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Jetzt erst recht | Macht der Green Deal Europa nachhaltiger und wettbewerbsfähiger? | bpb.de

Debatte Macht der Green Deal Europa nachhaltiger und wettbewerbsfähiger?

Standpunkt von Claudia Kemfert

Jetzt erst recht

Claudia Kemfert

/ 4 Minuten zu lesen

Der Green Deal der EU ist auch in der Krise der einzige gangbare Weg, um Europas Wirtschaft klimaneutral und wettbewerbsfähig zu machen. Es wäre fatal, angesichts von Pandemie und Krieg die Abkehr von fossilen Energien wieder einmal zu verschieben, findet die Berliner Energieökonomin Claudia Kemfert.

Im Sommer 2022 erlebte Europa die schlimmsten Waldbrände seit 15 Jahren. In Portugal brannten 103.505 Hektar – wie hier in Rapa im Distrikt Guarda. (© picture-alliance, EPA)

Der Europäische Grüne Deal im Überblick

  • Ehrgeizige Klimaziele: Die Pläne der Europäischen Kommission für den Green Deal sind ambitioniert: Bis 2050 soll die EU keine Treibhausgasemissionen mehr freisetzen. Damit wäre Europa der erste Kontinent, der dieses Ziel erreicht. Bis 2030 sollen die treibhausgasrelevanten Emissionen laut dem Klimapakt "Fit for 55" in Europa in einem ersten Schritt bereits um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.

  • Zusammenspiel von Einzelinitiativen: Insgesamt besteht der Green Deal aus aktuell 47 Einzelmaßnahmen für Finanzmärkte, Verkehr, Handel oder Industrie, um bis 2050 keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr zu emittieren. Zum Maßnahmenpaket "Fit for 55" gehört die Umsetzung dieser Ziele durch den EU-Emissionshandel, den neuen Klimazoll, den Klimasozialfonds, CO2-Flottengrenzwerte im Verkehr, die vollständige Einbeziehung des Schiff- und Luftverkehrs in den Emissionshandel, die nationalen Klimazielen oder die Ziele für die Landnutzung.

  • Globale Dimension: Durch die Kopplung der Klimapolitik an eine innovative Wirtschaftsagenda soll der Green Deal auch ein Beitrag zum Erhalt der ökonomischen Stärke Europas sein – vor allem im geopolitischen Wettstreit mit China und den USA.

  • Veränderte Rahmenbedingungen durch Pandemie und Krieg: Die Rahmenbedingungen für den Green Deal haben sich seit der Bekanntgabe der EU-Pläne radikal geändert. Nach zwei Jahren, in denen die Wirtschaft in der EU wegen der Coronapandemie lahmte, überfiel im Februar 2022 Russland die Ukraine. Um sich gegen mögliche Lieferausfälle russischen Gases zu wappnen, wird in Deutschland nun beispielsweise neue und vergleichsweise klimaschädliche Infrastruktur für den Import von Flüssiggas errichtet, zudem sollen Kohlekraftwerke zumindest vorübergehend zusätzlichen Strom erzeugen.

  • Kritik an Details und Skepsis innerhalb der EU: An der Notwendigkeit, Europa klimaneutral zu gestalten, um die Anforderungen der Pariser Klimakonferenz von 2015 zu erfüllen, zweifeln nur wenige. Allerdings gibt es Kritik an den Details des EU-Klimadeals. So fürchten Expertinnen und Experten, er gefährde möglicherweise die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Zudem liege beispielsweise der Anteil der EU an den weltweiten Treibhausgasemissionen bei nur 7,3 Prozent. Ein Abbau auf Null verändere somit relativ wenig, wenn andere wie die USA und China nicht mitziehen. Auch innerhalb der EU gibt es Vorbehalte: Kritik kommt vor allem aus den osteuropäischen Ländern wie Polen, Ungarn und Tschechien. Deren Wirtschaft und Energieversorgung sind oft noch stark auf Kohle ausgerichtet. Kritikerinnen und Kritiker der fossilen Energieträger betonen hingegen, der Ukraine-Krieg zeige die Abhängigkeit des Westens von den Energieimporten Russlands - und verstärke die Dringlichkeit, möglichst schnell auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Es kommt einem vor, als wäre es ewig her – dabei sind noch nicht einmal drei Jahre vergangen, seit im Dezember 2019 die neue Europäischen Kommission die Amtsgeschäfte übernahm. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verbreitete Aufbruchstimmung und stellte gleich zu Beginn einen Vorschlag für einen European Green Deal vor, den sie als "Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment" bezeichnete. Doch in diesen zweieinhalb Jahre ist die Welt ist eine andere geworden. Nur wenige Wochen nach der Vorstellung des Green Deal brach die Corona-Pandemie aus, die Europa vor erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen gestellt hat.

Und, man mag kaum an Zufall glauben, das gleiche Schicksal ereilte die neue Bundesregierung, die kurz nach der Amtsübernahme tatkräftige Anstrengungen für Klimaschutz und somit gegen den weiteren Kauf fossiler Energien sowie für den EU Green Deal ankündigte. Dann brach der Krieg in Europa los.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist auch ein Krieg um fossile Energien. Mit fatalen Folgen: Die Preise für fossile Energien explodieren, mit ihnen die Inflation und die volkswirtschaftlichen Kosten. Nun rächt sich, dass wir zu lange an fossilen Energien festgehalten, zu wenig in die Abkehr investiert und das Energiesparen sträflich vernachlässigt haben. Wir zahlen den Preis der verschleppten Energiewende.

