023 in etwa dem Zielwert der EZB von zwei Prozent entsprechen würde.
Diese kollektive Fehleinschätzung verdeutlicht, dass der abrupte Anstieg der Inflation seit dem Frühjahr 2022 größtenteils auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen ist. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass extreme Konflikte sehr häufig zu massiven Preissteigerungen vor allem im Energiesektor geführt haben. Das war so in den beiden Weltkriegen, im Korea-Krieg Anfang der 1950er Jahre sowie während der beiden Ölkrisen, die durch kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten (Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973, Krieg zwischen Irak und Iran in den Jahren 1980 bis 1988) ausgelöst worden waren.
Beim Krieg in der Ukraine ist der Inflationseffekt besonders hoch, da dadurch nicht nur sämtliche Energierohstoffe, sondern auch Metalle, Holz und pflanzliche Produkte (Öle) erheblich verknappt wurden – Produkte, bei denen Europa sehr abhängig Importen aus Russland und der Ukraine war.
Notenbanken sollten sich nicht passiv verhalten
Bei diesem Rückblick wird zugleich deutlich, dass es für Notenbanken nicht möglich ist, einen solchen angebotsseitigen Teuerungsschub zu verhindern. So lag die deutsche Inflationsrate im Dezember 1973 bei 7,8 und im Oktober 1981 bei 7,4 Prozent. In den Vereinigten Staaten wurden damals sogar Werte von 12,2 (November 1974) und 14,6 Prozent (März 1980) erreicht.
Das bedeutet allerdings nicht, dass sich Notenbanken passiv gegenüber solchen Schocks verhalten sollten. Die größte Gefahr besteht darin, dass sich temporäre Preisschübe bei Energierohstoffen im Wirtschaftssystem verfestigen, es also zu einer Preis-Lohn-Spirale kommt: Unternehmen wie Arbeitnehmer gehen dabei davon aus, dass die durch exogene Faktoren erhöhte Inflationsrate von Dauer sei und korrigieren auf dieser Basis ihre Inflationserwartungen nach oben. Bei längerfristigen Verträgen, insbesondere bei Tarifverträgen, werden dann diese Erwartungen zugrunde gelegt. Damit steigen die Kosten der Unternehmen, die höhere Inflationsrate verfestigt sich. Man spricht dabei von den "Zweitrundeneffekten" der Preisschocks.
Im Euroraum zeigt sich das daran, dass die Kerninflationsrate, die um die Effekte von Energiepreisen und unverarbeiteten Nahrungsmittelpreisen bereinigt ist, im Dezember 2022 einen Wert von 6,9 Prozent erreicht hat. In den Vereinigten Staaten lag die Kerninflationsrate, die zudem verarbeitete Nahrungsmittel ausschließt, im November bei sechs Prozent.
Das Handlungsrezept für die Geldpolitik in einer solchen Situation ist das sogenannte "Taylor-Prinzip", das auf den in Stanford lehrenden Ökonomen John Taylor zurückgeht. Es besagt, dass eine Notenbank, die die Inflationsrate wieder unter Kontrolle bringen möchte, die Zinsen stärker anheben muss als es dem Anstieg der Inflationsrate entsprechen würde. Konkret, wenn die Inflationsrate von beispielsweise einem auf vier Prozent ansteigt, was einem Anstieg um drei Prozentpunkten entspricht, muss die Notenbank ihren Leitzins um mehr als drei Prozentpunkte anheben. Erhöht sie ihren Leitzins um beispielsweise vier Prozentpunkte, steigt so der Realzins, also der um die Inflationsentwicklung bereinigte Nominalzins, um einen Prozentpunkt. Die Wirtschaft wird abgebremst.
Risiko eines starken Wirtschaftseinbruchs
Die großen Notenbanken haben in diesem Jahr – nach einem gewissen Zögern – ihre Leitzinsen deutlich erhöht. Allerdings ist der Zinsanstieg bisher hinter dem Taylor-Prinzip zurückgeblieben. Darin spiegelt sich das Dilemma, mit dem sich Notenbanken im Falle eines Angebotsschocks konfrontiert sehen: Massiv steigende Energiepreise treiben die Inflationsrate nach oben. Gleichzeitig dämpft der damit verbundene Kaufkraftentzug die Nachfrage für heimische Güter, was die Wirtschaftstätigkeit schwächt. Hält die Notenbank die Zinsen konstant, um die rezessiven Tendenzen nicht noch zu verstärken, wird der Preisauftrieb noch gefördert. Geht sie energisch gegen die Inflation vor, riskiert sie einen starken Wirtschaftseinbruch.
Bei der deshalb eher konstatierenden Zinspolitik der EZB kommt es jetzt entscheidend darauf an, wie sich die Energiepreise weiter entwickeln werden. Für eine deutliche Verlangsamung des Preisauftriebs wäre es schon ausreichend, wenn die Energiepreise nicht weiter steigen würden. Da die Inflationsrate immer die Preisentwicklung der vergangenen zwölf Monate misst, würde dann von konstanten Energiepreise ein dämpfender Effekt ausgehen. Hoffnungsvoll stimmt hierbei, dass die Energiepreise ihren Höhepunkt bereits überschritten haben dürften. In Deutschland kam es im Oktober 2022 erstmals wieder zu einem Rückgang der Erzeugerpreise im Vormonatsvergleich.
Auch Lohnentwicklung dürfte sich wieder abflachen
Eine weitere wichtige Bestimmungsgröße der Preise sind die Lohnkosten. Bisher ist die Lohnentwicklung mit einem Anstieg von 2,9 Prozent im dritten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr moderat verlaufen. Von den zuletzt vereinbarten Tarifabschlüssen dürfte allerdings ein stärkerer Kostendruck ausgehen, wenn man die darin vereinbarten Einmalzahlungen berücksichtigt. Für sich genommen führt der Kostendruck somit dazu, dass sich die Preisentwicklung vom Zielwert der EZB in Höhe von zwei Prozent nach oben bewegt.
Mit einem Abflauen des Energiepreisschocks dürfte sich dann auch die Lohnentwicklung wieder abflachen, so dass sich die Inflationsrate im Laufe des Jahres 2024 annähernd zielgerecht entwickeln wird.
Alles in allem hat die EZB in diesem Jahr zwar etwas spät begonnen, ihre Leitzinsen zu erhöhen. Aber sie hat mit den bisher vorgenommenen Zinsanhebungen ein klares Signal gesetzt, dass sie sich ihres Mandats bewusst ist, ohne dabei die ohnehin angelegten Rezessionstendenzen unnötig zu verschärfen.