Die Modern Monetary Theory – Hintergründe
Wahrnehmung hoher Staatsschulden als Problem: Jahrzehntelang waren hohe Staatsschulden in der klassischen Finanzwissenschaft verpönt. Eine Überschuldung der Etats müsse vermieden werden, damit hohe Zinslasten nicht die Handlungsspielräume künftiger Regierungen einengten, lautete die Begründung.
Maastricht-Kriterien: In der Eurozone wurde deshalb im Stabilitäts- und Wachstumspakt ("Maastricht-Vertrag") neben einer maximalen Nettokreditaufnahme von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) das Ziel einer Staatsverschuldung von 60 Prozent des BIP für die Mitgliedsstaaten festgelegt.
Schuldenbremse: In Deutschland hat die 2009 beschlossene Schuldenbremse verfassungsrechtlichen Charakter. Sie schränkt die Schuldenaufnahme der Bundesländer ein und begrenzt die der Bundesregierung auf maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Ausnahmesituationen: In Sondersituationen wie Coronapandemie oder Krieg in der Ukraine ist eine erhöhte Schuldenaufnahme dennoch möglich. So erhöhten sich 2021, im zweiten Jahr der Corona-Pandemie, die deutschen Staatsschulden um 162 Milliarden Euro auf 2,476 Billionen Euro. Die Schuldenquote, das heißt der Schuldenstand im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt, erhöhte sich 2021 von 68,7 Prozent auf 69,3 Prozent. Der Referenzwert des Maastricht-Vertrages von 60 Prozent wurde damit erneut deutlich überschritten.
Zweifel der MMT an Staatsschuldengrenze: Die dem Postkeynesianismus verwandte Modern Monetary Theory (MMT) hinterfragt die makroökonomische Annahme, dass der Staat erst Geld durch Steuern einnehmen oder in Form von Staatsanleihen leihen muss, bevor er Geld ausgeben kann. Die imaginären Grenzen der Staatsverschuldung werden angezweifelt. Für die gesamtwirtschaftliche Theorie der MMT ist die Fiskalpolitik ein wichtiges Mittel, um Vollbeschäftigung in kapitalistischen Gesellschaften anzustreben. Als Paradebeispiel für die Wirksamkeit der MMT gilt das wohlhabende Japan, wo die Staatsverschuldung seit Jahren bei 250 Prozent des BIP liegt.
Preissteigerungen und Zinswende: In der Corona-Pandemie und der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Energiekrise erhöhten verschiedene Staaten in Europa oder auch die USA ihre Schulden, um die Krisen für Unternehmen und Bevölkerung abzufedern. Dies wurde auch mit Verweis auf die historisch niedrigen Zinsen gerechtfertigt. Die Zentralbanken in den USA und Europa haben wegen der durch die immens gestiegenen Energiepreise hohen Inflation inzwischen eine Zinswende eingeleitet.
Auswirkungen und Durchführbarkeit der MMT sind umstritten: Während einige Ökonomen argumentieren, dass die MMT ein nützliches Instrument zur Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen und zur Förderung des Wachstums sein könnte, glauben andere, dass sie riskant und potenziell destabilisierend ist. Letztendlich hängen die Auswirkungen der MMT auf die Schulden und das Defizit eines Landes davon ab, wie sie politisch umgesetzt wird und wie die spezifischen Umstände des jeweiligen Landes sind.
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Die deutsche Fiskalpolitik hat in den vergangenen zwei Jahren eine neue Recheneinheit etabliert: den "Wumms". Gefühlt werden alle großen Konjunktur- und Hilfspakete nur noch in Wumms verabschiedet, ein Corona-Wumms hier, ein Energie-Doppel-Wumms dort. Der Wumms steht für rund 100 Milliarden Euro, und es macht den Anschein, als könnte sich der deutsche Staat beliebig verschulden. Und nicht nur der deutsche Staat. Amerika hat in den vergangenen Jahren großzügig Schecks unter die Bevölkerung gebracht, das sogenannte "stimmy money" (kurz für engl. stimulus money, etwa: Konjunkturprogramm). Japan wiederum hat ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm nach dem nächsten verabschiedet.
Die Illusion des Schuldenmachens ohne Konsequenzen
Die Schulden der westlichen Industriestaaten sind in den vergangenen fünf Jahren um rund 50 Prozent auf umgerechnet mittlerweile 60 Billionen US-Dollar gestiegen. Trotz der Rekordschulden blieben die Zinsen bis vor kurzem auf rekordniedrigen Niveaus. Das nährte die Illusion, dass Staaten Schulden machen können, ohne Konsequenzen zu spüren, etwa in Form von höheren Zinsen oder mehr Inflation. Aus dieser Beobachtung heraus bekam die Modern Monetary Theory, kurz MMT, Aufwind. Sie postuliert das grenzenlose Schuldenmachen, ohne dass eine Gegenfinanzierung nötig sei.
Doch 2022 hat sich die Situation schlagartig verändert. Die Inflation erlebte ein mächtiges Comeback und die Zinsen schossen so stark in die Höhe wie seit 40 Jahren nicht mehr. In Großbritannien wurde die Regierung von den Turbulenzen an den Finanzmärkten gestürzt, weil sie neue Schulden machen wollte. Und das hoch verschuldete Japan, das bislang als MMT-Musterbeispiel galt, musste mit heftigen Interventionen seine eigene Währung vor dem Kollaps bewahren.
Das Jahr 2022 besiegelte das Ende des spottbilligen Geldes - und damit auch der MMT-Illusion. Es wird offenbar, dass die Gravitationskräfte der Ökonomie doch nicht dauerhaft überwunden werden können: Es gibt keine Schulden ohne Sühne. Sicher haben Staaten das Privileg, dass sie ihre Verbindlichkeiten nie vollständig zurückzahlen müssen, wie das bei Privatpersonen der Fall ist. Staaten leben im besten Fall ewig und können die Schulden immer wieder refinanzieren. Aber Schulden müssen bedient werden - und mit steigenden Zinsen werden die Kosten dafür immer teurer. Das Geld, das dafür aufgewendet werden muss, fehlt an anderer Stelle im Haushalt.
Die MMT traf den ökonomischen Zeitgeist
Es ist kein Zufall, dass die MMT-Idee besonders in den vergangenen zwei Jahren den ökonomischen Zeitgeist traf und immer mehr Ökonomen in ihren Bann zog. Noch im August 2021 war die Verzinsung sämtlicher Bundesanleihen negativ, sprich: Der deutsche Finanzminister wurde fürs Schuldenmachen von den Investoren bezahlt. Die Zinsausgaben des Bundes fielen 2021 auf 3,9 Milliarden Euro und damit auf den tiefsten Stand seit den 1970er Jahren. Was gern verdrängt wurde: Im Jahr 1975 hatte Deutschland umgerechnet lediglich 150 Milliarden Euro Schulden. Im Jahr 2021 lag die Schuldenlast hingegen bei 2.300 Milliarden Euro, also rund 15 Mal so hoch. Das zeigt das krasse Missverhältnis zwischen Schuldenstand und Schuldendienst, das von den Jüngern der MMT gern ausgeblendet wird. Dieser Irrtum kommt die Ökonomien jetzt teuer zu stehen.