Doch auch wenn die Welt eine andere geworden ist, der europäische Green Deal ist weiterhin der Ausweg. Ziel dieses Klimapakts ist es ja vor allem, die europäische Wirtschaft so umzubauen, dass im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist. Damit ist der Green Deal ein umfassendes Programm für eine nachhaltige Transformation des Wirtschaftens und kann uns in der jetzigen Krise helfen, fossile Abhängigkeiten schnell zu lösen. Das formulierte Klimaziel 2050 bedeutet nichts anderes, als möglichst schnell den Verbrauch fossiler Energien zu senken. Und damit ebenso die Erdöl- und Gas-Importe aus Russland.

Verlässlicher Rahmen für Investitionen in die emissionsfreie Wirtschaft

In ihrem Klimazielplan (Climate Target Plan) hat die Europäische Kommission Mitte September 2020 ein Klimaziel für 2030 von 55 Prozent gegenüber 1990 vorgeschlagen, das in den Entwurf des Klimagesetzes aufgenommen werden soll. In diesem sogenannten "Fit-for-55"-Programm der EU werden zahlreiche Gesetzesvorhaben geschärft, die notwendig sind, um die Emissionsminderungsziele zu erreichen. Dazu gehören die Reform des EU-Emissionshandels (Emissions Trading System, kurz ETS), der neue CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM), der Klimasozialfonds, die neuen CO2-Flottengrenzwerte im Verkehr, die vollständige Einbeziehung des Schiff- und Luftverkehrs in den Emissionshandel, die nationalen Klimaziele laut Lastenteilungsverordnung und die Ziele für den Landnutzungssektor (Land Use, Land-Use Change and Forestry, kurz LULUCF). Dabei geht es vor allem darum, verlässliche politische Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ausreichende Investitionen in emissionsfreie Wirtschafts- und Produktionsprozesse getätigt werden können.

Zur Finanzierung des European Green Deals sollen nach Ankündigung der Europäischen Kommission bis 2030 eine Billion, also 1.000 Milliarden Euro, mobilisiert werden. Zum Vergleich: in Deutschland plant das Finanzministerium mit einem Bundeshaushalt in Höhe von 445 Milliarden Euro im Jahr 2023. Diese Vorhaben hatte die Kommission bereits Ende 2019 in einem Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa (European Green Deal Investment Plan) ausgeführt. Nun ist es dringender denn je, Gelder für die Abkehr von fossiler Energie bereitzustellen. Dies strebt Europa an und hat dazu den REPowerEU-Plan ausgerufen, der vor allem den schnelleren Ausbau von sogenannten sauberen Energien vorsieht, die Industrie unterstützt, um von Gas und Kohle wegzukommen, aber auch das Energiesparen forcieren will. Dafür sollen nochmals 100 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben werden. All dies sind Schritte in die richtige Richtung. Fatal wäre es nun, angesichts der Pandemie und des Krieges in der Ukraine Anstrengungen für eine schnelle Abkehr von fossilen Energien aufzugeben oder wieder einmal zu verschieben, wie es oft in vergangenen Krisen der Fall war. Es darf nicht wieder heißen: "Jetzt erst einmal nicht", sondern es muss heißen: "Jetzt erst recht."

Zudem ist es eine richtige und notwendige Entscheidung der EU, künftig kein Öl mehr aus Russland kaufen zu wollen. Wenn auch die Entscheidung zum Ölembargo durchaus entschlossener hätte ausfallen können und müssen, ist es dennoch folgerichtig. Auch Deutschland muss mitziehen und sollte nicht die nächsten unnötigen fossilen Infrastrukturabhängigkeiten schaffen. So zementiert der Bau vieler neuer Flüssiggasterminals in Deutschland die Abhängigkeit vom fossilen Erdgas über Jahrzehnte und widerspricht den EU-Zielen. Vernünftiger wäre es, für ein paar Jahre auf schwimmende Terminals zu setzen und zeitgleich die erneuerbaren Energien deutlich stärker auszubauen.

Langfristig mehr Wertschöpfung und zukunftsfähige Jobs


Der EU-Green-Deal, das "Fit-for-55"- und das REPowerEU-Programm lassen nur einen Weg zum Ziel zu: dass nun endlich und ausschließlich in erneuerbare Energien und in das Energiesparen investiert wird. Mit stark steigenden fossilen Energiepreisen wird die Umsetzung zunächst ein Kraftakt, da zum einen die Ziele im Auge behalten werden müssen und zum anderen die schwächeren Länder und die Wirtschaft nicht überfordert werden dürfen.

Langfristig aber wird die Abkehr von fossilen Energien die Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft stärken und damit auch die volkswirtschaftliche Resilienz. Denn der Green Deal schafft Wertschöpfungen und zukunftsfähige Jobs, vor allem im Bereich erneuerbarer Energien, Energieeffizienz, Elektromobilität, Digitalisierung und emissionsfreier Industrie. Zudem helfen Green Deal und Co. mit ihrer konsequenten Abkehr von fossilen Energieträgern, künftige geopolitische Krisen und Kriege zu vermeiden - und stärken somit Demokratie und Frieden. Genau darum muss es gehen.

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Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität sowie stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen.