Hintergründe zur Inflations-Entwicklung
Starke Preisanstiege in 2022: Nach Jahrzehnten mit relativ geringer Geldentwertung sind die Preise im Jahr 2022 weltweit und in der Eurozone stark angestiegen. Wichtigste Ursache dafür sind die hohen Preisaufschläge für Energie infolge des Kriegs in der Ukraine.
Reaktion der Notenbanken: Große Zentralbanken wie die Fed in den USA und auch die Europäische Zentralbank (EZB) reagierten darauf mit einem Ende der Anleiheankäufe an den Finanzmärkten sowie mit stark ansteigenden Leitzinsen. Damit endete eine langanhaltende Ära des billigen Geldes.
Gefahren des Zinsanstiegs: Allerdings bergen die Werkzeuge der Währungshüter Gefahren: Wenn die Zinsen steigen, werden Kredite teurer. Dies könnte dazu führen, dass die Wirtschaftsentwicklung in einzelnen Ländern abgewürgt wird und deshalb die Arbeitslosigkeit steigt. Außerdem können hohe Zinsen besonders stark verschuldeten Staaten und Unternehmen Schwierigkeiten bereiten.
Preis-Lohn-Spirale: Ökonominnen und Ökonomen warnen auch vor dem Problem einer langanhaltenden Inflation. Diese könnte sich entwickeln, wenn sich der Preisauftrieb verfestigt, zum Beispiel durch hohe Lohnabschlüsse. Diese könnten eine Interner Link: Preis-Lohn-Spirale in Gang setzen, die die inflationäre Entwicklung zusätzlich verstärkt.
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Kann die Europäische Zentralbank die Inflation eindämmen? Ich möchte diese Frage im Stil des legendären Radio Eriwan beantworten: Im Prinzip ja, aber es wird ihr nicht gelingen.
Beginnen wir die Erläuterung meiner Antwort mit dem prinzipiellen Teil. "Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen", dieser berühmte Satz des großen US-Ökonomen Milton Friedman aus den 1960er Jahren ist nach der langen Phase der niedrigen Inflation seit den 1980er Jahren in Vergessenheit geraten. Die große Mehrheit der Ökonomen und Zentralbanker wiegten sich in Sicherheit und dachten, die Inflation sei tot. Für immer. Doch zeigt die Geldgeschichte, dass sie zwar lange schlafen kann, aber immer wieder erwacht, wenn die Staaten zur Finanzierung ihrer Ausgaben die Gelddruckerpresse ihrer Zentralbanken heiß laufen lassen. Und genau das ist seit Beginn dieses Jahrzehnts passiert.
Überhang des Geldangebots über die Geldnachfrage
Im Euroraum hat der Verbund der Europäischen Zentralbank mit den nationalen Zentralbanken in den Jahren 2020 und 2021 mehr Staatsanleihen aufgekauft, als die Eurostaaten zur Finanzierung ihrer Haushaltsdefizite in diesen Jahren emittiert haben. Auf diese Weise ist ein Überhang des Geldangebots über die Geldnachfrage entstanden, wie man es bisher nur aus Kriegszeiten kannte. Nach den Kriegen wurden diese Geldüberhänge durch hohe Inflation und Währungsreformen abgebaut. Heute nährt der Geldüberhang die Inflation, die nach dem Ende der Pandemie-Lockdowns von Preissteigerungen für Zwischenprodukte, Rohstoffe und Energie (infolge des Bruchs von Lieferketten und des Kriegs in der Ukraine) angestoßen wurde.
Man kann sich den Anschub der Inflation wie das Anlassen eines Benzinmotors vorstellen: Die Preissprünge einzelner Güter wirken wie der elektrische Startermotor auf den Benzinmotor. Er dreht sich. Damit er nun anspringt, braucht es einen Zündfunken. Das sind die Lohnerhöhungen, welche die Arbeitnehmer in Reaktion auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten erzwingen. In den USA sind die Lohnerhöhungen schon in vollem Gang, in Europa geht es jetzt los. Damit der Motor dann lange läuft, braucht es Benzin im Tank. Das ist die Geldmenge, welche die Zentralbanker im Verbund mit den Fiskalpolitikern erzeugt haben.
Zinsanhebungen allein werden nicht reichen
Wie bringt man nun den Inflationsmotor wieder zum Stillstand, was also ist die Therapie? Schön wäre es, wenn man einfach die Zündung wieder abstellen könnte. Aber der Zündschlüssel klemmt. Die Arbeitnehmer werden kaum auf Lohnerhöhungen zum Ausgleich des Kaufkraftverlustes verzichten, solange die Inflation anhält. Folglich hilft nur eins: Man muss Benzin aus dem Tank pumpen. Sonst läuft der Motor so lange, bis alles Benzin aufgebraucht ist. Und das kann lange dauern, wenn der Tank randvoll gefüllt wurde.
Hebt die Zentralbank die Leitzinsen an, steigen die Kreditzinsen der Banken und die Kreditnachfrage fällt. Da unser Bankengeld über die Kreditnachfrage entsteht, verschwindet es auch wieder, wenn weniger neue Kredite vergeben als fällige zurückgezahlt werden. Kredit- und Geldbestand sinken im Gleichschritt, das Geld wird knapper. Doch Zinsanhebungen allein werden nicht reichen. Die EZB hat auch eine Menge neues Geld für die Eurostaaten über den Kauf von Anleihen geschaffen. Soll nicht der private Sektor allein die ganze Last der Kreditverknappung tragen, muss sie diese Anleihen wieder verkaufen.
Also: Zinsanhebungen zur Kreditverknappung für die Privaten, Anleiheverkäufe zur Kreditverknappung für den öffentlichen Sektor. Die Zinsen steigen dann über alle Laufzeiten der Kredite und Anleihen. Das Geld wird knapper. Da Geld zur Güternachfrage gebraucht wird, sinkt diese Nachfrage mit der Geldverknappung. Die geringere Güternachfrage führt zum Rückgang der Inflation.
Eine Reihe von Fallstricken
So weit zu dem, was im Prinzip möglich ist. Doch es gibt eine Reihe von Fallstricken, welche die Anwendung des Prinzips scheitern lassen dürften.
Da ist vor allem die hohe Verschuldung, die während der langen Phase der niedrigen Zinsen aufgebaut wurde. Steigen die Kreditzinsen, können Schuldner in finanzielle Schieflagen geraten. Die finanzielle Beinahe-Kernschmelze britischer Pensionsfonds im Oktober 2022 gab einen Vorgeschmack darauf, was anderswo passieren könnte. Damals hatte die Bank von England die Absicht, ihre Staatsanleihen zur Inflationsbekämpfung wieder zu verkaufen, die britische Regierung wollte Steuersenkungen mit neuen Staatsanleihen finanzieren. Kann die EZB mit der Inflationsbekämpfung ernst machen, wenn die Zinsen auf italienische Staatsanleihen so weit steigen, dass dem italienischen Staat die Zahlungsunfähigkeit droht? Man darf gespannt sein.
Da ist zum anderen die Furcht vor einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Natürlich muss der überhitzte Arbeitsmarkt, auf dem die Zahl der offenen Stellen beinahe so groß ist wie die Zahl der Arbeitslosen, abgekühlt werden. Was aber, wenn die Arbeitslosigkeit so stark ansteigt, dass es den Politikern mulmig wird? Können die Zentralbanker die Zinsen dann so lange weiter erhöhen, bis die Inflation endgültig am Boden liegt? In den 1970er-Jahren brauchte es fast ein Jahrzehnt, bis Politiker und Zentralbanker den Mut fanden, den Weg der Inflationsbekämpfung auch bei steigender Arbeitslosigkeit bis zum Ende zu gehen.
Und schließlich besteht die Gefahr, dass die Fiskalpolitiker den Kampf der Geldpolitiker gegen die Inflation konterkarieren. Der Bedarf an Staatsausgaben scheint grenzenlos: zur besseren militärischen Verteidigung, zur Renovierung der maroden öffentlichen Infrastruktur, für die Unterbringung einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen, den Klimaschutz, die Deckelung von Energiepreisen, die direkte Unterstützung sozial Schwacher und so weiter. Wenn aber die Fiskalpolitik die Nachfrage zusätzlich befeuert, dann muss die Geldpolitik noch stärker bremsen – und die Gefahr von Schulden- und Finanzkrisen steigt. Keine Frage: Heute sind die Dinge noch viel komplizierter als in den 1970er Jahren.